TE Bvwg Beschluss 2018/12/20 W237 1309249-5

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Veröffentlicht am 20.12.2018
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Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

AsylG 2005 §9 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W237 1309249-5/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des mj.XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20.09.2018, Zl. 389535306-180020205:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der minderjährige Beschwerdeführer stellte durch seine gesetzlichen Vertreter am 03.10.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, der seitens des Unabhängigen Bundesasylsenats mit Bescheid vom 23.01.2008 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde; unter einem wurde dem Beschwerdeführer allerdings der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wege des Familienverfahrens zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. In der Folge wurden dem Beschwerdeführer wiederholt - zuletzt bis zum 23.01.2018 - befristete Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

2. Wegen zweier strafgerichtlicher Verurteilungen wegen Raubes (in unterschiedlichen Qualifikationen) leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.01.2018 ein Verfahren zur Aberkennung des dem Beschwerdeführer zukommenden subsidiären Schutzes ein.

2.1. In diesem Zusammenhang wurde der Vater des Beschwerdeführers am 31.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dieser gab dabei an, dass der Beschwerdeführer über kein russisches Reisedokument verfüge. Vor seiner Haft habe er die Schule besucht und mit dem Vater zusammengelebt. Der Beschwerdeführer habe Probleme mit Suchtgift gehabt und sei dabei auch straffällig geworden; derzeit nehme er (nicht näher spezifizierte) Tabletten. Der Vater des Beschwerdeführers gab weiters an, keine Chance gehabt zu haben, diesen von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Er habe seinem Sohn auch mitgeteilt, dass er wegen dieser Handlungen abgeschoben werden könne. Was dem Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung passieren würde, könne der Vater nicht sagen, er habe allerdings Angst um ihn. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit, in der Russischen Föderation bei Verwandten unterzukommen. Dem Vater des Beschwerdeführers wurden daraufhin Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation zur Stellungnahme vorgehalten, worauf er verzichtete.

2.2. Mit Bescheid vom 20.09.2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), wies seinen zuletzt gestellten Antrag auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erkannte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu (Spruchpunkt III.), erließ gegenüber dem Beschwerdeführer im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (Spruchpunkt IV.) und hielt fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt V.); schließlich erklärte das Bundesamt die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig (Spruchpunkt VI.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

3. Am 18.10.2018 erhob der Beschwerdeführer über seinen zur Vertretung im weiteren Verfahren bevollmächtigten Rechtsberater gegen den Bescheid vom 20.09.2018 eine näher begründete Beschwerde. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass der belangten Behörde "weder ein unmittelbarer Eindruck von der Person des Beschwerdeführers noch ein Sachverständigengutachten oder Ähnliches" vorgelegen sei.

Die Beschwerde wurde samt Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 23.10.2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang wird festgestellt.

1.2. Der Beschwerdeführer ist ein minderjähriger russischer Staatsangehöriger, der von seinem Vater gesetzlich vertreten wird. Er gelangte als fünfjähriges Kind nach Österreich und erhielt am 23.01.2008 durch den Unabhängigen Bundesasylsenat den Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wege des Familienverfahrens. In der Folge wurden dem Beschwerdeführer wiederholt - zuletzt bis zum 23.01.2018 - befristete Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigter erteilt. Der Beschwerdeführer verbrachte seine Kindheit bzw. Jugend bis zum Entscheidungszeitpunkt in Österreich und absolvierte hier seine schulische Ausbildung; zuletzt besuchte er eine bautechnische HTL.

1.2.1. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Raubes gemäß § 15 iVm § 142 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 14 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen teils versuchten, teils vollendeten Raubes gemäß § 15 iVm § 142 Abs. 1 und 2 StGB, Beitrags zum Raub gemäß § 12 dritter Fall iVm § 142 Abs. 1 StGB sowie Erpressung gemäß § 144 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten verurteilt, wobei ihm ein Teil des Vollzugs dieser Strafe im Ausmaß von zwölf Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurde. Unter einem wurde die im Urteil vom XXXX gesetzte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wegen des Vergehens des versuchten unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen unter Gewaltanwendung gemäß § 15 iVm § 136 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

1.2.2. Derzeit verbüßt der Beschwerdeführer seine Strafhaft.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich - ebenso wie der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang - zweifelsfrei aus dem Inhalt des vorliegenden Verfahrensakts. Dass der Beschwerdeführer minderjährig ist, ergibt sich aus seinem unbestrittenen Geburtsdatum XXXX. Die festgestellten strafgerichtlichen Verurteilungen sind aus einem aktuellen Strafregisterauszug sowie den im Verfahrensakt aufliegenden Urteilen ersichtlich. Dass der Beschwerdeführer zuletzt eine bautechnische HTL besuchte, war nach den in dieser Hinsicht unbedenklichen Angaben seines Vaters in der Einvernahme am 31.01.2018 festzustellen. Die Feststellung, wonach sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt in Strafhaft befindet, konnte auf Basis seiner jüngsten strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX unter Einrechnung der darin ausgewiesenen (angerechneten) Vorhaft getroffen werden.

Inwieweit der Beschwerdeführer suchtmittelabhängig ist bzw. seine Straftaten drogeninduziert - sei es als Beschaffungskriminalität oder unter Drogeneinfluss - beging, lässt sich aus den bloß spärlichen Angaben seines Vaters in der Einvernahme am 31.01.2018 nicht feststellen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 22/2018, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Der angefochtene Bescheid wurde dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 26.09.2018 durch Hinterlegung zugestellt. Die am 18.10.2018 per Fax an die belangte Behörde übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

Zu A)

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.1.1. Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

3.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. für viele VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sieht mit der bekämpften Entscheidung einen Aberkennungstatbestand gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 erfüllt (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids). Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Bundesamt - bei Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.) - rechtlich zutreffend in der Folge die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat aussprach (Spruchpunkt VI.), soweit es nach einer vorangeschalteten Prüfung die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als gegeben erachtet (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 ist nämlich die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach einem der im ersten Satz dieser Bestimmung vorgesehenen Tatbestände (Z 1 bis 3) mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl baute den Spruch des angefochtenen Bescheids also im Prinzip korrekt auf.

3.3. In inhaltlicher Hinsicht erweist sich der Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt allerdings als gravierend mangelhaft:

3.3.1. Wie in der gegenständlichen Beschwerde nämlich zu Recht moniert wird, unterließ die belangte Behörde den im Lichte des vorliegenden Falles wesentlichen Ermittlungsschritt, den Beschwerdeführer persönlich einzuvernehmen und ihn selbst über die den einzelnen Absprüchen zugrunde liegenden Sachverhalte zu befragen bzw. ihn damit zu konfrontieren. Dass der 17-jährige Beschwerdeführer nicht einvernahmefähig wäre oder zu entscheidungsmaßgeblichen Umständen aus sonstigen Gründen keine Aussagen treffen könnte, kam im Verfahren nicht hervor.

3.3.2. Da - wie aufgezeigt und von der belangten Behörde vorgenommen - bei einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 prinzipiell die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorgesehen ist, erscheint für die dabei gebotene Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK die persönliche Befragung des Beschwerdeführers zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen sowohl in Österreich als auch der Russischen Föderation als unabdingbar.

Auch soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verhängung eines Einreiseverbots für geboten erachtete, hätte es (zumindest) für die Bemessung der Höhe desselben Umstände zu berücksichtigen gehabt, die sich nur aus einer Befragung des Beschwerdeführers selbst ergeben hätten. So ist bei der Entscheidung über die Dauer eines Einreiseverbots stets auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/ Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12). Außerdem ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).

Schließlich erweist sich die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers auch in Hinblick auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als maßgeblich: Die Begründung des angefochtenen Bescheids erhellt, dass sich die belangte Behörde auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 stützte, weil der Beschwerdeführer gemäß seiner strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX wegen teils versuchten, teils vollendeten Raubes gemäß § 15 iVm § 142 Abs. 1 und 2 StGB, Beitrags zum Raub gemäß § 12 dritter Fall iVm § 142 Abs. 1 StGB sowie Erpressung gemäß § 144 Abs. 1 StGB ein Verbrechen begangen habe. Dass der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens im Sinne des § 17 StGB rechtskräftig verurteilt wurde, ist aufgrund des Vorliegens des genannten Strafurteils evident und konnte dementsprechend festgestellt werden. Auch wenn damit der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfüllt sein mag, ist nach der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie doch die Schwere der fraglichen Straftat konkret zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0295). Auch zu diesem Behufe ist die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers also unerlässlich.

3.3.3. Indem die belangte Behörde diesen (letztlich für alle Spruchpunkte ihres Bescheides) grundlegenden Ermittlungsschritt im Verwaltungsverfahren nicht gesetzt hat, leidet die angefochtene Entscheidung in ihrer Gesamtheit unter einem gravierenden Ermittlungsmangel, der auch durch die - bloß oberflächliche und auf die aufgezeigten maßgeblichen Themen teilweise gar nicht eingehende - Einvernahme des Vaters des Beschwerdeführers am 31.01.2018 nicht geheilt wird. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den maßgeblichen Sachverhalt damit im Sinne der unter Pkt. II.3.1.2. aufgezeigten Rechtsprechungslinie gerade einmal ansatzweise ermittelt.

3.4. Der angefochtene Bescheid ist sohin gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Rechtssache zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Dieses wird in der Folge den Beschwerdeführer zumindest einmal persönlich einzuvernehmen und zu sämtlichen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie (allenfalls) die Verhängung eines Einreiseverbots entscheidungsmaßgeblichen Umständen zu befragen haben.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Entsprechung der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Soweit weitere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Pkt. II.3.3.2. angeführt wurde, ist diese klar und (auch in Bezug auf die vorliegende zurückverweisende Entscheidung) eindeutig.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Einvernahme, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W237.1309249.5.00

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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