TE Bvwg Beschluss 2019/1/15 W152 2008179-1

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Veröffentlicht am 15.01.2019
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Entscheidungsdatum

15.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W152 2008179-1/17E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.05.2014, Zl. 831349310-2391855, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben

und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unbekannten Datums (illegal) in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, worauf er am 18.09.2013 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einer Erstbefragung unterzogen wurde.

Im Rahmen dieser Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, seine Eltern seien von Waffenschmugglern getötet worden, weil sein Vater beabsichtigt habe, diese anzuzeigen. Zur Tatzeit sei er nicht zu Hause gewesen, sonst hätten sie auch ihn getötet. Aus Angst um sein Leben habe er darum die Flucht ergriffen. In Griechenland sei der Beschwerdeführer von ausländerfeindlichen Griechen angegriffen und geschlagen worden. Durch diese Angriffe habe er auch Verletzungen erlitten. Die Art der Verletzungen wurde hiebei jedoch nicht protokolliert.

Am 24.03.2014 erfolgte eine Einvernahme vor dem Bundesamt, Regionaldirektion Burgenland, wobei der Beschwerdeführer im Wesentlichen vorbrachte, sein Vater habe Waffenschmuggler beobachtet und habe deshalb zur Polizei gehen wollen. Weiters sei der Gegner des Vaters in einem Grundstücksstreit in Kontakt mit diesen Waffenschmugglern gewesen. Die Eltern des Beschwerdeführers seien dann von den Waffenschmugglern getötet und ihr Haus angezündet worden. Dem Beschwerdeführer sei hiebei zwar zunächst die Flucht zu seiner Tante und später in die Hauptstadt gelungen, die Waffenschmuggler würden jedoch über sein Foto verfügen und ihn auch suchen, wie seine Tante ihm später mitgeteilt habe. Er sei auch bereits zweimal gefunden worden, habe aber entkommen können. Im Rahmen dieser Einvernahme, wobei auch vermerkt wurde, dass der Asylwerber die Stimmlage erhebe und zur Ruhe gerufen werden müsse, gab der Asylwerber viermal zu Protokoll, dass er in Griechenland geschlagen worden sei, wobei er einmal auch ausführte, dass er hievon auch eine Narbe habe und er habe auch durch einen Hockeyschläger Verletzungen am Ohr erlitten. Weiters habe er auch einen Zahnbruch erlitten. Ärztliche Atteste wurden in diesem Zusammenhang hiebei vom Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Obwohl mehrfache Schläge gegen den Kopf, deren Stärke auch Verletzungen verursacht haben sollen, releviert wurden, forderte das Bundesamt den Beschwerdeführer hiebei jedoch nicht auf, allfällige vorhandene Atteste vorzulegen bzw. diese zu beschaffen. Ein ärztliches Gutachten zur Erhebung der Verletzungen und ihrer Folgen wurde ebenfalls nicht bestellt.

Das Bundesamt, Regionaldirektion Burgenland, wies dann den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 06.05.2014, Zahl:

831349310-2391855, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Bangladesch zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III). Das Bundesamt stellte hiebei fest, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Bangladesch, jung, gesund und arbeitsfähig sei. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer ärztlichen/medizinischen Behandlung bedürfe bzw. eine solche in Anspruch nehme. Eine Auseinandersetzung mit den relevierten Kopfverletzungen fand hiebei jedoch nicht statt. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftslandes wurde festgestellt, dass die Angaben des Beschwerdeführers widersprüchlich und nicht glaubwürdig seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerecht erhobene Beschwerde, wobei insbesondere ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei mehrfach Gewalteinwirkungen auf den Kopf ausgesetzt gewesen, wobei die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht verletzt und kein fachärztliches Gutachten eingeholt habe. Der Beschwerdeführer habe nach der Einvernahme aufgrund von Beschwerden (Sprachstörungen, Gedächtnisstörung) selbst einen Neurologen aufgesucht, wobei sich aus dem beigelegten Schreiben vom 18.04.2014 von OA Dr. XXXX (Krankenhaus XXXX ) ergebe, dass sich im Gehirn des Beschwerdeführers ein Areal ausmachen lasse, in dem die Gewebsdichte wesentlich geringer als im Umgebungsgewebe sei, was den Verdacht auf eine Gefäßmissbildung begründe. Weitere Untersuchungen würden deshalb empfohlen werden.

Mit Schreiben des Vertreters vom 13.06.2014 wurde ein Radiologie-Befund vom 22.05.2014, erstellt von OA Dr. XXXX im Krankenhaus XXXX , betreffend die Magnetresonanzuntersuchung des Gehirns des Beschwerdeführers übermittelt, worin als Ergebnis eine "2 cm große Läsion im Marklager lateral der Cella media rechts" festgestellt wurde, wobei eine eindeutige Zuordnung nicht möglich sei, am ehesten ein Zustand nach "Ischämie" vorliegen dürfte.

Mit Eingabe vom 06.10.2014 legte der Beschwerdeführer einen Ambulanzbericht der Universitätsklinik für Neurologie in XXXX vom 22.08.2014 vor, wonach der Beschwerdeführer eine "rezidivierende passagere Desorientiertheit, differenzialdiagnostisch komplex-fokale Anfälle und eine differenzialdiagnostisch posttraumatische Belastungsreaktion" aufweise.

Mit Bericht der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in XXXX vom 23.12.2014 wurde eine depressive Störung (dzt. mittelgradige Episode) diagnostiziert, wobei der Verdacht auf eine "Traumafolgestörung, differenzialdiagnostisch ev. Beginn einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis" bestehe.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 18.11.2016, XXXX , wurde zu Recht erkannt, dass der Beschwerdeführer Taten begangen habe, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, die als Verbrechen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs. 1, 269 Abs. 1 zweiter Fall StGB, Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs. 1, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB zuzurechnen wären. Gemäß § 21 Abs. 1 StGB wird hiebei die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. In den Entscheidungsgründen wurde hiebei ausgeführt, dass der Beschwerdeführer unter einem wiederkehrenden raptusartigen Zustand im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung leide. Die verfahrensgegenständlichen Handlungen stehen mit diesen zorn-manischen Entgleisungen im Zusammenhang, wobei der in einem psychotischen Zustand befindliche Beschwerdeführer weder diskretions- noch dispositionsfähig gewesen sei und ein hochgradiges Gefährlichkeitspotential bestehe.

Eine vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Erhebung ergab, dass der Beschwerdeführer keinen Sachwalter (numehr: "gerichtliche Erwachsenenvertretung") habe (Erhebung vom 11.01.2018/hg. OZ 16).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I 33/2013 idgF (VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG), mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchpunkt A):

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Obwohl gemäß § 17 iVm § 58 VwGVG seit 01.01.2014 der § 66 Abs. 2 AVG in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr anzuwenden ist und gemäß § 58 VwGVG stattdessen § 28 Abs. 3 VwGVG mit genanntem Datum in Kraft trat, womit das Erfordernis des § 66 Abs. 2 leg.cit, wonach die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, weggefallen ist, und sich die Regelungsgehalte beider Normen nicht somit gänzlich decken, findet die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG grundsätzlich weiterhin Anwendung.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt weitere Entscheidungen getroffen, in denen er diese Grundsätze weiter ausgebildet hat. So hat er im Erkenntnis vom 19.04.2016, Zl. Ra 2015/01/0010, ausgeprochen, dass auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, dies allein noch nicht dazu führt, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa auch das Erkenntnis vom 20.05.2015, Zl. Ra 2014/20/0146).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Das Bundesamt stützte sich in erster Linie darauf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, der jung, gesund und arbeitsfähig sei, als unglaubwürdig anzusehen sei. Der Beschwerdeführer relevierte jedoch bereits im Rahmen der Erstbefragung, dass er in Griechenland geschlagen worden sei, wodurch er auch Verletzungen erlitten habe. Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt wies dann der Beschwerdeführer insgesamt viermal darauf hin, dass er geschlagen worden sei, wobei er einmal auch die hiebei erlittenen Kopfverletzungen relevierte. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass die Einvernahme vor dem Bundesamt offensichtlich nicht problemlos verlief, weil die Einvernehmende protokollierte, dass der Asylwerber zur Ruhe habe gerufen werden müssen. Angesichts der mehrfach relevierten Schläge, wodurch Kopfverletzungen entstanden sein sollen, und einer bereits in der Einvernahme wahrnehmbaren Verhaltensauffälligkeit des Beschwerdeführers hätte das Bundesamt aber nicht ohne weiteres dem Beschwerdeführer die Widersprüchlichkeiten seines Vorbringens vorwerfen dürfen. Vielmehr hätte es in diesem Zusammenhang der Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zur Erstattung eines Gutachtens zum gesundheitlichen Status des Beschwerdeführers bedurft, um das Aussageverhalten des Beschwerdeführers überhaupt bewerten zu können. Die Unterbringung des Beschwerdeführers - zwei Jahre nach der Einvernahme - in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zeigt offensichtlich das Fortschreiten einer individuellen Entwicklung und bestätigt letztlich, dass bereits zum Zeitpunkt der Einvernahme nicht mehr ohne weiteres die uneingeschränkte Bewertbarkeit seines Vorbringens vorlag.

Abschließend wird jedoch betont, dass - nach der derzeitigen Aktenlage - keine Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers obwalten, weshalb von der Rechtswirksamkeit der Zustellungen, der Bevollmächtigung von Vertretern und daher auch von der Zulässigkeit der Beschwerde auszugehen ist.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die angeordnete Anstaltsunterbringung (auf unbestimmte Zeit) spielt der zeitliche Faktor aber ohnedies keine Rolle.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da also der maßgebliche Sachverhalt im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) ab. Bereits durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Ermittlungsverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W152.2008179.1.00

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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