TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/27 W170 2174559-1

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Veröffentlicht am 27.11.2018
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Entscheidungsdatum

27.11.2018

Norm

BDG 1979 §118 Abs1 Z1
BDG 1979 §126 Abs2
BDG 1979 §43 Abs2
BDG 1979 §91
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W170 2174559-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Fröhlich Kolar-Syrmas Karisch Rechtsanwälte, gegen das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 3, vom 18.09.2017, Zl. 44025-DK/3/17, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, und §§ 43 Abs. 2, 126 Abs. 2 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl. Nr. 333/1979 in der Fassung BGBl. I Nr. 60/2018, stattgegeben, das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 3, vom 18.09.2017, Zl. 44025-DK/3/17, ersatzlos behoben und XXXX vom Vorwurf, dadurch, dass er sich am 09.01.2017, um 13.30 Uhr, außer Dienst, aus dem Kassenbereich des Merkur Marktes in XXXX entfernte, obwohl er drei Packungen Nüsse im Gesamtwert von € 14,97 in die Außentasche seiner Jacke gesteckt und diese nicht deklariert bzw. bezahlt hatte und die Kassierin XXXX und die Kaufhausdetektivin XXXX mit Gewalt nötigte, von seiner Anhaltung Abstand zu nehmen, indem er sich aus dem Festhaltegriff der XXXX losriss und XXXX einen Stoß gegen den Oberkörper versetzte, wodurch diese gegen eine Palette (Brennholzstapel) stürzte, seine Dienstpflicht, in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seines Amtes erhalten bleibt, schuldhaft verletzt zu haben

freigesprochen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgegenstand:

Verfahrensgegenständlich ist die Frage, ob das im Spruch bezeichnete Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 3, (in Folge: Behörde) vom 18.09.2017, gegen das XXXX (in Folge: Beschwerdeführer) Beschwerde erhoben hat, und mit dem dieser schuldig gesprochen wurde, dadurch, dass er sich am 09.01.2017, um 13.30 Uhr, außer Dienst, aus dem Kassenbereich des Merkur Marktes in XXXX , obwohl er drei Packungen Nüsse im Gesamtwert von € 14,97 in die Außentasche seiner Jacke gesteckt und diese nicht deklariert bzw. bezahlt hatte und eine dortige Kassierin und eine Kaufhausdetektivin mit Gewalt nötigte, von seiner Anhaltung Abstand zu nehmen, indem er sich aus dem Festhaltegriff der Kaufhausdetektivin losriss und der Kassierin einen Stoß gegen den Oberkörper versetzte, wodurch diese gegen eine Palette (Brennholzstapel) stürzte, seine Dienstpflicht, in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seines Amtes erhalten bleibt, schuldhaft verletzt zu haben, mit Rechtswidrigkeit behaftet ist oder nicht.

In der gegen das Disziplinarerkenntnis erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen gerügt, dass sich die Behörde hinsichtlich der Schuldfähigkeit auf ein von der Staatsanwaltschaft im in weiterer Folge diversionell erledigten Strafverfahren eingeholtes Gutachten gestützt hat, ohne zu ermitteln, ob der Beschwerdeführer nicht nur hinsichtlich der strafrechtlichen Delikte sondern auch hinsichtlich der dienstrechtlichen Delikte straffähig war oder nicht. Dies, obwohl die Einholung eines ergänzenden Gutachtens ausdrücklich beantragt wurde.

Die Beschwerde wurde samt den Verwaltungsakten am 25.10.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, dieses hat das bereits vor der Behörde beantragte Gutachten hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf die dienstrechtlichen Delikte eingeholt und am 30.10.2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:

Das verfahrensgegenständliche Disziplinarerkenntnis wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 20.09.2017 zugestellt, dessen Beschwerde am 18.10.2017 zur Post gegeben; daher ist die Beschwerde rechtzeitig und auch kein Grund zu sehen, warum diese nicht zulässig sein soll.

Anzumerken bleibt, dass die zuständige Disziplinaranwältin gegen das verfahrensgegenständliche Disziplinarerkenntnis, das ihr am 19.09.2017 zugestellt wurde, keine Beschwerde erhoben hat.

1. Feststellungen:

1.1. XXXX ist Exekutivbeamter in der Verwendungsgruppe E2b, Gehaltsstufe 15 (nächste Vorrückung am 01.07.2020) und hat derzeit ein Nettogehalt von etwa € 1.660.

XXXX ist disziplinarrechtlich unbescholten.

1.2. XXXX befand sich nach einem Dienstunfall im Jahr 2014 am 09.01.2017 und befindet sich immer noch im Krankenstand. Auf Grund dieses Dienstunfalles leidet XXXX an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Panikstörung mit episodischer paroxysmaler Angst und einer derzeit mittelgradig und chronifizierten rezidivierenden depressiven Episode. Es handelt sich bei diesen Leiden um eine psychopathologische Veränderung, also eine psychische Erkrankung bzw. eine Geisteskrankheit.

1.3. Am 09.01.2017, um 13.30 Uhr, befand sich XXXX außer Dienst im Merkur Markt in XXXX und entfernte sich aus dem Kassenbereich Richtung Parkplatz obwohl er drei Packungen Nüsse im Gesamtwert von € 14,97 in die Außentasche seiner Jacke gesteckt und diese nicht deklariert bzw. bezahlt hatte. Die Kassierin XXXX und die Kaufhausdetektivin XXXX wollten XXXX anhalten und wurden von diesem mit Gewalt genötigt, von seiner Anhaltung Abstand zu nehmen, indem er sich aus dem Festhaltegriff der XXXX losriss und XXXX einen Stoß gegen den Oberkörper versetzte, wodurch diese gegen eine Palette (Brennholzstapel) stürzte. In weiterer Folge wurde XXXX am Parkplatz des Merkur Marktes vom Marktleiter festgehalten und von diesem, einem unbekannten Kunden und der Kaufhausdetektivin XXXX bis zum Eintreffen der Polizei am Boden fixiert.

1.4. XXXX hatte zum Vorfallszeitpunkt hinsichtlich der eingesteckten drei Packungen Nüsse keinen Bereicherungsvorsatz, er hat, als er den Kassenbereich des Supermarktes Richtung Parkplatz bzw. Richtung seines Autos verließ, um sein Handy zu holen, lediglich darauf vergessen, dass er diese drei Packungen Nüsse eingesteckt hatte.

1.5. XXXX war zum Vorfallszeitpunkt trotz seiner unter 1.2. festgestellten psychopathologischen Veränderung in der Lage zu erkennen, dass er sich gegen die Anhaltung durch die Kaufhausdetektivin XXXX und die Kassierin XXXX nicht mit Gewalt zur Wehr setzen durfte und er war in der Lage, dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Allerdings war XXXX auf Grund seiner unter 1.2. festgestellten psychopathologischen Veränderung nicht in der Lage zu erkennen, dass er dadurch, dass er die Kassierin XXXX und die Kaufhausdetektivin XXXX mit Gewalt nötigte, von seiner Anhaltung Abstand zu nehmen, indem er sich aus dem Festhaltegriff der XXXX losriss und XXXX einen Stoß gegen den Oberkörper versetzte, wodurch diese gegen eine Palette (Brennholzstapel) stürzte, seine Dienstpflicht als Beamter, auch in seinem außerdienstlichen Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seines Amtes erhalten bleibt, verletzen könnte und dieser Einsicht gemäß zu handeln.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage und den damit korrespondierenden Angaben des Beschwerdeführers.

2.2. Die Feststellungen zu 1.2. ergeben sich hinsichtlich des Dienstunfalls aus der unbedenklichen Aktenlage und hinsichtlich der krankheitswertigen Folgen des Dienstunfalls vor allem aus den jedenfalls diesbezüglichen nachvollziehbaren und vollständigen Gutachten des XXXX (in Folge: Sachverständiger) im Straf- und disziplinarrechtlichen Beschwerdeverfahren, der als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger jedenfalls fachlich geeignet ist, diese Gutachten zu erstatten. Dass die Gutachten diesbezüglich unvollständig oder nicht nachvollziehbar wären, hat keine der Parteien behauptet; ebensowenig wurde die Befangenheit des Sachverständigen behauptet. Daher sind die Gutachten den gegenständlichen Feststellungen zu Grunde zu legen.

2.3. Die Feststellungen zu 1.3. und 1.4. ergeben sich aus dem Strafverfahren und aus dem behördlichen Administrativverfahren. Der Beschwerdeführer hat den objektiven Gang der Ereignisse im Wesentlichen nicht bestritten und steht dieser auf Grund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Verantwortung des Beschwerdeführers im Strafverfahren fest. Allerdings konnte schon die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Mitnahme der drei Packungen Nüsse im Gesamtwert von € 14,97 keinen Bereicherungsvorsatz erkennen. Auch für das Bundesverwaltungsgericht ist es im Hinblick auf eine Gesamtbetrachtung der verfahrensgegenständlichen Situation nachvollziehbar und glaubhaft, dass der Beschwerdeführer lediglich darauf vergessen hat, dass er die drei Packungen Nüsse eingesteckt und nicht bezahlt hat.

2.4. Dass der Beschwerdeführer zum Vorfallszeitpunkt trotz seiner unter 1.2. festgestellten psychopathologischen Veränderung in der Lage war, zu erkennen, dass er sich gegen die Anhaltung durch die Kaufhausdetektivin und die Kassierin nicht mit Gewalt zur Wehr setzen durfte und in der Lage war, dieser Einsicht gemäß zu handeln, allerdings auf Grund seiner unter 1.2. festgestellten psychopathologischen Veränderung nicht in der Lage war, zu erkennen, dass er dadurch, dass er die Kassierin und die Kaufhausdetektivin mit Gewalt nötigte, von seiner Anhaltung Abstand zu nehmen, seine Dienstpflicht als Beamter, auch in seinem außerdienstlichen Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seines Amtes erhalten bleibt, verletzen könnte und dieser Einsicht gemäß zu handeln, ergibt sich aus den Gutachten des Sachverständigen vom 09.03.2017 (erstattet für die Staatsanwaltschaft Leoben) und 05.03.2018 (erstattet für das Bundesverwaltungsgericht).

Unzweifelhaft hat der Sachverständige als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständige für Neurologie und Psychiatrie das notwendige Fachwissen, um die Gutachten zu erstatten; im Verfahren ist auch eine Befangenheit nie angesprochen worden oder auch nur entsprechende Hinweise hervorgekommen.

Allerdings erscheinen die Gutachten, die jeweils über Befund und Gutachten im engeren Sinne verfügen und daher vollständig sind, prima vista widersprüchlich, da der Sachverständige für ein und diesselbe Tathandlung einmal - im Gutachten für die Staatsanwaltschaft - festgestellt hat, dass die Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zwar erheblich eingeschränkt, prinzipiell jedoch erhalten gewesen sei, während der Sachverständige im Gutachten für das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, zu erkennen, dass seine Taten ein dienstrechtlich strafbares Verhalten darstellen würden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige im Gutachten für das Bundesverwaltungsgericht auf Seite 1 Literatur zitiert und diese schließlich in der Gutachtenserörterung in der mündlichen Verhandlung erörtert hat; nach diesen Ausführungen seien nicht nur die qualitativen Abweichungen der Affekte um ein solches Handeln derart zu berücksichtigen, sondern gehe es auch um die sogenannte quantitative Ausprägung. Die quantitative Ausprägung sei vor allem bei sogenannten aversiven also vermeidenden Affekten, dazu zählen die Angst und Panik, zu beachten. Diese ausgeprägten Affekte dürften nie isoliert betrachtet werden, vielmehr würden sie gleichzeitig Denken und Handeln des Individuums bestimmen; in einer Paniksituation bestehe etwa einzig und alleine der Fluchtgedanke, man wolle sich aus dieser Situation so rasch wie möglich befreien. Bleuler habe sogar gesagt, Affekte würden sich auf Psychomotorik und auch auf die Wahrnehmungsbereitschaft auswirken, es fehle an einem ausreichenden Realitätsbezug. Kretschmer habe das dann noch mehr auf den Punkt gebracht, als er gesagt habe, dass diese Affektzuspitzungen so ablaufen würden, dass sie dem Individuum bzw. Betroffenen wenig bewusstwürden und kaum willentlich gesteuert werden könnten. Im gegenständlichen Fall sei im Erstgutachten für die Staatsanwaltschaft Leoben ausgeführt worden, dass hier noch ein Rest an Steuerungsvermögen, das heißt Dispositionsfähigkeit, gerade noch erhalten gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe zwar erkennen können, dass seine Gewaltanwendung verboten gewesen sei, sei aber nicht mehr in der Lage gewesen, den Schluss zu ziehen, dass er dies aus dienstrechtlicher Sicht als Polizeibeamter nicht dürfe. Dieser weitere Gedankengang sei in einer solchen Situation unmöglich und dem Beschwerdeführer eben nicht zuzumuten. Dies sei, so der Sachverständige, auch psychopathologisch erklärbar, zumal der Beschwerdeführer auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, welche diese Gesamtsituation noch verstärke.

Für das Bundesverwaltungsgericht ist absolut nachvollziehbar, dass eine an einer Geisteskrankheit leidende Person in der Lage sein kann, zu erkennen, dass die Anwendung von Gewalt in einer bestimmten Situation verboten ist, gleichzeitig aber nicht erkennen kann, dass deren Anwendung auch eine Dienstpflichtverletzung darstellt. Insoweit sind die Gutachten nicht nur für sich - dies wurde von keiner der Parteien bestritten - sondern auch in einer Zusammenschau für das Bundesverwaltungsgericht auch schlüssig bzw. ist nach der Erörterung der Gutachten keine der Parteien dieser Schlüssigkeit substantiiert - alleine die Behauptung, dass das Gutachten für die Disziplinaranwältin ohne nähere Begründung nicht nachvollziehbar ist, reicht hier nicht hin, die nachvollziehbaren Erklärungen des Sachverständigen zu entkräften - entgegengetreten.

Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass dem Gutachten des Sachverständigen außer bei Unschlüssigkeit oder ersichtlicher Tatsachenwidrigkeit solange zu folgen ist, als seine Richtigkeit nicht im Verfahren durch Gegenausführungen und Gegenbeweise von vergleichbarem Aussagewert widerlegt wurde (VwGH 3.6.2004, 2002/09/0134; VwGH 20.2.2014, 2013/09/0154); das bedeutet, dass sich die Behörde - hier das Bundesverwaltungsgericht - solange auf ein (schlüssiges und vollständiges) Sachverständigengutachten stützen kann und muss, als die Unrichtigkeit dieses Gutachtens nicht von der Partei im Verwaltungsverfahren durch auf einem vergleichbaren wissenschaftlichen Niveau stehende Gegenausführungen und Gegenbeweise widerlegt ist (VwGH 25.9.1992, 92/09/0198).

Da schlüssige und vollständige Gutachten vorliegen, hat sich das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Feststellungen zu 1.5. auf diese zu stützen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Da gegenständlich im bekämpften Disziplinarerkenntnis keine Entlassung ausgesprochen wurde und die Disziplinaranwältin nicht Beschwerde erhoben hat, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht gemäß §§ 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, 135a Abs. 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl. Nr. 333/1979 in der Fassung BGBl. I Nr. 60/2018 (in Folge: BDG) durch Einzelrichter.

Zu A)

1. Gegenständlich ist alleine die Frage, ob der Beschwerdeführer durch sein im Spruch des bekämpften Disziplinarerkenntnisses beschriebenes Verhalten, nämlich dass er sich am 09.01.2017, um

13.30 Uhr, außer Dienst, aus dem Kassenbereich eines Einkaufszentrums entfernte, obwohl er drei Packungen Nüsse im Gesamtwert von € 14,97 in die Außentasche seiner Jacke gesteckt und diese nicht deklariert bzw. bezahlt hatte und eine Kassierin und eine Kaufhausdetektivin mit Gewalt nötigte, von seiner Anhaltung Abstand zu nehmen, indem er sich aus dem Festhaltegriff der Kaufhausdetektivin losriss und der Kassierin einen Stoß gegen den Oberkörper versetzte, wodurch diese gegen eine Palette (Brennholzstapel) stürzte, eine Dienstpflichtverletzung begangen hat.

2. Für das Bundesverwaltungsgericht steht der Hergang der Ereignisse, wie oben dargestellt fest; es hat diese Ereignisse allerdings nur dahingehend zu untersuchen, ob eine Dienstpflichtverletzung vorliegt.

In Betracht kommt hier nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nur eine Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 BDG; dies entspricht auch dem Schuldspruch der belangten Behörde und der Rechtsmeinung der Disziplinaranwältin. Gemäß § 43 Abs. 2 BDG hat der Beamte in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.

Für das Bundesverwaltungsgericht gliedert sich das Verhalten des Beschwerdeführers in zwei Bereiche, zuerst das Verlassen des Kassenbereichs eines Einkaufszentrums durch den Beschwerdeführer, obwohl er drei Packungen Nüsse im Gesamtwert von € 14,97 in die Außentasche seiner Jacke gesteckt und diese nicht deklariert bzw. bezahlt hatte und danach sein Verhalten ab der Anhaltung durch die Kaufhausdetektivin.

3. Zum Verlassen des Kassenbereichs ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer zwar Ware im Wert von etwa € 15 an der Kassa vorbei in seiner Jacke verbracht hat, es hat jedoch weder die Staatsanwaltschaft noch das Bundesverwaltungsgericht hier einen Bereicherungsvorsatz des Beschwerdeführers zu erkennen vermocht. Es bleibt daher die Frage, ob ein Verhalten, das prima vista als strafbare Handlung gesehen werden könnte, aber nur durch Unachtsamkeit herbeigeführt wurde, eine Dienstpflichtverletzung darstellen kann oder nicht.

Der Beschwerdeführer hat die gegenständlichen Handlungen außer Dienst begangen. Hiezu ist grundsätzlich auszuführen, dass sich weder dem Wortlaut des § 43 Abs. 2 BDG- dieser erfasst auch "außerdienstliches Verhalten" - noch dessen Schutzzweck (Gewährleistung einer funktionierenden Verwaltung) entnehmen lässt, dass einen karenzierten Beamten nicht die Pflicht zur Vertrauenswahrung nach § 43 Abs. 2 BDG trifft. Während der Zeit eines Karenzurlaubes (wie auch bei sonstigen Urlauben sowie bei Dienstbefreiungen) ruhen nur jene Dienstpflichten, die unmittelbar mit der Besorgung von "dienstlichen Aufgaben" in Zusammenhang stehen (wie zB die sich aus § 43 Abs. 1 und Abs. 3 und den §§ 48 bis 51 BDG ergebenden Dienstpflichten (vgl. VwGH 29.06.1986, 86/09/0164)) (VwGH 15.02.2013, 2013/09/0001). Dies muss auch für im Krankenstand befindliche Beamten gelten.

Allerdings ist bei Rechtsverletzungen, die außer Dienst oder ohne Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit erfolgen - dies ist hier der Fall -, grundsätzlich darauf abzustellen, ob der Schutz des betreffenden Rechtsgutes zu den Berufspflichten des Beamten gehört. Damit wird der Forderung Rechnung getragen, § 43 Abs. 2 BDG wolle in das außerdienstliche Verhalten des Beamten nur "in besonders krassen Fällen" eingreifen. Wenn etwa ein Kriminalbeamter schuldhaft in alkoholbeeinträchtigtem Zustand ein Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr lenkt und in diesem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht, vereitelt er schon im Hinblick auf diese Handlung die vom Gesetzgeber zur Herabminderung der Verkehrsunfälle verfolgten Ziele. Hinzu kommt, dass ein Verhalten außer Dienst aufgrund der besonderen Aufgaben des Beamten die Bedingungen für die Annahme einer Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 BDG erfüllen kann, wenn diese Umstände in ihrer Art, Ausgestaltung und Gewichtung einem besonderen Funktionsbezug vergleichbar sind. Eine solche Konstellation, die einem besonderen Funktionsbezug gleichkommt, wird vor allem dann gegeben sein, wenn aufgrund von Auswirkungen des außerdienstlichen Verhaltens der Beamte in der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit beeinträchtigt ist (VwGH 15.09.2011, 2011/09/0019). Zweifelsohne stünde ein Diebstahl außer Dienst in einem besonderen Funktionsbezug zur Funktion eines Polizeibeamten.

Allerdings hatte der Beschwerdeführer eben keinen Diebstahl begangen, sondern lediglich vergessen, Ware im Wert von € 15 zu bezahlen, als er den Einkaufsmarkt, mit der Absicht wieder zurückzukommen, verlassen hat. Da davon auszugehen ist, dass diese fahrlässig herbeigeführte Handlung, so der Beschwerdeführer zu einer normalen Erklärung fähig gewesen wäre, aufgeklärt worden wäre und somit keinerlei Beeinträchtigung des Vertrauens der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erfolgt wäre, ist der Beschwerdeführer in diesem Punkt freizusprechen.

Alleine das fahrlässige Verlassen des Kassenbereichs mit unbezahlter und nicht deklarierter Ware im Wert von € 15 stellt auch für einen Polizeibeamten außer Dienst keinen jener besonders krassen Fälle dar, in denen das Disziplinarrecht einzugreifen beabsichtigt. Anderes gilt selbstverständlich für einen Diebstahl oder - je nach den Umständen - eventuell auch für dieselbe Handlung durch einen im Dienst befindlichen, uniformierten Beamten.

4. Hinsichtlich des Verhaltens des Beschwerdeführers ab der Anhaltung durch die Kaufhausdetektivin ist auszuführen, dass dieses aus objektiver Sicht eine besonders schwerwiegende Dienstpflichtverletzung darstellt, da gerade ein Polizeibeamter im Falle einer legitimen Anhaltung - für eine Maßperson war erkennbar, dass die Kaufhausdetektivin den Beschwerdeführer wegen eines mutmaßlichen Diebstahls anhielt - jedenfalls keine Gewalt anwenden darf, um sich der Situation zu entziehen.

Es stellt sich allerdings im Lichte der Gutachten die Frage, ob der Beschwerdeführer auch schuldfähig war, als er die verfahrensgegenständlichen Handlungen ab der Anhaltung durch die Kaufhausdetektivin setzte.

Man könnte die Meinung vertreten, dass eine Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 BDG lediglich Schuldfähigkeit im Hinblick auf das gesetzte Verhalten, nicht aber im Hinblick auf die Fähigkeit, einzusehen, dass mit diesem Verhalten eine Dienstpflichtverletzung begangen wird, genügt. Prima vista würde dies auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nach der die Behörde und in weiterer Folge auch das Bundesverwaltungsgericht an ein rechtskräftiges verurteilendes Strafurteil im Hinblick auf die objektive als auch die subjektive Tatseite gebunden ist (VwGH 09.09.2014, Ra 2014/09/0014; VwGH 05.09.2013, 2013/09/0076), entsprechen.

Allerdings vertritt das Bundesverwaltungsgericht - im Lichte der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - die Ansicht, dass Zurechnungsunfähigkeit dann vorliegt, wenn der Täter auf Grund seiner geistigen Verfassung die Bedeutung der Tragweite seiner Handlungsweise nicht einzusehen vermag und unfähig ist, das Unrechtmäßige seiner Tat einzusehen und nach diese Einsicht zu handeln, wobei das Vorhandensein dieser Entscheidungsfähigkeit und Dispositionsfähigkeit nicht an sich, sondern im Hinblick auf die verübte Tat zu beurteilen ist (OGH 03.05.1968, 12 Os 3/68; OGH 02.12.1971, 12 Os 175/71; OGH 12.09.1972, 10 Os 101/72; OGH 22.09.1972, 11 Os 78/72). Dem folgend führt Höpfel im Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 11 StGB, aus, dass sogar in Bezug auf verschiedene Rechtsverstöße innerhalb einer Tat eine differenzierende Betrachtungsweise geboten ist (Rz 1) und bezieht sich damit auf Schöch im Leipziger Kommentar; dieser führt zu § 20, Rz 78 ausdrücklich aus, dass der Täter bei derselben Tat für den einen Rechtsverstoß voll verantwortlich sein kann, für den anderen nicht.

Diese Unterscheidung ist auch hier zu treffen; zwar war für den Beschwerdeführer trotz seiner Geisteskrankheit zu erkennen, dass er nicht Gewalt gegen die ihn anhaltenden Frauen üben darf, er war aber nicht in der Lage einzusehen, dass er damit eine Dienstpflichtverletzung begeht.

Mangels erkennbarer Abweichung knüpft das BDG bei den von ihm nicht definierten Deliktselementen (tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes menschliches Verhalten) am Begriffsverständnis des Allgemeinen Teils des StGB an (Hinweis Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S 21 ff, VwGH 21.02.2001, 99/09/0126). Unter Schuld ist dabei die "Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die darin liegende zu missbilligende Gesinnung des Täters" zu verstehen, die drei Komponenten umfasst: a) das biologische Schuldelement, d.h. der Täter muss voll zurechnungsfähig sein; b) das psychologische Schuldelement, d.h. der Täter muss vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben und c) das normative Schuldelement, d. h. dem Täter muss zugemutet werden können, dass er sich rechtmäßig verhält (Hinweis Kucsko-Stadlmayer, aaO, S 31). Diese angeführten Elemente sind Voraussetzung für eine disziplinäre Strafbarkeit eines Verhaltens; fehlt auch nur eines dieser Elemente, so darf eine Strafe nicht verhängt werden. Liegt etwa ein (sachlicher oder persönlicher) Strafausschließungsgrund vor, hat die Tat bzw. der Täter straflos zu bleiben (Hinweis Kucsko-Stadlmayer, aaO, S 44, VwGH 23.05.2013, 2012/09/0110).

Da beim Beschwerdeführer in Bezug auf die dienstrechtliche vorgeworfene Dienstpflichtverletzung nach den Feststellungen das biologische Schuldelement fehlt, hat dieser nicht schuldhaft gehandelt und ist auch in Bezug auf sein im Spruch dargestelltes Verhalten nach der Anhaltung durch die Kaufhausdetektivin freizusprechen.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 58/2018, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018 (in Folge: B-VG), zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der differenzierten Betrachtung der Schuldfähigkeit hinsichtlich gerichtlich strafbaren Handlungen und Dienstpflichtverletzungen - soweit ersichtlich - fehlt.

Schlagworte

außerdienstliches Verhalten, biologisches Schuldelement,
Dienstpflichtverletzung, Fahrlässigkeit, Freispruch, körperliche
Übergriffe, Ladendiebstahl, Nötigung, Polizist,
Schuldausschließungsgrund, subjektive Tatseite

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W170.2174559.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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