TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/5 W203 2186784-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.12.2018
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Entscheidungsdatum

05.12.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W203 2186778-1/7E

W203 2186774-1/7E

W203 2186784-1/7E

W203 2186780-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geboren am XXXX 1991 , 2.) XXXX , geboren am XXXX .1994 . 3.) dem minderjährigen Nabil XXXX , geboren am XXXX 2015 und 4.) der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX .2017, alle: StA. Syrien, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R1, 1090 Wien, gegen Spruchteil I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2018, Zlen. 1.) 1094883408 - 151778325/BMI-BFA_NOE_SP, 2.) 1094883909 - 151778304/BMI-BFA_NOE_SP,

3.) 1094884503 - 151778339/BMI-BFA_NOE_SP und 4.) 1177069203 - 171400438/BMI-BFA_NOE_SP zu Recht:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, i.d.g.F., sowie XXXX , Nabil XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , Nabil XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) stellten am 15.11.2015 für sich und ihren minderjährigen Sohn, den Drittbeschwerdeführer (BF3), sowie am 19.12.2017 für die Viertbeschwerdeführerin (BF4), die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 16.11.2015 wurde der BF1 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er an, dass er in Latakia geboren und verheiratet sei. Er gehöre der Volksgruppe der Araber an und bekenne sich zum muslimischen Glauben. Er habe neun Jahre lang die Grundschule in Latakia besucht und habe nachfolgend als Schweißer gearbeitet. Seine Mutter befinde sich noch in Syrien, sein Vater sowie sein Bruder befänden sich in der Türkei. Der Aufenthaltsort seiner Schwester sei ihm nicht bekannt. Der BF1 gab an, dass er Syrien "vor ca. 25 Tagen" illegal zu Fuß verlassen habe. Er sei in die Türkei gereist. Seinen syrischen Reisepass habe er in Syrien zurückgelassen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF1 an, dass er in den Krieg ziehen habe müssen. Er habe einen Bescheid bekommen und habe - nachdem sein Haus zerstört worden sei - Syrien verlassen. Seine gesamten Dokumente hätten sich in dem zerstörten Haus befunden.

Am selben Tag befragt gab die BF2 an, dass sie verheiratet sei. Sie gehöre der Volksgruppe der Araber an und bekenne sich zum muslimischen Glauben. Auch sie habe neun Jahre lang die Grundschule besucht und sei nachfolgend Hausfrau gewesen. Ihre gesamte Familie befinde sich in der Türkei, bis auf einen Bruder, der sich in Österreich befinde. Syrien verlassen habe sie illegal "vor ca. 3 Monaten", da Krieg herrsche und ihr Haus zerstört worden sei. Sie habe auch keine Dokumente mehr, diese hätten sich alle im zerstörten Haus befunden. Bei einer Rückkehr habe sie Sorgen um ihren Sohn. Vorgelegt wurde ein syrischer Personalausweis.

3. Am 31.08.2016 legte der BF1 einen Auszug aus dem Familienbuch sowie einen Militärausweis beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vor.

4. Am 22.06.2017 wurde der BF1 erstmalig vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er keine Kopie der Erstbefragung erhalten habe. Die Rückübersetzung sei sehr rasch und in gekürzter Fassung erfolgt, er habe erst am Ende der Befragung erfahren, dass er befragt worden sei, weil er Asyl beantragt hbe. Der BF1 habe das Familienbuch seines Vaters vorgelegt. Er sei zwar verheiratet, besitze aber kein eigenes Familienbuch. Er habe die Kopie des Auszuges seines Personenstandsregisters sowie die Kopie seines Führerscheins für Militärangehörige an die belangte Behörde geschickt. Der BF1 habe seinen Militärdienst von 2011 bis 2013 abgeleistet, aber nicht - wie üblich - nach zwei Jahren ausgemustert worden, sondern sein Militärdienst sei für weitere neun Monate verlängert worden. Er sei in seiner Militärzeit einem Offizier als Fahrer zugewiesen gewesen. Der BF1 habe nie einen Reisepass besessen, seinen Personalausweis habe man ihm beim Einrücken zum Militär abgenommen. Auch sein Wehrdienstausweis sei ihm nicht gegeben worden, diese Dokumente seien eingezogen worden, damit der BF1 nicht fliehen könne. Zuletzt habe er in Salma, einem Dorf in der Provinz Latakia, gelebt, und nachdem er desertiert sei, sei er dorthin geflüchtet. Dieses Dorf sei damals von keiner Konfliktpartei kontrolliert worden. Es befinde sich auf dem Gipfel eines Berges und sei schwer zugänglich. Er habe ungefähr sechs Monate dort gelebt, seine Frau (die BF2) sei später dorthin nachgekommen. Von dort aus seien die BF in die Türkei geflüchtet, da der BF1 von beiden Konfliktseiten bedroht worden sei. Bis zu seiner Desertion habe der BF1 mit seiner Familie im Ort XXXX gelebt. Nach der Flucht des BF1 sei sein Vater stark unter Druck gesetzt worden und habe in die Türkei fliehen müssen. Gesundheitlich fehle dem BF1 nichts, außer dass er "ab und zu depressive Phasen" habe. Die BF2 sei noch einmal nach XXXX ins Dorf zurückgefahren, um das Auto der BF zu verkaufen, dabei sei sie erniedrigt und verhört worden, um den Aufenthaltsort des BF1 herauszufinden. In Syrien bestehe aufgrund der Desertion des BF1 ein offizieller Haftbefehl gegen ihn. Nach seiner Desertion habe der BF1 erfahren, dass er verurteilt worden sei. Zu welcher Strafe wisse er nicht - entweder zu einer Haftstrafe oder zum Tod. Er sei sich zu "80 %" sicher, dass er zum Tode verurteilt worden sei, da sein Onkel mütterlicherseits "vor 10 Tagen" festgenommen worden sei und als er verhört wurde sei er unter anderem auch nach dem Aufenthaltsort des BF1 gefragt worden. Er habe mit seinem Onkel telefoniert, der habe ihm das erzählt. Er sei traditionell verheiratet, er habe seine Heirat nicht eintragen lassen können, da er sich von staatlichen Behörden fernhalten habe müssen. Er habe im 5. Monat 2014 geheiratet, Dokumente darüber gebe es nicht, diese seien verbrannt. In Syrien würden außer seiner Mutter und seiner Schwester noch drei Onkel väterlicherseits und fünf Onkel mütterlicherseits leben. Geflüchtet sei der BF1, da er zu einer Strafe verurteilt worden sei. Er wolle keine Unschuldigen töten müssen und auch selbst nicht getötet werden. Diejenigen, die Befehle nicht befolgten, würden hingerichtet werden. Er sei persönlich verfolgt worden, das Haus seiner Familie sei gestürmt und durchsucht worden und die BF2 sei unter Druck gesetzt worden, um zu verraten, wo sich der BF1 befinde. Auch seine Schwester sei festgenommen und zum BF1 befragt worden.

Die BF2 gab im Rahmen ihrer Befragung im Wesentlichen an, dass sie außer dem bereits vorgelegten syrischen Personalausweis keine Dokumente besitze. Sie sei im 4. Monat schwanger. Die BF2 gab an, in Syrien von den Sicherheitsbehörden bedroht worden zu sein. Ihr seien Fragen gestellt worden, gegen sie persönlich sei aber nichts vorgelegen, deswegen sei sie auch nicht festgenommen worden. 2014 habe sie nicht mehr in den Libanon einreisen dürfen, sie sei vom syrischen Grenzschutz gehindert worden, da der BF1 bereits desertiert gewesen sei. Sie sei befragt worden, wo sich der BF1 befinde. Sie sei traditionell verheiratet, die Urkunde sei verbrannt. Sie mache zusätzlich zu den Fluchtgründen ihres Mannes eigene Fluchtgründe geltend, nämlich, dass es in Syrien keine Sicherheit gäbe, wenn man auf die Straße gehe. Man habe ständig Angst, dass etwas passieren könnte. Persönlich sei sie von den Sicherheitsbehörden wegen des BF1 befragt worden.

5. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 25.01.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Den BF1 betreffend wurde festgestellt, dass seine Identität nicht feststehe. Er sei mit der BF2 verheiratet und der Vater des BF3 und der BF4. Es läge ein Familienverfahren vor. Der BF1 sei gesund und arbeitsfähig. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise habe keine Rekrutierungsabsicht seitens des syrischen Militärs gegenüber dem BF1 vorgelegen, eine inzwischen vorliegende Rekrutierungsabsicht könne aber nicht ausgeschlossen werden. Es habe nicht festgestellt werden können, wieso der BF1 aufgrund seiner Ausreise als politischer Gegner des syrischen Regimes gelten solle. Begründend wurde aufs Wesentlichste zusammengefasst festgestellt, dass es sich bei den Erzählungen des BF1 um reine Schutzbehauptungen gehandelt habe, um persönliche Ziele zu erreichen, wie etwa Leistungen in westlichen Ländern und auch hier in Österreich zu erschleichen. Infolge der dargestellten Umstände sei die belangte Behörde in Zusammenschau der vorliegenden und eingeholten Ergebnisse überzeugt, dass zum Zeitpunkt der Ausreise des BF1 keine Rekrutierungsabsicht vorgelegen habe. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Lage prekärer gewesen, die Kriegslage habe sich im Vergleich zum Jahr 2015 entspannt. Der Bedarf an wehrdienstfähigen Personen sei aus diesem Grund wesentlich geringer, da weite Teile des Landes unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehen würden. Es sei somit davon auszugehen, dass Soldaten nun nicht mehr in dem Ausmaß erforderlich seien wie im Jahre 2015. In Syrien gäbe es keine Generalmobilmachung. Man könne nicht ausschließen, dass seit der Ausreise des BF1 zwischenzeitlich doch ein Interesse an der Einberufung desselben entstanden sei, da er sich zweifelsfrei im wehrdienstfähigen Alter befinde. Sowohl in Syrien als auch in Österreich gelte die allgemeine Wehrpflicht. Es handele sich um einen Dienst, welchen der Staat den Bürgern abverlangen könne, und eine Missachtung sei gesetzmäßig unter Strafe gestellt. Unabhängig davon, ob nun inzwischen ein mögliches Interesse an der Rekrutierung des BF1 im Raum stehe, könne man dem BF1 infolge seiner Ausreise keine Wehrdienstentziehung zur Last legen, da zum Zeitpunkt der Ausreise keine Rekrutierungsabsicht bestanden hätte.

6. Am 18.02.2018 brachten die BF1 bis BF4 Beschwerde jeweils gegen Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide der belangten Behörde ein und begründeten diese im Wesentlichsten wie folgt:

Die BF hätten durchaus eine politische Verfolgung seitens des syrischen Regimes geltend gemacht, da ihnen aufgrund der Desertion des BF1, ihrer Herkunft und ihrer Flucht der Vorwurf einer Ablehnung des Assad-Regimes gemacht werden würde. In Hinblick auf die BF2 läge zusätzlich eine geschlechtsspezifische Verfolgung als Frau vor.

7. Einlangend am 21.02.2018 wurden die Beschwerden samt den zugehörigen Verfahrensakten von der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF und deren Fluchtgründen:

Der BF1 bis BF4 sind syrische Staatsangehörige und gehören der arabischen Volksgruppe an.

Der BF1 ist der Ehemann der BF2, der BF1 und die BF2 sind die Eltern des BF3 und der BF4.

Der BF1 ist 1991 geboren und somit im wehrdienstfähigen Alter. Er hat den Wehrdienst in Syrien bereits abgeleistet und hat sich diesem durch Desertion entzogen. Es droht dem BF1 die reale Gefahr, dass er in Syrien - bei einer nunmehrigen Rückkehr - erneut zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen werde und er ist im Zusammenhang mit der Einziehung zum und Ableistung des Militärdienstes der Gefahr ausgesetzt, zu menschen- und völkerrechtsverletzenden Handlungen gezwungen bzw. bei Verweigerung des Militärdienstes unverhältnismäßig bestraft zu werden.

Die BF sind strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

1.2.1. Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl):

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt (DRC/DIS 8.2017). Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 5.12.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017). Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Syria Direct 7.12.2017). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2015).

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (FIS 23.8.2016; vgl. ISW 8.3.2017). Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017)

Zusatzinformationen zum Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt (BFA 8.2017). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2015; vgl. DRC/DIS 8.2017). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017). Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016).

Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (BFA 8.2017).

Befreiung und Aufschub

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat (BFA 8.2017).

Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).

Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht (BFA 8.2017).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 15.8.2017). Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein (BFA 8.2017; vgl. UNHCR 3.11.2017). Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden (Syria Direct 7.12.2017). Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten (BFA 8.2017).

Entlassungen

Es liegen aktuell keine Informationen zu Entlassungen von Soldaten aus dem Militärdienst vor, es ist jedoch möglich, dass dies trotzdem vorkommt. Viele Männer haben Angst, nicht mehr aus dem Dienst entlassen zu werden, wenn sie einmal eingezogen werden. Manche Männer, die den verpflichtenden Wehrdienst bereits abgeleistet haben, werden wieder zum Dienst einberufen, oder der Dienst mancher Männer wird einfach verlängert (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015).

Amnestien

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstverweigerer und Reservisten eine Amnestie erhalten. Es gibt keine Informationen darüber, wie viele Personen die Amnestie genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung jedoch danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. In diesem Zusammenhang ist nicht klar, aus welchem Grund bestimmte Personen freigelassen werden und ob die Amnestie jenen hilft, die davon profitieren sollten [also Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren, Anm.], oder anderen Personen. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten davon nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Reuters 20.7.2016).

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden (BFA 8.2017). Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster (DIS 26.2.2015).

Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2017). Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (FIS 23.8.2016).

Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen (BFA 8.2017).

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle des Regimes gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bzgl. Wehrdienst getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist (BFA 8.2017).

1.2.2. Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte

Fassung:

Risikoprofile:

[...]

* Wehrdienstentzieher und Deserteure der Streitkräfte.

[...]

In Syrien ist Wehrdienstentziehung eine Straftat. Unabhängige Beobachter weisen darauf hin, dass Wehrdienstentziehung von der Regierung wahrscheinlich als politische, regierungsfeindliche Handlung angesehen wird, was zur Folge haben kann, dass der Person, die sich dem Wehrdienst entziehen wollte, eine Strafe droht, die über die regulären Sanktionen für die Straftat der Wehrdienstentziehung hinausgeht, insbesondere durch strengere Behandlung während der Festnahme, beim Verhör und in Haft sowie - nach Einziehung - im Militärdienst. In der Praxis droht Wehrdienstentziehern Berichten zufolge statt einer strafrechtlichen Sanktion (Haftstrafe) nach dem Militärstrafgesetzbuch der Einsatz an vorderster Front innerhalb von Tagen oder Wochen nach der Festnahme - oftmals nach nur minimaler militärischer Ausbildung.

Aufgrund der zahlreichen Wehrdienstentzieher, Deserteure und Todesfälle bemühen sich Armee und Sicherheitsdienste laut den Berichten verstärkt darum, syrische Männer einzuziehen und Reservisten zu mobilisieren. Außerdem wurde gemeldet, dass verstärkte Anstrengungen unternommen wurden, um Wehrdienstentzieher zu identifizieren und festzunehmen, einschließlich an mobilen und festen Kontrollstellen, bei Razzien, Hausdurchsuchungen und Durchsuchungen öffentlicher Transportmittel. In Gebieten, die die Streitkräfte der Regierung von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert haben, wurden Männer im Wehrpflicht- oder Reservedienstalter Berichten zufolge in großer Zahl festgenommen, um in die Armee eingezogen zu werden. In der Haft drohen Wehrdienstentziehern Folter und andere Formen der Misshandlung - diese Praxis ist laut Berichten in ganz Syrien verbreitet.

Abgesehen davon, dass Wehrdienstentziehung für sich genommen bereits als politische Handlung angesehen wird, können weitere Merkmale des Profils eines Wehrdienstentziehers dazu beitragen, dass die betreffende Person als nicht ausreichend regierungstreu und/oder als Unterstützer der (politischen oder bewaffneten) Opposition angesehen wird, was die Gefahr erhöht, dass der Wehrdienstentzieher Misshandlungen erfährt, die über die Bestrafung hinausgehen, die in den einschlägigen, für Wehrdienstentziehung vorgesehenen strafrechtlichen Vorschriften vorgesehen ist.

Meldungen zufolge werden die Regeln und Vorschriften für den Militärdienst, insbesondere in Bezug auf Aufschub- und Ausnahmeverfahren, zunehmend willkürlich angewandt. Es wird berichtet, dass die Regierung zunehmend auch bislang "geschützte Bevölkerungsgruppen" wie Studenten, Beamte und Gefängnisinsassen zum Pflichtwehrdienst einberuft. Berichten zufolge wurde die Wehrpflicht bei vielen Soldaten über den gesetzlich festgelegten Zeitraum von 18 Monaten hinaus verlängert. Es wurde berichtet, dass Männer oft nach ihrer Entlassung am Ende der Wehrpflicht automatisch in die Reservistenliste aufgenommen werden. Viele Männer im Wehrdienst- oder Reservistenalter vermeiden es Berichten zufolge, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, halten sich versteckt, ziehen in Gebiete, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden (u. a. im Rahmen lokaler Versöhnungsabkommen), oder sind außer Landes geflohen, da sie Schikanen an Kontrollstellen und Zwangsrekrutierung befürchten. Wenn Männer aus dem Ausland zurückkehren, wird Berichten zufolge stets ihre Wehrdienstakte überprüft.

Aus den Berichten ergibt sich, dass es bei den Streitkräften vor allem in den ersten Jahren des Konflikts zu Desertionen kam, während dies heutzutage kaum noch vorkommt. Nach der gültigen Fassung des Militärstrafgesetzbuches von 1950 ist Desertion strafbar und wird je nach den Umständen des Einzelfalls mit Freiheits- oder Todesstrafe bestraft. Trotz dieser gesetzlichen Bestimmungen wurde Berichten zufolge gegen Personen, die sich einem Schießbefehl verweigert haben, desertiert sind oder verdächtigt wurden, eine Desertion zu planen, üblicherweise keine förmliche Anklage erhoben. Vielmehr wurde berichtet, dass die Deserteure entweder zum Zeitpunkt der Desertion oder bei einer späteren Festnahme sofort hingerichtet wurden, willkürlich inhaftiert, in Isolationshaft genommen, gefoltert und extra-legal hingerichtet wurden oder nach einem Ermittlungsverfahren angewiesen wurden, wieder zu ihrer Truppeneinheit zurückzukehren. Berichte belegen, dass Familienangehörige von Deserteuren beispielsweise während Massenverhaftungen in Gebieten, die als oppositionsnah gelten, von Regierungstruppen besonders ins Visier genommen wurden. Das Eigentum von Deserteuren wurde Berichten zufolge gezielt geplündert, in Brand gesetzt und zerstört.

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstentzieher und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sich die Betroffenen innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig stellten. Das Gesetzesdekret Nr. 15/2016 vom Juli 2016 bildet die Grundlage für die Versöhnung und sieht für alle Personen, die sich stellen und ihre Waffen niederlegen, Straffreiheit vor, einschließlich für Kämpfer und Zivilpersonen, die wegen Desertion gesucht werden. Berichten zufolge sind Wehrdienstentzieher und Deserteure manchmal nach dem Abschluss von Versöhnungsabkommen (wieder) in den Militärdienst bei der regulären Armee eingetreten oder sie haben sich neu formierten lokalen Sicherheitsbehörden oder sonstigen regierungsnahen Truppen angeschlossen. Männer im Wehrpflichtalter, die einem Eintritt in den Wehrdienst nicht zustimmen, sind entweder gezwungen, das Gebiet zu verlassen, oder riskieren, festgenommen und von den Regierungstruppen misshandelt zu werden, da ihre Wehrdienstverweigerung wahrscheinlich als Ausdruck einer regierungsfeindlichen Gesinnung interpretiert werden würde. UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die sich dem Pflichtwehrdienst oder dem Reservewehrdienst entzogen haben oder aus den Streitkräften desertiert sind, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder anderer maßgeblicher Gründe wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen. Bei Asylgesuchen von Deserteuren können Ausschlussgründe gegeben sein (siehe auch Abschnitt III.D). In den Richtlinien zu Anträgen auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus Gründen des Militärdienstes hat UNHCR festgestellt, dass die Anerkennung des Rechts auf Verweigerung des Militärdienstes mit der Begründung, dass der Militärdienst die Teilnahme an Aktivitäten beinhalte, die einen Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht, internationales Strafrecht oder internationale Menschenrechtsnormen darstellten, und die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft in diesen Fällen mit der Logik der Ausschlussklauseln der GFK im Einklang steht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus deren diesbezüglich gleichlautenden und in sich schlüssigen Angaben vor der belangten Behörde und aus den vorgelegten Unterlagen bzw. Dokumenten.

Die Feststellung, dass der BF1 und die BF2 verheiratet sind, ergibt sich aus deren gleichlautenden Angaben. Dass der BF2 und die BF3 die leiblichen minderjährigen Kinder des BF1 und der BF2 sind ergibt sich aus den vorgelegten Dokumenten.

Die Feststellung, dass der BF1 im wehrdienstfähigen Alter ist, ergibt sich aus den Ausführungen im Länderbericht. In diesen wird festgehalten, dass Syrer ab dem 18. Lebensjahr wehrdienstpflichtig sind und bis zum 42. Lebensjahr als Reservisten einberufen werden können.

Dass der BF1 den Wehrdienst bereits abgeleistet hat sowie die Tatsache, dass der BF1 sich dem Wehrdienst durch Desertion entzogen hat, ergibt sich aus seinen eigenen gleichbleibenden und glaubwürdigen Aussagen.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass der BF1 bei einer Rückkehr nach Syrien mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee erneut antreten müsste; seine Absicht, die Ableistung des Wehrdienstes zu verweigern, ergibt sich aus seinem glaubwürdigen Vorbringen.

Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (nunmehr aktualisierten) Quellen, die schon die belangte Behörde ihrem Bescheid zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Soweit der BF1 vorbringt, es läge in Bezug auf ihn eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) vor, weil er die (weitere) Ableistung des Militärdienstes in seinem Herkunftsstaat ablehne, so erweisen sich die diesbezüglichen Ausführungen als glaubhaft bzw. nachvollziehbar.

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es um eine behauptete Bedrohung durch das syrische Regime (wegen "Wehrdienstverweigerung" bzw. konkret wegen Desertion) geht, kommt es nicht (unbedingt) darauf an ob eine behördliche Suche (wegen des Militärdienstes) bereits (vor der Ausreise) stattgefunden hat oder ob die Ausreise legal erfolgen konnte, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär (im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist, was anhand der Situation (hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst) im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen ist. Aus den - bereits im verfahrensgegenständlichen Bescheid der belangten Behörde getätigten - Feststellungen zur Desertion (diese wird gemäß dem Militärstrafgesetz in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen; Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind, können aufgrund dieses Gesetzes in Kriegszeiten für 15 Jahre verhaftet werden; Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen, in schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt; in vielen Fällen erwarte Deserteure der Tod, möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt, wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist, etc.; die gängige Vorgehensweise ist es, Deserteure nicht an die Front zurückzuschicken sondern sie zu töten.) ergibt sich, dass dem BF1 bei einer Rückkehr nach Syrien eine maßgebliche Verfolgung aufgrund seiner Desertion droht.

Es ist daher angesichts der Feststellungen davon auszugehen, dass dem BF1 die (Wieder-)Einziehung durch die syrische Armee mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (im Falle einer Rückkehr/Wiedereinreise nach Syrien) droht.

Vor dem Hintergrund der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen erweisen sich die Aussagen des BF1 als plausibel.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus den Auszügen aus dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort "Furcht" bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt. (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 1)

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.2.2. Im Falle einer Rückkehr läuft der BF1 aufgrund seines Alters, seines Gesundheitszustandes und auch der Tatsache, dass er desertiert ist, Gefahr, erneut zum Militärdienst in die syrische Armee einrücken zu müssen. Der BF1 ist 1991 geboren und somit nach derzeit geltender Rechtslage in Syrien wehrdienstpflichtig. Verfahrensgegenständlich ist ausschließlich zu prüfen, ob dem BF1 asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass der Militäreinsatz in der syrischen Armee, dem sich der BF1 letztlich durch seine Ausreise entzogen hat, im derzeitigen bewaffneten Konflikt in Syrien mit einem Zwang zur Verübung menschenrechtswidriger Handlungen und zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen (etwa Angriffe auf die Zivilbevölkerung) verbunden (und damit im Sinne des Abs. 171 des UNHCR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft den "Grundregeln menschlichen Verhaltens" widersprechend) ist und dass völlig unverhältnismäßige Bestrafungsmaßnahmen und Sanktionen bei Wehrdienstverweigerung und bei Verweigerung von Befehlen im Bereich des Militärdienstes bzw. des Militäreinsatzes (etwa Hinrichtung von Soldaten, die sich weigern, auf Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen) erfolgen. Davon ist der BF1, dem der erneute Wehrdiensteinsatz bei der syrischen Armee droht, im Falle der Verweigerung bzw. Ablehnung eines solchen Einsatzes mit hoher Wahrscheinlichkeit betroffen. Unter den besonderen Verhältnissen in Syrien kann die Anwendung dieser völlig unverhältnismäßigen Bestrafungsmaßnahmen und Sanktionen seitens der syrischen Regierung nicht anders als dahingehend beurteilt werden, als dass sie auf der generellen Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung der Betroffenen beruht. Dass der BF1 in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Gelegenheit hätte, den Vorwurf einer Desertion bzw. einer regimefeindlichen Gesinnung zu entkräften, kann nicht angenommen werden. Damit liegt im Hinblick auf die dem BF1 drohende Bestrafung - es kann laut syrischem Gesetz eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe verhängt werden - wegen "Desertion" als drohender Eingriff von erheblicher Intensität eine asylrelevante Verfolgung vor, weil die Bestrafung in Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, nämlich mit dem der "politischen Gesinnung", steht.

In seiner Rechtsprechung vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen - etwa gegen die Zivilbevölkerung - auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (siehe VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Daher ist eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

Dies ist nach den Feststellungen der Fall. Es ist davon auszugehen, dass der BF1 unmittelbar nach der Einreise festgenommen und - so er nicht wegen Desertion zu einer langjährigen, potentiell mit Folter verbundenen Gefängnisstrafe, die indiziert, dass man ihm wegen dieser Weigerung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt, verurteilt würde - dem Wehrdienst zugeführt werden würde. Es besteht das reale Risiko, dass der BF1 als Wehrdienstleistender im Rahmen der Aufstandsbekämpfung zu menschen- und völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen und im Falle einer Weigerung allenfalls mit standrechtlicher Erschießung bestraft werden würde.

Im Falle einer Rückkehr nach Syrien besteht für den BF1 also eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, weil er sich schon durch seine Ausreise dem Militärdienst, in dessen Rahmen er zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen (wie Angriffen auf die Zivilbevölkerung) gezwungen und bei Weigerung mit Haft und Folter bedroht würde, entzogen hat und somit als politischer Gegner des syrischen Regimes gesehen würde (vgl. insbes. VwGH 25.3.2015, Ra 2014/20/0085, sowie EuGH 26.2.2015, Fall Shepherd, C-472/13).

Auch fällt er damit in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich jene der "Wehrdienstentzieher und Deserteure der Streitkräfte" (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182, m.w.N.).

Den aktuellen Berichten zur Situation des syrischen Militärs ist zu entnehmen, dass mit dem Fortwähren des langjährigen Konflikts ein zunehmender Personalbedarf besteht. Bestehende Gesetze und Regeln in Bezug auf Einberufungspraktiken werden daher oft willkürlich ausgelegt und angewandt. So werden in manchen Regionen vermehrt Wehrpflichtige und Reservisten einberufen, wie sich aus den dem Erkenntnis zu Grunde gelegten Länderinformationen der Staatendokumentation ergibt.

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für den BF1 schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.

3.2.3. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die BF nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. VwGH 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 29.6.2015, Ra 2014/18/0070).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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