TE Bvwg Beschluss 2018/12/17 W228 2199944-1

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Veröffentlicht am 17.12.2018
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Entscheidungsdatum

17.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W228 2199944-1/9E

W228 2199952-1/9E

W228 2199954-1/9E

W228 2199957-1/9E

W228 2199960-1/9E

W228 2199961-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX 1955(BF1), der XXXX , geboren am XXXX 1971(BF2), des XXXX , geboren am XXXX 2000(BF3), der XXXX , geboren am XXXX 2005(BF4), des XXXX , geboren am XXXX 2005(BF5), sowie des XXXX , geboren am XXXX 2013(BF6), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF4, BF5 und BF6 vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zlen: XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 06.08.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am XXXX .2000 geborenes Kind des BF1 und der BF2, für die BF4, am XXXX .2005 geborenes Kind des BF1 und der BF2, für den BF5,

am XXXX 2005 geborenes Kind des BF1 und der BF2, sowie für den BF6,

am XXXX 2013 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.08.2016 gab der BF1 zu seinem Fluchtgrund an, dass sein ältester Sohn aufgrund dessen Tätigkeit als Dolmetscher für die Amerikaner von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei. Aus diesem Grund habe die ganze Familie die Heimat verlassen. Außerdem sei die Sicherheitslage in Afghanistan schlecht.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.08.2016 gab die BF2 an, dass ihr Sohn aufgrund dessen Tätigkeit als Dolmetscher für die Amerikaner von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei. Außerdem habe sie jeden Tag Angst gehabt, als ihre Kinder auf dem Schulweg gewesen seien. Sie habe befürchtet, dass sie bei einem Selbstmordanschlag ums Leben kommen.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.08.2016 gab der BF3 zu seinem Fluchtgrund an, dass die Sicherheitslage in Afghanistan schlecht gewesen sei. Außerdem habe sein älterer Bruder mit den Ausländern zusammengearbeitet.

Der BF1 wurde am 15.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass die ganze Familie aufgrund der Tätigkeit des ältesten Sohnes für die Amerikaner Afghanistan verlassen habe müssen. Der BF1 habe eines Tages einen Anruf von den Taliban bekommen und sei ihm gesagt worden, dass die Taliban mitbekommen hätten, dass sein Sohn für die Amerikaner arbeite und sei er aufgefordert worden, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Am nächsten Tag habe er erneut einen solchen Anruf bekommen. Am darauffolgenden Tag habe die Familie einen Drohbrief erhalten, in dem gestanden sei, dass der BF1 die Taliban nicht beleidigen solle. Wenn er nicht für die Taliban arbeite, würden sie die ganze Familie umbringen. In weiterer Folge hätten sie das Land verlassen. Sie hätten in Afghanistan ein schönes Leben gehabt und hätten, wären sie nicht von den Taliban bedroht worden, das Land nicht verlassen.

Die BF2 wurde am 16.05.2018 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie zu ihrem Alltag in Afghanistan und in Österreich befragt an, dass sie in Afghanistan immer zuhause gewesen sei. In Österreich mache sie die Hausarbeit und kümmere sich um die Kinder. In Afghanistan habe sie ein Kopftuch tragen müssen; hier habe sie es nach kurzer Zeit weggegeben. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die BF2 aus, dass ihr Ehemann zwei Anrufe von den Taliban bekommen habe und hätten ihn jene aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Danach habe der BF2 einen Drohbrief erhalten. Aus Angst vor den Taliban habe die ganze Familie Afghanistan schließlich verlassen, da die Taliban die Jungen enthaupten und die kleinen Mädchen zwangsverheiraten würden. Wäre dieser Vorfall nicht passiert, wären sie in Afghanistan geblieben.

Der BF3 wurde am 16.05.2018 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass sein Bruder mit den Amerikanern gearbeitet habe. Eines Abends habe der BF1 erzählt, dass er zwei Anrufe bekommen habe und bedroht worden sei. Er sei aufgefordert worden, seinen Sohn in den Jihad zu schicken. Am nächsten Tag habe die BF2 gesagt, dass die Taliban einen Drohbrief geschickt hätten. Aus diesem Grund hätten sie das Land verlassen.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 30.05.2018 wurden die Anträge des BF1, der BF2, des BF3, der BF4, des BF5 und des BF6 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 30.05.2018 erhoben der BF1, die BF2, der BF3, die BF4, der BF5 und der BF6 mit Schriftsatz der damaligen Rechtsvertretung vom 27.06.2018 Beschwerde. Darin wurde zunächst das bereits im Zuge der Einvernahmen erstattete Vorbringen wiederholt und wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde unzureichende Länderfeststellungen getroffen habe. Es wurde auf zahlreiche Länderberichte zur Lage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde - hätte sie diese Berichte in ihre Entscheidungsfindung miteinbezogen - zu einer anderen Entscheidung gelangen hätte müssen. Die BF hätten glaubhaft und nachvollziehbar vorgebracht, dass sie in Afghanistan von den Taliban verfolgt worden seien. Zusätzlich hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die BF2 und die BF4 aufgrund ihrer Eigenschaft als Frauen/Mädchen einer asylrelevanten Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt seien. Der angefochtene Bescheid enthalte kaum Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan bzw. seien diese einseitig gehalten und insgesamt völlig unzureichend. In einer Gesamtschau hätte die belangte Behörde den BF Asyl, zumindest jedoch subsidiären Schutz zuerkennen müssen.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 04.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 16.07.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 13.07.2018 datierte Beschwerdeergänzung ein, in welcher auf ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen wurde, in welchem einem Beschwerdeführer Asyl aufgrund der Bedrohung durch die Taliban wegen dessen Tätigkeit für die Amerikaner zuerkannt wurde.

Am 17.07.2018 langte eine Vollmachtsbekanntgabe beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 05.10.2018 übermittelte die Rechtsvertretung der BF ein Schreiben, in welchem um baldige Entscheidung ersucht wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 06.08.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am XXXX .2000 geborenes Kind des BF1 und der BF2, für die BF4, am XXXX 2005 geborenes Kind des BF1 und der BF2, für den BF5,

am XXXX 2005 geborenes Kind des BF1 und der BF2, sowie für den BF6,

am XXXX .2013 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF4, BF5 und BF6, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.

Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF2 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 30.05.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.

In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.

Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit der BF4, des BF5 und des BF6 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den drei Kindern, im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA dreizehn und fünf Jahre alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidungen betreffend die minderjährigen BF4, BF5 und BF6 sind somit begründungslos ergangen. Diese Begründungslosigkeit schlägt auch auf die Entscheidungen der BF1 und BF2 durch, da ein anderes Ergebnis bei nur einem im vorigen Satz genannten BF zwangsläufig auch auf die restlichen BF umzulegen ist.

Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich der BF2 wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So hätte das BFA mit der BF2 ihre individuelle Situation als Frau in Afghanistan zu erläutern gehabt. Das BFA hat der BF2 im Zuge der Einvernahme am 16.05.2018 keine ausreichenden Fragen bezüglich einer möglichen "westlichen Orientierung" gestellt.

Wie auch in der Beschwerde ausgeführt wurde, hätten betreffend die BF2 auch bereits mehrere während der Einvernahme erkennbare äußere Erscheinungsmerkmale auf eine möglicherweise bestehende westliche Orientierung hingewiesen. So erschien sie ohne Kopftuch zur Einvernahme und gab an, dass sie sich ohne Kopftuch frei fühle. Auch gab die BF2 an, dass sie in Afghanistan vor dem Krieg kein Kopftuch getragen habe und erst im Krieg gezwungen gewesen sei, eines zu tragen. Weitere diesbezügliche Nachfragen bzw. Abklärungen wurden im gegenständlichen Verfahren jedoch nicht vorgenommen.

So wurde im gegenständlichen Verfahren etwa auch nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF2 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von ihr angestrebte Lebensweise geprüft (etwa VwGH, Zlen Ra 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Wenn in den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen, Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen, so übersieht das BFA, dass dieses bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund seiner Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen im Verfahren zu tätigen gehabt hätte.

Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher weiteren hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit auch in dieser Hinsicht grundlegend ergänzungsbedürftig.

Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Begründungspflicht, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2199944.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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