TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/19 W251 2181680-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2018
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Entscheidungsdatum

19.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W251 2181680-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, vertreten durch Rechtsanwalt Edward W. DAIGNEAULT und den Verein SUARA sowie dessen Obmann Alexander WUPPINGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.11.2017 zur Zl. 1073069110-150651551, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am 10.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 11.06.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Dabei gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihre Mutter und alle anderen Verwandten sie mit einem reichen Mann aus Mogadischu verheiraten habe wollen. Da die Beschwerdeführerin sich geweigert habe diesen Mann zu heiraten, habe sie Somalia verlassen. Ihr Vater sei auch gegen diese Heirat gewesen, weshalb er die Beschwerdeführerin bei ihrer Ausreise unterstützt habe.

3. Am 08.09.2017 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht.

4. Am 21.11.2017 fand eine Einvernahme der Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, dass ihre Mutter ein Teehaus gehabt habe, in dem die Beschwerdeführerin mitgeholfen habe. Es sei öfters ein älterer Mann in das Teehaus gekommen, wo er die Beschwerdeführerin gesehen habe. Er habe deshalb die Mutter der Beschwerdeführerin nach der Erlaubnis die Beschwerdeführerin zu heiraten, gefragt und ihr dafür viel Geld versprochen. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe der Heirat zugestimmt, jedoch sei der Vater der Beschwerdeführerin dagegen gewesen. Der Mann habe daraufhin gedroht die Beschwerdeführerin mit Gewalt zu heiraten und habe der Mutter das versprochene Geld übergeben. Die Beschwerdeführerin habe deshalb mit Hilfe ihres Vaters Somalia verlassen.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia ab und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt.

Das Bundesamt führte begründend aus, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei und daher keine asylrelevanten Ausreisegründe vorgebracht worden seien. Es drohe der Beschwerdeführerin auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertige. Die Beschwerdeführerin könne zu ihrer Familie zurückkehren und von dieser Unterstützung erwarten, so dass sie im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Zudem habe sie in Österreich kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

6. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass ihr Vorbringen glaubhaft gewesen sei. Ihr sei auch allein deshalb Asyl zu gewähren, da sie als alleinstehende und von der Familie verstoßene Frau jedenfalls der Gefahr einer Vergewaltigung oder sonstiger Ausbeutung sexueller Art betroffen wäre. Das Bundesamt habe die tatsächliche Lage in Somalia verkannt. Der Beschwerdeführerin sei wegen der herrschenden Dürrekatastrophe jedenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.08.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

8. Mit Parteiengehör vom 23.10.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht die deutsche Übersetzung des Lifos-Bericht zu Somalia: Die Position der Frauen im Clansystem vom 27.04.2018, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu vom 11.05.2018 sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend alleinstehende Frauen, Wohnen, Arbeiten in Somalia vom 22.03.2018 den Parteien zur Stellungnahme.

Mit Stellungnahme vom 06.11.2018 (OZ 10) gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass der Sub-Clan der Beschwerdeführerin nur in zwei Bezirken in Mogadischu die Mehrheit habe. In die vom Sub-Clan bewohnten Gebiete in Mogadischu könne die Beschwerdeführerin jedoch wegen ihrer Mutter nicht zurückkehren. Zudem sei von einer Nahrungsmittelversorgungsunsicherheit auszugehen, 43% der Bevölkerung seien auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Es sei zu Dürren und Überschwemmungen gekommen. Es seien zu wenig Hilfsgelder aufgestellt worden. In Mogadischu und Umgebung werde von Warlords gegen Hilfsorganisationen mit Gewalt vorgegangen. Sie sei eine alleinstehende Frau ohne Familie und könne nicht mit dem Schutz ihres Clans rechnen. Sie sei zudem nur beschränkt geschäftsfähig. Sie könne auch nicht auf die Hilfe von humanitären Organisationen zurückgreifen. Die Jugendarbeitslosigkeit sei in Mogadischu sehr hoch. Freie Jobs würden unabhängig von der Qualifikation an Verwandte, Clanmitglieder und Mitglieder der Dorfgemeinschaft vergeben werden. In Flüchtlingslagern komme es zudem häufig zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen. Zudem würde die Beschwerdeführerin als verwestlicht angesehen werden. Die Beschwerdeführerin legte einen Arztbrief sowie einen Bericht von OCHA, Humanitarian Response Plan aus Juli 2018 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX. Sie ist somalische Staatsangehörige, Angehörige des Clans der Hawiye und des Subclans der XXXX und bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Sie spricht Somalisch als Muttersprache, ist ledig und hat keine Kinder (AS 11, 73 ff; Protokoll vom 24.08.2018 - OZ 4, S. 7). An der Beschwerdeführerin wurde eine Genitalbeschneidung durchgeführt (OZ 4, S. 13 f).

Die Beschwerdeführerin wurde in Mogadischu geboren und hat dort zunächst gemeinsam mit ihren Eltern und ihren 7 Geschwistern (vier Brüder und drei Schwestern) gelebt. Ab ihrem fünften Lebensjahr ist die Beschwerdeführerin bei ihrer Großmutter in XXXX, in Somaliland aufgewachsen, wobei ihr Onkel mütterlicherseits den Lebensunterhalt für die Beschwerdeführerin und ihre Großmutter bestritten hat. Die Beschwerdeführerin hat in XXXX ca. ein Jahr eine Koranschule besucht. Die Beschwerdeführerin ist im Alter von ca. 17 Jahren nach dem Tod ihrer Großmutter wieder zu ihren Eltern nach Mogadischu gezogen. Sie hat dort mit ihren Eltern und ihren Geschwistern bis zu ihrer Ausreise in einem Wellblechhaus gewohnt (AS 75; OZ 4, S. 8 f). Der Vater der Beschwerdeführerin hat als Schaffner gearbeitet, ihre Mutter hat Tee verkauft, wobei ihr die Beschwerdeführerin geholfen hat (OZ 4, S. 10, 14; AS 77).

Die Beschwerdeführerin ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellte am 10.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Beschwerdeführerin verfügt über ihre Familie (bestehend aus ihren Eltern und 7 Geschwistern) in Mogadischu. Sie hat regelmäßig Kontakt zu ihren Familienangehörigen. Die Familie der Beschwerdeführerin verfügt nach wie vor über ein Wellblechhaus in Mogadischu (OZ 4, S. 8, 10)

Die Beschwerdeführerin verfügt auch über eine Tante väterlicherseits in Mogadischu sowie einen Onkel mütterlicherseits in XXXX (Somaliland), der dort über ein Wellblechhaus verfügt (OZ 4, S. 8, 10).

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie ist arbeitsfähig (AS 79).

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Die Beschwerdeführerin ist weder von ihrer Mutter noch von anderen Familienangehörigen einem (älteren) Mann zur Heirat versprochen worden. Es ist auch weder die Beschwerdeführerin noch ihr Vater von dem (älteren) Mann mit dem Tod oder einer Inhaftierung bedroht worden. Die Mutter der Beschwerdeführerin hat kein Geld vom (älteren) Mann, den die Beschwerdeführerin hätte heiraten sollen, bekommen. Der Vater der Beschwerdeführerin hat die Familie der Beschwerdeführerin in Mogadischu nicht verlassen.

Die Beschwerdeführerin hat Somalia weder aus Furcht vor Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Im Falle der Rückkehr nach Somalia droht der Beschwerdeführerin weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch ihre Familienangehörigen, durch den Mann, dem sie angeblich versprochen gewesen ist oder durch andere Personen.

Im Falle der Rückkehr nach Somalia droht der Beschwerdeführerin weder durch ihre Mutter noch durch ihren Vater oder durch andere Personen eine Zwangsheirat.

1.2.2. Die Beschwerdeführerin ist in Somalia allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Die Beschwerdeführerin verfügt in Somalia über Familienangehörige, sodass sie über ein soziales und familiäres Netzwerk verfügt. Die Beschwerdeführerin müsste bei einer Rückkehr nach Somalia nicht in ein IDP-Lager gehen, sondern kann bei ihrem Clan und ihrer Familie Schutz, Unterkunft und Verpflegung vorfinden.

1.2.3. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die ihren Kleidungsstil, ihre persönliche Wertehaltung und ihre Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert. Der Beschwerdeführerin droht aufgrund ihres in Österreich ausgeübten Kleidungs- oder Lebensstils in Somalia weder Lebensgefahr noch psychische und/oder physische Gewalt.

1.2.4. Die Beschwerdeführerin wäre in Somalia aufgrund der durchgeführten Genitalbeschneidung weder einer Lebensgefahr noch psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in die Stadt Mogadischu kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit. Die Beschwerdeführerin kann dort auch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführerin hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Sie verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Mogadischu und kann im Haus ihrer Familie in Mogadischu wohnen. Sie kann von ihrem familiären Netzwerk und - als Angehörige des Clans der Hawiye, Subclan XXXX - von ihrem Clan, insbesondere bei der Arbeitssuche und der Verpflegung, unterstützt werden und dann selber für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist der Beschwerdeführerin daher möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Somalia in Mogadischu wieder Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:

Die Beschwerdeführerin ist seit ihrer Antragsstellung am 10.06.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Die Beschwerdeführerin hat keine Deutschkurse besucht. Sie verfügt über keine Deutschkenntnisse (AS 79; OZ 4, S. 10 f).

Die Beschwerdeführerin geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin hilft bei der Verteilung von Kleiderspenden und betreut ein Kind für ihre somalischen Bekannte (OZ 4, S. 11 f). Sie ist jedoch weder Mitglied in einem Verein noch geht sie kulturellen oder sportlichen Aktivitäten in Österreich nach.

Die Beschwerdeführerin hat zwar in Österreich freundschaftliche Kontakte zu Somaliern, Nigerianern, Arabern und Österreichern knüpfen können, jedoch bestehen keine engen sozialen Kontakte zu diesen (OZ 4, S. 12) und verfügt sie auch über keine Verwandte in Österreich.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Politische Situation

Das Gebiet von Somalia ist in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt. Somaliland, Puntland sowie Süd-/Zentralsomalia. Im Jahr 1988 brach in Somalia Bürgerkrieg aus. Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Somalia vom 12.01.2018 mit Aktualisierung vom 03.05.2018 - LIB 03.05.2018, S. 11 f).

Mogadischu:

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv. Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt - speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der Al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die Al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der Al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es besteht kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (LIB 03.05.2018, S. 35).

Insgesamt verlegt sich Al Shabaab bei der Durchführung von Attentaten von Quantität auf Qualität. Dabei sucht die Al Shabaab ihre Ziele v.a. im Bereich der Regierung. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko eines Eingriffs in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt wäre (LIB 03.05.2018, S. 36).

Die Dürresituation hat sich aufgrund der aktuellen Regenfälle entspannt. Für Mogadischu selbst gilt die IPC-Stufe 1 (minimal), für IDP Lager die IPC-Stufe 3 (crisis). Das Risiko einer Hungersnot ist durch den Regen reduziert worden. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben begonnen sich auf Normalwerte einzupendeln (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu vom 11.05.2018 - Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 11). In Mogadischu gilt dies insbesondere für Mais. Bei Reis hingegen hat es auch während der Dürre keine großen Preisschwankungen gegeben (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 16).

In Mogadischu sind 28% der Bevölkerung arbeitssuchend. 6% der Jugendlichen sind arbeitssuchend (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 19). Es gibt in Mogadischu bessere Job-Aussichten als in den meisten anderen Teilen Somalias, auch für Jugendliche ohne Bildung und Arbeitserfahrung. Während in Somalia die meisten Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, arbeiten in Mogadischu die meisten Menschen im Handel bzw. im Dienstleistungssektor oder in höheren bildungsabhängigen Berufen Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 21). Das Auswahlverfahren im Arbeitsleben basiert oft auf Clanbasis, gleichzeitig werden aber viele Arbeitsplätze an Rückkehrer aus der Diaspora vergeben. Es gibt auch Beschäftigungsmöglichkeiten, die von vielen Somaliern nicht in Anspruch genommen werden, da diese Arbeit als minderwertig erachtet wird, z.B. Friseur, Kellner oder Reinigungsarbeiten (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 22).

Die somalische Wirtschaft zeigt eine positive Entwicklung. Die Schaffung an Arbeitsplätzen bleibt jedoch unter den Bedürfnissen. Trotzdem gibt es in Mogadischu aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs zahlreiche Möglichkeiten. Das Durchschnittseinkommen für Jugendliche beträgt 190 USD im Monat. In Mogadischu beträgt das Durchschnittseinkommen 360 USD im Monat. Fast 10% der Jugendlichen in Mogadischu verdienen mehr als 400 USD im Monat (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 23-24).

Mogadischu ist über einen internationalen Flughafen sicher erreichbar (LIB 03.05.2018, S. 142). Mogadischu verfügt über einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken. Die medizinische Versorgung in Somalia ist mangelhaft, diese ist in Somaliland und Mogadischu am besten (LIB 03.05.2018, S. 136).

Al-Shabaab:

Ziel der Al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß- Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an. Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Dabei ist auch die Al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (LIB 03.05.2018, S. 47).

Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates:

Staatlicher Schutz ist in Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (LIB 03.05.2018, S. 48). In Mogadischu und anderen urbanen Gebieten unter Kontrolle der Regierung und ihrer Alliierten können die Behörden schutzwillig sein, jedoch sind sie meist nicht in der Lage, einen effektiven Schutz zu gewährleisten. Dies kann der strukturellen Schwäche der Sicherheitskräfte, dem Mangel an Ressourcen, Ausbildung und Ausrüstung, schwachen Kommandostrukturen, der Korruption und der Straflosigkeit für schwerste Verbrechen angelastet werden (LIB 03.05.2018, S. 63).

Clanstruktur, Hawiye:

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalier. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. Darum kennen Somalier üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem. Allerdings gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine andere Person angehört (LIB 03.05.2018, S. 92; Beilage ./VIII, S. 8). Wenn Somali ihre Herkunft beschreiben fangen sie meist bei sich selbst an und steigen dann die hierarchischen Ebenen des Systems bis zur Clanfamilie hinauf (bottom-up-Aufzählung). Diese Aufzählung wird abtirsiimo oder abtirsiin genannt. Kinder ab dem Alter von acht bis elf Jahren können diese üblicherweise auswendig (Beilage ./VIII, S. 22).

Dabei gelten als "noble" Clanfamilien die traditionell nomadischen Hawiye, Darod, Dir und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben (LIB 03.05.2018, S. 93).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Hawiye in Somalia allein aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

In Somalia herrscht ein multi-juristisches System, bei dem das Gewohnheitsrecht (xeer), das religiöse Gesetz (Scharia) und das säkulare Recht neben einander bestehen. Xeer das dominierende System, welches soziale Beziehungen und schwere Verbrechen regelt. Die Möglichkeit des Clans, Schutz zu bieten, beruht unter anderem darauf, ob er Drohungen und Gewalt anwendet, auf Drohungen von anderen Clans reagiert und Schadenersatz in Übereinstimmung mit dem Gewohnheitsrecht/xeer bezahlen kann (Swedisch Migration Agency - Frauen im somalischen Clansystem vom 27.04.2018, S. 9).

Frauen im Clansystem

Wie nahe die Frau mit dem Mann verwandt ist und wie ihre Beziehung aussieht, beeinflusst, inwieweit der Ehemann laut xeer über das Mandat verfügt, die Interessen der Frau zu vertreten. Folgende männliche Verwandte können prinzipiell die Frau vertreten: der Vater, der Ehemann, der Großvater väterlicherseits, die Brüder des Vaters, die Brüder, die Söhne und Cousins. Der Mann muss sich jedoch am selben geographischen Ort wie die Frau befinden. Frauen, die kein männliches Netzwerk haben, befinden sich in einer sehr unsicheren Situation, da sie über keinen Clanschutz genießen (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 13).

Eine Frau gehört ihr Leben lang zum Clan ihres Vaters. Auch wenn sie einen Mann von einem anderen Clan heiratet und in das Territorium des anderen Clans zieht, verbleibt die Frau Mitglied im Clan ihres Vaters (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 17).

Frauen, die im geographischen Gebiet ihres Clans wohnen, genießen normalerweise Clanschutz. Das Ausmaß des Schutzes variiert jedoch, abhängig davon, zu welchem Clan man gehört. Frauen von schwachen Clans, die in internen Flüchtlingslagern wohnen, sind im Allgemeinen besonders verletzlich und es kommt nicht selten vor, dass sie keinen Clanschutz gegen beispielsweise Gewalt und sexuelle Übergriffe haben (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 14).

In xeer sind Frauen nicht berechtigt, an der Beschlussfassung teilzunehmen. Eine Frau wird immer von einem Mann vertreten, wenn Entscheidungen innerhalb xeer getroffen werden sollen. Entscheidungen, die die Frau betreffen, werden somit immer vom Mann getroffen. Normalerweise entscheidet der Vater für Mädchen und unverheiratete erwachsene Frauen, während der Ehemann gewöhnlich für seine Frau Entscheidungen trifft. Bei Umständen, die dazu führen, dass Vater oder Ehemann fehlt, kann stattdessen ein Onkel oder ein anderer älterer, männlicher Verwandter die Frau vertreten und für sie entscheiden. Da normalerweise die Frau für den Haushalt verantwortlich ist, kann diese Entscheidungen auf Haushaltsniveau treffen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Ehemann berechtigt ist, für die Frau Beschlüsse zu fassen und der juristische Spielraum der Frau bei xeer- und Clanverhandlungen sehr begrenzt ist (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 14 f).

Generell hat der Mann einen höheren Status bzw. einen höheren Wert (bei Strafzahlungen) als die Frau innerhalb des somalischen Clansystems (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 14, 16). Der Status des Mannes wird beispielsweise damit begründet, dass er zum Lebensunterhalt der Familie und des Clans beiträgt. Der Mann trägt auch zur Stärke des Clans bei, als "Soldat" bei eventuellen Konflikten. Je höher die Anzahl der Männer im Clan ist, desto höher wird die Stärke des Clans eingeschätzt. Die Rolle der Frau innerhalb des Clans besteht unter anderem darin zuzusehen, dass der Ehemann vor Clantreffen satt und gut gekleidet ist, und sich mit ihm über wichtige Fragen zu beraten, die bei dem Treffen diskutiert werden sollen (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 14).

In Somalia ist es weit verbreitet, dass Mädchen sehr früh heiraten. Kinderehen kommen vor, auch wenn das Bundesgesetz die Einwilligung und ein "reifes" Alter verlangt. Ein Kind wird laut der provisorischen Bundesverfassung als eine Person unter 18 Jahren definiert. Kinderehen kommen eher am Land vor sowie in Gebieten, die von Al-Shabaab kontrolliert werden (Frauen im somalischen Clansystem 27.04.2018, S. 13).

Frauen

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (LIB 03.05.2018, S. 99).

In Somalia, insbesondere im urbanen Raum, gibt es einen erheblichen Anteil von Familien mit weiblichem Haushaltsvorstand. 8,3% aller Haushalte werden von alleinstehenden Frauen (nie verheiratet, verlassen, geschieden, verwitwet) geführt. Der überwiegende Anteil letztgenannter Haushalte findet sich im urbanen Raum und in IDP-Lagern; gleichzeitig haben die meisten dieser Haushaltsvorstände keine Bildung. Zu den unteren Wohlstandskategorien (sehr arm, arm) zählen 43,2% dieser Haushalte, zur mittleren 19,8% und zu den oberen zwei 37%. Es liegen keine Informationen darüber vor, wonach es allen diesen Frauen an einer Existenzgrundlage mangeln würde oder dass alle diese Frauen keine Unterkunft haben würden (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu alleinstehenden Frauen, Wohnen, Arbeiten in Somalia vom 22.03.2018, S. 3).

Aufgrund der Tatsache, dass Frauen in der konfliktbelasteten somalischen Gesellschaft immer öfter die Rolle des "Versorgers" übernehmen mussten, haben sich ihnen auch immer mehr wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet. So sind Frauen in zahlreichen Bereichen beruflich tätig (Haus-zu-Haus-Kleidungsverkäuferin;

Kioskbetreiberin; Landwirtin; Selbständige; Zimmerer; IT;

Schneiderin; Schönheitspflegerin; Catering; Handy-Reparatur;

Handarbeiterin; Mechanikerin; Bauarbeiterin; Stofffärberin;

Bäckerin; Klimaanlagen- und Kühlschrank-Reparatur;

Fischhaltbarmachung und Fischtrocknung; Geflügelzucht; Elektrikerin;

Greißlerin; Fleischerin; (Klein-)Händlerin; Gemüseverkäuferin;

Restaurantbetreiberin.) Für ungebildete (IDP-)Frauen stehen in erster Line die Berufe Dienstmädchen, Müllsammlerin und Wäscherin offen. Frauen sind v.a. im primären Sektor (Landwirtschaft u.a.) tätig (67,8%). An zweiter Stelle folgen Dienstleistung und Handel (14,7%), danach die Tätigkeit als Hilfsarbeiterin (u.a. Dienstmädchen; 6,3%). Personen ohne Bildung finden sich vor allem im primären Sektor (Landwirtschaft u.a.) mit 64%, als Handwerker (16%), Fabriksarbeiter (11,7%) und in Dienstleistung und Handel (11,2%) (Anfragebeantwortung Frauen 22.03.2018, S. 3 f).

In Mogadischu überwiegen generell Dienstleistung/Handel (31,8%), höhere (bildungsabhängige) Berufe (28,7%), Handwerk (15,6%), Hilfs- (11,2%) und Fabrikarbeiter (10,7%) (Anfragebeantwortung Frauen 22.03.2018, S. 4).

Über ganz Somalia verteilt sind drei von zehn Jugendlichen arbeitslos. Insgesamt beträgt die mit westlichen Standards vergleichbare Arbeitslosigkeit 24%. Bei der Personengruppe ohne Bildung sind es 22%. Besonders in nomadischen und ländlichen Gebieten ist die Arbeitslosigkeit vergleichsweise gering. Im urbanen Raum und in IDP-Lagern sind 34% arbeitslos, in Mogadischu 28%. Frauen ohne Bildung sind zu 22% arbeitslos. Generell ist die Arbeitslosigkeit bei jüngeren Menschen höher (Altersgruppe 20-29:

29%, als bei älteren (Altersgruppe 30-39: 20%) (Anfragebeantwortung Frauen 22.03.2018, S. 4).

Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit bei Frauen höher als jene bei Männern. Von Frauen geführte IDP-Haushalte reagieren besser auf Not, als von Männern geführte. Insgesamt sind von Frauen geführte Haushalte weniger von Armut betroffen. Dies gilt aber nicht in IDP-Lagern und in urbanen Gebieten (Anfragebeantwortung Frauen 22.03.2018, S. 3).

Bei der Anmietung von Häusern kommt es zu keiner signifikanten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Oft sind die Vermieter bzw. jene Personen, mit welchen Verträge abgeschlossen werden, selbst Frauen. Der entscheidende Faktor bei einer Anmietung ist nicht das Geschlecht, sondern die Frage, ob die Miete auch bezahlt werden kann. Von Frauen geführte Haushalte in Mietobjekten sind einem höheren Risiko der Zwangsräumung durch die Besitzer ausgesetzt, als von Männern geführte Haushalte (Anfragebeantwortung Frauen 22.03.2018, S. 4).

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung, diese ist in Somalia aber weit verbreitet. Es sind ca. 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten. Die Berichtslage, in welchem Alter die Beschneidung erfolgt divergiert und spricht von einem Bereich bis zum Alter von 14 Jahren. Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, werden nicht mehr beschnitten. Dies wäre aus Sicht der Gesellschaft gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (LIB 03.05.2018, S. 103 f).

63% der Beschnittenen erlitten die weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation/WHO Typ III). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht. Bei den Bendiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (LIB 03.05.2018, S. 104).

Landesweit bemühen sich die Regierungen, diese Praxis einzuschränken. UNICEF arbeitet mit der somalischen Regierung, mit Puntland und anderen Akteuren zusammen, um die Menschen gegen FGM zu mobilisieren und die Praktik zu verhindern. In Puntland ist FGM verboten und es gibt Zeichen einer Reduzierung. Laut einer Untersuchung von UNICEF in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Somaliland und Puntland sind in Nordsomalia 25% der Mädchen zwischen 1-14 Jahren von FGM betroffen. Im Gegensatz dazu sind es bei den über 15jährigen 99% (LIB 03.05.2018, S. 103 f).

In den Gebieten der Al Shabaab ist FGM verboten. Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (LIB 03.05.2018, S. 104 f).

Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist es aber in den Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (LIB 03.05.2018, S. 104).

Generell stößt eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen will, in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Auch in urbanen Gebieten kann es zu großem sozialen und psychischem Druck kommen, damit die Tochter beschnitten wird. Der psychische Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (LIB 03.05.2018, S. 104 f).

Unbeschnittene Frauen sind in der somalischen Gesellschaft sozial stigmatisiert. Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (LIB 03.05.2018, S. 105).

Bereits beschnittene Frauen sind in Somalia alleine aufgrund dieses Umstandes weder stigmatisiert noch Verfolgungen oder Bedrohungen ausgesetzt.

Binnenflüchtlinge (IDPs):

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. Diese sind besonders benachteiligt, da sie kaum Schutz genießen und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt sind. Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet. Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei. In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (LIB 03.05.2018, S. 118 f).

IDPs sind über die Maßen von der Dürre betroffen, da sie steigende Preise für Lebensmittel nicht bezahlten können. Außerdem gibt es für sie weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Üblicherweise überleben sie aufgrund der Überweisung von Remissen und mittels internationaler Unterstützung. IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind sehr vulnerabel und von Unterstützung abhängig (LIB 03.05.2018, S. 119).

Rückkehrer:

Viele Angehörige der somalischen Diaspora wagen in diesen Tagen die Rückkehr. In der Hauptstadt lässt sich die Aufbruch-Stimmung an unzähligen Baustellen und an neuen Straßen, Cafés und Geschäften ablesen. Ausländische Diplomaten, Berater und Helfer strömen ins Land. Botschaften werden gebaut. Doch die meisten Ausländer verschanzen sich hinter hohen Sprengschutzmauern auf dem geschützten Flughafengelände. Alleine aus der Region zählte der UNHCR im Zeitraum 2014-2017 in Somalia 109.317 freiwillige Rückkehrer (LIB 03.05.2018, S. 132).

Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration hängt in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person ab. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem wenn sie aus dem Westen zurückkehren. Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr nach Mogadischu zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise aus Mogadischu; die Dauer der Abwesenheit aus der Stadt; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Remissen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht. Rückkehrer (v.a. aus dem Westen) haben bei der Arbeitssuche in Mogadischu Vorteile, da sie eher gebildet sind und als einfallsreicher erachtet werden. Dies gilt noch mehr, wenn der Arbeitgeber selbst ein aus der Diaspora Zurückgekehrter ist (LIB 03.05.2018, S. 134).

Allein die Tatsache, dass eine Person nach Somalia zurückkehrt, macht diese nicht zum Ziel - auch nicht für die Al Shabaab. Rückkehrern in Gebiete der Al Shabaab könnte vorgeworfen werden, als Spione zu dienen. Ob ein Rückkehrer zum Ziel der Al Shabaab wird, hängt maßgeblich von seinem eigenen Verhalten ab. Alleine die Tatsache, dass eine Person aus dem Westen zurückgekehrt ist, spielt bei einer Rückkehr in das Gebiet der Al Shabaab keine Rolle. Viel wichtiger sind die Zugehörigkeit zu Familie und Clan und die Beziehungen dieser beiden Entitäten zur Al Shabaab. Es kann auch vorkommen, dass Rückkehrer von Regierungskräften verdächtigt werden, da es in der Vergangenheit immer wieder zu Anschlägen von im Westen radikalisierten Somali der Diaspora gekommen ist (LIB 03.05.2018, S. 141).

Bewegungsfreiheit:

Ein Risiko ergibt sich primär aus den zu erwartenden Straßensperren. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre der Regierungskräfte oder der Al Shabaab zu stoßen, ist immer noch hoch. An Straßensperren kann es zu Gewalt, Bedrohung und Plünderung kommen. Straßensperren werden durch somalische Sicherheitskräfte, Clan-Milizen, Al Shabaab und Banditen betrieben (LIB 03.05.2018, S. 114).

Das Hauptrisiko an Straßensperren der Regierungskräfte und der Al Shabaab ist es, als zum Feind gehörig verdächtigt zu werden. Kontrollpunkte der Al Shabaab können entlang der meisten Routen spontan eingerichtet werden, es gibt auch permanente Kontrollpunkte. Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit Al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor. Zu befürchten haben an Straßensperren der Al Shabaab jene Personen etwas, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Diese Personengruppe riskiert, getötet zu werden. Aufgrund der eingeschränkten Ressourcen von Al Shabaab sind hier höherrangige ("high profile") Personen eher gefährdet. Außerdem kann es Personen treffen, die von Al Shabaab - etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) - als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Die Wahrscheinlichkeit, umgehend getötet zu werden, ist dort höher, wo Al Shabaab keine volle Kontrolle hat. In den Gebieten unter Kontrolle der Al Shabaab werden Verdächtige in der Regel verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge (LIB 03.05.2018, S. 114 f).

Dürrekatastrophe und Hungersnot:

Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich verbessert. Verbesserungen bei Nahrungsmittel-sicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (LIB 03.05.2018, S. 6).

Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen. In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit über dem Durchschnitt. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich. Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten, auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (LIB 03.05.2018, S. 7).

Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3 (minimal-crisis), Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (minimal-stressed)(LIB 03.05.2018, S. 7).

Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist. Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (LIB 03.05.2018, S. 7 f).

Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (LIB 03.05.2018, S. 8).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurden erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./III (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister - Beilage ./I; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Somalia vom 12.01.2018 mit Aktualisierung vom 03.05.2018 - Beilage ./II; Focus Somalia, Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 - Beilage ./III) und Beilage ./A bis ./B (Vertretungsvollmacht vom 21.08.2018 - Beilage ./A; schwedischer Bericht der Swedisch Migration Agency vom 27.04.2018 betreffend die Rolle der Frauen im somalischen Clansystem - Beilage ./B) sowie durch Einsichtnahme in die mit Parteiengehör vom 23.10.2018 ins Verfahren eingebrachten Unterlagen (OZ 6 - deutsche Übersetzung der Beilage ./B; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu vom 11.05.2018; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend alleinstehende Frauen, Wohnen, Arbeiten in Somalia vom 22.03.2018) und in die mit der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 06.11.2018 vorgelegten Urkunden (OZ 10, Arztbrief vom 29.08.2018; Bericht OCHA, Humanitarian Response Plan aus Juli 2018).

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

2.1.1 Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführerin gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person der Beschwerdeführerin im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrem familiären Umfeld (Tante väterlicherseits in Mogadischu und Onkel mütterlicherseits in XXXX), ihrer Muttersprache, der erfolgten Genitalbeschneidung und zu ihrem Lebenslauf (ihr Aufwachsen sowie ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Mogadischu und XXXX, ihr einjähriger Besuch einer Koranschule, ihre Berufserfahrung durch die Aushilfe im Teehaus) sowie zu ihrem derzeitigen Familienstand gründen sich auf ihre diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführerin zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Einreise sowie zum Datum der Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.1.2. Da die Fluchtgeschichte der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft ist (siehe dazu Ausführungen unter Pkt. II.2.2.1) ist es für das Gericht weder glaubhaft, dass der Vater der Beschwerdeführerin oder die gesamte Familie der Beschwerdeführerin Mogadischu verlassen habe noch, dass die Beschwerdeführerin keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie in Mogadischu hat (OZ 4, S. 9). Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin noch über ihre Eltern und ihre sieben Geschwister in Mogadischu verfügt und sie regelmäßig Kontakt zu ihnen hat.

2.1.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gründen auf ihren Aussagen beim Bundesamt, wonach sie weder an einer chronischen Krankheit leide noch in dauerhafter Therapie stehe (AS 74). Die Beschwerdeführerin gab in der Verhandlung an, dass sie Medikamente wegen ihrer Gastritis sowie zum Schlafen nehme (OZ 4, S. 13). Aus dem vorgelegten Arztbrief vom 29.08.2018 (OZ 10) ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin an Eisenmangel, Gastritis, leichten Depressionen sowie Schlafstörungen leide. Es konnten jedoch weder lebensbedrohliche Erkrankung noch schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen bei der Beschwerdeführerin festgestellt werden. Dass die Beschwerdeführerin arbeitsfähig ist, ergibt sich aus ihrer Angabe beim Bundesamt, wonach sie arbeitsfähig sei (AS 79).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

2.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks der Beschwerdeführerin davon aus, dass ihr hinsichtlich ihres Vorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Die Beschwerdeführerin wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen ist die Beschwerdeführerin jedoch nicht gerecht worden. Das Fluchtvorbringen ist wenig detailreich und es sind in den wesentlichen Angaben auch erhebliche Ungereimtheiten enthalten, die ihre Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass die Beschwerdeführerin die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.

Soweit die Beschwerdeführerin vorgebracht hat, ihr drohe in Somalia eine Zwangsheirat, weil ihre Mutter sie einem älteren Mann versprochen habe, kommt ihrem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass im Gewohnheitsrecht der Clans Frauen nicht berechtigt sind an der Beschlussfassung teilzunehmen. Eine Frau wird immer von einem Mann vertreten, wenn Entscheidungen innerhalb des Gewohnheitsrechts getroffen werden sollen. Entscheidungen, die die Frau betreffen, werden somit immer vom Mann getroffen. Normalerweise entscheidet der Vater für Mädchen und unverheiratete erwachsene Frauen, während der Ehemann gewöhnlich für seine Frau Entscheidungen trifft. Bei Umständen, die dazu führen, dass Vater oder Ehemann fehlt, kann stattdessen ein Onkel oder ein anderer älterer, männlicher Verwandter die Frau vertreten und für sie entscheiden. Da normalerweise die Frau für den Haushalt verantwortlich ist, kann diese Entscheidungen auf Haushaltsniveau treffen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Ehemann berechtigt ist, für die Frau Beschlüsse zu fassen und der juristische Spielraum der Frau bei xeer- und Clanverhandlungen sehr begrenzt ist. Ein Mann hat innerhalb des somalischen Clansystems auch einen höheren Status bzw. einen höheren Wert (bei Strafzahlungen) als eine Frau (vgl. Punkt II.1.5.). Die Beschwerdeführerin hat auch selber beim Bundesamt angegeben, dass sie nur von ihrem Vater einem Mann zur Heirat übergeben werden dürfe (AS 77). Es ist daher absolut nicht nachvollziehbar, dass der ältere Mann zuerst mit der Mutter der Beschwerdeführerin über eine mögliche Heirat mit einer ihrer Töchter gesprochen habe (AS 77; OZ 4, S. 14) und nicht gleich zum Vater der Beschwerdeführerin gegangen sei. Da Frauen im somalischen Clansystem auch einen niedrigeren Status einnehmen als Männer, scheint es umso mehr unplausibel, dass der ältere Mann mit der Mutter der Beschwerdeführerin ein derart bedeutendes Thema besprochen habe. Der ältere Mann hätte die Mutter der Beschwerdeführerin im Teehaus nach der Adresse ihres Ehemannes fragen und gleich diesen um sein Einverständnis fragen können. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist deshalb nicht glaubhaft.

Die Beschwerdeführerin hat beim Bundesamt angegeben, dass ein älterer Mann öfters in das Teehaus ihrer Mutter gekommen sei in dem sie ausgeholfen habe. Eines Tages habe ein älterer Mann die Beschwerdeführerin im Teehaus gesehen und habe bei der Mutter der Beschwerdeführerin um die Hand der Beschwerdeführerin angehalten und dafür viel Geld geboten (AS 77). In der mündlichen Verhandlung führte die Beschwerdeführerin hingegen aus, ihre Mutter habe eines Tages einem Mann im Teehaus mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin jene Tochter sei, die sie ihm versprochen habe (OZ 4, S. 14). Während die Schilderungen der Beschwerdeführerin beim Bundesamt so klingen als hätte der ältere Mann um die Hand der Beschwerdeführerin angehalten, weil er diese selber gesehen habe, geht aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung hervor, dass die Mutter dem Mann eine ihrer Töchter versprochen habe, ohne, dass dieser die Beschwerdeführerin davor gesehen habe. Dies scheint insbesondere deshalb so, weil die Mutter der Beschwerdeführerin dem Mann die Beschwerdeführerin nicht vorstellen bzw. als jene Tochter, die sie ihm versprochen habe, präsentieren hätte müssen, hätte der ältere Mann die Beschwerdeführerin gesehen und ausdrücklich um deren Hand angehalten hätte. Nicht nachvollziehbar ist, dass die Beschwerdeführerin nicht gleichbleibend angeben konnte, ob der Mann sie speziell deshalb heiraten habe wollen, weil er sie persönlich gesehen und deshalb ein Interesse an ihr gehabt habe oder die Beschwerdeführerin lediglich von ihrer Mutter vermittelt worden sei. Dies macht auch insbesondere deshalb einen Unterschied, weil es unplausibel scheint, dass der Mann auf die Verheiratung konkret mit der Beschwerdeführerin behaart habe, obwohl er sich gar nicht selbst für die Beschwerde-führerin entschieden habe, sondern die Beschwerdeführerin von ihrer Mutter für die Heirat mit dem älteren Mann ausgewählt worden sei.

Zudem sind die Angaben der Beschwerdeführerin beim Bundesamt betreffend die Abfolge der Besuche des Mannes sowie die Übergabe des Geldes an die Mutter nicht mit ihren Angaben in der Beschwerdeverhandlung in Einklang zu bringen. So schilderte die Beschwerdeführerin den Ablauf der Geschehnisse beim Bundesamt wie folgt:

1. Der ältere Mann habe die Mutter der Beschwerdeführerin im Teehaus um die Hand der Beschwerdeführerin gefragt, woraufhin die Mutter der Beschwerdeführerin ihre Zustimmung gegeben habe. Am Abend habe die Mutter der Beschwerdeführerin ihrem Ehemann [Anm. BVwG: dem Vater der Beschwerdeführerin] von der vereinbarten Heirat der Beschwerdeführerin mit dem älteren Mann erzählt. Der Vater sei jedoch gegen diese Heirat gewesen (AS 77).

2. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe dann mit dem älteren Mann gesprochen und ihm mitgeteilt, dass der Vater der Beschwerdeführerin nicht mit der Heirat einverstanden sei (AS 77).

3. Daraufhin sei der ältere Mann zum Vater der Beschwerdeführerin gegangen und habe diesem angekündigt die Beschwerdeführerin auch mit Gewalt zu heiraten sowie dem Vater der Beschwerdeführerin mit einer Inhaftierung gedroht (AS 77).

4. Eines Tages sei der Mann zum Haus der Familie der Beschwerdeführerin gekommen. Es sei sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Vater und ihre Mutter zuhause gewesen. Der ältere Mann habe verkündet, dass er die Beschwerdeführerin heiraten werde. Zunächst habe der Vater der Beschwerdeführerin gesagt, dass er die Heirat nicht erlauben werde. Schließlich habe jedoch auch ihr Vater die Erlaubnis zur Heirat erteilt. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei dann mit dem Mann aus dem Haus gegangen, wo sie dem Mann nochmals die Heirat mit der Beschwerdeführerin versprochen habe (AS 77).

5. Der ältere Mann sei zur Mutter der Beschwerdeführerin gegangen und habe ihr das versprochene Geld übergeben (AS 77).

In der Beschwerdeverhandlung schilderte sie den Ablauf der Geschehnisse jedoch wie folgt:

1. Eines Tages habe die Mutter der Beschwerdeführerin im Teehaus einem Mann, der öfters zum Tee trinken gekommen sei, die Beschwerdeführerin als jene Tochter vorgestellt, die ihm versprochen sei. Am Abend habe die Mutter der Beschwerdeführerin ihrem Ehemann erzählt, dass sie die Beschwerdeführerin einem Mann versprochen habe und dieser ihr bereits das Geld gegeben habe. Der Vater der Beschwerdeführerin sei nicht damit einverstanden gewesen (OZ 4, S. 14).

2. Am nächsten Tag habe die Mutter der Beschwerdeführerin dem älteren Mann im Teehaus mitgeteilt, dass der Vater der Beschwerdeführerin nicht mit der Heirat einverstanden sei. Am Nachmittag sei der Mann zum Haus der Familie der Beschwerdeführerin gekommen. Die Beschwerdeführerin, ihr Vater und ihre Geschwister seien zuhause gewesen, ihre Mutter sei jedoch arbeiten gewesen. Der Mann habe der Beschwerdeführerin und dem Vater mit dem Tod gedroht, woraufhin die Beschwerdeführerin der Heirat zugestimmt habe. Danach sei der Mann gegangen (OZ 4, S. 14).

Bei Gegenüberstellung der Angaben der Beschwerdeführerin beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung zeigt sich, dass diese gravierende Widersprüche enthalten und auch die Reihenfolge bzw. die Anzahl der Besuche bzw. der Gespräche der Mutter der Beschwerdeführerin mit dem älteren Mann nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Insbesondere fällt auf, dass die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung angegeben hat, dass die Mutter bereits bevor diese dem Vater der Beschwerdeführerin von der Heirat der Beschwerdeführerin mit einem älteren Mann erzählt habe das Geld vom älteren Mann erhalten habe (OZ 4, S. 14). Beim Bundesamt gab die Beschwerdeführerin jedoch an, dass ihre Mutter das Geld erst bekommen habe als der Mann der Familie einen Besuch abgestattet habe (AS 77). Während die Beschwerdeführerin beim Bundesamt angegeben hat, dass schließlich ihr Vater der Heirat zugestimmt habe, sei es nach ihren Angaben in der Beschwerdeverhandlung sie selbst gewesen die ihr Einverständnis zur Heirat mit dem älteren Mann gegeben habe.

Es fällt auch auf, dass die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung zunächst keine weiteren Besuche des älteren Mannes erwähnt hat. Erst auf ausdrückliche Nachfrage, gab die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung an, dass der ältere Mann dreimal bei ihr zuhause gewesen sei (OZ 4, S. 16). Auf Nachfrage führte sie aus, dass der Mann beim ersten Besuch nur mit ihrer Mutter gesprochen habe. Beim zweiten Besuch des Mannes habe dieser mit der Beschwerdeführerin und ihrem Vater gesprochen. Beim dritten Mal sei der Mann wieder nur zu ihrer Mutter gekommen (OZ 4, S. 17). Da die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung jedoch angegeben hat, dass ihre Mutter sie eines Tages im Teehaus dem Mann vorgestellt habe und ihm am nächsten Tag im Teehaus mitgeteilt habe, dass ihr Ehemann nicht mit der vereinbarten Heirat einverstanden sei, weshalb der Mann noch am selben Tag am Nachmittag der Beschwerdeführerin und ihrem Vater zuhause einen Besuch abgestattet habe (OZ 4, S. 14), ist nicht nachvollziehbar, wann der Mann seinen ersten Besuch nur der Mutter der Beschwerdeführerin zuhause abgestattet habe sollen, zumal das Gespräch zwischen der Mutter und dem Mann im Teehaus geführt worden sei und kein Tag mehr dazwischen gewesen sei. Unplausibel scheint nämlich, dass der Mann die Mutter der Beschwerdeführerin bereits zuhause besucht habe bevor diese dem Mann die Beschwerdeführerin als die versprochene Tochter vorgestellt habe, zumal auch sonst die Gespräche zwischen der Mutter der Beschwerdeführerin und dem Mann im Teehaus stattgefunden hätten und der Mann davor ja noch gar nicht wusste, welche Tochter ihm versprochen sei oder, dass der Vater der Beschwerdeführerin der Heirat nicht zustimmen werde. Es scheint daher unplausibel, dass der Mann bevor er die Beschwerdeführerin und den Vater zuhause besucht habe, bereits die Mutter der Beschwerdeführerin zuhause besucht habe.

Während die Beschwerdeführerin in der Erstbefragung und in der Beschwerdeverhandlung angegeben hat, der Mann, den sie heiraten habe sollen, heiße XXXX (AS 19; OZ 4, S. 16), führte sie beim Bundesamt als dessen Name XXXX an (AS 78). Phonetisch sind die Namen nicht miteinander in Einklang zu bringen. Nicht nachvollziehbar ist, dass die Beschwerdeführerin den Namen des Mannes, dem sie versprochen gewesen sei, phonetisch nicht gleichbleibend angeben hat k

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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