TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/20 W103 1314308-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W103 1314308-2/5E

W103 1401076-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX, geb. XXXX, und 2.) XXXX, geb. XXXX, beide StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2017, Zln.: 1.) 750786604-170738228 und 2.) 780360208-170738236, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 46, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten:

1.1. Die (nunmehrige) Erstbeschwerdeführerin reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet und brachte am 31.05.2005 beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein.

1.2. Der Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.08.2007, Zahl 05 07.866-BAT, in Spruchpunkt I. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl Nr. 101/2003, abgewiesen. In Spruchpunkt II. des Bescheides wurde ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. zulässig sei und die Erstbeschwerdeführerin in Spruchpunkt III. des Bescheides gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

1.3. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.08.2007, Zahl 05 07.866-BAT, zugestellt am 14.08.2007, richtete sich eine fristgerecht am 28.08.2007 eingebrachte Beschwerde.

1.4. Die (nunmehrige) Zweitbeschwerdeführerin wurde am XXXX als Tochter der Erstbeschwerdeführerin und ihres damaligen Lebensgefährten XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren. Ihre Mutter brachte für sie am 23.04.2008 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

1.5. Der Antrag der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.07.2008, Zahl 08 03.602-BAT, in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen. In Spruchpunkt II. des Bescheides wurde der Antragstellerin gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt und die Zweitbeschwerdeführerin in Spruchpunkt III. des Bescheides gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

1.6. Gegen diesen Bescheid richtete sich eine am 11.08.2008 fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

1.7. Für den 09.12.2008 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche Verhandlung vor dem damals zur Entscheidung berufenen Senat des Asylgerichtshofs anberaumt, an welcher die Erstbeschwerdeführerin, ihr Lebensgefährte und die Schwester des Lebensgefährten teilnahmen.

1.8. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.02.2009, D7 314308-1/2008/9E, wurde der Beschwerde stattgegeben und der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in Verbindung mit § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, wurde festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Asylgerichtshof traf im Rahmen der Entscheidungsbegründung Feststellungen zur aktuellen Situation in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien und begründete die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten an die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen damit, dass deren damaliger Lebensgefährte im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befürchte, wegen seiner Unterstützung tschetschenischer Widerstandskämpfer neuerlich schwer misshandelt, wenn nicht gar getötet, zu werden. Die Erstbeschwerdeführerin habe mit ihrem Lebensgefährten zwei gemeinsame Kinder, keine eigenen Fluchtgründe und habe wegen ihres Lebensgefährten ihren Herkunftsstaat verlassen, fürchte jedoch im Fall ihrer Rückkehr, sollte sie den Aufenthaltsort ihres Lebensgefährten nicht bekannt geben (können), körperlichen Übergriffen russischer Soldaten und Mitarbeitern Kadyrows ausgesetzt zu sein.

In rechtlicher Hinsicht wurde insbesondere ausgeführt, Verfolgung könne schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, etwa jener der Familie, liege (VwGH E vom 14.01.2003, Zl. 2001/01/0508-7). Relevant könne darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie müsse bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Auf Grund der aktuellen Lage in der Russischen Föderation sei derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass der Lebensgefährte und Vater der beiden Kinder der Erstbeschwerdeführerin im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wegen der Unterstützung von tschetschenischen Widerstandskämpfern, zumindest weiteren schwersten körperlichen Misshandlungen von russischen Soldaten und Mitarbeitern Kadyrows, ausgesetzt wäre oder sogar um sein Leben fürchten müsste. Weiters sei nicht auszuschließen, dass die Erstbeschwerdeführerin, sollte sie den Aufenthaltsort ihres Lebensgefährten nicht bekannt geben (können), körperlichen Übergriffen russischer Soldaten und Mitarbeitern Kadyrows ausgesetzt wäre. Wegen der konkreten Gefährdung der Erstbeschwerdeführerin in Verbindung mit den Länderfeststellungen habe in ihrem Fall keine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat ermittelt werden können.

1.9. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes ebenfalls vom 05.02.2009, Zl. D7 401076-1/2008/8E, wurde der Beschwerde der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen des Familienverfahrens stattgegeben und dieser gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

2. Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten:

2.1. Mit Aktenvermerk vom 23.06.2017 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgehalten, dass die Erstbeschwerdeführerin am 25.05.2017 bei der Behörde erschienen sei und einen Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses für sich und ihre minderjährige Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, gestellt hätte. Nach Überprüfung der Meldedaten hätte festgestellt werden können, dass die Erstbeschwerdeführerin seit dem 26.08.2010 nicht mehr in Österreich gemeldet gewesen wäre und erst am 22.05.2017 eine neuerliche behördliche Wohnsitzmeldung vorgenommen hätte; die Erstbeschwerdeführerin hätte im Rahmen einer Befragung zugegeben, dass sie seit September 2009 in Russland gelebt hätte und erst im Mai 2017 wieder nach Österreich eingereist wäre. Weiters habe herausgefunden werden können, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin ebenfalls keine Meldedaten aufweise und in der Personenfahndung aufscheinen würde. Die Erstbeschwerdeführerin hätte angegeben, Probleme mit ihrem Ehemann zu haben. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin sei ebenfalls ausgereist und habe gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin in Russland gelebt. Beide Beschwerdeführerinnen würden die deutsche Sprache nicht beherrschen und hätten zugegeben, dass die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation die Schule besucht hätte. Die Erstbeschwerdeführerin hätte weiters eingeräumt, im Besitz eines russischen Reisepasses zu sein.

Mit Schreiben vom 03.07.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin über das gegen sie und die von ihr gesetzlich vertretene minderjährige Zweitbeschwerdeführerin eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten in Kenntnis gesetzt. Der Erstbeschwerdeführerin wurde mitgeteilt, dass sie entsprechend der vorliegenden Beweisergebnisse am 23.09.2009 mit russischem Reisepass und österreichischem Konventionsreisepass gemeinsam mit ihrer Tochter in ihr Heimatland Russische Föderation ausgereist wäre. Sie hätte eigenen Angaben zufolge bis Mai 2017 im Heimatland gelebt, die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin hätte dort die Schule besucht. Damit hätten sie sich offensichtlich wieder unter den Schutz ihres Herkunftsstaates gestellt und es sei anzunehmen, dass die Gründe, welche zur Gewährung der Flüchtlingseigenschaft geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Im Hinblick auf das Vorliegen eines der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe werde ein Aberkennungsverfahren gegen die Beschwerdeführerinnen eingeleitet. Die Beschwerdeführerinnen seien seit 22.05.2017 an einer näher angeführten Adresse meldeamtlich erfasst. Eigenen Angaben zufolge seien sie jedoch an dieser Adresse nicht wohnhaft und es handle sich dabei lediglich um eine Kontaktstelle iSd § 19a Abs. 2 MedleG. Zumal die Beschwerdeführerinnen ihren Hauptwohnsitz nicht im Bundesgebiet hätten, würden diese nicht unter den Anwendungsbereich von § 7 Abs. 3 AsylG fallen. Den Beschwerdeführerinnen wurde die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme, insbesondere zum Vorliegen allenfalls gegen eine Aberkennung des Status der Asylberechtigten sprechender Gründe, eingeräumt.

Mit schriftlicher Eingabe vom 02.08.2017 führten die Beschwerdeführerinnen zusammengefasst aus, die Erstbeschwerdeführerin habe während ihres ersten Aufenthalts im österreichischen Bundesgebiet von Mai 2005 bis September 2009 in einer Beziehung mit ihrem namentlich genannten ehemaligen Lebensgefährten gelebt. In dieser Zeit sei die Erstbeschwerdeführerin von diesem regelmäßig geschlagen und bedroht worden und habe keine Unterstützung für ihre Kinder und sich erhalten. Nach der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten habe sie ihr ehemaliger Lebensgefährte aufgefordert, nach Tschetschenien zurückzukehren, um den Eltern ihres Partners die Möglichkeit zu geben, ihre Kinder kennenzulernen. Aus Angst vor ihrem Lebensgefährten habe die Erstbeschwerdeführerin zugestimmt, woraufhin der Genannte ihre Ausreise arrangiert hätte. In Tschetschenien hätten ihr ihre Schwiegereltern sowohl ihre Kinder, als auch ihre Reisepässe, abgenommen. Entsprechend den tschetschenischen Traditionen habe die Familie ihres Mannes ihr jeglichen Kontakt zu ihren Kindern verweigert, weshalb die Erstbeschwerdeführerin gezwungen gewesen wäre, bei ihrer Familie zu leben. Ende 2015 sei ihre erstgeborene Tochter erkrankt und Anfang des Jahres 2016 verstorben. Ihre Schwiegereltern hätten der Erstbeschwerdeführerin erlaubt, sich von ihrer erstgeborenen Tochter zu verabschieden und die jüngere Tochter wieder bei sich aufzunehmen. Aus Angst, dass ihr ihre Tochter wieder abgenommen werden könnte, habe sich die Erstbeschwerdeführerin im Jahr 2017 dazu entschlossen, wieder aus Tschetschenien zu flüchten und nach Österreich zurückzukehren. Gemäß § 7 Abs. 3 AsylG könne das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden wäre, den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt sei und der Fremde seien Hauptwohnsitz im Bundesgebiet habe. Die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit Erkenntnissen vom 05.02.2009 liege mehr als fünf Jahre zurück. Die Begründung der Behörde, dass es sich bei der Meldeadresse der beschwerdeführenden Parteien lediglich um eine Kontaktstelle iSd § 19a MeldeG handle und damit kein Hauptwohnsitz begründet sein könne, widerspreche dem expliziten Wortlaut des § 19a Abs. 1 MeldeG, der eine solche Bestätigung als "Hauptwohnsitzbestätigung" beschreibe. In § 2 AsylG werde der Begriff des Hauptwohnsitzes nicht näher definiert. Die Annahme der Behörde, die Bestimmungen des MeldeG analog anzuwenden, erweise sich im Hinblick auf die Judikatur des VwGH (Entscheidung vom 24.06.2003, 2002/01/0081) als verfehlt. Vielmehr sei das Kriterium des Art. 6 Abs. 3 B-VG maßgeblich, nämlich die Niederlassung im Bundesgebiet, mit der Absicht, dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu schaffen. Die Beschwerdeführerinnen hielten sich seit Mai 2017 in Österreich auf, hätten seit 22.05.2017 eine "Hauptwohnsitzbestätigung" gem. § 19a Abs. 1 MeldeG gehabt und seien nunmehr an einer näher angeführten Adresse gemeldet. Der maßgebliche Zeitpunkt zur Prüfung, ob eine Person ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet habe, ergebe sich schon aus dem expliziten Wortlaut dieser Bestimmung - die Verwendung der Präsensform mache deutlich, dass bei der Beurteilung, ob der Fremde seinen Lebensmittelpunkt in Österreich habe, nur auf den gegenwärtigen Zeitpunkt, jenen der Aberkennung, abzustellen sei. Es fände sich auch kein Hinweis, dass der Hauptwohnsitz während der gesamten fünf Jahre bestanden haben muss, weshalb davon auszugehen sei, dass alleine der Zeitpunkt der Bescheiderlassung, mit der die Aberkennung ausgesprochen werde, maßgeblich dafür sei, ob ein Hauptwohnsitz vorliege. Diesbezüglich sei auch auf das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.12.2010, D9 411388, zu verweisen, in welchem dieser festgestellt habe, dass für die Fristenberechnung der Zeitraum der Zuerkennung bis zur Erlassung des Aberkennungsbescheides ausschlaggebend wäre. Unerheblich sei der Zeitpunkt der Einleitung des Aberkennungsverfahrens oder die Kenntnis über das eingeleitete Aberkennungsverfahren. Insoweit müsse dies auch für das Tatbestandsmerkmal des bestehenden Hauptwohnsitzes gelten. Daraus ergebe sich, dass eine Aberkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 3 AsylG rechtswidrig wäre, da den Beschwerdeführerinnen mit Erkenntnis des AsylGH vom 05.02.2009 der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden wäre und sie nun mehr als acht Jahre später ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hätten. Insoweit sei eine Aberkennung im konkreten Fall nur unter der Voraussetzung des § 7 Abs. 3 2. Satz AsylG zulässig, also nach einer rechtskräftigen Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 45 Abs. 8

NAG.

2.2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 16.08.2017 wurde den Beschwerdeführerinnen der ihnen mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 05.02.2009, Zln. D7 314308-1/2008 und D7 401076-1/2008, zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesen die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkte I.). Gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG wurde den Beschwerdeführerinnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführerinnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkte III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für ihre freiwillige Ausreise gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkte IV.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte die Identität der Beschwerdeführerinnen

fest und legte seiner Entscheidung umfassende Feststellungen zur aktuellen Lage in deren

Herkunftsstaat zugrunde. Das Bundesamt stellte desweiteren fest, dass die Erstbeschwerdeführerin gesund und arbeitsfähig sei, in Tschetschenien über soziale Anbindungen in Form ihrer Familie, bei welcher sie zwischen September 2009 und Mai 2017 gelebt hätte, verfügen würde und den größten Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht hätte. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin habe in Tschetschenien bis zu ihrer Ausreise im Mai 2017 die Schule besucht. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin hätte beinahe ihre gesamte Sozialisierung in Tschetschenien erfahren und hätte vor ihrer Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet keine sozialen Anknüpfungspunkte außerhalb ihrer tschetschenischen Kernfamilie gehabt. Beide Beschwerdeführerinnen würden an keinen schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankungen oder sonstigen Beeinträchtigungen leiden und würden Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Die Beschwerdeführerinnen seien bereits im September 2009, etwa neun Monate nach Zuerkennung des Asylstatus, in ihr Heimatland ausgereist und hätten dort bis zu ihrer Wiedereinreise nach Österreich im Mai 2017 bei ihrer Familie gelebt. Sie hätten sich dadurch wieder freiwillig unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt, weshalb davon auszugehen sei, dass die Gründe, die zu ihrer Anerkennung als Flüchtlinge geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Es könne nicht festgestellt werden, dass den beschwerdeführenden Parteien in der Russischen Föderation Verfolgung oder ein vollständiger Entzug der Existenzgrundlage drohen würde. Eine Gefährdung alleine aufgrund der ethnischen Herkunft und religiösen Orientierung der Beschwerdeführerinnen sei nicht anzunehmen. Die Beschwerdeführerinnen hätten im Zuge ihres Verfahrens auf internationalen Schutz keine individuellen Verfolgungsgründe behauptet, ihnen sei der Status der Asylberechtigten ausschließlich aufgrund der möglichen Bedrohung des damaligen Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin/Vaters der Zweitbeschwerdeführerin erteilt worden. Es sei sowohl ihnen, als auch dem ehemaligen Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin, möglich gewesen, ab September 2009 im Kreise ihrer jeweiligen Familien im Herkunftsstaat zu leben, die Zweitbeschwerdeführerin habe dort die Schule besuchen können. Es handle sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine junge, gesunde und arbeitsfähige Staatsangehörige der Russischen Föderation, der es auch im Herkunftsland durchaus zumutbar wäre, sich selbst und allenfalls auch ihre Tochter zu erhalten, wenngleich es auch der tschetschenischen Tradition entspreche, dass Kinder nach der Trennung der Eltern bei der Familie des Kindesvaters versorgt würden. Die Beschwerdeführerinnen würden ein Familienleben untereinander führen, seien jedoch im gleichen Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Darüber hinaus bestünden keine verwandtschaftlichen oder sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Die Erstbeschwerdeführerin habe die Zeit ihres Aufenthalts zwischen Mai 2005 und September 2009 weder zu ihrer sprachlichen Integration genutzt, noch sei sie jemals einer legalen Beschäftigung nachgegangen und habe ihren Aufenthalt seit ihrer erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet ausschließlich aus Leistungen aus der Grundversorgung bestritten. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin habe sich von ihrer Geburt im April 2008 bis September 2009 im Bundesgebiet aufgehalten und ihr gesamtes prägendes Alter in Tschetschenien verbracht.

Beweiswürdigend wurden im Bescheid der Erstbeschwerdeführerin insbesondere die folgenden Erwägungen getroffen:

"(...) Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Die Umstände und der Zeitpunkt Ihrer Ausreise bzw die Dauer Ihres Heimataufenthaltes ergeben sich aus Ihren diesbezüglichen Angaben. Diese waren auch mit dem im Konventionsreisepass vorhandenen Ausreisestempel in Einklang zu bringen. Sie brachten keine Umstände glaubhaft vor, die die Freiwilligkeit Ihrer Ausreise in Zweifel ziehen hätten können. Insbesondere kannten Sie Ihr Vorbringen hinsichtlich des vorgebrachten Zwanges durch Ihren ehemaligen Lebensgefährten nicht durch eine Anzeige oder anderen Behördenkontakt bescheinigen. Auch wenn es in Tschetschenien der geübten Tradition entspricht, dass sich die Kinder nach einer Trennung bei der Familie des Vaters befinden, hätten Sie gemäß den vorliegenden Länderinformationen auch die Möglichkeit gehabt in Obsorgefragen den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Es war für die erkennende Behörde daher auf keine vernünftige Weise nachvollziehbar, dass Sie über siebeneinhalb Jahre hätten gezwungen werden können sich im Herkunftsland niederzulassen.

Auch war für die erkennende Behörde kein Grund ersichtlich, Ihre Angaben hinsichtlich des Besitzes eines gültigen russischen Reisepasses in Zweifel zu ziehen. Zumal russische Reisepässe erst seit Einführung des "e-Reisepasses 2010" eine maximale Gültigkeitsdauer von 10 Jahren aufweisen, kann auch davon ausgegangen werden, dass die Ausstellung des nunmehr gültigen Reisepasses nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erfolgen musste.

Sie haben auch zu keiner Zeit Gründe vorgebracht wonach die Gründe, weshalb Ihnen der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde, dennoch weiter vorliegen sollten, noch brachten Sie Gründe vor, wonach Ihnen aktuell bzw im Falle Ihrer Rückkehr Verfolgung aus Gründen der GFK drohen würde.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Bereits aufgrund Ihrer Ausreise nach Tschetschenien kurze Zeit nach der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und Ihres vorfallslosen Aufenthaltes bis Mai 2017 konnte festgestellt werden, dass Ihnen jene Verfolgung auf Grund derer Ihnen der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde, tatsächlich zumindest ab dem Zeitpunkt Ihrer Ausreise nicht gedroht hat und auch eine begründete Furcht vor einer solchen, angesichts des freiwilligen Entschlusses in den Herkunftsstaat zurückzukehren zumindest ab diesem Zeitpunkt nicht weiter vorgelegen haben kann.

Sie haben auch im nunmehrigen Aberkennungsverfahren zu keiner Zeit Gründe vorgebracht, wonach Ihnen im Falle Ihrer nunmehrigen Rückkehr eine Verfolgung aus Gründen der GFK oder die reale Gefahr einer Verletzung Ihrer Rechte nach Art 2 und 3 EMRK bzw des 6. Oder 13. Zusatzprotokolles drohen würde. Vielmehr haben Sie sich in Ihrer Stellungnahme im Wesentlichen auf rechtliche Ausführungen beschränkt, wonach Ihnen im Falle der Aberkennung Ihres Asylstatus ein Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zu erteilen wäre. Auch ergaben sich aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keinerlei Anhaltspunkte wonach Ihnen bei einer Rückkehr eine wie auch immer geartete Gefahr drohen würde.

Es konnte insbesondere im Lichte Ihrer Angaben, wonach Sie die letzten siebeneinhalb Jahre bei Ihrer Familie gelebt hätten und Ihre Tochter die Schule besuchen konnte und unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialbeihilfen oder Arbeitslosenhilfe im Herkunftsstaat, nicht festgestellt werden, dass Sie nach Ihrer Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten könnten. Sie sind jung, gesund und arbeitsfähig, mit den Gegebenheiten des Herkunftsstaates vertraut, hatte dort letzten siebeneinhalb Jahre Ihren Lebensmittelpunkt und verfügen Sie über familiäre Anknüpfungspunkte. (...)"

In Rechtlicher Hinsicht wurde die Aberkennung des Status von Asylberechtigten im Wesentlichen wie folgt begründet:

"(...) § 7 Abs. 1 AsylG 2005 sieht die zwingende Aberkennung des Status des Asylberechtigten bei Vorliegen eines der in Z 1 bis 3 genannten Tatbestände vor.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 2 AsylG ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

Art 1 Abschnitt C GFK sieht vor, dass diese Abkommen nicht mehr auf Personen Anwendung findet, die sich freiwillig wieder unter den Schutz Ihres Heimatlandes gestellt haben.

Gleichfalls sieht Art 11 der Statusrichtlinie 2004/83/EG das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft vor, wenn sich der Flüchtling freiwillig, erneut dem Schutz des Landes dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt.

Voraussetzung für die Aberkennung aufgrund freiwilliger Unterschutzstellung sind demnach das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft, der Flüchtling muss bei der Unterschutzstellung in freier Willensentscheidung handeln (Freiwilligkeit), der Flüchtling muss in der Absicht handeln, sich mit seinen Handlungen erneut dem Schutz des Staates seiner Staatsangehörigkeit zu unterstellen (Absicht) und der Flüchtling muss diesen Schutz auch tatsächlich erhalten (erneute Inanspruchnahme).

Die Ausstellung eines Reisepasses muss in der Regel - sofern nicht im konkreten Einzelfall ein dieser Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird - als eine der Formen angesehen werden, mit denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt (Hinweis: E 19.12.1995, 94/20/0838; VwGH vom 18.12.1996, 95/20/0466).

Auch bereits die Rückkehr in den "Verfolgerstaat" kann den Tatbestand der "Unterschutzstellung" iSd Art 1 Abschn C Z 1 FlKonv (VwGH vom 19.3.1997, 95/01/0151) erfüllen. Die freiwillige Niederlassung im bisherigen Verfolgerstaat verlangt einen auf Dauer angelegten Aufenthalt, eine auf Dauer angelegte Wohnsitznahme und den Entfall der Schutzbedürftigkeit (vgl. AsylGH am 06.09.2010, D3 264.942-2/2010).

Wie beweiswürdigend dargelegt, ergibt sich aus der freiwilligen Rückkehr in Ihre Heimat Tschetschenien sowie der Ausstellung eines russischen Reisepasses, dass Sie beabsichtigten, sich wieder unter den Schutz Ihres Herkunftsstaates zu stellen. Im gegenständlichen Fall sind, wie unter der Beweiswürdigung aufgezeigt, auch keine Umstände hervorgekommen, die die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen bzw triftige Gründe (wie beispielsweise der Besuch eines alten oder kranken Elternteils, vgl. VwGH 03.12.2003, 2001/01/0547) glaubhaft gemacht worden, die eine Passbeantragung rechtfertigen bzw eine Unterschutzstellung ausschließen würden.

Die Niederlassung im Herkunftsstaat über eine Dauer von etwa siebeneinhalb Jahren alleine zeigt bereits Ihre Unterschutzstellungsabsicht, und zeigt Ihr langfristiger, vorfallsfreier Aufenthalt in Tschetschenien bzw der Schulbesuch Ihrer Tochter, dass Sie diesen Schutz auch tatsächlich erhalten haben.

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, besteht somit kein Zweifel daran, dass Sie den Tatbestand der Unterschutzstellung des § 7 Abs 1 Z 2 AsylG bzw. die in Art 1 Abschnitt C GFK und Art 11 der Statusrichtlinie 2004/83/EG genannten Gründe durch Ihre langjährige Niederlassung in Tschetschenien erfüllt haben.

Gemäß § 7 Abs 3 AsylG kann das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

Eine Aberkennung wegen Eintritts der Endigungsgründe nach Art 1 Abschnitt C der Konvention ist daher nur zulässig, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt binnen 5 Jahren nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erfolgt. Diese zeitliche Befristung gilt allerdings nur, wenn der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016), 656).

Mit der Bestimmung des § 7 Abs 3 AsylG und der hierin enthaltenen unwiderleglichen Rechtsvermutung der sozialen Verfestigung, bezweckte der Gesetzgeber eine Anpassung an die Verfestigungsvermutung im Niederlassungswesen. In der RV zu BGBl. I 100/2005 wurde demgemäß ausgeführt:

"Die soziale Verfestigung wird nach einer Dauer von fünf Jahren - sofern eine Aberkennung nicht erstinstanzlich ausgesprochen wurde - unwiderleglich vermutet, was der Verfestigung im Niederlassungswesen entspricht. [...]"

§ 45 Abs 12 NAG lautet:

"Asylberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen über den Status des Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005) verfügten und subsidiär Schutzberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§ 8 Abs. 4 AsylG 2005) rechtmäßig aufhältig waren, kann ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 14b) erfüllt haben."

Die Bestimmung des § 7 Abs 3 AsylG ist daher zweifellos teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Rechtsvermutung der sozialen Verfestigung nur unter der Bedingung eintreten kann, dass sich der Lebensmittelpunkt des Asylberechtigten während des Laufes der 5-Jahres-Frist auch im Bundesgebiet befunden hat.

Dass ein Lebensmittelpunkt in Österreich der Anwendung des § 7 Abs 3 AsylG jedenfalls vorauszusetzen ist, ergibt sich auch bereits aus dem Umstand, dass diese Bestimmung lediglich in Fällen des § 7 Abs 1 Z 2 AsylG zur Anwendung kommt. Hat ein Asylberechtigter seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlegt (der nicht sein Herkunftsstaat ist), indem er dort seinen Hauptwohnsitz begründet, kann ihm nach § 7 Abs 1 Z 3 AsylG der Status des Asylberechtigten aberkannt werden.

Wenngleich auch der AsylGH im Erkenntnis vom 14.12.2010, zu GZ: D9 411388-1/2010 festgestellt hat, dass für die Berechnung der 5-Jahres Frist der Zeitraum zwischen der Zuerkennung bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Aberkennungsbescheides maßgeblich ist, so erfolgte in diesem Fall lediglich eine Klärung des Beginns und des Endes des betreffenden Fristenlaufes. Nicht hingegen geht aus dieser Entscheidung hervor, dass das Bestehen eines Hauptwohnsitzes während dieser Zeit für die Annahme der Aufenthaltsverfestigung, entgegen der ratio legis unerheblich wäre. Dass ein Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet immanente Voraussetzung für die Annahme der Rechtsvermutung der Aufenthaltsverfestigung darstellt ergibt sich auch unter Berücksichtigung einschlägiger Verfestigungstatbestände wie in § 9 Abs 4 BFA-VG oder § 45 Abs 12 NAG.

Zumal zwar seit der Zuerkennung Ihres Status als Asylberechtigter mehr als fünf Jahre vergangen sind und Sie auch nicht straffällig wurden, Sie jedoch im relevanten Zeitraum nur etwa sieben Monate im Bundesgebiet aufhältig waren, während Sie sich etwa siebeneinhalb Jahre im Herkunftsstaat niedergelassen hatten, kann in Ihrem Fall auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für die Annahme der unwiderleglichen Vermutung der Aufenthaltsverfestigung gerade nicht gegeben sind.

Würde sich ein Asylberechtigter in einer Situation wie der Ihrigen, auf die Rechtsvermutung des § 7 Abs 3 AsylG berufen können, würde dies auch zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Fremden untereinander führen, zumal sich rechtskonform verhaltende Asylberechtigte, die Ihre Rückkehr in den Herkunftsstaat den Behörden bekannt geben, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche sich rechtsmissbräuchlich als Asylberechtigte wieder im Herkunftsstaat niederlassen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip) (AsylGH 4.8.2008, E10 313376-1/2008). Zudem würde dies auch zu einer Schlechterstellung von Asylberechtigten führen, die Ihren Lebensmittelpunkt zulässigerweise in Drittstaaten verlegen im Gegensatz zu jenen, die rechtsmissbräuchlich Ihren Lebensmittelpunkt (unmittelbar) nach Zuerkennung des Asylstatus wieder in den Herkunftsstaat zurückverlegen, zumal sich nur letztere völlig unbegründet auf die Verfestigungsbestimmung des § 7 Abs 3 AsylG erfolgreich berufen könnten.

Da Sie Ihren Lebensmittelpunkt seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten überwiegend im Herkunftsstaat hatten, konnte die Verfestigungsvermutung des § 7 Abs 3 AsylG in Ihrem Fall nicht zur Anwendung kommen. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG im Sinne des § 7 Abs 3 AsylG war in Ihrem Fall daher nicht Voraussetzung für die Aberkennung Ihres Asylstatus. (...)"

Im Bescheid der Zweitbeschwerdeführerin wurde überdies erwogen, dass diese aufgrund ihres Alters nicht in der Lage gewesen wäre, selbständig den Entschluss zur Rückkehr in den Herkunftsstaat und zur Niederlassung in selbigem zu fassen, sodass hier sinngemäß auf den Willen ihrer Obsorgeberechtigten, sohin ihrer Mutter, abgestellt werden müsse. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin habe nicht glaubhaft darlegen können, dass sie siebeneinhalb Jahre unter Zwang in Tschetschenien gelebt hätte und seien im Verfahren auch sonst keine Gründe hervorgekommen, welche die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen würden.

Zur Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigen wurde im Wesentlichen erwogen, dass sich die Beschwerdeführerinnen freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hätten, indem Sie sich siebeneinhalb Jahre in Tschetschenien niedergelassen und dort im Kreis Ihrer Familie gelebt hätten, sodass von Seiten der Behörde davon ausgegangen werden könne, dass eine diesen dort drohende reale Gefahr grundsätzlich nicht gegeben sei. Im gesamten Verfahren seien keinerlei Indizien oder Anhaltspunkte hervorgekommen, welche die Annahme rechtfertigen hätten können, dass die Beschwerdeführerinnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr laufen würden, im Fall einer Rückkehr in die Heimat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Insbesondere sei ein solches reales Risiko auch im Zuge der amtswegigen Recherche zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht zu Tage getreten. Es seien auch keine persönlichen Umstände ersichtlich, wonach die Erstbeschwerdeführerin nach einer Rückkehr nicht eine Arbeit aufnehmen und ihren Lebensunterhalt aus Eigenem bestreiten könnte. Zudem würden die Beschwerdeführerinnen über familiäre Anknüpfungspunkte in Tschetschenien verfügen und sei es diesen auch die vergangenen Jahre möglich gewesen, bei ihrer Familie in Tschetschenien zu leben. Hinsichtlich des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin betreffend allfälliger Sorgerechtsstreitigkeiten sei einerseits auf die einschlägige russische Rechtslage zu verweisen und die innerstaatlichen Möglichkeiten, den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Weder hätte die Erstbeschwerdeführerin im Verfahren eine Bedrohung seitens der Familie ihres ehemaligen Lebensgefährten behauptet, noch wäre ein solches Vorbringen im Lichte der rechtsstaatlichen Möglichkeiten im Herkunftsstaat geeignet, eine landesweite und konkrete reale Gefährdung ihrer Rechte im Sinne des § 8 AsylG wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Durch die familiären Anknüpfungspunkte sei auch davon auszugehen, dass eine Unterstützung unmittelbar nach der Rückkehr und in Zeiten einer allfälligen Erwerbslosigkeit gegeben wäre, sodass die Beschwerdeführerinnen keiner existentiellen Notlage ausgesetzt wären, die einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention gleichzuhalten wäre. Weiters sei den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass im Heimatland in Notlagen auch die Möglichkeit zum Bezug von Sozialbeihilfen bestünde. Es sei auch auf die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Sozialbeihilfe bzw. Arbeitslosengeld zu verweisen. Es sei somit unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte davon auszugehen, dass den Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe.

Die Erlassung von Rückkehrentscheidungen erweise sich im Lichte der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK als notwendig und erforderlich und sei im Hinblick auf das Überwiegen öffentlicher Interessen auch als verhältnismäßig zu betrachten.

2.3. Gegen die dargestellten Bescheide wurde mit für beide Beschwerdeführerinnen gleichlautender schriftlicher Eingabe vom 04.09.2017 fristgerecht Beschwerde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben. Begründend wurde nach zusammenfassender Wiedergabe des Verfahrensverlaufs im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde das Ermittlungsverfahren mit Mangelhaftigkeit belastet hätte, indem sie es unterlassen habe, Ermittlungen zur Motivlage der Erstbeschwerdeführerin zur Reise in ihren Herkunftsstaat bzw. zu ihrem Aufenthalt in diesem zu unternehmen. Voraussetzung für die Aberkennung aufgrund der freiwilligen Unterschutzstellung sei neben der Freiwilligkeit auch die Absicht, sich dem Schutze des Staates seiner Staatsangehörigkeit zu unterstellen. Verwiesen wurde auf einen aus September 2014 stammenden Bericht von EASO (Cechnya: Women, Marriage, Divorce and child custody), demzufolge traditionsgemäß nach einer Scheidung der Mann erziehungsberechtigt und für die tägliche Betreuung der Kinder zuständig wäre. Vertreter einer internationalen humanitären Organisation in Grosny hätten jedoch erklärt, dass unterschiedliche Familien unterschiedliche Lösungen für die Kinder fänden, wenn eine Beziehung zu Ende ginge oder nach einem Todesfall. Es sei üblich, dass der Vater oder seine Familie die tägliche Betreuung der Kinder und die elterliche Fürsorge für sie übernehme, doch manchmal werde der Mutter das Umgangsrecht zugesprochen, unter besonderen Umständen würden die Kinder auch bei ihrer Mutter leben. Einem tschetschenischen Rechtsanwalt zufolge würden Frauen nur in Ausnahmefällen den Rechtsweg beschreiten, wenn sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hätten, einschließlich des Kontakts mit den Verwandten des Vaters über die Familienältesten sowie des Kontakts mithilfe eines Mullahs. Familienangelegenheiten gerichtlich durchzusetzen sei der letzte Ausweg. Dies bedeute, sämtliche Beziehungen zur Familie abzubrechen und komme einer Kriegserklärung an die Familie des Vaters des Ehemannes gleich. Viele würden Drohungen von der Familie ihres Ehemannes erhalten. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin werde auf einen anbei übermittelten psychiatrischen Befund vom 03.08.2017 verwiesen, welchem sich die Diagnosen Depression, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, sowie Spannungskopfschmerz entnehmen ließen. Die Behörde ginge davon aus, dass die lange Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerinnen im Herkunftsstaat auf Freiwilligkeit beruht hätte. Tatsächlich sei die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Lebensgefährten dazu gedrängt worden, das Bundesgebiet zu verlassen und in die Heimat zu reisen. Zum anderen seien der Erstbeschwerdeführerin seitens der Schwiegereltern die Kinder abgenommen worden und habe diese bis zum Tod ihrer älteren Tochter nicht mehr sehen können. Es könne folglich keinesfalls von einer freiwilligen Unterschutzstellung ausgegangen werden, von der Erstbeschwerdeführerin sei bereits bei der Einreise nicht beabsichtigt gewesen, längerfristig in Tschetschenien zu leben; aufgrund der Abnahme der Kinder habe sie sich jedoch dazu gezwungen gesehen. Ein Versuch, über Gericht die Obsorge für die Töchter zu erhalten, habe für die Erstbeschwerdeführerin aus Furcht vor der Familie ihres Mannes keine Option dargestellt. Die von der Behörde getroffene Feststellung, wonach die Erstbeschwerdeführerin freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt wäre, sei folglich tatsachenwidrig. Soweit die Behörde ausführe, dass die Bestimmung des § 7 Abs. 3 AsylG teleologisch dahingehend zu reduzieren wäre, dass die Rechtsvermutung der sozialen Verfestigung nur unter der Bedingung eintreten könne, dass sich auch der Lebensmittelpunkt des Asylberechtigten während des Laufs der 5-Jahres-Frist im Bundesgebiet befunden hätte, sei festzuhalten, dass der Gesetzeswortlaut ebendieser Bestimmung einen derartigen Schluss nicht zulasse und eine derartige Auslegung durch Rechtsprechung der Höchstgerichte nicht gedeckt sei. Daraus ergebe sich, dass die Aberkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 3 AsylG rechtswidrig wäre, da den Beschwerdeführerinnen am 05.02.2009 der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden wäre und sie nun mehr als acht Jahre später ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hätten. Aufgrund der Tatsache, dass die Erstbeschwerdeführerin eine alleinstehende und alleinerziehende Frau wäre, drohe dieser bei einer Rückkehr nach Tschetschenien das reale Risiko einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK und wäre ihr daher aus diesem Grund subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Die beschwerdeführenden Parteien würden eindeutig über ein schützenswertes Privatleben iSd Art. 8 EMRK verfügen, die Zweitbeschwerdeführerin sei in Österreich geboren und habe das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung zu sein. Im Falle einer Rückkehr könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese durch die Familie des Kindesvaters von ihrer Mutter getrennt werde. Nur in Österreich sei gewährleistet, dass die Tochter bei ihrer Mutter aufwachsen könne und es liege daher im Wohle des Kindes, eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären.

4. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 15.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.10.2018 wurde der Akt der gegenständlichen Geschäftsabteilung zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, welche der tschetschenischen Volksgruppe angehören und sich zum moslemischen Glauben bekennen. Die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin reiste am 31.05.2005 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl, welchen sie im Wesentlichen mit den Rückkehrbefürchtungen ihres damaligen Lebensgefährten XXXX begründete und keine individuellen Rückkehrbefürchtungen ins Treffen führte. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin wurde im April 2008 als Tochter der Erstbeschwerdeführerin und ihres damaligen Lebensgefährten in Österreich geboren und stellte am 23.04.2008 durch ihre gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.02.2009, D7 314308-1/2008/9E, wurde der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in Verbindung mit § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), Asyl gewährt. Dies wurde im Wesentlich damit begründet, dass aufgrund der damals aktuellen Lage in der Russischen Föderation zum Entscheidungszeitpunkt nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen gewesen wäre, dass der Lebensgefährte und Vater der beiden Kinder der Erstbeschwerdeführerin im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wegen der Unterstützung von tschetschenischen Widerstandskämpfern, zumindest weiteren schwersten körperlichen Misshandlungen von russischen Soldaten und Mitarbeitern Kadyrows, ausgesetzt wäre oder sogar um sein Leben fürchten müsste. Weiters sei nicht auszuschließen, dass die Erstbeschwerdeführerin, sollte sie den Aufenthaltsort ihres Lebensgefährten nicht bekannt geben (können), körperlichen Übergriffen russischer Soldaten und Mitarbeitern Kadyrows ausgesetzt wäre. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes, ebenfalls vom 05.02.2009, Zl. D7 401076-1/2008/8E, wurde der Beschwerde der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin stattgegeben und dieser gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Individuelle Verfolgungsgründe wurden im Verfahren der damals knapp einjährigen Zweitbeschwerdeführerin nicht festgestellt.

Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin, ihrem Lebensgefährten und ihrer zwischenzeitig verstorbenen erstgeborenen Tochter, im September 2009 in den Herkunftsstaat zurück und ließ sich freiwillig bei ihren (zum Entscheidungszeitpunkt unverändert) in Tschetschenien aufhältigen Angehörigen nieder, bei welchen sie bis Mai 2017 gelebt hat. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin lebte zunächst bei ihren Angehörigen väterlicherseits, bevor sie - infolge des Todes ihrer älteren Schwester im Jänner 2016 - wieder in die Obhut der Erstbeschwerdeführerin gekommen ist. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat die Schule besucht. Im vorliegenden Verfahren wurde nicht vorgebracht, dass die Beschwerdeführerinnen während ihres mehr als siebeneinhalbjährigen Aufenthalts in Tschetschenien nach Zuerkennung des Status von Asylberechtigten konkreten Verfolgungshandlungen oder einer sonstigen Gefährdungslage ausgesetzt gewesen sind. Nicht festgestellt werden kann, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien von Angehörigen väterlicherseits zwangsweise von ihrer Mutter getrennt werden würde.

Die Beschwerdeführerinnen haben das Bundesgebiet rund sieben Monate nach Zuerkennung des Status von Asylberechtigten im September 2009 verlassen und sich in ihren Herkunftsstaat zurückbegeben, wo sie sich bis zu ihrer neuerlichen Einreise ins Bundesgebiet im Mai 2017 ausschließlich aufgehalten haben. Zwischen August 2010 und Mai 2017 scheint keine Wohnsitzmeldung der Beschwerdeführerinnen im Bundesgebiet auf.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wären. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive die Russischen Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die beschwerdeführenden Parteien liefen dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführerinnen sprechen Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau und verfügen über zahlreiche Angehörige sowie eine Wohnmöglichkeit im Herkunftsstaat. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer Depression sowie an Spannungskopfschmerzen, die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin ist gesund.

Die unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien verfügen in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Sie führen ein Familienleben untereinander, haben darüber hinaus jedoch keine familiären Bindungen oder andere enge soziale Anknüpfungspunkte in Österreich. Die beschwerdeführenden Parteien sind im Bundesgebiet nicht selbsterhaltungsfähig und bestreiten ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Die beschwerdeführenden Parteien haben keinen Nachweis über bereits vorhandene Deutschkenntnisse vorgelegt und im Verfahren auch darüber hinaus keine Anknüpfungspunkte sozialer oder wirtschaftlicher Natur oder Integrationsbemühungen ins Treffen geführt. Eine die beschwerdeführenden Parteien betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde jeweils keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten