TE Vwgh Erkenntnis 2019/1/23 Ra 2018/18/0521

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Veröffentlicht am 23.01.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E19103000;
E3L E19103010;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32011L0095 Status-RL Art8 Abs1;
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2;
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb;
AsylG 2005 §3 Abs1;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des E F, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. September 2018, Zl. W228 2193280-1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans, stammt aus der Provinz Maidan Wardak und stellte am 9. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Fluchtgrund befragt führte er zusammengefasst aus, ein Taliban-Anhänger hätte seine Verlobte heiraten wollen, weshalb der Revisionswerber von diesem zusammengeschlagen und mit dem Umbringen bedroht worden sei.

2 Mit Bescheid vom 16. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend stellte das BVwG - soweit entscheidungsrelevant -

zunächst fest, der Revisionswerber sei ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans und stamme aus der Provinz Maidan Wardak. Er sei gesund, arbeitsfähig und verfüge über Schulbildung sowie Berufserfahrung. Im Zuge seiner Tätigkeit als Taxifahrer sei er mehrmals pro Woche in Kabul gewesen. Er gehöre zur Volksgruppe der Tadschiken und spreche Farsi. Seine Eltern und Schwestern würden im Iran leben. Zudem traf das BVwG Feststellungen zur Situation in Afghanistan. Zur Lage in Kabul traf es folgende Feststellungen:

"In der Hauptstadt Kabul finden überwiegend Angriffe in Regierungs- und Botschaftsnähe, also mit möglichst hoher medialer Reichweite, statt. Dabei kam es immer wieder zu zivilen Opfern. Die Regierung ist jedoch in der Lage hier die Sicherheit abseits dieser High-Profile Attentate zu gewährleisten bzw. ist sogar dabei diese auszubauen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen, der derzeit regelmäßigen internationalen Flugverkehr abwickelt. Die Wohnungs- und Arbeitsmarktlage in Afghanistan ist durch die höhere Anzahl an Rückkehrern angespannt."

5 Rechtlich folgerte das BVwG in Bezug auf die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers in seine Heimatprovinz Maidan Wardak aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich sei, jedoch stünde dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung. Er habe sein bisheriges Leben in Afghanistan verbracht, sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut, könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und könne sich in Kabul eine Existenzgrundlage sichern. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische hätten in Kabul kein Territorium. Dem Revisionswerber sei es somit möglich und zumutbar, sich in Kabul niederzulassen.

6 Gegen dieses Erkenntnis - nicht jedoch gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG weiche betreffend die angenommene innerstaatlichen Fluchtalternative von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, da es zur Lage in Kabul keine ausreichenden Feststellungen treffe.

7 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Das BVwG geht in der angefochtenen Entscheidung betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zunächst davon aus, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Maidan Wardak aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich sei. Stattdessen verweist das BVwG den Revisionswerber auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Hinblick auf das ihr unter anderem innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

12 Im gegenständlichen Revisionsfall stützte das BVwG seine oben wiedergegebenen Feststellungen zur Lage in Kabul auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Gesamtaktualisierung vom 29. Juni 2018 sowie den EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018.

13 Nicht in die Entscheidung des BVwG miteinbezogen wurden jedoch die aktuellen - und zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits vorgelegenen - Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018.

14 In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst und unter Verweis auf die ständige hg. Rechtsprechung ausgesprochen, dass diesen Richtlinien besondere Beachtung zu schenken ist ("Indizwirkung"). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).

15 Die somit nach der hg. Rechtsprechung gebotene Auseinandersetzung mit den aktuellen Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 hat das BVwG fallbezogen unterlassen und sein Verfahren dadurch mit einem Verfahrensmangel belastet.

16 Diesem Verfahrensmangel kann auch nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden, zumal der UNHCR die Verfügbarkeit einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative für afghanische Staatsangehörige in Kabul angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage (anders als das BVwG) grundsätzlich verneint (vgl. S. 126 bis 129 der Richtlinien).

17 Die vorliegende Revision rügt daher zu Recht einen Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der vom BVwG angenommenen zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul.

18 Das angefochtene Erkenntnis war sohin in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Jänner 2019

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180521.L00

Im RIS seit

12.02.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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