TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/15 G303 2172255-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2018
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Entscheidungsdatum

15.10.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G303 2172255-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, gegen den Behindertenpass, OB: XXXX, ausgestellt am 18.08.2017 vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, in dem ein Grad der Behinderung von sechzig von Hundert (60 vH) festgestellt wurde, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Behindertenpass dahingehend abgeändert, dass der Grad der Behinderung siebzig von Hundert (70 vH) beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 17.05.2017 via der Zentralen Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ein. Dem Antrag waren ein Konvolut an medizinischen Unterlagen, ein Begleitschreiben der Schwester des BF, die Kopie des Führerscheines des BF und eine Meldebestätigung angeschlossen.

2. Die belangte Behörde holte drei fachärztliche Sachverständigengutachten und ein allgemeinmedizinisches Gesamtgutachten ein.

2.1. Im von der belangten Behörde eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachten vom 22.06.2017 wird von XXXX, Fachärztin für Orthopädie, nach persönlicher Untersuchung des BF am 21.06.2017, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Z. n. Operation einer nicht verheilten Kahnbeinfraktur links (2013) mit mäßiger Bewegungseinschränkung Fixwert, mäßige Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks

02.06.22

20

2

Wirbelsäule, Z. n. Polytrauma mit Fraktur des 10. Brustwirbelkörpers und Fraktur des Bogens des 7. Halswirbelkörpers mit geringer Bewegungseinschränkung Oberer Rahmensatzwert aufgrund der zweifachen Fraktur (keine Operation erforderlich), nur geringe Bewegungseinschränkung, kein regelmäßiger Schmerzmittelbedarf für die Wirbelsäule

02.01.01

20

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

20 vH

Die Gesundheitsschädigung (GS) 1 sei führend und steigere die GS 2 den Gesamtgrad der Behinderung nicht weiter. Im Vordergrund stehe sicher die neurologische/HNO-Problematik bei Z. n. Verkehrsunfall mit Schädelfrakturen.

2.2. Im von der belangten Behörde eingeholten neurologischen Sachverständigengutachten vom 29.06.2017 wird von XXXX, Fachärztin für Neurologie, nach persönlicher Untersuchung des BF, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Schweres Schädel-Hirn-Trauma am 04.06.2016 mit organischem Psychosyndrom Unterer Rahmensatz bei frontal gefärbtem organischem Psychosyndrom mit Aufmerksamkeitsstörung und Antriebsstörung sowie deutlich erhöhter cerebraler Ermüdbarkeit und Kopfschmerzen

03.03.02

50

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

50 vH

2.3. Im von der belangten Behörde eingeholten augenärztlichen Sachverständigengutachten vom 29.07.2017 wird von XXXX, Fachärztin für Augenheilkunde, nach persönlicher Untersuchung des BF am 28.07.2017, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Bulbustieferstand links, Enophthalmus links, mechan. Diplopie im Gebrauchsblickfeld bei Z. n. Orbitabodenfraktur binokuläre Doppelbilder im 15° Blickfeld

11.01.03

30

2

Verdacht auf traumatische partielle Sehnervenatrophie links bei Z. n. SHT und Orbitabodenfraktur mit Abknickung des N. opticus Spalte 1, Zeile 3-4. Der BF erreicht am rechten Auge die volle Sehschärfe von 1,0 am linken Auge ist die Sehschärfe auf 0,4 reduziert

11.02.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

40 vH

Aufgrund der wechselseitigen Leidensbeeinflussung von Sehschärfenreduktion und dem Auftreten von Doppelbildern im Gebrauchsblickfeld ergebe sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH.

2.4. Am 01.08.2017 erstattete XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, unter Einbeziehung der oben angeführten fachärztlichen Sachverständigengutachten ein Gesamtgutachten und führt im Wesentlichen Folgendes aus:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Z. n. Operation einer nicht verheilten Kahnbeinfraktur links (2013) mit mäßiger Bewegungseinschränkung Fixwert, mäßige Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks

02.06.22

20

2

Wirbelsäule, Z. n. Polytrauma mit Fraktur des 10. Brustwirbelkörpers und Fraktur des Bogens des 7. Halswirbelkörpers mit geringer Bewegungseinschränkung Oberer Rahmensatzwert aufgrund der zweifachen Fraktur (keine Operation erforderlich), nur geringe Bewegungseinschränkung, kein regelmäßiger Schmerzmittelbedarf für die Wirbelsäule

02.01.01

20

3

Schweres Schädel-Hirn-Trauma am 04.06.2016 mit organischem Psychosyndrom Unterer Rahmensatz bei frontal gefärbtem organischem Psychosyndrom mit Aufmerksamkeitsstörung und Antriebsstörung sowie deutlich erhöhter cerebraler Ermüdbarkeit und Kopfschmerzen

03.03.02

50

4

Bulbustieferstand links, Enophthalmus links, mechan. Diplopie im Gebrauchsblickfeld bei Z. n. Orbitabodenfraktur binokuläre Doppelbilder im 15° Blickfeld

11.01.03

30

5

Verdacht auf traumatische partielle Sehnervenatrophie links bei Z. n. SHT und Orbitabodenfraktur mit Abknickung des N. opticus Spalte 1, Zeile 3-4. Der BF erreicht am rechten Auge die volle Sehschärfe von 1,0 am linken Auge ist die Sehschärfe auf 0,4 reduziert

11.02.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

60 vH

Führend sei die GS 3. Die GS 2, die GS 4 und die GS 5 würden in Kombination um eine Stufe steigern, da es sich um Schädigungen handle, die auf das erlittene Polytrauma zurückzuführen seien. Die GS 1 sei leichtgradig ausgeprägt und steigere nicht weiter.

3. Am 18.08.2017 wurde dem BF seitens der belangten Behörde ein bis 01.06.2018 befristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 vH ausgestellt.

4. Gegen diesen Behindertenpass mit Bescheidcharakter erhob der BF fristgerecht per E-Mail die mit 14.09.2017 datierte und am 15.09.2017 bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde. Darin führte er aus, dass der Grad der Behinderung neu festgelegt werden solle. Die Voruntersuchungen seien unzureichend durchgeführt worden. Es sei nicht auf die speziellen Beeinträchtigungen der Behinderung des BF eingegangen worden. Zudem führte der BF aus, dass er Facharztbestätigungen nachreichen werde.

5. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde vorgelegt und langten diese am 03.10.2017 ein.

6. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes ein neurologisches und ein orthopädisches/allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

6.1. Im neurologischen Sachverständigengutachten von XXXX, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 04.06.2018 wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, im Wesentlichen wie folgt ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Polytrauma mit Gehirncontusion, organisches Psychosyndrom Das schwere Schädel-Hirn-Trauma nach Autounfall ging einher mit offener Immpressionsfraktur links frontal, einer Schädelbasisfraktur und einer Parenchymblutung insbesondere links frontal. Im Kieferbereich wurde eine Orbitabodenfraktur links, eine Jochbeinfraktur links und multiple Zahnfrakturen im Ober- und Unterkieferbereich diagnostiziert. Unfallchirurgisch zeigte sich in der Bildgebung eine Bogenfraktur des 7. Halswirbelkörpers, eine Impressionsfraktur des BWK 10 sowie eine dislozierte Fraktur der 3. Rippe rechts und offene Weichteilverletzungen im Kopfhautbereich links ebenso wie im Stirnbereich links und dem linken Ohr. Augenfachärztlich wurde die Diagnose eines Enophthalmus links diagnostiziert, verbunden mit Doppelbildern. Neurologisch wurde ein organisches Psychosyndrom und ein chronisch posttraumatischer Kopfschmerz diagnostiziert. Der BF bezieht derzeit REHA-Geld, weil er körperlich und geistig nicht im Stande sei, die bisherige berufliche Tätigkeit auszuüben. Aus körperlicher Hinsicht würden Müdigkeitsattacken nach Auftreten von starken Kopfschmerzen auftreten, die ein Ausruhen über ein bis zwei Stunden erforderlich machten. In geistig-seelischer Hinsicht sei die Konzentration bei Schreibarbeiten (einschließlich Arbeiten am Computer) deutlich vermindert und würden nur bis zu zwanzig Minuten möglich sein. In geistig-seelischer Hinsicht zeigen sich nach wie vor deutliche Symptome eines organischen Psychosyndroms mit erschwerter Umstellungsfähigkeit, gestörter Aufmerksamkeit, weiters einer verminderten Sprachproduktion, emotionaler Labilität, aber auch Belastungsminderung durch Störung des Antriebs, der Eigeninitiative, der Planung und Problemlösung. Ähnlich und in kurzen Worten beschreibt Fr. XXXX in ihrem Gutachten die Aufmerksamkeitsstörung, Antriebsstörung sowie erhöhte cerebrale Ermüdbarkeit und schätzte den GdB nach der RSP 03.03.02 mit 50 vH ein. Bei der heutigen Untersuchung zeigen sich in den drei durchgeführten psychologischen Tests einerseits Zeichen der Merkfähigkeitsstörung, eine herabgesetzte Konzentration und geminderte Aufmerksamkeit (DemTect 14 von 18 Punkten), anderseits auch eine leicht erniedrigte kristalline Intelligenz (MWT-B-Test = 21 Punkte) und im Persönlichkeitstest Hinweise auf Zwanghaftigkeit und gering histrionische Hinweise, wobei ersteres nicht selten beim posttraumatischen organischen Psychosyndrom zu finden ist. Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung mit den typischen Symptomen einer Intrusion und Flashbacks sowie Hypervigilität lassen sich nicht (mehr) erheben, wie dies im neurochirurgischen Privatgutachten von XXXX diagnostiziert wird. Die Einschätzung erfolgt analog der RSP 03.03.02 mit 50 vH. Eine Analogieeinschätzung ist deshalb notwendig, weil in der EVO die Diagnose eines posttraumatischen organischen Psychosyndroms nicht aufscheint, wiewohl diese Diagnose häufig nach schweren Schädel-Hirn-Traumen gestellt wird und im Zivilgerichtsverfahren häufig zum Tragen kommt (zB. W. XXXX: Das posttraumatische organische Psychosyndrom, Seite 186 f.). Das organische Psychosyndrom beinhaltet regelmäßig sowohl eine kognitive Leistungsminderung mit Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen etc. als auch Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen ("Wesensveränderung" mit Verlangsamung und Bedächtigkeit). Eine derartige Einschätzung des organischen Psychosyndroms ist somit nur analog möglich und beinhaltet in kombinierter Form die RSP 03.03. und 03.04. Der Grad des organischen Psychosyndroms ist als mäßiggradig einzuschätzen (W. XXXX, Seite 186), dies aufgrund einer bereits maßgeblichen Behinderung bei jeder beruflichen Tätigkeit (in der privaten Unfallversicherung mit 30 - 50 %). Ein mittelgradiges organisches Psychosyndrom lässt eine berufliche Wiedereingliederung nicht mehr bzw. nur mehr in Einzelfällen zu.

Analog 03.03.02

50

2

Gehemmt gefärbte Depression Neben den kognitiven sowie Persönlichkeitsstörungen finden sich auch typische affektive Symptome mit geminderter Schwingungsfähigkeit, negativ getönter Befindlichkeit, allgemeinen Anpassungsschwierigkeiten und Überforderungssymptomen, als körperlicher Ausdruck mimische Armut und Verlangsamung. Das Ausmaß der Depression ist beträchtlich einschließlich Zurückgezogenheit (soziale Beeinträchtigung zusätzlich), wobei jedoch keine zusätzliche Medikation eingenommen oder Psychotherapie durchgeführt wird. Die gestörte soziale Integration könnte auch den Grund des fehlenden Wiedereinstiegs in das Berufsleben darstellen, zumal der Grad des organischen Psychosyndroms eine Wiedereingliederung in das Arbeitsleben durchaus noch zuließe. Die Einschätzung wird nach der RSP 03.06.01 oberer Rahmensatz mit 40 vH vorgenommen und erhöht die die Gesamt-GdB um eine Stufe, zumal diese Funktionsstörung zu einer deutlichen Verschlechterung der Gesamtsituation führt.

03.06.01

40

3

Augenstörung links Deutlich zeigt sich weiters ein Enophthalmus links mit der Angabe von Doppelbildern, wobei im augenfachärztlichen Vorgutachten die RSP 11.01.03 mit 30 vH und 11.02.01 mit 10 vH eingeschätzt wurde. Durch die zusätzliche Funktionsstörung des Augenlichtes erhöht sich der Gesamt-GdB um eine Stufe.

11.01.03 11.02.01

30 10

4

Dorsolumbalgie Wiederholte Schmerzen im LWS-Bereich führten zu keinen weitergehenden neurologischen Ausfällen, so dass eine zusätzliche Radikulopathie ausgeschlossen werden kann. Das orthopädische Vorgutachten weist auf nur geringe Bewegungseinschränkung ohne regelmäßigen Schmerzmittelbedarf für die Wirbelsäule hin und schätzt nach der RSP 02.01.01 mit 20 vH ohne Erhöhung des Gesamt-GdB ein.

02.01.01

20

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

70 vH

Zum Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, dass die GS 1 (organisches Psychosyndrom) mit 50 vH führend sei und um je eine weitere Stufe durch die GS 2 aufgrund der ausgeprägten affektiven Störung und durch die GS 3 (Augenstörung links) erhöht werde.

6.2. Im ärztlichen Sachverständigengutachten von XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie, vom 20.07.2018, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF und unter Einbeziehung des neurologischen Sachverständigengutachtens von XXXX vom 04.06.2018, im Wesentlichen wie folgt ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Polytrauma mit Gehirnkontusion, organisches Psychosyndrom, schwere Schädelverletzungen Übernahme aus dem rezenten Facharztgutachten von XXXX

03.03.02

50

2

Gehemmt gefärbte Depression Übernahme aus dem rezenten Facharztgutachten von XXXX

03.06.01

40

3

Augenstörung links mit Enophthalmus links und Doppelbildern und Bulbustieferstand links, Verdacht auf traumatische partielle Sehnervenatrophie links Übernahme aus dem rezenten Facharztgutachten von XXXX, keine Veränderung seit dem augenfachärztlichen Gutachten XXXX (07/17).

11.01.03 11.02.01

30 10

4

Dorsolumbalgie, Zustand nach Bruch des 10. Brustwirbelkörpers und des Bogens des siebenten Halswirbelkörpers, Zustand nach konservativer Behandlung Oberer Rahmenwert bei geringgradigeren Bewegungs-einschränkungen Unverändert zum rezenten Facharztgutachten von XXXX

02.01.01

20

5

Zustand nach Operation einer nicht verheilten Kahnbeinfraktur links (2013) mit mäßiger Bewegungseinschränkung Oberer Rahmensatzwert bei intermittierenden Restbeschwerden und geringgradiger Bewegungseinschränkung

02.06.22

20

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

70 vH

Die GS 1 sei führend, weil sie die Schwerwiegendste sei. Die GS 2 stehe in einem eindeutigen Zusammenhang mit der führenden Gesundheitsschädigung und steigere deshalb um eine Stufe. Auch die GS 3 stehe in einem klaren Zusammenhang mit der führenden Gesundheitsschädigung und steigere um eine weitere Stufe. Die GS 4 und die GS 5 seien zu geringfügig ausgeprägt um weiter steigern zu können.

Die oben angeführten Gesundheitsschädigungen stellen einen Dauerzustand dar, eine wesentliche Besserung sei nicht zu erwarten.

7. Dem BF und der belangten Behörde wurde das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 27.07.2018 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.

7.1. Eine Stellungnahme wurde dazu seitens der Verfahrensparteien nicht übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF hat einen Wohnsitz im Inland.

Beim BF liegen folgende behinderungsrelevante Funktionseinschränkungen vor:

? Polytrauma mit Gehirnkontusion und organisches Psychosyndrom (Grad der Behinderung: 50%)

? Gehemmt gefärbte Depression (Grad der Behinderung: 40%)

? Augenstörung links (Grad der Behinderung: 40%)

? Dorsolumbalgie und Zustand nach Bruch des 10. Brustwirbelkörpers und des Bogens des siebenten Halswirbelkörpers, nach durchgeführter konservativer Behandlung (Grad der Behinderung: 20%)

? Zustand nach Operation einer nicht verheilten Kahnbeinfraktur links mit mäßiger Bewegungseinschränkung (Grad der Behinderung: 20%)

Im Vordergrund des Gesamtleidenszustandes des BF stehen das Polytrauma mit Gehirnkontusion und das organische Psychosyndrom mit einem Grad der Behinderung von 50%. Die gehemmt gefärbte Depression steht in einem eindeutigen Zusammenhang dazu und steigert den Gesamtgrad der Behinderung um eine Stufe. Auch die Augenstörung steht in einem klaren Zusammenhang zum Polytrauma und steigert den Gesamtgrad der Behinderung auf 70 %. Die weiteren vorliegenden Gesundheitsstörungen sind zu gering ausgeprägt um den Gesamtgrad der Behinderung zu steigern.

Der Gesamtgrad der Behinderung des BF beträgt somit 70 von Hundert.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zum Wohnsitz des BF ergibt sich aus einem eingeholten Datenauszug des Zentralen Melderegisters und einer vorgelegten Meldebestätigung bei der Antragstellung.

Die eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 04.06.2018 und von XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie, vom 20.07.2018, sind schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Leiden des BF, deren Ausmaß und deren Wechselwirkungen zueinander ausführlich eingegangen. Die Einschätzungen der vorliegenden Gesundheitsschädigungen darin bezüglich des Grades der Behinderung erfolgten entsprechend der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt und nachvollziehbar. Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen darauf.

Im Vergleich zu den Vorgutachten, welche dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegen, konnte nunmehr aufgrund des Sachverständigengutachtens von XXXX eine Depression mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 40 % festgestellt werden.

Dass die vorliegende Augenstörung am linke Auge insgesamt mit einem Grad der Behinderung von 40% bewertet ist, ergibt sich den augenfachärztlichen Sachverständigengutachten von XXXX vom 29.07.2017, welches seitens der belangten Behörde eingeholt wurde. Eine Änderung bezüglich des Augenleidens wurde nicht vorgebracht.

Insgesamt konnte aus den vorliegenden Sachverständigengutachten ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 von Hundert objektiviert werden.

Der Inhalt der Sachverständigengutachten wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Eine Stellungnahme wurde dazu weder vom BF noch von der belangten Behörde erstattet. Die Sachverständigengutachten vom 04.06.2018 und vom 20.07.2018 blieben somit im gegenständlichen Beschwerdeverfahren unbestritten.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen somit keinerlei Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX und XXXX. Die Gutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 VwGVG).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idgF) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.

Gegenständlich wurde keine mündliche Verhandlung beantragt. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen. Insbesondere wurde den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, die je auf einer persönlichen Untersuchung des BF basieren, im Rahmen des gewährten schriftlichen Parteiengehörs weder von der belangten Behörde noch vom BF widersprochen. Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der GRC nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist;

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen;

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten;

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970 idgF, angehören.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 leg. cit. genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz,

BGBl. I Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 idgF) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen;

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß § 45 Abs. 1 BBG nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Wie oben unter Punkt II.2 ausgeführt wurde, werden der gegenständlichen Entscheidung die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten, als nachvollziehbar und widerspruchfrei gewerteten Sachverständigengutachten von XXXX und XXXX zu Grunde gelegt.

Alle Gesundheitsschädigungen des BF wurden in den vorliegenden Sachverständigengutachten berücksichtigt; für jedes einzelne behinderungsrelevante Leiden wurde ein Grad der Behinderung nach der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt.

Die Gesamteinschätzung ist auch unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen (vgl. VwGH 19.11.1997, Zl. 95/09/0232; 04.09.2006, Zl. 2003/09/0062). Demnach konnte ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 vH festgestellt werden.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, (weiterhin) erfüllt.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Behindertenpass spruchgemäß insofern abzuändern, dass der Grad der Behinderung 70 von Hundert beträgt.

3.2. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G303.2172255.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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