TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/3 W183 2195780-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.12.2018
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Entscheidungsdatum

03.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W183 2195780-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, vertreten durch RA Edward DAIGNEAULT, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2018, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF) stellte am 08.10.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 10.04.2018 wurde BF von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab BF als Fluchtgrund im Wesentlichen an, sie sei zwar somalische Staatsangehörige, jedoch in Äthiopien geboren und dort aufgewachsen. Ihre Eltern seien von äthiopischen Soldaten getötet worden, auch die BF sei von denselben Soldaten misshandelt und geschlagen worden. Sie habe keinen Kontakt zu ihren weiteren Familienangehörigen (Geschwister, Onkel, Tanten), die alle außerhalb Somalias leben würden (Äthiopien bzw. Südafrika). BF sei noch nie in Somalia gewesen. Die Eltern der BF seien von der äthiopischen Regierung getötet worden. Danach sei es für die BF in Äthiopien nicht mehr sicher gewesen. Sie sei Angehörige der Ogaden und ledig.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 17.04.2018) wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Das BFA stellte der BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3. Mit Schriftsatz vom 15.05.2018 (am selben Tag bei der belangten Behörde eingebracht) erhob die BF durch ihre Vertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe nicht ausgeführt, warum sie BF nicht glaube. Weiters habe sie übersehen, dass BF in Somalia als alleinstehende, schutzlose Frau verfolgt würde.

4. Mit Schriftsatz vom 16.05.2018 (eingelangt am 18.05.2018) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.11.2018 eine Strafregisterabfrage durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

BF ist eine volljährige somalische Staatsangehörige muslimischen Glaubens und Angehörige des Minderheitenclans der Ogaden.

BF stellte am 08.10.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. BF wurde in Äthiopien geboren und wuchs dort auf, sie war noch nie in Somalia. BF ist ledig, alleinstehend und ohne (männlichen) Schutz.

1.2. Zu den Familienangehörigen der BF im Herkunftsstaat

Die Eltern der BF sind verstorben, die weiteren Familienangehörigen (Geschwister, Onkel, Tanten) der BF leben außerhalb Somalias. Die BF hat keine Familienangehörigen in Somalia. Die BF hat keine anderen Familienangehörigen oder andere (männliche) Bezugspersonen in Somalia.

Es wird festgestellt, dass die BF in Somalia auf kein verlässliches, stabiles familiäres Netzwerk, das ihr ausreichenden Schutz bieten würde, zurückgreifen kann.

1.3. Zum Fluchtvorbringen

BF ist eine junge, alleinstehende Frau, war noch nie in Somalia und hat dort keinerlei Kontakte.

Es wird festgestellt, dass BF in Somalia kein Schutz durch männliche Verwandte, ihren Clan oder von staatlicher Seite zur Verfügung steht.

Eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr ist damit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Somalia gegeben. Die BF gehört in Somalia der Gruppe der alleinstehenden Frauen an, denen geschlechtsspezifische Gewalt droht.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Süd-/Zentralsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden (ÖB 09.2016). (vgl. LIB 2018-1 S. 50, ebenso LIB 2018-2 S. 56)

In Mogadischu und anderen urbanen Gebieten unter Kontrolle der Regierung und ihrer Alliierten können die Behörden schutzwillig sein, jedoch sind sie meist nicht in der Lage, einen effektiven Schutz zu gewährleisten (UKHO 07.2017). (vgl. LIB 2018-1 S. 59, ebenso LIB 2018-2 S. 65)

Die Lage von Frauen und Mädchen ist weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität nicht gewährleistet. (AA 01.01.2017) (vgl. LIB 2018-1 S. 95 und ebenso LIB 2018-2 S. 101)

Häusliche (USDOS 03.03.2017; vgl. AA 01.01.2017, ÖB 09.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem und weit verbreitet (UNSC 05.09.2017), besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 09.2016; vgl. USDOS 03.03.2017, UNSC 05.09.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen (USDOS 03.03.2017). (vgl. LIB 2018-1 S. 96 und ebenso LIB 2018-2 S. 101f.)

Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (AA 01.01.2017; ÖB 09.2016; USDOS 03.03.2017). Meist werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 03.03.2017; vgl. UNHRC 06.09.2017). Von staatlichem Schutz - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - kann nicht ausgegangen werden (HRW 12.01.2017, vgl. ÖB 09.2016). Grundlage für eine Eheschließung ist die Scharia, Polygamie und Ehescheidung sind somit erlaubt (ÖB 09.2016). Al Shabaab setzt gezielt sexualisierte Gewalt als Taktik im bewaffneten Konflikt ein (AA 01.01.2017) (vgl. LIB 2018-1 S. 96f., vgl. ebenso LIB 2018-2 S. 102ff.)

Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Das patriarchalische Clansystem und xeer bieten Frauen keinen Schutz. (SEM 31.5.2017). Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017). (vgl. LIB 2018-1 S. 96f., ebenso LIB 2018-2 S. 102)

Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männer und werden systematisch benachteiligt (USDOS 03.03.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in vielen Bereichen, vor allem Gesundheit, Beschäftigung und Arbeitsmarktbeteiligung (ÖB 09.2016). (vgl. LIB 2018-1 S. 98, ebenso LIB 2018, S. 104)

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 09.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 03.03.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich (HRW 12.01.2017). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 03.03.2017). IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind sehr vulnerabel und von Unterstützung abhängig (HRW 12.01.2017). (vgl. LIB 2018-1 S. 115, vgl. ebenso LIB 2018-2 S. 120f.)

Eine schwache Person mit wenigen Ressourcen ist auf die Unterstützung von Angehörigen, Verwandten oder einem engen Netzwerk angewiesen, um Unterkunft und Einkünfte zu erlangen (DIS 09.2015). Eine übersiedelnde Person wird sich in einem IDP-Lager wiederfinden und sich keinen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie in einer Stadt weder über Kern- oder erweiterte Familie mit entsprechenden Ressourcen verfügt (DIS 09.2015; vgl. UKUT 05.11.2015) noch auf Rimessen zurückgreifen kann. (vgl. LIB 2018-1 S. 129f., ebenso LIB 2018-2 S. 135f.)

Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut, leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion und sind auch überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 03.03.2017). (vgl. LIB 2018-1 S. 87f., ebenso LIB 2018-2 S. 93)

1.5. BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund verwirklicht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 12.01.2018 ("LIB 2018-1") bzw. dasselbe LIB vom 12.01.2018, jedoch aktualisiert am 17.09.2018 ("LIB 2018-2") mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten und der Strafregisterauszug vom 27.11.2018.

2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und den Familienangehörigen der BF in Somalia

Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF betreffend ihre Person (Staatsangehörigkeit, Religion, Clanzugehörigkeit, Herkunft und Familienstand) sowie die Familienverhältnisse für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machte. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Auch wenn die BF in Äthiopien geboren und aufgewachsen ist, hat sie dennoch aufgrund der somalischen Staatsangehörigkeit ihrer Eltern dieselbe erworben und haben sich keine Zweifel an ihrer somalischen Staatsangehörigkeit ergeben. Die belangte Behörde hat die somalische Staatsangehörigkeit der BF auch bereits festgestellt und ihrem Bescheid zugrunde gelegt - ebenso wie dass die BF ledig sei, in Äthiopien geboren und aufgewachsen sei, Angehörige der Ogaden sei, in Somalia keine Familienangehörige habe, noch nie in Somalia aufhältig gewesen sei und in Somalia weder familiäre, soziale noch wirtschaftliche Anknüpfungspunkte habe. Für das Bundesverwaltungsgericht haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, von diesen Feststellungen abzugehen.

Die Feststellung, wonach die BF alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist, ergibt sich aus deren glaubwürdigem Vorbringen. BF hat gleichbleibend angegeben, dass ihr Vater verstorben sei, sie keinen Kontakt zu ihren Brüdern oder ihrem Onkel habe, sie alleinstehend sei und sie von keinen anderen männlichen Verwandten in Somalia Schutz zu erwarten habe, da ihre übrige Familie außerhalb Somalias lebt. Daraus ergibt sich auch die Feststellung, dass sie auf kein familiäres Netzwerk zurückgreifen könnte.

2.2.2. Zum Fluchtvorbringen

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF auch betreffend ihr Fluchtvorbringen für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren klar auf die an sie gerichteten Fragen antwortete. Es ist nachvollziehbar, dass die BF bei einer Rückkehr nach Somalia ernstlich Gefahr liefe, geschlechtsspezifische Verfolgung oder sexualisierte Gewalt zu erleiden.

Abgesehen von der individuell glaubwürdig vorgebrachten Verfolgungsgefahr ist eine drohende Verfolgung insbesondere vor dem Hintergrund der festgestellten aktuellen Situation im Herkunftsstaat objektiv wahrscheinlich. Frauen und Mädchen sind systematischer sexueller Gewalt ausgesetzt. Staatlicher Schutz ist nicht gewährleistet und sind insbesondere alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz oder Minderheitenangehörige besonders vulnerabel. Frauen werden im Vergleich zu Männern systematisch benachteiligt und schwer ausgegrenzt. Darüber hinaus sind Binnenvertriebene oder IDPs, wie die BF im Fall ihrer Rückkehr mangels familiärer Unterstützung eine wäre, extrem vulnerabel und von (sexueller) Gewalt besonders betroffen. Personen mit wenigen Ressourcen sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen, auf diese kann BF jedoch nicht zurückgreifen.

2.2.3. Zur Situation in Somalia:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 12.01.2018 ("LIB 2018-1") bzw. im selben LIB vom 12.01.2018, jedoch aktualisiert am 17.09.2018 ("LIB 2018-2") wiedergegebenen und zitierten Berichten. Hinsichtlich der Länderfeststellungen hat ein Vergleich der beiden genannten Versionen des Länderinformationsblatts ergeben, dass bei den für den gegenständlichen Fall relevanten Informationen - insbesondere hinsichtlich der Situation von Frauen und Mädchen, Minderheiten und IDPs - zwar die Quellen aktualisiert wurden, der Inhalt aber gleichgeblieben ist. Bereits die belangte Behörde hat diese Länderinformationen ihrem Bescheid zugrunde gelegt bzw. diese festgestellt.

Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. All diese Dokumente sind dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl amtsbekannt. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Länderfeststellungen ergeben sich aus folgenden Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (01.01.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

DIS - Danish Immigration Service (09.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 02-12 May 2015

HRW - Human Rights Watch (12.01.2017): World Report 2017 - Somalia

NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (09.2016): Asylländerbericht Somalia

SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.05.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten

UKHO - UK Home Office (07.2017): Country Policy and Information Note Somalia (South and Central): Fear of Al Shabaab

UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (05.11.2015): AAW (expert evidence - weight) Somalia v. Secretary of State for the Home Department, [2015] UKUT 00673 (IAC)

UNHRC - UN Human Rights Council (06.09.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia

UNSC - UN Security Council (05.09.2017): Report of the Secretary-General on Somalia

USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia

2.2.4 Die Feststellungen, dass BF in Österreich strafrechtlich unbescholten ist und keinen Asylausschlussgrund verwirklicht hat, ergeben sich aus dem Strafregisterauszug vom 27.11.2018, wonach BF unbescholten ist sowie daraus, dass keine Asylausschlussgründe hervorgekommen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. zu A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." Das ist im gegenständlichen Fall zweifellos Somalia, da die BF somalische Staatsangehörige ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft.

Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).

3.1.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die BF glaubhaft darlegen konnte, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure drohen würde. Glaubhaft ist die drohende Verfolgung aufgrund der im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründeten persönlichen Glaubwürdigkeit der BF sowie der vor dem Hintergrund der Länderberichte gegebenen objektiven Plausibilität ihres Vorbringens. BF würde als alleinstehende Rückkehrerin, die auf kein Netzwerk zurückgreifen kann und zusätzlich einer Minderheitengruppe angehört, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifische Gewalt drohen, wie sich aus den Länderberichten ergibt. Aus den Länderberichten ergibt sich auch, dass die somalische Gesellschaft zutiefst patriarchalisch ausgerichtet ist und Frauen schwer diskriminiert werden und Gewalt ausgesetzt sind. Mangelnder Schutz durch den Clan oder männliche Familienangehörige (als Ersatz für den inexistenten staatlichen Schutz) erhöht dieses Risiko.

Die BF ist eine junge, alleinstehende somalische Frau. Weiters gehört sie einer Minderheitengruppe an. Im Falle ihrer Rückkehr könnte sie auf keinerlei Verwandten- bzw. Clanschutz oder sonstiges soziales Netz zurückgreifen, das ihr Unterstützung bieten könnte. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass BF aufgrund dessen im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen wäre. Schutz durch den Staat ist, wie sich aus den Länderberichten ergibt, nicht zu erwarten. BF droht damit geschlechtsspezifische oder andere Gewalt von hoher Intensität.

Bei den Verfolgern handelt es sich um nichtstaatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Angesichts der Berichtslage bzw. der nur äußerst schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen in Somalia kann nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig und schutzwillig wären, um die die BF treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden.

Im Ergebnis ist es objektiv nachvollziehbar, dass BF im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

3.1.3. Zu der Frage, ob für die BF eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ergibt sich aus den Länderberichten, dass für alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben ist. Die BF hat daher keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sie wie festgestellt alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist. Sie kann sich der Verfolgungsgefahr (bzw. der Gefahr, aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften als alleinstehende, schutzlose Frau geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein) auch nirgendwo in Somalia entziehen. Die Länderberichte für Somalia beschreiben die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen auch als besonders schlecht, was eine innerstaatliche Fluchtalternative erheblich erschwert.

Außerdem ist auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon auszugehen, dass der BF mangels hinreichender Sachverhaltsänderung eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.1.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG 2005 ergeben haben, kommt das Bundesverwaltungsgericht nach dem oben Gesagten somit abschließend zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde stattzugeben und der BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen war. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war diese Entscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass der BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die belangte Behörde hat in den Länderfeststellungen in ihrem Bescheid selbst auf die prekäre, von Gewalt bedrohte Lage alleinstehender Frauen Bezug genommen. Die Behörde hat diese Feststellungen lediglich rechtlich falsch beurteilt.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schließlich war auch eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, soziale Gruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2195780.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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