TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/25 W262 2187908-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2018
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Entscheidungsdatum

25.10.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W262 2187908-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 13.02.2018, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 28.12.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und legte ein Konvolut an medizinischen Unterlagen und Befunden vor.

2. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 07.02.2018 erstatteten - Gutachten vom 12.02.2018 wurde auszugsweise Folgendes festgehalten:

"...

Derzeitige Beschwerden:

Ich komme wegen dem Finanzamt wegen der Diätkostenbefreiung aufgrund meines Diabetes mellitus. Zusätzlich habe ich mich erkundigt wegen meiner Perücke, weil ich unter Haarausfall leide, welcher schleichend war. 2016 wurde dann ein Lichen planopilaris diagnostiziert, das ist ein vernarbter Haarausfall. Die Haare, die mir ausfallen, wachsen nicht mehr nach. Auch sind meine Wimpern und Augenbrauen weg. Auch meine Achselbehaarung ist mittlerweile fehlend. Auch wurde im Jahr 1995 mein Diabetes diagnostiziert.

...

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus mittlerer Rahmensatz, da mittels oraler Medikation zufriedenstellende Blutzuckerwerte erzielt werden können.

09.02.01

20

2

Lichen planopilaris

01.01.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 20 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Der führende GdB unter der Position 1 wird durch Leiden 2 nicht erhöht, da keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

...

Dauerzustand.

..."

3. Mit Bescheid vom 13.02.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG ab, da die Beschwerdeführerin mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 20 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des durchgeführten Begutachtungsverfahrens seien dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom 12.02.2018 zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde und als Beilage des Bescheides der Beschwerdeführerin übermittelt wurde.

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 20.02.2018 fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, dass während der Untersuchung mehr auf ihr körperliches Befinden als auf den Diabetes eingegangen worden sei. Da der Lichen Planopilaris gänzlich ignoriert worden sei, ersuchte die Beschwerdeführerin um eine neue Untersuchung.

5. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 02.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines bisher nicht befassten Arztes für Allgemeinmedizin ein. In diesem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erstellten Gutachten vom 28.05.2018 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (ergänzt um die entsprechenden Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

"...

Derzeitige Beschwerden:

Die Partei klagt, dass sie unter Haarverlust leide, vor allem seitlich seien sie komplett ausgegangen, seit 2010 seien die Haare so stark ausgefallen, begonnen habe es schon vor 1995, die Kopfhaut sei kaum mehr bedeckt. Es wurde ihr gesagt, dass dies eine Immunschwäche sei. In der Zwischenzeit habe sie keine Körperbehaarung mehr bis auf die Schambehaarung und die Nägel würden einreißen.

2000 habe sie von einem Polizeiarzt noch 50% zuerkannt bekommen gehabt.

‚Wenn sie von der Herabsetzung gewußt hätte, wäre sie gar nicht ins Amt gekommen.'

Sie habe nur noch 10% von dem was früher war, da hatte sie sich sogar im Sommer die Haare von einem Friseur abschneiden lassen müssen wegen dem Schwitzen. Sie hätte eine Perücke, diese aber jetzt nicht mit zur Untersuchung genommen.

Resochin nehme sie nicht, da bei den Nebenwirkungen epileptische Anfälle notiert sind.

Seit einem Jahr schmerze die linke Schulter, jetzt die rechte, war ja nach der Operation gebessert. Auch schmerzen in letzter Zeit die Kniegelenke.

...

Beurteilung:

1. Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung:

1. Lichen planopilaris 010102 30

Heranziehung dieser Position mit dem mittleren Rahmensatz, da diffuser Haarausfall mit Perückenerfordernis.

2. Diabetes mellitus Typ II 090201 20

Heranziehung dieser Position mit dem mittleren Rahmensatz, da weitgehend ausgeglichene Blutzuckereinstellung durch regelmäßige Medikamenteneinnahme gewährleistet ist.

3. Arterieller Bluthochdruck 050101 10

Fixer Rahmensatz.

2. Gesamteinschätzung (Einschätzung und Begründung des Gesamt-GdB, wobei auch auf eine allfällige Erhöhung durch wechselseitige Leidensbeeinflussung eingegangen werden möge):

Gesamtgrad der Behinderung 30 v.H., da Leiden 2 und 3 nicht weiter erhöhen, weil keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht.

3. Stellungnahme, ab wann der GdB anzunehmen ist:

Der GdB ist ab Antrag anzunehmen - 28.12.2017

4. und 5. Stellungnahme (Ausführliche fachspezifische Stellungnahme zu den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen und Befunden und ausführliche fachspezifische Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde):

Aufgrund der klinischen Untersuchung und den vorgelegten Befunden (Abl. 2-7 und im Rahmen der Anamnese neu vorgelegten Befunde) ist das Vollbild eines Lichen planopilaris (vernarbender Haarausfall) bestätigt und somit eine höhere Einstufung gerechtfertigt, insbesondere da Perückenerfordernis vorliegt.

Insofern wird den Einwendungen der Beschwerde (Abl. 18) entsprochen. Der Diabetes mellitus ist richtsatzgemäß eingestuft, ein Zustand nach akuter Pankreatitis vor mehr als 20 Jahren, ein Zustand nach erfolgreicher Brustverkleinerungsoperation und Tubenligatur erreicht keinen Grad der Behinderung. Ein arterieller Bluthochdruck wird nunmehr erstmalig berücksichtigt.

6. Begründung der abweichenden Beurteilung:

Die Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zum angefochtenen Sachverständigengutachten vom 10.2.2018 ergibt sich durch den progredienten, irreversiblen Haarausfall mit Perückenerfordernis.

7. Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich, da Dauerzustand."

7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.06.2018 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen drei Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt wird. Soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordere, werde das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auf Basis der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erlassen.

Beide Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 28.12.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Lichen planopilaris mit diffusem Haarausfall und Perückenerfordernis;

2) Diabetes mellitus Typ II mit weitgehend ausgeglichener Blutzuckereinstellung durch regelmäßige Medikamenteneinnahme;

3) Arterielle Hypertonie.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 30 v. H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaßes, wechselseitiger Leidensbeeinflussung und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 28.05.2018 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Einbringung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung und die festgestellten Funktionseinschränkungen gründen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 28.05.2018. Darin wird auf die Leiden der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.

Vom befassten Sachverständigen wurden sowohl die im verwaltungsbehördlichen Verfahren, als auch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Befunde einbezogen, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtung festgestellt werden konnte.

Der vorliegende Sachverständigenbeweis vom 28.05.2018 wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als schlüssig erachtet. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise unter I.6 wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten dazu verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung korrekt eingestuft.

Führendes Leiden 1 der Beschwerdeführerin ist der Lichen planopilaris, welcher vom befassten Arzt für Allgemeinmedizin - anders als im Vorgutachten - der Positionsnummer 01.01.02 der Anlage zur Einschätzungsverordnung mit einem mittleren Rahmensatz von 30 v. H. zugeordnet wurde. Relevant bei Funktionseinschränkungen der Haut sind u.a. die Art, Ausdehnung, Lokalisation, Rezidivquote, Rezidivneigung, Chronizität, Begleiterscheinungen und die Notwendigkeit wiederholter stationärer Behandlungen. Der Sachverständige begründet nachvollziehbar, dass es sich nicht bloß um eine leichte Form handelt, die weitgehend begrenzt, bis zu zweimal im Jahr für wenige Wochen auftritt und therapeutisch gut beherrschbar ist (Positionsnummer 01.01.01), sondern dass ein fortschreitender vernarbender Haarausfall mit Perrückenerfordernis nunmehr durch Befundvorlage objektiviert wurde und insofern eine höhere Einstufung als im Vorgutachten zu erfolgen hat.

Weiters wurde der Diabetes mellitus korrekt (und unverändert zum Vorgutachten) der Positionsnummer 09.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung mit einem mittleren Rahmensatz von 20 v.H. zugeordnet, da die Beschwerdeführerin durch regelmäßige Medikamenteneinnahme eine ausgeglichene Blutzuckereinstellung aufweist.

Neu erfasst wurde im allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten unter der Positionsnummer 05.01.01 ein leichter arterieller Bluthochdruck und mit dem dafür vorgesehenen fixen Rahmensatz von 10 v.H. eingeschätzt.

Der Gesamtgrad der Behinderung wurde im Sachverständigengutachten schlüssig damit begründet, dass Leiden 1 durch Leiden 2 und 3 mangels ungünstiger wechselseitiger Leidensbeeinflussung nicht erhöht wird.

Die Beschwerdeführerin, der es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl die getroffenen Einschätzungen des Sachverständigen zu entkräften, ist dem Sachverständigengutachten vom 28.05.2018 nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

Sie hat zu diesem Gutachten im Rahmen des Parteiengehörs auch nicht mehr Stellung genommen.

Es wurde somit weder durch entsprechend aussagekräftige Befunde noch durch ein substantiiertes Vorbringen der Beschwerdeführerin aufgezeigt, dass eine höhere Einschätzung ihrer Leiden hätte erfolgen müssen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 28.05.2018. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu Spruchteil A) Abweisung der Beschwerde

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

3.4. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023).

Diesen von der Judikatur (und von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen ist das Gutachten des Sachverständigen - sowohl hinsichtlich der Einschätzung der vorliegenden Funktionseinschränkungen als auch hinsichtlich der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung - nachgekommen.

3.5. Wie oben eingehend ausgeführt, wird der Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 28.05.2018 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin nunmehr 30 v. H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen in der Beschwerde nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften, zumal im Parteiengehör dazu keine Stellungnahme mehr erfolgte.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt 30 v.H. beträgt.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind jedoch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

3.6. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

3.6.1. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, entgegenstehen.

3.6.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Die Verfahrensparteien stellten keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das eingeholte Sachverständigengutachten vom 28.05.2018 wurde schließlich von den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs unwidersprochen zur Kenntnis genommen. Vor dem Hintergrund dieses schlüssigen, auch von der Beschwerdeführerin letztlich nicht mehr bestrittenen Sachverständigenbeweises, ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt als geklärt anzusehen, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. All dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3.6.3. Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihr seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass - sollte sie eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen - eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Die Beschwerdeführerin hat sich daraufhin nicht mehr geäußert.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an die Beschwerdeführerin und der ihr explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung kann die unterbliebene Antragstellung vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W262.2187908.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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