TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/4 W191 2196959-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2018
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Entscheidungsdatum

04.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W191 2196959-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2018, Zahl 1100769507-152066145, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Die Spruchpunkte II., IV. bis V. und VII. des angefochtenen Bescheides werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), Frau XXXX, geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX, geboren am XXXX (BF2), und ihre gemeinsame minderjährige Tochter XXXX, geboren am XXXX (BF3; der Sohn XXXX, BF4, wurde erst am XXXX in Österreich geboren), afghanische Staatsangehörige, reisten irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten am 28.12.2015, die minderjährige BF3 vertreten durch ihre Eltern, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF am 20.12.2015 in Chios (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden waren.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 09.05.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Kufstein AGM (Ausgleichsmaßnahmen) gaben die BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

Sie seien Angehörige der Volksgruppe der Araber, sunnitische Moslems und miteinander verheiratet. Sie stammten aus XXXX, Kunduz, Afghanistan. Der BF2 hätte fünf Jahre die Schule besucht und als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Die BF machten detaillierte Angaben zu ihrer Reise. Sie hätten zuletzt sechs Monate im Iran gelebt. Ihre meisten Familienangehörigen hätten Afghanistan verlassen und im Iran gelebt, seien nunmehr aber auch als Asylwerber in Österreich bzw. Deutschland aufhältig.

Als Fluchtgrund gaben sie Krieg und Unruhen bei ihnen in der Umgebung an. Im Afghanistan hätten sie nichts mehr.

Dies Aussagen der BF1 erschließen sich durch deren Wiedergabe im angefochtenen Bescheid; die Niederschrift über ihre Erstbefragung liegt dem Verwaltungsakt nicht ein.

1.3. Am 14.11.2016 wurde der BF2 gemeinsam mit einem anderen Asylwerber in betrunkenem Zustand bei einer Straftat betreten (versuchter Einbruchsdiebstahl in einer Kirche durch Aufzwängung eines Tabernakels) und vom Landesgericht Linz mit Urteil vom 14.03.2017, 026 HV 15/2017a, rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, sowie zur Wiedergutmachung des verursachten Sachschadens von jeweils 100 Euro verurteilt.

1.4. Am XXXX wurde XXXX (BF4) als gemeinsamer Sohn von BF1 und BF2 in Leoben geboren. Seine Eltern stellten am 08.02.2016 für ihn ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren und wurden dazu am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

1.5. Bei ihrer Einvernahme am 08.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari (BF1) bzw. Farsi (BF2), bestätigten die BF die Richtigkeit ihrer bisher gemachten Angaben, korrigierten jedoch ihre bei der Erstbefragung unzutreffend aufgenommenen Geburtsdaten (BF1:

geboren XXXX, umgerechnet XXXX; BF2: XXXX, umgerechnet XXXX). Die Geburtsdaten wüssten sie von Großvater bzw. Vater.

Sie legten Tazkiras (afghanische Personaldokumente) sowie Belege zu ihrer Integration vor. Verwandte hätten ihnen diese nachgeschickt. Der BF2 legte Ausbildungsnachweise vor.

Die BF1 sei im Heimatort geboren und aufgewachsen und habe bis zu ihrer Hochzeit bei ihren Eltern gelebt. Sie habe die Schule und drei Jahre die Koranschule besucht.

Der BF2 stamme aus demselben Dorf, habe aber ab seinem siebten Lebensjahr gemeinsam mit seinem Onkel im Iran gelebt, wo er zuletzt als Fliesenleger gearbeitet habe. Mit 24 Jahren sei er nach Afghanistan zurückgekehrt und habe seine (verlobte) Ehefrau am 05.05.2013 geheiratet. Sie hätten nach zwei Jahren Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen und seien für sechs Monate in den Iran gezogen, von wo sie nach Europa aufgebrochen seien.

Die BF machten übereinstimmende Angaben zu den ihnen gestellten Fragen zu ihren Lebensumständen.

Befragt nach ihren Fluchtgründen, schilderte die BF1 ausführlich die Lage der Frauen in Afghanistan, und dass diese dort nicht selbstbestimmt leben könnten. Sie wolle so wie Österreicherinnen auch Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, zu lernen und einen Beruf auszuüben, haben. Von ihrem Mann sei sie sehr gut behandelt worden.

Die BF1 erzählte weiters von ihren beachtlichen Bemühungen um eine Integration in Österreich. Sie sei mit Dienstleistungsscheck erwerbstätig, backe mit Bekannten Kuchen, habe bereits die Deutsch-Prüfung A2 abgelegt und passe auf ihre Kinder auf. Sie besuche die Bücherei, gehe gemeinsam Spazieren, Schwimmen und Radfahren. In dieser Zeit passe ihr Mann auf die Kinder auf.

Der BF2 wies nicht so gute Deutschkenntnisse auf (besuchte derzeit den Kurs A1), belegte jedoch die Ableistung freiwilliger ehrenamtlicher Arbeiten für die Gemeinde. Er habe einen Onkel väterlicherseits in Klagenfurt, aber nur sehr losen Kontakt zu ihm.

Befragt zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung gab der BF2 an, er sei schuldig und habe dies auch zugegeben, habe aber nichts mitgenommen und sei betrunken gewesen; er habe mit einem Kurden Alkohol getrunken. Jetzt trinke er keinen Alkohol mehr. Die BF1 gab zu diesem Vorfall befragt an: "Wir hatten Nachbarn, mit welchen er getrunken hat. Gott sei Dank sind die Nachbarn nicht mehr da. Ich habe ihm meine Meinung gesagt und er entschuldigte sich und bereut es."

1.6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit weitgehend gleichlautenden Bescheiden vom 24.04.2018 die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 28.12.2015 (BF1, BF2 und BF3) bzw. 08.02.2016 (BF4) gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidungen in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden ihnen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte V. und VI.).

Gegen den BF2 wurde zudem in Spruchpunkt VII. gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, sie hätten eine Verfolgung im Sinne des AsylG weder geltend noch glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Die BF würden nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG erfüllen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wären. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Subsidiärer Schutz wurde nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in der volatilen Provinz Kunduz zwar gegeben sei, es sei den BF jedoch "durchaus zumutbar, sich in einer sicheren Gegend wie Kabul niederzulassen [...]".

Die Erlassung eines Einreiseverbotes gegen den BF2 wurde damit begründet, dass gemäß § 53 Abs. 1 FPG mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein solches erlassen werden könne. Dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde, sei gemäß § 53 Abs. 2 insbesondere anzunehmen, wenn der BF [mit] einer primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft worden sei. Dies liege hier vor. Das BFA kam in einer Gesamtbeurteilung des Verhaltens des BF2 während seines Aufenthaltes in Österreich zum Ergebnis, dass von ihm eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe.

1.7. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit Schreiben ihres zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters vom 23.05.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF durchgehend wahrheitsgemäße Angaben gemacht und kein Fluchtvorbringen erfunden hätten. Im Iran hätte ihnen die Abschiebung nach Afghanistan gedroht. Dort aber sei das Leben für Frauen voller Zwänge und Ängste, es gebe keine Bewegungsfreiheit und kein Recht auf Ausbildung. Die Annahme einer Fluchtalternative in Kabul sei nicht rechtens, die Lage sei zu gefährlich.

Verwiesen wurde auf Literatur und Judikatur zur Zugehörigkeit von Frauen in Afghanistan, die selbstbestimmt leben wollen ("westliche Gesinnung"), zu einer relevanten sozialen Gruppe gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, basierend auch auf den UNHCR-Richtlinien. Die BF1 wolle gerne eine Ausbildung als Kindergärtnerin oder Lehrerin machen, fühle sich hier frei und habe Bewegungsfreiheit. Es habe etwas gedauert, bis sie wirklich realisiert habe, dass sie sich hier so anziehen könne, wie sie möchte. Außerhalb des Flüchtlingsheimes gehe sie auch schon ohne Kopftuch.

1.8. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 14.09.2018 wurde gegenüber dem BF2 gemäß § 55 Abs. 2 FPG die ihm eingeräumte Frist für die freiwillige Ausreise unter Bezug auf die strafgerichtliche Verurteilung widerrufen.

In der Begründung wurde ein weiterer Vorfall am 27.08.2018 angeführt, bei dem der BF2 in betrunkenem Zustand aggressiv und tätlich geworden war und erst nach Polizeieinsatz in ein Krankenhaus gebracht werden konnte. Er sei wegen Gefährlicher Drohung und Widerstand gegen die Staatsgewalt auf freiem Fuß angezeigt worden.

1.9. Das BFA legte die Beschwerde samt Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

1.10. Mit Eingabe vom 25.10.2019 übermittelte die BF1 ein Schreiben einer "Klinischen und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin" vom 23.10.2018, in der diese dem BVwG gegenüber angab, dass die BF1 sie von ihrer Schweigepflicht entbunden habe und seit September 2018 im Therapiezentrum OASIS angemeldet sei, um psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Erstgespräch habe bereits stattgefunden und eine weitere Therapieeinheit sei für 24.10.2018 geplant. Weitere Sitzungen würden stattfinden, um eine Stabilisierung der Klientin [zu erreichen] und sie aktuell psychisch zu begleiten.

Die BF wolle über ihre traumatischen Erfahrungen in ihrer Heimat erstmals vor einer Behörde berichten, welche sie als Mädchen und unverheiratete Frau in Afghanistan erlebt habe.

1.11. Das BVwG führte am 05.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der die BF in Begleitung ihres Vertreters und einer Vertrauensperson persönlich erschienen. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

Dabei gaben die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF1: Dari.

BF2: Dari. Aufgrund meines Aufenthaltes vom 7. bis zum 24. Lebensjahr im Iran spreche ich auch Farsi. Ich kann auch ein bisschen Türkisch.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für die BF?

D: Dari.

RI befragt BF, ob sie D gut verstehen; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Nein.

[...]

Die BF haben bisher Tazkiras (afghanische Personaldokumente) bezüglich BF1 und BF2 sowie Sprachdiplome, Sprach- und sonstige Kursbestätigungen und Empfehlungsschreiben bezüglich ihrer Integration vorgelegt. Heute legen sie vor Arbeitsbestätigungen, Empfehlungsschreiben und diverse Zeitungsausschnitte, die in Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Unsere Namen stimmen, aber unsere Geburtsdaten lauten richtig:

BF1: XXXX

BF2: XXXX

BF3: XXXX

BF: Wir haben diese Geburtsdaten schon bei unserer Einvernahme vor dem Bundesamt angegeben (siehe Niederschriften, die auch in den Bescheiden angeführt werden), sie wurden aber im erstbehördlichen Verfahren lediglich als Aliasdaten berücksichtigt.

RI: Woher kennen Sie Ihre Geburtsdaten?

BF1: Mein Großvater hat all die Geburtsdaten seiner Enkelkinder in einem Heft aufgeschrieben.

BF2: Mein Vater hat mir das gesagt.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Wir sind Angehörige der Volksgruppe der Araber und werden der Gruppe der Dari-sprechenden Tadschiken zugezählt.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Wir sind sunnitische Moslems.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Wir haben am 19.02.1392 in Kunduz geheiratet, das entspricht dem Jahr 2013.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Zwei.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Ich habe nur bis zur fünften Klasse in Afghanistan eine Schule besucht. Drei Jahre lang habe ich zusätzlich in den Schulferien einen islamischen Unterricht bekommen.

BF2: Ich habe fünf Jahre eine Schule im Iran besucht.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF2: Ich habe im Iran als Fliesenleger gearbeitet. Mit ca. 24 Jahren habe ich in Afghanistan meine Frau geheiratet, und wir haben dort ca. zwei Jahre lang von meinen Ersparnissen gelebt. Dann sind wir für ca. sechs Monate in den Iran gegangen, wo ich ca. ein Monat lang wieder als Fliesenleger gearbeitet habe und wir dann nach Europa aufgebrochen sind.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF1: Meine Eltern befinden sich in Deutschland, und auch zwei Brüder und eine Schwester. Ein Bruder und eine Schwester von mir leben im Iran, sie sie sind dort verheiratet und wollten dort bleiben.

BF2: Meine Eltern und drei Brüder sind derzeit in der Türkei. Zwei meiner Brüder sind in Deutschland, und meine Tanten väterlicherseits leben im Iran. Ein Onkel väterlicherseits lebt in Klagenfurt.

RI: Können Sie heute Dokumente oder andere Beweismittel vorlegen, die Ihre Angaben zu Ihrer Identität belegen (zB. Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde)?

BF: Wir haben unsere Heiratsurkunde und eine Geburts-Spitalbestätigung für die BF3 auf der Reise verloren.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF1: Im Rahmen des im Dorf organisierten Deutschkurses durch engagierte ehrenamtliche Personen bin ich Teil einer "Frauengruppe".

VP [Vertrauensperson]: Ich kann das bestätigen, ich bin zwar derzeit meist in Wien, doch meine Mutter und andere Frauen kümmern sich um die Flüchtlingsfamilien im Ort.

BF2: Ich helfe öfters älteren Männern im Ort etwa beim Rasenmähen sowie bei der Gemeinde oder etwa beim Aufstellen von Zelten und arbeite bei der Volkshilfe mit.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF1: Ich verstehe Sie großteils. Ich habe A2 bestanden und mich für den Deutschkurs B1 angemeldet, er beginnt im Dezember.

BF2: Ich besuche derzeit den Kurs A1. Ich verstehe Sie ein wenig, wenn Sie langsam und deutlich sprechen. Bei meiner Kommunikation mit den Personen im Ort verstehe ich sie schon großteils, kann aber nicht so gut sprechen.

RI stellt fest, dass die BF1 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und auf Deutsch beantwortet hat. Der BF2 hat die Fragen ebenfalls verstanden und halbwegs auf Deutsch beantwortet.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach? Wie ist Ihr Tagesablauf?

BF2: Nein, ich bin seit drei Jahren in Österreich, ich habe Stress.

BF1: Ich gehe Radfahren, Spazieren, Schwimmen (mit Bikini), wir backen Kekse und Torten mit unseren österreichischen Freundinnen, wir kochen auch zusammen. Wir gehen auch manchmal ins Theater, wir gehen auch manchmal ins Kino.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Ich habe keinen Kontakt nach Afghanistan, dort leben keine Verwandten von mir mehr. Aber mit meinen Eltern telefoniere ich zwei- bis dreimal die Woche.

BF2: Ich habe auch Kontakt zu meinen Eltern, ich telefoniere mit ihnen alle zehn bis 20 Tage.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Warum sind Sie nach Europa gereist?

BF1: In Afghanistan haben die Frauen keine Rechte und dürfen nicht arbeiten, daher sind wir in den Iran gegangen. Die Frauenrechte im Iran unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen in Afghanistan, daher sind wir weitergereist.

BF2: Wir haben Afghanistan verlassen, weil die Sicherheitslage und sonstige Lage in Afghanistan schlecht war.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens der BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV [Vertreter der BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BF1 verlässt auf Ersuchen des RI um 10:05 Uhr den Verhandlungssaal.

RI: Sie sind jetzt schon seit drei Jahren in Österreich mit Ihrer Familie, sind Sie froh darüber?

BF2: Ja.

RI: Was wollen Sie aus Ihrem Leben machen?

BF2: Ich möchte, dass meine Frau und meine Kinder sich in Österreich weiterentwickeln, ich möchte, dass sie gut studieren.

RI: Was wollen Sie persönlich machen?

BF2: Ich würde gerne einen positiven Bescheid haben, damit ich keinen Stress mehr habe, dann möchte ich gerne Arbeiten gehen. Ich würde gerne als Fliesenleger weiterarbeiten. Ich habe mich bereits bei einer Baufirma vorgestellt, wurde aber wieder weggeschickt mit der Aussage, ich hätte keine Arbeitserlaubnis.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF2: Ja. Es gab einen kurdischen Freund von mir, mit dem ich Alkohol getrunken habe, das war ca. neun Monate nach meiner Ankunft in Österreich. Wir gingen an einer Kirche vorbei. Wir waren sehr betrunken. Mein Freund hat mir was gesagt, ich daraufhin auch was gesagt, ich weiß es nicht, was wir miteinander gesprochen haben. Es gab einen Kasten mit einem Holzjesus in der Kirche, diesen haben wir kaputt gemacht, und die Polizei zeigte uns wegen Diebstahl an. Ich bedaure das zutiefst, und es war nicht gut von mir, damit habe ich auch drei weitere Personen, und zwar meine Familie, geschädigt. Wir wurden zu je 100 Euro pro Person bestraft. Ich habe das von meiner Sozialhilfe bezahlt.

RI: Es gab noch einen Vorfall mit der Polizei, was war da los?

BF2: Nach diesem Vorfall ging es mir psychisch nicht sehr gut. Ich fragte mich, wie es dazu gekommen ist. Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass ich so etwas begangen habe. Ich fühlte mich schuldig, dass ich mir und meiner Familie Schaden zugefügt habe. Beim zweiten Vorfall war ich sehr betrunken, ich glaube ich habe vier oder fünf Bier getrunken, dann kam die Polizei, ich glaube, ich habe im Rausch meiner Frau eine Ohrfeige gegeben. Ich habe dann nichts mehr mitbekommen und wurde mitgenommen. Ich wurde mit einer Injektion betäubt und in eine psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert. Nach einem Tag und einer Nacht wurde ich wieder entlassen. Man hat mir Medikamente verschrieben, die ich eingelöst und genommen habe. Derzeit nehme ich keine Medikamente, aber der Psychiater hat gesagt, ich solle wieder zu ihm kommen. Ich werde bald wieder zu ihm gehen.

RI: Was wissen Sie über die psychischen Probleme Ihrer Frau?

BF1: Ich weiß einiges darüber, sie hat mir einiges erzählt. Meine Frau hat Stress, ich habe sie geheiratet, ihr ist was passiert, als sie zwölf oder dreizehn Jahre alt war. Ich habe sie verstanden, weil ich im Iran aufgewachsen bin.

RI: Können Sie was Näheres erzählen?

BF2: Nein, darüber möchte ich nichts erzählen, das soll sie selber erzählen.

BFV hat keine Fragen.

BF2 verlässt den Verhandlungssaal, und BF1 betritt um 10:25 Uhr gemeinsam mit der Vertrauensperson wieder den Verhandlungssaal.

RI: Ich habe gelesen, was Ihre Therapeutin geschrieben hat. Was haben Sie vor, aus Ihrem Leben zu machen?

BF1: Als erstes möchte ich einen Führerschein machen. Früher wollte ich Kindergärtnerin werden, aber nun möchte ich Altenpflegerin werden. Das ist mein Traumberuf geworden. Ich besuche eine Dame zweimal in der Woche und helfe ihr wie eine Heimhilfe.

RI: Was wollen Sie über Ihre Probleme erzählen?

BF1 erzählt über ihre traumatischen Erlebnisse in der Jugend in Afghanistan.

BFV hat keine Fragen.

BF2 betritt um 10:40 Uhr wieder den Verhandlungssaal.

Festgehalten wird, dass die BF1 westlich modern gekleidet ist. Sie ist dezent geschminkt, trägt modischen Schmuck (Ohrringe, Armkette, Ringe), die Fingernägel sind glänzend lackiert, das Haar trägt sie offen und lang. Sie trägt eine modische Bluse, Stretch-Jeans und Stiefeletten mit Absatz.

BF1: Seit ca. einem Jahr trage ich kein Kopftuch mehr. Ich bin immer so gekleidet wie heute und immer geschminkt, wenn ich außer Haus gehe.

Festgehalten wird weiters, dass die Eheleute offensichtlich einen guten Umgang auf Augenhöhe miteinander haben. Auch zu den Kindern hat der BF2 ein gutes und herzliches Verhältnis.

BFV verweist auf die Lage der Frauen in Afghanistan.

RI befragt BF, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wollen.

BF1: Ich bedanke mich bei Ihnen, dass ich dableiben darf, dass Sie mir die Gelegenheit geben, als Frau arbeiten zu können.

BF2: Ich möchte auch in Österreich bleiben, arbeiten und mich weiterentwickeln.

RI befragt BF, ob sie D gut verstanden haben; dies wird bejaht.

Weitere Beweisanträge: Keine. [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte schriftlich die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen der BF1 und des BF2 am 28.12.2015 bzw. 08.02.2018 und der Einvernahmen vor dem BFA am 08.02.2018, in die vorgelegten Tazkiras der BF sowie ihre Belege zu ihrer Integration, in das gerichtliche Strafurteil betreffend den BF2 vom 14.11.2016 sowie die Beschwerde vom 23.05.2018

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA, Aktenseiten 151 bis 250 im Verwaltungsakt der BF1)

* Einvernahme der BF1 und des BF2 im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie Einsichtnahme in die von den BF dort zusätzlich vorgelegten Belege zu ihrer Integration

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Kunduz (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 19.10.2018) sowie zur maßgeblichen Situation der Frauen in Afghanistan (Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX, geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX, geboren am XXXX (BF2), ihre gemeinsame minderjährige Tochter XXXX, geboren am XXXX (BF3), und ihr gemeinsamer minderjähriger Sohn XXXX, geboren am XXXX in Österreich (BF4), sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Araber, zugezählt zur Dari-sprechenden Gruppe der Tadschiken, und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari, der BF2 spricht aufgrund seines Aufwachsens im Iran auch Farsi und etwas Türkisch.

Die BF3 ist nun vier Jahre alt und besucht den Kindergarten, der BF2 ist in Österreich geboren.

3.1.2. Lebensumstände:

Die BF1 ist im Heimatort geboren und aufgewachsen und hat bis zu ihrer Hochzeit bei ihren Eltern gelebt. Sie hat fünf Jahre die Schule und drei Jahre die Koranschule besucht.

Der BF2 stammt aus demselben Dorf, hat aber ab seinem siebten Lebensjahr gemeinsam mit seinem Onkel im Iran gelebt, wo er zuletzt als Fliesenleger gearbeitet hat. Mit 24 Jahren ist er nach Afghanistan zurückgekehrt und hat seine (verlobte) Ehefrau im Jahr 2013 geheiratet.

Die BF haben nach zwei Jahren Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen und sind für sechs Monate in den Iran gezogen, von wo sie nach Europa aufgebrochen sind.

Die BF haben mehrere Verwandte, die sich in Österreich bzw. Deutschland als Asylwerber aufhalten.

3.1.3. Die BF bemühen sich um ihre Integration in Österreich.

Insbesondere die BF1 hat sich bereits beachtliche Sprachkenntnisse (A2, Kurs B1) angeeignet, ist mit Dienstleistungsscheck erwerbstätig, backt mit Bekannten Kuchen, besucht die Bücherei und geht Spazieren, Schwimmen und Radfahren. In dieser Zeit passt ihr Mann auf die Kinder auf.

Der BF2 weist nicht so gute Deutschkenntnisse auf (besucht derzeit den Kurs A1), leistet jedoch freiwillige ehrenamtliche Arbeiten für die Gemeinde. Er hat einen Onkel väterlicherseits in Klagenfurt, zu diesem aber nur sehr losen Kontakt.

3.1.4. Die BF3 ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

3.1.5. Der BF2 ist vom Landesgericht Linz mit Urteil vom 14.03.2017, 026 HV 15/2017a, wegen §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 2 und 129 Abs. 1 Z 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, sowie zur Wiedergutmachung des verursachten Sachschadens von 100 Euro verurteilt worden.

Bezüglich des Vorfalles vom 27.08.2018, bei dem der BF gegenüber mehreren Personen und Beamten in betrunkenem Zustand tätlich geworden und schließlich für einen Tag in eine psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses gebracht worden ist, ist eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes der Begehung der Delikte Gefährliche Drohung und Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgt.

3.1.6. Der BF2 verspürt aufgrund seiner unsicheren Lebenssituation erheblichen Stress, hat sich wiederholt zum - ungewohnten - Alkoholgenuss durch seinen damaligen benachbarten Asylwerber verleiten lassen und geschützte Rechtsgüter verletzt. Er wurde medizinisch betreut und bedarf weiterer psychiatrischer Hilfe, die anzunehmen er angegeben hat.

Er ist bereit, weiter Deutsch zu lernen und möchte gerne wieder als Fliesenleger erwerbstätig sein.

Der BF2 hat zu seiner Ehefrau und zu seinen Kindern ein offenes, herzliches Verhältnis und geht gut und auf Augenhöhe mit ihnen um.

3.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

3.2.1. Die BF1 ist eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert ist. In Österreich kleidet, frisiert und schminkt sich die BF1 nach westlicher Mode. In ihrer Freizeit geht sie Spazieren, Schwimmen und Radfahren und kocht und bäckt gemeinsam mit Freundinnen. Die BF1 will in der Zukunft selbst eine Ausbildung machen bzw. einer Erwerbstätigkeit nachgehen und hat den Wunsch, in der Altenpflege tätig zu sein.

Die BF1 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, wieder nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben. Ihre Einstellung und ihr Lebensstil stehen im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden und auch entsprechend verfestigten Änderung ihrer Lebensführung würde die BF1 im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

3.2.2. Der BF2 hat weder angegeben noch glaubhaft gemacht, dass er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt gewesen wäre. Er hat eigene Fluchtgründe nicht vorgebracht.

3.2.3. Für die BF3 und den BF4 wurden keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.

3.2.4. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auszuschließen wären.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.3.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 29.10.2018, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 2

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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