TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/7 W164 2165972-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2018
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Entscheidungsdatum

07.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W164 2165975-1/16E

W164 2165974-1/10E

W164 2165972-1/10E

W164 2203591-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX , und (4) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, RA Dr. Lennart Binder, Wien, gegen die Bescheide vom 07.07.2017, GZ: (1.) 1113354308/160617253, (2.) 1113350810/160617355, (3.) 1123815305/161027128, und (4) vom 30.07.2018, GZ 184703909-180352246, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 12.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und (1.) XXXX , (2.) XXXX , (3.) XXXX , und (4) XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass (1.) XXXX , (2.) XXXX , (3.) XXXX , und

(4) XXXX , kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der

minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), der

minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3) und der

minderjährigen Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF4).

Die BF1 stellte am 01.05.2016 nach illegaler Einreise für sich und die minderjährigen BF2, und BF3 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung machte sie Angaben zu ihrer Person und ihrer Fluchtroute. Als ihr Geburtsdatum wurde der XXXX protokolliert. Bezüglich ihres Fluchtgrundes nannte sie eine Bedrohung durch ihren leiblichen Vater, der sie als Kind an einen Pflegevater verkauft habe.

Am 05.12.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) statt.

Die BF machte dabei im Wesentlichen die folgenden Angaben: Ihr Geburtsdatum sei bei der Erstbefragung falsch protokolliert worden. Sie sei am XXXX in XXXX , Logar, Afghanistan, geboren. Die BF1 legte eine Tazkira vor, die kein genaues Geburtsdatum enthielt. Reisepass und Visum habe sie auf Geheiß ihres Schleppers nach ihrer Ankunft in Österreich vernichtet.

Die BF1 sei als Baby zu ihren Pflegeeltern, kinderlosen und wohlhabenden entfernten Verwandten ihres leiblichen Vaters, gekommen und mit diesen in den Iran gezogen. Sie hätten gut für BF gesorgt, die intensive medizinische Betreuung benötigt habe. 2004 sei die BF1 mit ihrer Pflegefamilie wieder nach Afghanistan, Kabul gezogen. Die Pflegeeltern hätten eine weitere Pflegetochter aufgenommen. Insgesamt habe die BF 11 Jahre lang die Schule besucht. Am 24.09.2012 habe sie XXXX traditionell geheiratet. Zwei Monate nach ihrer Hochzeit seien Verwandte des Pflegevaters ermordet worden. Am

28. oder 29.03.2016 sei ihr Mann im Alter von etwa 25 Jahren ermordet worden. Die BF sei in dieser Nacht bei den Pflegeeltern gewesen. Nachbarn hätten dort angerufen. Die BF gehe davon aus, dass ihr leiblicher Vater hinter den Morden stecke. Dieser hab sie (so wie ihre leiblichen Schwestern) gegen Geld mit einem Talib verheiraten wollen und habe ihr und ihrem Pflegevater immer wieder gedroht. Ein Versuch, die Polizei einzuschalten, habe keinen Erfolg gebracht. Schon in ihrer Kindheit habe er sie an die Pflegeeltern verkauft. Die BF1 schilderte im Detail den Ablauf jenes Tages, an dem ihr Mann getötet wurde.

Am 16.05.2017 fand eine zweite Einvernahme vor dem BFA statt. Dabei machte die BF1 ergänzende Angaben zu ihrer Fluchtroute und führte weiters aus, sie habe in Kabul häufig Wohnsitz und Schule gewechselt und sei stets verschleiert zur Schule gegangen. In Österreich trage sie manchmal das Kopftuch und manchmal nicht. Wenn sie ihre Tochter in den Kindergarten bringe, habe sie es auf. In Afghanistan werde man attackiert, wenn man kein Kopftuch trage. Befragt, warum sie in Österreich das Kopftuch trage, gab sie an, dass sie in einer Kultur aufgewachsen sei, in der man dazu gezwungen war, was Spuren hinterlassen habe. Die BF1 sei schriftlich(durch Drohbriefe) und mündlich (durch Personen, die die Drohung ausrichteten sowie durch Telefonate) bedroht worden. Als ihre erste Tochter zur Welt gekommen sei, habe ihr der leibliche Vater ausrichten lassen, dass sie sich scheiden lassen und ihre Tochter verkaufen solle. Die BF1 sei mit ihrem Mann mehrmals übersiedelt, aber ohne Erfolg. Ihr leiblicher Vater habe offensichtlich das Ziel gehabt, sie als verwitwete, also alleinstehende Frau, zurückholen und wiederzuverheiraten. Die Drohbriefe seien vor der Haustüre abgelegt worden. Die BF1 habe sie meistens entsorgt.

Mit drei Bescheiden des BFA vom 07.07.2017 wurden die Anträge der BF1, BF2 und BF3 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden ihnen nicht erteilt und es wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 ihr Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht habe. Ihre Aussagen seien unplausibel und zum Teil widersprüchlich gewesen. Beispiele wurden genannt. Außerdem habe sie kaum Dokumente vorlegen können. Die Rückkehr nach Kabul sei der BF1, BF2 und BF3 zumutbar, da die BF1 Familienangehörige in Kabul habe und ihr Lebensmittelpunkt bereits vor der Ausreise Kabul gewesen sei. Der BF1 stehe ein wohlhabendes Umfeld zur Verfügung, das ihr Schutz und Unterstützung biete. Die Rückkehrentscheidung würde die BF nicht ungerechtfertigt in ihrem Recht auf Privatleben verletzen: Es seien keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht worden.

Gegen diese Bescheide erhoben die BF1, BF2 und BF3 durch ihre Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Beweiswürdigung sei zwar sehr umfangreich, jedoch inhaltlich weitgehend irrelevant bzw. nicht nachvollziehbar. Die von der BF1 ausführlich geschilderten Fluchtgründe, nämlich die von ihr erlittenen Verfolgungshandlungen, seien asylrelevant, da der afghanische Staat sie nicht schützen könne. Die BF1 wäre einer geschlechtsspezifischen Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt. Zudem könne die BF1 als westlich orientierte Frau keinen Schutz staatlicher Behörden erwarten und wäre bei einer Rückkehr mit einer gravierenden Einschränkung ihrer Menschenrechte konfrontiert, da sie die Rechte und die Lebensweise, die Frauen in Österreich genießen, bereits als selbstverständlich angenommen habe. Im Fall der Abschiebung der Beschwerdeführerinnen drohe eine reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung aufgrund der schlechten Sicherheitslage. Die BF1, BF2 und BF3 würden über kein familiäres Auffangnetz mehr verfügen. Die BF1 habe sich auch bereits in beachtlicher Weise in Österreich eingelebt, die deutsche Sprache erlernt und soziale Kontakte geknüpft, die ihr bei der weiteren Integration sehr behilflich seien.

Am XXXX wurde die BF4 in Österreich geboren. Die BF1 stellte für diese am 12.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 30.07.2018, GZ 184703909-180352246, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde der BF4 nicht erteilt und es wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF4 vertreten durch ihre Mutter, diese vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, fristgerecht Beschwerde.

Am 12.11.2018 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der die BF1 mit ihren drei Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten, dem Vater der BF4, sowie in Anwesenheit ihrer Rechtsvertretung teilnahm. Das ebenfalls zur Verhandlung geladene BFA nahm nicht teil.

Die BF1 - sie erschien modisch gekleidet und ohne Kopfbedeckung - bestritt erneut die Richtigkeit des nun festgestellten Geburtsdatums und gab dieses mit XXXX an. Dies hätten ihr die Eltern so mitgeteilt. Damit konfrontiert, dass sie bei der Befragung vor dem BFA, das Geburtsdatum von XXXX auf XXXX korrigiert habe, gab diese an, sie kenne ihr genaues Geburtsdatum nicht. Dieses scheine auch nicht auf ihrer Tazkira auf. Dort sei nur ein ungefähres Alter (etwa 17 Jahre) genannt. Zu ihrem Fluchtvorbringen machte die BF1 soweit hier wesentlich die folgenden ergänzenden Angaben: Davon, dass sie als Baby wegen einer Krankheit an den Pflegevater verkauft wurde, habe sie von den Pflegeeltern erfahren. Noch vor ihrer Hochzeit habe sie einmal ihre Pflegeeltern gefragt, was los sei. Ihre Pflegemutter habe ihr daraufhin ihre Lebensgeschichte erzählt und ihr erklärt, dass sie als Baby einen Tumor im Arm hatte, der operiert wurde. Aufgrund dieser Krankheit hätten die leiblichen Eltern sie weggegeben und an den Pflegevater verkauft. Als Gegenleistung hätten sie von ihm entweder ein Grundstück oder ein Haus erhalten. Auch ihre Stiefschwester hätten die Pflegeeltern "gekauft". Von ihren leiblichen Geschwistern habe die BF dadurch erfahren, dass der leibliche Vater ein entfernter Verwandter des Pflegevaters gewesen sei. Die Pflegemutter habe ihr erzählt, dass der leibliche Vater auch seine anderen Töchter unterdrückt, verkauft und zwangsverheiratet habe. Nach diesem Gespräch mit der Pflegemutter habe die BF1 dieses Thema kaum mehr angesprochen. Die BF1 habe keinen Kontakt zu den leiblichen Eltern gehabt.

Dass Ihr leiblicher Vater Sie wieder zurücknehmen wollte, habe die BF1 dadurch erfahren, dass sie ihre Pflegeeltern miteinander reden gehört habe. Sie habe sich auch gewundert, dass sie bereits als sehr junges Mädchen von ihren Pflegeeltern dazu angehalten wurde, am Schulweg die Burka zu tragen und dass ihre Pflegeeltern sie nur in Begleitung zur Schule gehen lassen wollten. Die Drohbriefe habe sie damals nicht selbst gelesen. Der Pflegevater habe auch nicht viel erzählt. Er habe das Problem allein lösen wollen. Als sie ihre Pflegeeltern darüber reden gehört habe, habe sie darauf bestanden, mehr zu erfahren. Die Pflegeeltern hätten ihr dann erzählt, dass der leibliche Vater sie zurück möchte und erneut verkaufen möchte. Die Pflegeeltern hätten gemeint, dass die BF1 ein schweres Schicksal erwarten würde. Als ihr die Pflegeeltern die Hochzeit mit Herrn XXXX vorgeschlagen haben, habe die BF1 noch nicht heiraten wollen. Sie habe ihre Schule abschließen wollen. Aber die Pflegeeltern hätten Druck gemacht. Sie hätten sich davon eine Lösung der Probleme versprochen. Ihre Erwartungen hätten sich jedoch nicht erfüllt. Die Drohungen seien nach ihrer Hochzeit weitergegangen. Zwei Monate nach der Hochzeit seien der Bruder des Pflegevaters und dessen Sohn ermordet worden. Die Ehefrau des Onkels väterlicherseits habe den Pflegevater aus Logar angerufen und dies mitgeteilt. Die BF1 habe diese Verwandten gekannt. Sie seien manchmal in Kabul zu Besuch gewesen. Nach dem Tod des Onkels und dessen Sohn habe die Familie beschlossen, nicht zur Beerdigung zu gehen werden, um nicht das eigene Leben in Gefahr zu bringen.

Als die BF mit ihrem Mann zusammen lebte, habe sie selbst etwa fünf oder sechs Drohbriefe erhalten. Diese seien an sie gerichtet gewesen. Sie habe sie selbst gelesen. Befragt, ob diese Briefe, eine Botschaft hatten oder nur aus Floskeln bestanden gab die BF1 an, beides. Ihr sei gedroht worden, dass sie ebenso wie ihr Onkel getötet würde, wenn sie sich nicht der Forderung des leiblichen Vaters füge. Dieser habe sich in seiner Ehre verletzt erachtet. Die BF1 hätte zu ihm zurückkehren sollen. An den Drohbriefen sei auch erkennbar gewesen, dass der leibliche Vater mit den Taliban zusammenarbeitete. In den Drohbriefen sei auf die Macht seines Netzwerks hingewiesen worden und darauf, dass diese Leute alles erreichen würden, was sie sich vornehmen. Mündliche Drohungen habe die BF in der Weise erhalten, dass ihr gemeinsame Verwandte die Botschaften ihres leiblichen Vaters ausrichteten. Auch gegen ihren Pflegevater und ihren Ehemann hätten sich die Drohungen gerichtet. Nach der Heirat sei die Wut dieser Leute noch größer geworden. Immer sei auch darauf verwiesen worden, wie machtlos die nunmehrige Familie der BF1 und wie mächtig der leibliche Vater sei - und auch darauf, dass die Polizei diesem nichts anhaben könne. Die BF1 sei mit ihrem Mann einige Male zur Polizei gegangen, aber dort habe man gemeint, dass hier nichts zu machen sei. Es handle sich um Menschen, die besser bewaffnet seien als die Polizei. Die BF1 schilderte erneut den Tag, an dem ihr Ehemann getötet wurde.

In Österreich plane die BF, sich weiterzubilden, sobald alle Kinder in den Kindergarten gehen können. Einen Kurs könne sie derzeit nicht besuchen. Sie plane aber, die Prüfungen abzulegen. Das älteste Mädchen besuche bereits den Kindergarten. Zu Hause verbessere die BF1 ihre Deutschkenntnisse durch Google, You tube und mit Freunden. Ihren neuen Lebensgefährten habe die BF1 in Österreich traditionell geheiratet. Er halte sich viel in Italien auf, wo er arbeite und er besuche sie immer wieder für mehrere Tage.

Der Lebensgefährte der BF1, der die drei Kleinkinder (BF2, BF3 und BF4) während ihrer Befragung betreut hatte, gab an, er sei XXXX geboren, stamme aus der Provinz Ghazni und sei afghanischer Staatsbürger. Er habe in Italien subsidiären Schutz erhalten und habe dort Arbeit. Über seinen Cousin, der in Österreich lebe, habe er die BF1 kennen gelernt. Über ihre Vergangenheit habe die BF1 nur oberflächlich erzählt. Er habe beschlossen, sie auch nicht mit Nachfragen belasten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF1, führt den Namen XXXX sie wurde am XXXX in der Provinz Logar, im Dorf XXXX in eine kinderreiche Familie geboren; sie ist Sunnitin und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der leibliche Vater der BF1 übergab die BF1 noch als Baby an einen entfernten Verwandten als Pflegevater. Die Pflegeeltern der BF1 konnten keine eigenen Kinder bekommen. Die BF hatte einen Tumor, um dessen medizinische Behandlung sich die Pflegeeltern kümmerten. Ihre ersten Kindheitsjahre verbrachte die BF1 mit ihren Pflegeeltern im Iran, Teheran, wo sie eine gute Kindheit hatte. 2004 kehrte sie mit ihrer Pflegefamilie wieder nach Afghanistan, Kabul zurück, und besuchte dort weitere Schulen. Die Pflegeeltern nahmen ein weiteres Mädchen als Pflegekind auf. Der Pflegevater handelte mit Immobilien und war wohlhabend.

Der leibliche Vater, der mit den Taliban zusammenarbeitete, wollte die BF1 nun wieder zurückhaben um sie an einen älteren Mann seiner Wahl zu verheiraten. Der Pflegevater, lehnte dies aus Sorge um die BF1 ab und wurde daraufhin mit Briefen und Botschaften, die der leibliche Vater ihm durch Besucher aus der Verwandtschaft ausrichten ließ, bedroht. Die BF1 erfuhr davon, da sie ihre Pflegeeltern darüber reden hörte und diesen Fragen stellte. Die BF1 hatte nun zu befürchten, von ihrem leiblichen Vater entführt und verkauft zu werden. Zu ihrem Schutz ging die BF nur mehr in Begleitung ihres Pflegevaters zur Schule und trug die Burka.

Mit dem Ziel, den Problemen ein Ende zu setzen, verheirateten die Pflegeeltern die BF1 - die ihrerseits lieber noch die Schule abgeschlossen hätte - im Jahr 2012 mit dem ein bis zwei Jahre älteren XXXX , der ebenfalls aus der Provinz Logar stammte und entfernt verwandt war. Ein paar Monate nach der Hochzeit wurden ein auf dem Land in der Provinz Logar lebender Bruder des Pflegevaters und dessen Sohn getötet. Die BF1 und ihre Pflegeeltern brachten diesen Mord mit dem leiblichen Vater der BF1 in Verbindung. Die BF1 und ihr Mann lebten in Kabul. Nun wurde die BF1 selbst mit Drohungen ihres leiblichen Vaters verfolgt. Sie erhielt vom leiblichen Vater unterzeichnete Drohbriefe, und mündliche Botschaften die er ihr über die Verwandtschaft ausrichten ließ. Die BF und ihr Mann kontaktierten die Polizei. Die Bedrohungen endeten nicht. Das Ehepaar zog mehrmals innerhalb Kabuls um. Am XXXX wurde die BF2 geboren. Im März 2016 - die BF1 war erneut schwanger - wurde der Mann der BF1 im Hof seines Hauses durch Messerstiche getötet. Nachbarn verständigten die BF1, die bei den Pflegeeltern zu Besuch war. Die Polizei nahm den Mord auf. Die BF1 zog vorübergehend zu ihren Pflegeeltern. Der Pflegevater organisierte für sie wenige Wochen später eine Schleppung nach Österreich. Am XXXX wurde die BF3 in Österreich geboren. Am XXXX wurde die BF4 in Österreich geboren. Die BF1 hat Herrn XXXX , geb. XXXX , STA Afghanistan, den Vater der BF4 in Österreich nach islamischem Ritus geheiratet. Eine Heirat auf dem Standesamt war aufgrund des Fehlens geeigneter Dokumente noch nicht möglich. Die BF1 strebt in Österreich für sich und ihre Töchter Bildung und ein eigenständiges Leben an.

Allgemeine Länderfeststellungen:

Quelle: UNHCR- Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30. August 2018, HCR/EG/AFG/18/02:

Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten "erodierenden Pattsituation" geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlasssen. Es heißt jedoch, dass die ANDSF mit unhaltbar hohen Ausfallraten und sinkender Moral zu kämpfen haben.

Es wird berichtet, dass die Taliban zum 31. Januar 2018, 43,7 Prozent aller Distrikte Afghanistans kontrolliert oder für sich beansprucht haben. Die Taliban haben ihre Angriffe in Kabul und anderen großen Ballungsräumen verstärkt, mit zunehmenden Fokus auf afghanische Sicherheitskräfte, die große Verluste zu beklagen haben. Das ganze Jahr 2017 hindurch führten die Taliban mehrere umfangreiche Offensiven mit dem Ziel durch, Verwaltungszentren von Distrikten zu erobern. Es gelang ihnen mehrere solcher Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen und vorübergehend zu halten. Meldungen zufolge festigten die Taliban gleichzeitig ihre Kontrolle über größtenteils ländliche Gebiete, was ihnen ermöglichte, häufigere Angriffe - insbesondere im Norden Afghanistans - durchzuführen. Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten.

Auch von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen wird berichtet, dass sie die Autorität der Regierung in ihrem Einflussbereich untergraben; sie werden auch mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor unbeständig und die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts. In den Jahren nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte 2014 waren eine fortgesetzte Verschlechterung der Sicherheitslage und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in Afghanistan zu beobachten. Aus Berichten geht hervor, dass die Taliban ihre Offensive zur Ausweitung ihrer Kontrolle über weitere Distrikte fortsetzt, während der Islamische Staat angeblich immer nachdrücklicher seine Fähigkeit unter Beweis stellt, seine geografische Reichweite auszudehnen, was eine weitere Destabilisierung der Sicherheitslage zur Folge hat.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hinderten Zivilisten zudem an der Ausübung ihrer Rechte auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Religionsfreiheit, auf politische Teilhabe sowie auf Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sowie zu ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen das Fehlen staatlicher Justizmechanismen oder -dienste dazu aus, eigene, parallele "Justiz"-Strukturen - vor allem, wenn auch nicht ausschließlich - in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen. UNAMA stellt fest, dass "alle von einer parallelen Justizstruktur durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verhängten Strafen nach afghanischem Recht unrechtmäßig sind, eine rechtswidrige Handlung darstellen und als Kriegsverbrechen eingestuft werden können". Zu den durch parallele Justizstrukturen verhängten Strafen zählen öffentliche Hinrichtungen durch Steinigung und Erschießen, Schläge und Auspeitschung sowie Amputation. Berichten zufolge erheben regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zudem in Gebieten, in denen sie die Einrichtung paralleler Regierungsstrukturen anstreben, illegale Steuern.

Im Juli 2018 äußerte UNAMA Besorgnis über den neuerdings zu beobachtenden Trend, dass regierungsfeindliche Kräfte auf Operationen regierungsnaher Kräfte mit Angriffen auf Schulen und Beamte im Bildungswesen reagieren. Schulen wurden Berichten zufolge außerdem besetzt und für militärische Zwecke benutzt, wodurch ihr geschützter Status nach dem humanitären Völkerrecht gefährdet und den Kindern der Zugang zu Bildung entzogen wurde. Außerdem bleiben Berichten zufolge viele Schulen in Afghanistan aufgrund der vor Ort herrschenden Sicherheitsverhältnisse geschlossen.

Ferner wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte den Zugang zu medizinischer Versorgung beschränken. 2017 dokumentierte UNAMA 75 gegen Krankenhäuser und medizinisches Personal gerichtete Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte mit 31 Toten und 34 Verletzten gegenüber 120 Zwischenfällen mit 10 Toten und 13 Verletzten im Jahr 2016. Außerdem heißt es, dass regierungsfeindliche Kräfte in einigen Teilen des Landes Polio-Impfkampagnen verbieten und wiederum andere Teile aufgrund der vorherrschenden Unsicherheit nicht von Impfhelfern erreicht werden können.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte seien oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Der UN-Ausschuss gegen Folter brachte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten vor Repressalien für ihre Arbeit ergreift.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass afghanische Bürger Bestechungsgelder zahlen müssen, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten, etwa dem Büro des Provinzgouverneurs, dem Büro des Gemeindevorstehers und der Zollstelle. Innerhalb der Polizei, so heißt es, sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem sei auf ähnliche Weise von weitverbreiteter Korruption betroffen.

Berichten zufolge wenden sich lokale Gemeinschaften in einigen Gebieten an parallele Justizstrukturen, etwa örtliche Räte oder Ältestenräte oder Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle zu regeln.UNAMA stellt allerdings fest, dass diese Strukturen den Gemeinschaften in der Regel aufgezwungen werden und dass die in diesem Rahmen verhängten Strafen wie Hinrichtungen und Amputationen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen darstellen.

Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben.

In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet. In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden. Die Regierung hat seit 2001 eine Reihe von Schritten zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Verabschiedung von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe der Frauen und die Schaffung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten. Allerdings stieß die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung immer wieder auf Widerstände. Das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen wurde 2009 durch Präsidialerlass verabschiedet, doch lehnten es konservative Parlamentsabgeordnete und andere konservative Aktivisten weiterhin ab. Das überarbeitete Strafgesetzbuch Afghanistans, das am 4. März 2017 mit Präsidialerlass verabschiedet wurde, enthielt ursprünglich alle Bestimmungen des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und stärkte die Definition des Begriffs Vergewaltigung. Jedoch wies Präsident Ghani das Justizministerium im August 2017 angesichts der Ablehnung durch die Konservativen an, das diesem Gesetz gewidmete Kapitel aus dem neuen Strafgesetzbuch zu entfernen. Das neue Strafgesetzbuch trat im Februar 2018 in Kraft, während in einem Präsidialerlass klargestellt wurde, dass das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen von 2009 als eigenes Gesetz weiterhin Geltung hat.

Laut Berichten, halten sich die Verbesserungen in der Lage der Frauen und Mädchen insgesamt sehr in Grenzen. Laut der Asia Foundation erschweren "der begrenzte Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, ungerechte Bestrafungen für, Verbrechen gegen die Sittlichkeit, ungleiche Teilhabe an der Regierung, Zwangsverheiratung und Gewalt" nach wie vor das Leben der Frauen und Mädchen in Afghanistan. Depressionsraten aufgrund von häuslicher Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen nehmen Berichten zufolge unter afghanischen Frauen zu. Es wird berichtet, dass 80 Prozent der Selbstmorde in Afghanistan von Frauen begangen werden und sich manche von ihnen durch Selbstverbrennung das Leben nehmen. Die Unabhängige Menschenrechtskommission für Afghanistan (AIHRC) stellte fest, dass Gewalt gegen Frauen noch immer eine "weit verbreitete, allgemein übliche und unleugbare Realität" ist und dass Frauen in unsicheren Provinzen und im ländlichen Raum besonders gefährdet durch Gewalt und Missbrauch sind. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte sehr oft straflos bleiben. Sexuelle Belästigung und die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleiben, so die Berichte, endemisch.

Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen Berichten zufolge überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.

Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz der Frauenrechte weiterhin nur langsam umgesetzt werden, vor allem was das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen betrifft. Das Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge jedoch der Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend werde es nicht vollständig angewendet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Frauen hätten nur in sehr geringem Maße Zugang zur Justiz. Die überwiegende Mehrheit der Fälle von gegen Frauen gerichteten Gewaltakten, einschließlich schwerer Verbrechen gegen Frauen, würden noch immer nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen geschlichtet, anstatt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. Berichten zufolge leiten

"Trotz der Forderungen nach Bildung für Mädchen wirken sich die vorherrschenden Geschlechternormen nachteilig auf Mädchen aus und verwehren ihnen den Zugang zu Bildung. Nachteilige Geschlechternormen sind auch der Grund dafür, dass die Barrieren, die den Mädchen den Zugang zu Bildung erschweren, unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Mädchen haben." [Übersetzung druch UNHCR]. HRW, "I Won't Be A Doctor, and One Day You'll Be Sick": Girls' Access to Education in Afghanistan, 17. Oktober 2017, http://www.refworld.org/docid/59e5af3e4.html. "Es sind insbesondere die schutzbedürftigsten Gruppen, wie Frauen und Mädchen, die eher an Mangelernährung leiden. Armut ist geschlechtsspezifisch und es besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen häufiger als Männer von Armut betroffen sind [...] Genauso wie Frauen aufgrund patriachalischer Normen und Strukturen nur einen beschränkten Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung haben, so ist auch deren Zugang zu Nahrung und Lebensmitteln beschränkt." [Übersetzung durch UNHCR]. Heinrich Böll Foundation, Food Discrimination Against Women in Afghanistan, 7. August 2017, https://www.boell.de/en/2017/08/07/food-discrimination-against-women-afghanistan.

"Obwohl Artikel 79 der Verfassung dem Präsidenten das Recht zugesteht, in ‚Notfallsituationen', wenn sich das Parlament in einer Sitzungspause befindet, Gesetze durch Dekrete zu erlassen, so müssen diese Dekrete dem Parlament für eine anschließende Ratifizierung vorgelegt werden [...] [Die Unterstützer des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (EVAW law)] sind jedoch an der Ratifizierung des Gesetzes im Parlament gescheitert, da das Gesetz von konservativer Seite maßgeblich abgelehnt wurde. Inbesondere stellten sich die konservativen Parlamentsmitglieder gegen Regelungen, die Kinderheirat und bestimmte Formen von Polygamie sowie die Misshandlung von Ehefrauen unter Strafe stellen. Sie begründeten ihre Ablehnung der Bestimmungen dadurch, dass diese nicht der Hanafi fiqh (Hanafi-Normenlehre) entsprächen. Sie waren außerdem der Meinung, dass die Bestrafungen für Vergewaltigung zu streng seien und zeigten sich besorgt, dass die Bestrafungen das Vorrecht von Ehemännern, sexuelle Handlungen mit ihren Ehefrauen zu vollziehen, beeinträchtigen würden (auch wenn das Gesetz Vergewaltigungen in der Ehe nicht ausdrücklich unter Strafe stellt). Diese Ablehnung des Gesetzes führte folglich dazu, dass die Wirksamkeit des Gesetzes für viele als fragwürdig gilt. Vor allem eher konservativ eingestellte Rechtsbeamte sehen die fehlende Annahme des Gesetzes im Parlament als Grund dafür, das Gesetz zu ignorieren." [Übersetzung durch UNHCR]. CMI, Adultery, Rape, and Escaping the House: The Protection and Policing of Female Sexuality in Afghanistan, Dezember 2017,

https://www.cmi.no/publications/6404-adultery-rape-and-escaping-the-house, S. 9. Parlamentsmitglieder, die sich gegen das Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen stellten (EVAW law), "versuchten weiterhin, das Gesetz abzuändern, um Bestimmungen, die das Mindestalter für Eheschließungen regeln, Bestrafungen für häusliche Gewalt festlegen und Frauen Unterkünfte zur Verfügung stellen, aus dem Gesetz zu entfernen." [Übersetzung durch UNHCR]. HRW, World Report 2017: Afghanistan, 12. Januar 2017, http://www.refworld.org/docid/587b586111.html.

"Der Ausschuss zeigt sich weiterhin über die Häufigkeit von Gewaltvergehen gegen Frauen in der staatlichen Partei, insbesondere über häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, Körperverletzungen, Zufügungen von Wunden, sogenannte "Ehrenverbrechen" und Fälle von Steinigungen beunruhigt. Die Bedenken des Ausschusses beziehen sich darauf, dass das Gesetz [zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (EVAW law)] nicht in allen Provinzen gleichermaßen umgesetzt wird und nur sehr wenige Fälle aus ländlichen und entlegenen Gegenden bisher dokumentiert worden sind. Diese Fälle wurden häufig durch traditionelle Streitbeilegungsmechanismen geklärt oder von den Opfern aufgrund von Druck aus der Familie oder der Gesellschaft überhaupt nicht gemeldet." [Übersetzung durch UNHCR]. UN Committee Against Torture, Concluding Observations on the Second Periodic Report of Afghanistan, 12. Juni 2017, CAT/C/AFG/CO/2, http://www.refworld.org/docid/596f4f754.html.

Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die effektiv von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.

Regierungsfeindliche Kräfte schränken Berichten zufolge die Grundrechte von Frauen in diesen Gebieten weiterhin massiv ein, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, politische Teilhabe, Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Bildung. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich den Frauen beim Zugang zur Justiz besondere Hindernisse entgegenstellen und dass ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von regierungsfeindlichen Kräften in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge regelmäßig die Rechte von Frauen.

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist nach wie vor weit verbreitet: Die Zahl der angezeigten Fälle nimmt zu, doch die Dunkelziffer dürfte weit höher sein als die angezeigten Fälle. Im März 2018 bezeichnete die Unabhängige Menschenrechtskommission für Afghanistan Gewalt gegen Frauen als "eine der größten Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte in Afghanistan". Dazu gehören "Ehrenmorde", Entführungen, Vergewaltigungen, sexuelle Belästigung, erzwungene Schwangerschaftsabbrüche und häusliche Gewalt.

Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zur Abtreibung gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Es wurde festgestellt, dass gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen, einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie, ausschlaggebend dafür sind, dass Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt keine Anzeige erstatten. Das neue Strafgesetzbuch Afghanistans, das im Februar 2018 in Kraft trat, stellt ohne die Zustimmung der Frau durchgeführte "Jungfräulichkeitstests" unter Strafe. Obwohl diese Praxis einen Straftatbestand darstellt, ist das "Jungfräulichkeitstesten" von Frauen, die des Ehebruchs beschuldigt werden oder Opfer sexueller Straftaten sind, einschließlich Vergewaltigung oder sexueller Nötigung, in Afghanistan Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. Diese Praxis wurde als "sexuelle Nötigung und Folter" beschrieben. Das neue Strafgesetzbuch stellt auch zina (Geschlechtsverkehr zwischen einem nicht verheirateten Paar) unter Strafe. Artikel 636 des neuen Strafgesetzbuches enthält auch eine "klarere und umfassendere Definition von Vergewaltigung, die nicht von zina ausgeht".

Berichten zufolge bleiben für häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortliche Männer nahezu grundsätzlich ungestraft. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Anklage zu erheben, und sie haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben. Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt, da Polizistinnen weitgehend stigmatisiert werden. Berichten zufolge sind Polizistinnen selbst der Gefahr von sexueller Belästigung und von Übergriffen am Arbeitsplatz, unter anderem der Vergewaltigung durch männliche Kollegen, ausgesetzt. Sie seien außerdem durch gewalttätige Angriffe seitens regierungsfeindlicher Kräfte gefährdet.

Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden. 4 Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weitverbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören: "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie verkauft werden.

Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar.

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören strenge Kleidungsvorschriften sowie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer, wie etwa Witwen und geschiedene Frauen, sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Lebensgrundlagen, sind sie kaum in der Lage zu überleben.

Bestrafungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia treffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, etwa Inhaftierung aufgrund von "Verstößen gegen die Sittlichkeit" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Einem beträchtlichen Teil der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "Verstöße gegen die Sittlichkeit" zur Last gelegt. Es wird berichtet, dass weibliche Inhaftierte oft Tätlichkeiten sowie sexueller Belästigung und Missbrauch ausgesetzt sind. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "Verstößen gegen die Sittlichkeit" Anlass zu Gewalt oder Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative:

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern. eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative. Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.

Tazkira:

Das US Department of State ging im Juli 2012 davon aus, dass weniger als zehn Prozent der afghanischen Bevölkerung ein Geburtszertifikat haben. Auch UNICEF beschrieb, dass die wenigsten Kinder eine Geburtsurkunde besitzen. Die Tazkira ist die übliche ID-Karte in Afghanistan. Dort sind persönliche und familienbezogene Informationen des Inhabers festgehalten wie Wohn- und Geburtsort, Beruf und Militärdienst. Tazkiras werden für den Schul- oder Universitätseintritt, oder für die Beantragung eines Reisepasses gebraucht. Viele beantragen eine Tazkira erst, wenn sie eine benötigen. UNHCR beschrieb, dass jeder Mann eine Tazkira haben sollte, für die Frauen ist die Beantragung freiwillig. Die Tazkiras sind oft nicht vollständig und immer von Hand ausgefüllt. Jeder Beamte hat seinen eigenen Stil. Jeder Distrikt stellt Tazkiras aus und die Registrierungszentren des Innenministeriums befinden sich in den Polizeistationen. Die Informationen beinhalten den Namen des Besitzers der Karte, den Namen des Vaters und des Großvaters, Geburtsdatum und Geburtsort. Sowohl bezüglich des Geburtsortes wie auch des Geburtsdatums gibt es unterschiedliche Ausstellungsweisen:

Beim Geburtsort ist entweder der Ort des Besitzers der Tazkira oder dessen Vater erwähnt. Meistens beantragt der Vater des Antragstellers die Tazkira, da ein männliches Mitglied die Identität bezeugen muss. Auch bezüglich des Geburtsdatums wird Unterschiedliches eingetragen: Nur das Jahr, nur das Jahr und der Monat, das ganze Datum, ein geschätztes Datum oder das Alter des Antragsstellers bei der Ausstellung der Tazkira. Es gibt Abweichungen bezüglich der Stempel, der benutzten Tinte und des Papieres. Tazkiras werden von unterschiedlichen Behörden unterschrieben.

(Quelle: Afghanistan: Tazkira; Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse Alexandra Geiser, 12. März 2013).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in die zitierten allgemeinen Länderfeststellungen sowie durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2018. Die Identität der BF1 erscheint unbedenklich. Ihr gemeinsam mit ihren Kindern bestehender aktueller Wohnort ergibt sich aus dem zentralen Melderegister der Republik Österreich. Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF1 ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich. Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die Angaben des BF1. Ihre Angaben sind insgesamt betrachtet (soweit für die hier zu treffende Beurteilung wesentlich) widerspruchsfrei. Die BF1 war in der Lage, Detailfragen zu den Ereignissen, die zu ihrer Flucht geführt haben, zu beantworten. Ihre Vorbringen geben die Situation, welche die BF1 zur Flucht veranlasst hat, nachvollziehbar wieder. Sie stehen auch mit den aktuell verfügbaren Länderberichten über die Situation in Afghanistan im Einklang. Die Angaben der BF1 werden vor diesem Hintergrund als glaubwürdig beurteilt. Was das Geburtsdatum der BF1 betrifft, so ist davon auszugehen, dass die BF1 das bei der Erstbefragung protokollierte Geburtsdatum, nachdem sie ihre Pflegeeltern dazu befragt hatte, anlässlich ihrer Befragung durch das BFA vom 05.12.2016 korrigieren wollte. Hinsichtlich ihrer erneuten Korrektur vor dem BVwG wird davon ausgegangen, dass die BF1 - in der Meinung, das BFA hätte die von ihr angeregte Korrektur nicht verwirklicht - erneut auf die notwendige Korrektur des Geburtsdatums hinweisen wollte, sich dabei aber bezüglich der genauen Datumsangabe geirrt hat. Das genaue Geburtsdatum der BF wurde in Afghanistan nicht schriftlich registriert. Dies entspricht den obigen allgemeinen Feststellungen über die Ausstellung von Geburtsurkunden in Afghanistan. Es war daher der XXXX als Geburtsdatum der BF1 festzustellen.

Soweit sich aus den Aussagen der BF1 zu ihrem Fluchtgrund Abweichungen in Details ergeben, etwa da sie laut Protokoll der Erstbefragung den Bruder ihres Pflegevaters als dessen Onkel bezeichnet hatte und den gleichzeitigen Tod seines Sohnes erst später erwähnte, oder da sie bei der Schilderung des Tages, an dem ihr Ehemann starb, erst auf Nachfrage erwähnte dass nicht nur ihr Pflegevater sondern auch ihre Pflegemutter zum Tatort mitgefahren war, so ist diesen Abweichungen vor dem Hintergrund der nun im Kern durchgehend widerspruchsfreien und lebensnahen Schilderungen der BF keine entscheidungswesentliche Bedeutung beizumessen: In der Verhandlung vom 12.11.2018 hat die BF1 nachvollziehbar dazu Stellung genommen, dass sie - damals noch ein Teenager - durch die offensichtliche Besorgtheit der Pflegeeltern, durch das Mithören ihrer Gespräche und durch Nachfragen überhaupt erst Einzelheiten über ihren leiblichen Vater und die von ihm ausgehende Bedrohung erfahren hat. Soweit die Glaubwürdigkeit der BF im angefochtenen Bescheid aus dem Grund in Frage gestellt wird, da diese anlässlich der Erstbefragung angegeben hat, ihr leiblicher Vater hätte all seine Kinder verkauft, wohingegen sie während der Einvernahme des BFA angegeben hat, sie sei nicht sicher, ob es sich bei der verkauften Tochter um die älteste oder zweitälteste Schwester gehandelt habe, so lassen die hier kritisierten Aussagen der BF1 im Gesamtzusammenhang erkennen, dass sie im zweiten Fall von jener Schwester berichten wollte, die der leibliche Vater an einen Mann -noch älter als er selbst- verheiraten wollte (gleiches habe er mit der BF1 geplant). Die diesbezüglich in der Erstbefragung getätigte Aussage, im Gesamtzusammenhang so zu verstehen, dass der leibliche Vater aus jeder seiner Töchter Profit schlagen wollte. Ein hier aufzugreifender Widerspruch ergibt sich aus diesen Aussagen nicht. Wie schon erwähnt, wusste die BF1 von ihrer leiblichen Familie nur durch Erzählungen ihrer Pflegeeltern und hat sich gescheut, diese oftmals zu diesem Thema zu befragen. Somit erscheint auch plausibel, dass die BF1 nicht genau angeben konnte, ab wann ihr leiblicher Vater sich den Taliban angeschlossen hatte, wie viele leibliche Geschwister sie genau hatte und auch nicht das genaue Datum nennen konnte, an dem ihr Onkel väterlicherseits und dessen Sohn ermordet wurden. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich die Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 noch nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Sofern dort gemachte Aussagen erst später vervollständigt werden, spricht dies nicht ohne weiteres gegen die Glaubwürdigkeit der befragten Person. Dass Drohbriefe zunächst beim Pflegevater eintrafen und später auch (nach ihrer Heirat) bei ihr selbst, hat die BF1 im Beschwerdeverfahren dargelegt. Damit ist aber auch der im angefochtenen Bescheid aufgezeigte Widerspruch, wonach einerseits der Pflegevater Drohbriefe zur Polizei gebracht habe und andererseits, die BF1 selbst Drohbriefe entsorgt habe, aufgelöst:

Die BF hat in unbedenklicher Weise klargestellt, dass mehrere Drohbriefe (sowohl bei ihrem Pflegevater als auch später bei ihr selbst) abgelegt wurden und erste Versuche (zunächst ihres Pflegevaters und später auch ihres Mannes), die Polizei einzuschalten, keinen Erfolg brachten, woraufhin die BF1 mit ihrem Mann beschlossen habe, umzuziehen und die Drohbriefe zu entsorgen. Soweit Unglaubwürdigkeit der BF1 daraus abgeleitet wird, dass diese einerseits angegeben hatte, nicht mit dem leiblichen Vater gesprochen zu haben und andererseits, dass er sie angerufen habe, so hat die BF1 klargestellt, dass sie die telefonischen Kontaktnahmen ihres leiblichen Vater als pure Bedrohung erlebt hat, und dass ihr dieser keine Chance auf ein beiderseitiges Gespräch gab. Soweit der BF vorgehalten wird, sie habe am 05.12.2017 ausgesagt, der Nachbar habe am Telefon gesagt, dass es laut war und an anderer Stelle, der Nachbar habe ihr bereits am Telefon den Tod des Mannes mitgeteilt, so wird auch diesem Vorhalt nach Einsicht in das bezügliche Protokoll nicht gefolgt. Aus diesem Protokoll ist zu erkennen, dass die BF zunächst angab, dass die Nachbarsfamilie diejenige war, die sie von dem Vorfall informiert hat - da die BF ja selbst nicht zu Hause war - und dann genaueres über die Mitteilungen der Nachbarn erzählte.

Dass die BF1 in Österreich für sich und ihre Töchter Bildung und eigenständiges Leben anstrebt, geht aus ihren Befragungen unbestritten hervor.

Die Aussagen der BF1 bezüglich ihres Fluchtgrundes sind daher insgesamt als glaubwürdig zu beurteilen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

§ 3. AsylG 2005 in

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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