TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/12 W261 2198659-1

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Veröffentlicht am 12.12.2018
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Entscheidungsdatum

12.12.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2198659-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und den Richter Mag. Markus BELFIN sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 15.05.2018, betreffend die Zurückweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte erstmals am 05.09.2016 beim Sozialministeriumservice (in der Folge "belangte Behörde" genannt) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt.

In dem von der belangten Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten wurden die Funktionseinschränkungen "chronisches Schmerzsyndrom" und "Hauterkrankungen, rezidivierende Neurinome" mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (in der Folge v.H.) festgestellt und ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorlägen.

Die belangte Behörde stellte der Beschwerdeführerin am 28.10.2016 einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. aus.

Mit Bescheid vom 10.11.2016 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

Am 27.06.2017 beantragte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde erneut die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 30.08.2017 erstatteten Gutachten vom 06.09.2017 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorlägen.

Unter Zugrundelegung des ärztlichen Sachverständigengutachtens wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass mit Bescheid vom 27.09.2017 ab.

Am 22.03.2018 - sohin innerhalb der Jahresfrist des § 41 Abs. 2 BBG - stellte die Beschwerdeführerin neuerlich den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte ein Konvolut an medizinischen Befunden vor.

Die belangte Behörde ersuchte den Ärztlichen Dienst um sofortige Beantwortung, ob die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung vorliegen würden. In der Stellungnahme der Chefärztin des Ärztlichen Dienstes vom 11.05.2018 führte diese aus, dass die neu vorgelegten Befunde keine Änderung der Gesamteinschätzung ergäben.

Mit Bescheid vom 15.05.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass wegen §§ 41 und 45 zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass mit Bescheid vom 27.09.2017 in dieser Sache rechtskräftig entschieden worden sei. Die Beschwerdeführerin habe aber keine offenkundige Änderung der Funktionsbeeinträchtigungen seit der rechtskräftigen Entscheidung geltend machen können. Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid die eingeholte ärztliche Stellungnahme in Kopie an.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin, bevollmächtigt vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (in der Folge KOBV), fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge "BVwG"). Dabei brachte sie zusammengefasst vor, die befragte Sachverständige, deren Fachgebiet nicht ersichtlich sei, und die belangte Behörde hätten sich nicht mit den neu vorgelegten Befunden, insbesondere nicht mit dem neuerlichen Rezidiv im Bereich des rechten Bein, auseinandergesetzt. Aufgrund des Tumors seien eine Operation und eine Rehabilitation notwendig gewesen. Im Rahmen der Rehabilitation sei der Beschwerdeführerin eine Push-Aircast-Schiene rechts sowie ein Krückstock links verordnet worden, ohne welchen der Beschwerdeführerin die Fortbewegung nicht mehr möglich sei. Im vorgelegten Reha-Bericht werde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin lediglich mit zwei Stützkrücken in der Lage wäre, eine Strecke von 310 Metern zurückzulegen. Mit zwei Stützkrücken wäre es der Beschwerdeführerin aber nicht möglich, sich ausreichend sicher in einem öffentlichen Verkehrsmittel anzuhalten. Außerdem sei es ihr weiterhin nicht möglich, Höhenunterschiede wie es zum Besteigen oder Verlassen eines öffentlichen Verkehrsmittels notwendig sei, zu überwinden. Der Beschwerdeführerin sei kein Parteiengehör zu der sofortigen Beantwortung vom 11.05.2016 gewährt worden. Sie habe mit ihrem Antrag sehr wohl offenkundige Änderungen in ihrer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft gemacht. Es werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Neurologie und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde veranlasste das BVwG in der Folge die neuerliche Begutachtung der Beschwerdeführerin durch eine Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 04.09.2018 erstatteten Gutachten vom selben Tag führte die Sachverständige zusammengefasst aus, dass seit der letzten Untersuchung am 30.08.2017 durch die Neurinomentfernung im Oktober 2017 eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Als zusätzliches Leiden sei nunmehr eine "Peronaeusschwäche rechts" unter der Positionsnummer 04.05.13 mit einem Grad der Behinderung von 40 v.H. einzuschätzen. Bei der Beschwerdeführerin würden erhebliche Einschränkungen der Funktion der unteren Extremitäten und neurologischer Funktionen vorliegen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei der Beschwerdeführerin nicht zumutbar.

Das BVwG übermittelte das Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 05.11.2018 an die durch den KOBV vertretene Beschwerdeführerin und an die belangte Behörde und räumte diesen eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Keine der beiden Parteien gab innerhalb der gewährten Frist eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.

Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin:

Neurologischer Status:

Im Kopf- Und im Hirnnervenbereich keine Auffälligkeiten. Keine Halbseitenzeichen. Seitengleiche Verhältnisse bezüglich Tonus. Kraft, Sensibilität und Reflexe an den oberen Extremitäten, bis auf schmerzende Fingergelenke. Beim Handdruck besonders bemerkbar. An den unteren Extremitäten fehlende Reflexe des Achillessehnenreflexes rechts vor links. Sensibilität rechts herabgesetzt rechts Wade, nicht radiculär. Parästhesien rechts und Außenrand Fuß rechts. Taubheitsgefühl und Kältegefühlt. Keine pathologischen Reflexe. Romberg noch einigermaßen sicher möglich. Unterberger nicht durchführbar wegen Unsicherheit. Zehen und Fersenstand links unauffällig. Rechts nicht durchführbar. Gangbild hinkend und unsicher, auch mit Stock in der Hand nicht wesentlich sicherer. Beim Versuch, mit dem Stock in der linken Hand einen Schemel zu besteigen, zu unsicher, sodass sie die Hilfe meiner Hand und Unterstützung benötigt. Alleine nicht ausreichend sicher möglich.

Psychischer Status:

Bewusstseinsklar und allseits orientiert. Keine Denkstörungen. Keine psychotische Symptomatik. Konzentration, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit regelrecht. Gedankenductus regelrecht. Befindlichkeit freundlich, kooperativ, aber schon leicht depressiv gestimmt und deutlich die zunehmende verminderte Belastbarkeit auf Grund der Schmerzen Und zahlreichen Operationen und fraglichen Prognose ihrer Erkrankung. Etwas vermindert zu affizieren. Etwas instabil Aber keine Suizidalität.

Die Beschwerdeführerin hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-

Chronisches Schmerzsyndrom / Gefühlsstörung rechtes Bein / Fuß

-

Zustand nach Neurinomentfernung anamnestisch N. suralis rechts 2011, occipital rechts 07, Handbereich rechts 01, rechter Unterschenkel 2017

-

Peronäusschwäche rechts

Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Es liegen bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der Funktion der unteren Extremitäten und der neurologischen Funktionen vor.

Sie ist nicht mehr in der Lage, eine Strecke von 300 bis 400 Meter ausreichend sicher zurückzulegen und übliche Niveauunterschiede, wie sie bei öffentlichen Verkehrsmitteln zu überwinden sind, zu bewältigen. Der Transport und das Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht ausreichend sicher gewährleistet und auch die Sitzplatzsuche ist nicht uneingeschränkt möglich.

Das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ist für die Beschwerdeführerin mit Schmerzen verbunden. Die angegebenen Schmerzen sind ihrer Natur nach sogenannte neuropathische Schmelzen, die auf die üblichen Schmerzmittel meist nur unzureichend ansprechen und meist quälend und stechend und plötzlich einschießend sein können und dadurch die Benützung öffentlicher Verkehrsmitteln gravierend einschränken.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz der Beschwerdeführerin im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Das vom BVwG eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 04.09.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag, ist aus fachlicher Sicht schlüssig und nachvollziehbar. Es wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen. Durch die Neurinomentfernung im Oktober 2017 trat eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei der Beschwerdeführerin ein. Seither besteht eine Vorfuß-Heberschwäche und die Beschwerdeführerin muss eine Peronaeusschiene tragen. Die Vorfußheberschwäche führt weiters zu einer das Gleichgewicht beeinträchtigenden Gangunsicherheit, die das Überwinden von Niveauunterschieden deutlich erschwert. Das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 Metern ist mit neuropathischen Schmerzen verbunden, die auf die üblichen Schmerzmittel meist nur unzureichend ansprechen, meist quälend, stechend und plötzlich einschießend sein können und dadurch die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gravierend einschränken. Insgesamt ist die Beschwerdeführerin nicht mehr in der Lage, eine Strecke von 300 bis 400 Metern ausreichend sicher zurückzulegen und übliche Niveauunterschiede, wie sie bei öffentlichen Verkehrsmitteln zu überwinden sind, zu bewältigen. Der Transport und das Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln sind nicht ausreichend sicher gewährleistet und auch die Sitzplatzsuche ist nicht uneingeschränkt möglich.

Weder die Beschwerdeführerin noch die belangte Behörde gaben eine Stellungnahme zu diesem Sachverständigengutachten ab.

Seitens des BVwG bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des eingeholten Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 04.09.2018, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, und wird dieses Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache:

Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15.05.2018, der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 41 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 59/2018 (in der Folge kurz BBG) wegen Einbringung eines neuerlichen Antrages binnen Jarhesfrist zurückgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

"§ 1 ....

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. .......

2. ......

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller

Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1

Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)......"

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen."

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob die Antragstellerin dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob die Antragstellerin dauernd an ihrer Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit der Beschwerdeführerin zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).

Wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. in seinem zum BBG (betreffend Zurückweisung des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung) ergangenen Erkenntnis vom 16.09.2008, 2008/11/0083, ausgeführt hat, sind "offenkundig" solche Tatsachen, deren Richtigkeit - unter Bedachtnahme auf die Lebenserfahrung - der allgemeinen Überzeugung entsprechen bzw. allgemein bekannt sind. Offenkundigkeit bringe es mit sich, dass eine Tatsache erkennbar ist, ohne dass eine Prüfung der individuellen Situation erforderlich ist.

Im Fall der Beschwerdeführerin befasste die belangte Behörde zwar den Ärztlichen Dienst mit dem Ersuchen, aus medizinischer Sicht festzustellen, ob die beiliegenden Befunde geeignet seien, eine offenkundige Änderung des Leidenszustandes glaubhaft zu machen. Seitens des Ärztlichen Dienstes erfolgte die Äußerung "Die neu vorgelegten Befunde ergeben keine Änderung der Gesamteinschätzung". Dieser Äußerung ist jedoch nicht nachvollziehbar zu entnehmen, weshalb mit dem im neuerlichen Antrag vorgebrachten Neurinom-Entfernung am rechten Unterschenkel und die seither bestehende Vorfuß-Heberschwäche keine offenkundige Änderung des Leidenszustandes bzw. der Funktionsbeeinträchtigung geltend gemacht wird. Auch aus der Begründung des angefochtenen Bescheides lassen sich diesbezüglich keine näheren Aufschlüsse gewinnen.

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen, wurde in dem vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Psychiatrie vom 04.09.2018, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag, nachvollziehbar bejaht, dass seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung am 27.09.2017 eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten ist und im Fall der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der bei der Beschwerdeführerin objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen ist es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf das über Veranlassung des BVwG eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruht und auf alle Einwände und vorgelegten Befunde der Beschwerdeführerin in fachlicher Hinsicht eingeht. Wiewohl die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung stellte, gab sie im Rahmen des Parteiengehörs, worin das BVwG ausdrücklich darauf hinwies, dass beabsichtigt sei, die Entscheidung auf Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu erlassen, keine Stellungnahme ab. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG - trotz des Antrages der Beschwerdeführerin auf Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in ihrer Beschwerde - nicht entgegen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W261.2198659.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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