TE OGH 2018/12/19 10Ob95/18w

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Veröffentlicht am 19.12.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin M*****, vertreten durch Dr. Richard Leitner, Rechtsanwalt in Telfs, gegen den Antragsgegner P*****, vertreten durch Dr. Johannes Margreiter, Rechtsanwalt in Hall, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 12. Juli 2018, GZ 53 R 87/18k-84, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Telfs vom 11. Mai 2018, GZ 1 Fam 9/16t-80, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird aufgehoben. Die Außerstreitsache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die 1994 geborene Antragstellerin ist die außereheliche Tochter des Antragsgegners. Dieser war mit Beschluss des Erstgerichts vom 27. 11. 2015, 1 Fam 38/15f mit Wirkung ab 1. 9. 2015 von seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Antragstellerin enthoben worden. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist der von der Antragstellerin ab 1. 2. 2016 (neuerlich) geltend gemachte Unterhaltsanspruch von monatlich 403 EUR.

Die Antragstellerin hat nach fünfjähriger Ausbildung im Juni 2014 die Reife- und Diplomprüfung an der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Bautechnik – Ausbildungsschwerpunkt Hochbau erfolgreich abgelegt. Nach den im ersten Rechtsgang getroffenen bisherigen Feststellungen des Erstgerichts hatte sie sich
schon davor um einen Ausbildungsplatz für den Fachhochschul-Bachelor-Studiengang Physiotherapie beworben; diese und auch alle nachfolgenden Bewerbungen blieben jedoch erfolglos. Bereits ab 9. 5. 2014 begann die Antragstellerin die Ausbildung zur Diplomierten Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften FIT-Instruktorin zu absolvieren, die sie ein Jahr später (am 30. 4. 2015) positiv abschloss. Im Zeitraum von 1. 12. 2014 bis 31. 5. 2015 war sie geringfügig in einem Fitnessstudio beschäftigt; von 1. 8. 2015 bis 23. 10. 2015 übte sie dort den Beruf einer Diplomierten Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften FIT-Instruktorin im Rahmen eines Teilzeitarbeitsverhältnisses aus. Das Dienstverhältnis endete durch eine von der Antragstellerin erklärte Kündigung. Vom 1. 12. 2015 bis 31. 1. 2016 absolvierte sie ein unentgeltliches Praktikum bei einem Physiotherapeuten. Seit 15. 2. 2016 besucht sie eine dreijährige Berufsfachschule für Physiotherapie in Deutschland und absolviert dort die Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin. Sie erzielte dabei bisher einen Notendurchschnitt im Bereich von 1,46 bis 1,58. Nach Ablegung der „Staatlichen Prüfung in der Physiotherapie“ erhalten die Absolventinnen und Absolventen dieser Ausbildung die Urkunde über die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut/in“. Bei dieser deutschen Berufsqualifikation handelt es sich um eine der österreichischen Ausbildung im physiotherapeutischen Dienst gleichwertige Ausbildung im Sinn des § 6b Abs 1 MTD-Gesetz. Zwischen der deutschen und der österreichischen Ausbildung besteht im Sinn des § 6b Abs 5 MTD-Gesetz ein wesentlicher Unterschied nur im Fachbereich „Manuelle Lymphdrainage“. Bei Vorlage eines Nachweises über eine Aus-, Fort- bzw Weiterbildung in diesem Fachbereich im Mindestausmaß von 50 Stunden gilt dieser Unterschied als kompensiert. Eine Anerkennung kann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – insbesondere der Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung und Vertrauenswürdigkeit – ohne weitere Kompensations-maßnahmen (Anpassungslehrgang oder Eignungsprüfung) erfolgen.

Der Antragsgegner ist beim Streitkräfte Führungskommando, Schwarzenbergkaserne beschäftigt. Er hat Sorgepflichten für drei weitere (1998, 1999 und 2001 geborene) Kinder, die aus einer anderen Beziehung stammen. Sein ältester Sohn absolviert seit 1. 9. 2014 eine Lehre.

Unter Zugrundelegung des Zeitraums von 1. 4. 2015 bis 31. 3. 2016 ging das Erstgericht von einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von monatlich durchschnittlich 2.595,39 EUR netto (inklusive Sonderzahlungen) aus.

In seiner im zweiten Rechtsgang gefassten Entscheidung stellte das Erstgericht ergänzend fest, dass die Antragstellerin die ersten drei Semester ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin positiv abgeschlossen hat. Als Absolventin einer Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Bautechnik, Ausbildungsschwerpunkt Hochbau, verfügt sie über eine abgeschlossene Berufsausbildung, aufgrund derer ihr Berufstätigkeiten in der Planung, Konstruktion, Bauleitung, Bauausführung und im Baumanagement offenstehen. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt in der Baubranche beträgt monatlich 2.380 bis 2.660 EUR brutto. Die Baubranche ist aber saisonal und konjunkturbedingt starken Schwankungen unterworfen.

Der Beruf der Diplomierten Gesundheits- und Fitnesstrainerin ist typischerweise auf dem zweiten Bildungsweg erlernbar. Die Erwerbschancen in diesem Beruf sind nicht so hoch wie in den Berufen mit HTL-Reifeprüfungsabschluss bzw als Physiotherapeutin. Der durchschnittliche Einstiegsgehalt beträgt monatlich 1.840 bis 2.190 EUR brutto.

Die Ausbildung zur Physiotherapeutin ist als Höherqualifizierung (Bachelor) einzustufen. Durch den stark eingeschränkten Zugang zu dieser Ausbildung ergeben sich Engpässe. Aus berufskundlicher Sicht ist die Gesundheitsbranche sehr stabil und stetig wachsend, der Bedarf an Physiotherapeuten steigt seit Jahren stetig an. Die Gesundheitsbranche bietet gute Berufsaussichten ohne saisonale und konjunkturelle Schwankungen. Der durchschnittliche Einstiegsgehalt beträgt monatlich 2.300 bis 2.550 EUR. Aus berufskundlicher Sicht sind die Berufsaussichten (Fortkommenschancen) der Antragstellerin als Physiotherapeutin im Gesundheitsbereich günstiger als in der Baubranche.

Soweit für das Revisionsrekursverfahren von Belang begehrt die Antragstellerin einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 403 EUR ab dem 1. 2. 2016. Sie habe den Berufswunsch zur Physiotherapeutin bereits in der 2. Klasse der HTL gehabt und die HTL nur abgeschlossen, um mit der Reifeprüfung die Voraussetzungen zur Zulassung zur Physiotherapieausbildung zu erfüllen. Sie habe sich bereits vor Ablegung der Matura um einen Platz im Fachhochschul-Bachelor-Studiengang Physiotherapie in Innsbruck und in Salzburg beworben, aber jeweils Absagen erhalten. Weil sie Sportphysiotherapeutin werden wolle und bei diesem Beruf die Zusatzausbildung zur Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften FIT-Instruktorin gewünscht werde, habe sie diese Ausbildung als Zusatzausbildung bzw zur Überbrückung bereits vor der Reifeprüfung begonnen. Nebenbei sei sie in dieser Sparte geringfügig beschäftigt gewesen; nach Abschluss der Ausbildung habe sie eine Teilzeitbeschäftigung als Fitness- und Gesundheitstrainerin ausgeübt. Sie habe ihr Dienstverhältnis aufgelöst und danach – bis zum Beginn ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin in Friedrichshafen – nur ein unbezahltes Praktikum bei einem praktizierenden Physiotherapeuten finden können. Aufgrund ihrer Einkommenslosigkeit während ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin stehe ihr neuerlich ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Antragsgegner zu.

Der Antragsgegner sprach sich gegen die beantragte Unterhaltsfestsetzung aus und brachte im Wesentlichen vor, dass die Antragstellerin als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei, seit er ab 1. 9. 2015 von seiner Unterhaltspflicht enthoben worden sei. Die im Frühjahr 2015 an der Bundesanstalt für Leibeserziehung Innsbruck abgeschlossene Ausbildung zur „Diplomierten Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften Instruktorin für FIT/Erwachsene“ stelle – neben dem HTL-Abschluss eine zweite abgeschlossene Berufsausbildung dar. Beide Berufsausbildungen wiesen jeweils sehr gute Berufsperspektiven auf, die durch eine Ausbildung zur Physiotherapeutin nicht weiter verbesserbar seien. Die Antragstellerin hätte seit Abschluss der Ausbildung zur „Diplomierten Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften Instruktorin für FIT/Erwachsene“ am 30. 4. 2015 ein Einkommen erzielen können. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht seien nicht gegeben. Die in Deutschland absolvierte Physiotherapieausbildung werde in Österreich nicht anerkannt, sondern müsse erst nostrifiziert werden. Zudem betreibe die Antragstellerin diese Ausbildung nicht zielstrebig.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner im ersten Rechtsgang zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 403 EUR ab 1. 2. 2016. Nach Aufhebung durch das Rekursgericht zur Verfahrensergänzung (zur Frage, ob mit der Ausbildung zur Physiotherapeutin ein besseres Fortkommen verbunden sei als im Bereich der bisherigen Berufsausbildung) verpflichtete das Erstgericht auch im zweiten Rechtsgang den Antragsgegner zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 403 EUR ab 1. 2. 2016. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass einem Unterhaltsberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen nach Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit auch eine zweite Berufsausbildung gegen den Willen – aber dennoch auf Kosten – des Unterhaltspflichtigen zugebilligt werden können. Voraussetzung sei, dass der Unterhaltsberechtigte eine ernsthafte Neigung und besondere Eignung (überdurchschnittliche Begabung) sowie ausreichenden Fleiß für eine derartige weitere Ausbildung erkennen lasse, es dem Unterhaltsschuldner nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zumutbar erscheine, dafür Leistungen zu erbringen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass dadurch eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen Fortkommens des Kindes eintreten werde. Maßstab für (all) diese Beurteilungskriterien seien die Verhältnisse in einer fiktiven „intakten“ Familie. Die Chancensteigerung könne sich auch aus der Sicherheit und Krisenfestigkeit des neuen Ausbildungszweigs ergeben. Die elterliche Unterhaltspflicht könne sowohl mit Aufnahme einer sachlich gerechtfertigten Fortsetzung der Schul- oder Berufsausbildung oder auch mit einer gerechtfertigten beruflichen Weiterbildung wiederaufleben. Insbesondere bei erst seit Kurzem selbsterhaltungsfähigen Personen könne es gerechtfertigt sein, dass die Weiterbildung in Form eines Vollzeitstudiums betrieben werde. Die Antragstellerin habe im zweiten Rechtsgang durch Vorlage ihrer Zeugnisse der ersten drei Semester ihre Zielstrebigkeit und besondere Eignung zur Ausbildung als Physiotherapeutin untermauert. Zwar seien laut dem (im zweiten Rechtsgang ergänzend) eingeholten berufskundlichen Sachverständigengutachten die Einkommensmöglichkeiten in der Baubranche und als Physiotherapeutin in etwa gleich hoch, es sei jedoch das Gesamtbild der weiteren Ausbildung zu betrachten. Die Berufsaussichten bzw die Chancen, sich am Arbeitsmarkt als Physiotherapeutin zu integrieren und in adäquater Zeit einen Arbeitsplatz zu finden, seien weitaus günstiger als in der Baubranche. Während in der Baubranche auf jede freie Stelle mindestens zwei potentielle Bewerber kommen und konjunkturelle Schwankungen bestehen, lasse sich im Gesundheitsbereich erkennen, dass die Nachfrage nach Physiotherapeuten kontinuierlich steige, was jedenfalls bessere Erwerbsaussichten begründe.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung infolge Rekurses des Antragsgegners dahin ab, dass es den Antrag abwies. Durch die weitere Berufsausbildung müsse eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen Einkommens des Unterhaltsberechtigten eintreten. Diese Voraussetzung sei nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht erfüllt, weil die Einstiegsgehälter in der Baubranche und beim Beruf der Physiotherapeutin in etwa gleich hoch seien. Hinzu komme, dass die Antragstellerin die Ausbildung zur Bautechnikerin bereits im Juni 2014 abgeschlossen habe, also seither in diesem Beruf nicht nur das genannte Einstiegsgehalt, sondern infolge der zwischenzeitig erworbenen Berufspraxis auch ein höheres Einkommen erzielen hätte können. Eine weitere berufliche Ausbildung eines Erwachsenen geschehe grundsätzlich außerhalb der Ingerenz seiner Eltern und sei dem Erwachsenen auch hinsichtlich ihrer Finanzierung allein anheim gestellt. Dementsprechend sei an ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht wegen einer weiteren Berufsausbildung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei einer Erstausbildung. Nach der älteren Judikatur führe die weitere berufliche Ausbildung eines Erwachsenen, der schon selbsterhaltungsfähig sei, nur dann zu einem Wiederaufleben der Unterhaltsverpflichtung, wenn die bisherige Ausbildung die Erzielung eines angemessenen Einkommens nicht zuließe. Ob und inwieweit diese Rechtsprechung in Hinkunft noch fortgeschrieben werde, sei im Hinblick auf die Entscheidung 3 Ob 128/16v nicht (mehr) gesichert. Ein Wiederaufleben der Unterhaltsverpflichtung erscheine dem Unterhaltsschuldner jedenfalls nur dann zumutbar, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen besseren Fortkommens des Kindes eintreten werde. Allein der Umstand, dass die Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, mangels saisonaler und konjunktureller Schwankungen im Gesundheitsbereich besser seien als in der Baubranche, könne nicht zum Aufleben der Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners führen. Dieser sei daher nicht gehalten, zu der zweiten Berufsausbildung der Antragstellerin als Physiotherapeutin beizutragen. Da bereits den Ausführungen zur Rechtsrüge gefolgt werde, erübrige sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der im Rekurs ausgeführten Mängel- und Beweisrüge.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass keine gesicherte Rechtsprechung dazu vorliege, ob ein Wechsel in einen krisenfesteren Ausbildungszweig zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht führe.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist
zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts nicht in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen steht. Er ist auch im Sinne einer Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung berechtigt.

In ihrem Revisionsrekurs macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, sie habe seit der 2. Klasse der HTL auf ihr Berufsziel zielstrebig hingearbeitet. Nach Absolvierung des „Überbrückungsjahres“ als Gesundheits- und Fitnesstrainerin habe sie ihr Studium mit Fleiß und Strebsamkeit betrieben. Die Ausbildung zur Physiotherapeutin diene nicht nur ihrem besseren Fortkommen, weil dieser Beruf krisensicher und zukunftsorientiert sei, sondern vor allem weil er ihrem Berufswunsch entspreche.

Dazu ist auszuführen:

1.1 Es entspricht der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, dass unterhaltspflichtige Eltern ihrem Kind nicht nur eine abgeschlossene Berufsausbildung entsprechend ihrem Stand und Vermögen zu gewähren haben, sondern auch zu seiner höherwertigen weiteren Berufsausbildung beizutragen haben, wenn das Kind die zum Studium erforderlichen Fähigkeiten besitzt, das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt und wenn den Eltern nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen eine solche Beteiligung an den Kosten des Studiums des Kindes möglich und zumutbar ist (RIS-Justiz RS0047580).

1.2 Ein den Lebensverhältnissen der Eltern und den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes entsprechendes Studium kann somit den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinausschieben. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für Absolventen einer allgemeinbildenden höheren Schule, sondern gleichermaßen für Absolventen einer berufsbildenden mittleren oder höheren Lehranstalt, selbst wenn deren Schulabschluss mit der Berechtigung zur Ausübung eines Lehrberufs oder den Voraussetzungen für die Ausübung eines Gewerbes verbunden ist (RIS-Justiz RS0047625). Dahinter steht, dass die Wahl einer berufsbildenden höheren Schule meist auf dem Willen der Eltern beruht und zu einem Zeitpunkt erfolgt, in welchem das Kind in der Regel noch keine konkreten Vorstellungen von seinem künftigen Beruf hat. Nach ständiger Rechtsprechung wird daher auch in solchen Fällen der Anspruch eines Kindes bejaht, die bereits erworbene berufliche Qualifikation durch eine weiterführende Berufsausbildung auf Kosten der Eltern im Rahmen deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu ergänzen, wenn es die erforderliche Neigung und Begabung aufweist und den Abschluss einer solchen Ausbildung ernsthaft und zielstrebig verfolgt (RIS-Justiz RS0047580). Treffen diese Voraussetzungen zu, wird der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit so lange hinausgeschoben, wie die (durchschnittliche) Dauer der weiterführenden Ausbildung beträgt (RIS-Justiz RS0047617, RS0083694).

1.3 Wird ein Studium unmittelbar nach der Reifeprüfung – auch der Reifeprüfung in einer berufsbildenden höheren Schule wie einer HTL – begonnen („Anschlussstudium“), ist eine nähere Prüfung der derzeitigen und künftigen Lage auf dem Arbeitsmarkt sowie der Berufschancen nach dem Studium nicht erforderlich (3 Ob 128/16v). Dies gilt auch, wenn das Studium nicht sofort, sondern nach einer Überlegungsfrist begonnen wird, wobei die Überlegungs- (oder auch Korrektur-)frist in der Regel die Dauer eines Jahres nicht übersteigen soll (2 Ob 39/08m; RIS-Justiz RS0047679 [T2]).

1.4 Hätte die Antragstellerin einen Platz im Fachhochschul-Bachelor Studiengang Physiotherapie unmittelbar nach Ablegung der HTL-Matura oder auch erst nach einer (etwa einjährigen) Überlegungsfrist gefunden, wäre – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – dieser Studienlehrgang nicht als „ Zweitausbildung“ zu qualifizieren und die Unterhaltspflicht des Antragsgegners zu bejahen gewesen (vgl RIS-Justiz RS0047625 [T3]).

2. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin zwar keine Überlegungsfrist benötigt, weil ihr Berufswunsch, als Sportphysiotherapeutin tätig zu sein, schon seit längerer Zeit feststand, konnte aber keinen entsprechenden Ausbildungsplatz finden. Der Grund für die von ihr bereits vor Absolvierung der HTL-Reifeprüfung begonnene Ausbildung zur Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften FIT-Instruktorin lag nach ihrem Vorbringen darin, dass diese Ausbildung als „Zusatzausbildung“ zum Beruf der Sportphysiotherapeutin gewünscht werde. Nach der Reifeprüfung habe sie diese Ausbildung fortgesetzt, nunmehr auch aus der Motivation heraus, die Zeit bis zum Auffinden eines Ausbildungsplatzes als Physiotherapeutin zu überbrücken. Nach den bisherigen Feststellungen war sie bereits neben dieser Ausbildung geringfügig in einem Fitnessstudio unselbständig erwerbstätig und hat nach Abschluss dieser Ausbildung den erlernten Beruf durch zwei Monate hindurch ausgeübt, was zu ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit und zur Enthebung des Antragsgegners von seiner Unterhaltspflicht führte. Erst dann (ab 15. 2. 2016) konnte die Antragstellerin (in Deutschland) ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin beginnen.

3. Doch selbst wenn man mit dem Rekursgericht annimmt, dass nicht bloß ein verspäteter Studienbeginn vorliegt, der durch eine kurze Zusatzausbildung sowie eine kurzzeitige Berufsausübung überbrückt wurde, sondern ein Fall eines Wiederauflebens der Unterhaltspflicht nach erlangter Selbsterhaltungsfähigkeit, kann die Unterhaltspflicht des Vaters ab 1. 2. 2016 im Licht der bisherigen Rechtsprechung bejaht werden.

3.1 Nach der Rechtsprechung kann die Unterhaltspflicht der Eltern unabhängig vom Alter des Kindes aus unterschiedlichen Gründen wieder aufleben, wenn die Selbsterhaltungsfähigkeit nachträglich wieder verloren geht, weil das Kind außerstande ist, die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Gänze oder auch nur teilweise durch eigene Erwerbstätigkeit zu verdienen (RIS-Justiz RS0111995). Ein solches Wiederaufleben der Unterhaltspflicht kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das Kind bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und schon in das Berufsleben eingetreten ist, nun aber ein neues Ausbildungsziel ernstlich und strebsam verfolgt wird und dem unterhaltspflichtigen Elternteil die Finanzierung der neuen Ausbildungswünsche zumutbar ist (RIS-Justiz RS0047533 [T9]).

3.2 Bei einer Zweitausbildung ist das Weiterbestehen des Unterhaltsanspruchs aber an strengere Voraussetzungen gebunden als an jene, die für die Finanzierung der Erstausbildung maßgeblich sind (2 Ob 179/10b mwN). Hat ein Erwachsener beispielsweise schon jahrelang einen erlernten Beruf ausgeübt, geschieht die weitere berufliche Ausbildung anders als beim Minderjährigen grundsätzlich außerhalb der Ingerenz seiner Eltern und ist ihm daher auch hinsichtlich ihrer Finanzierung allein anheimgestellt. Eine weitere Unterhaltspflicht wäre nur zu bejahen, wenn die bisherige Ausbildung die Erzielung eines angemessenen Einkommens nicht zuließe (RIS-Justiz RS0047691). In den anderen Fällen ist eine Unterhaltspflicht nicht von vornherein zu verneinen, sondern wird von der Erfüllung mehrerer Voraussetzungen abhängig gemacht, nämlich von einem durch Fleiß dokumentierten besonderen Interesse, von einer besonderen Eignung für die gewählte Ausbildung, der begründeten Erwartung gesteigerter Verdienstchancen sowie der an den Lebensverhältnissen zu messenden Zumutbarkeit weiterer Unterhaltsleistungen für die Eltern (RIS-Justiz RS0107722; 3 Ob 128/16v; 3 Ob 7/97v; Mann-Kommenda, Studium und Unterhalt, EF-Z 2018/118, 259). Es muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass durch die Zweitausbildung eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen Fortkommens des Kindes eintreten werde (2 Ob 179/10b; RIS-Justiz RS0107723). Verbesserte Fortbildungschancen können jeweils nicht nur in einer „höherwertigen“ akademischen Ausbildung liegen, sondern auch darin, dass – auch wenn damit keine bessere Entlohnung verbunden ist – ein sicherer, krisenfesterer Ausbildungszweig angestrebt wird (RIS-Justiz RS0047580 [T24]).

3.3 Die Bestimmungsfaktoren bzw kumulativen Voraussetzungen bilden ein bewegliches System, das eine den jeweiligen Umständen des Einzelfalls angepasste Ausmittlung der weiterbestehenden Unterhaltspflicht ermöglichen soll (RIS-Justiz RS0107723). Für die Belastbarkeit eines Geldunterhaltspflichtigen ist zu beachten, dass Entscheidungen in Unterhaltssachen an den Verhältnissen in einer fiktiven „intakten Familie“ zu orientieren sind. Es ist zu fragen, ob in einem vergleichbaren Fall auch maßstabsgerechte „Durchschnittseltern“ einen durch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begrenzten finanziellen Beitrag zur weiterführenden Berufsausbildung ihres Kindes leisten würden (RIS-Justiz RS0101996 [T4]). Einer zielstrebig die Ausbildung zur Krankenschwester verfolgenden Unterhaltsberechtigten wurde etwa der Unterhaltsanspruch nicht schon deshalb verweigert, weil sie zur Überbrückung der Wartezeit bis zur Aufnahme in diese Ausbildung eine Handelsschule besucht und abgeschlossen hatte (3 Ob 202/05k).

4. Die elterliche Unterhaltspflicht kann auch bei einem mehrstufigen Ausbildungsgang weiterbestehen, wenn die einzelnen Stufen zumindest so weit zusammenhängen, dass der vom Unterhaltsberechtigten angestrebte Beruf eine fachliche Ergänzung, Weiterführung oder Vertiefung der schon auf der Vorstufe erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ist. Eine derartige weiterführende Berufsausbildung hat der Geldunterhaltspflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu finanzieren, wenn sein Kind für diese Ausbildung geeignet ist und das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt (10 Ob 51/08k mwN).

5.1 Mag im vorliegenden Fall auch die Ausbildung zur Diplomierten Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften FIT-Instruktorin eine abgeschlossene Berufsausbildung darstellen, hat die Antragstellerin diesen Beruf nur zwei Monate ausgeübt, sodass die zu RIS-Justiz RS0047691 indizierte Rechtsprechung (die auf eine jahrelange Berufsausübung abstellt) nicht einschlägig ist. Wenngleich sich aus den Feststellungen nicht ergibt, ob es sich bei der Ausbildung zur Physiotherapeutin um eine fachliche Ergänzung, Weiterführung oder Vertiefung der in diesem Beruf erworbenen Kenntnissen oder um eine „Zweitausbildung“ handelt, sind die geforderten weiteren Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht jedenfalls erfüllt. Die Physiotherapieausbildung ist für die Antragstellerin von Vorteil, weil sie nicht nur zu einer Berufsqualifikation führt, die ihrem lang gehegtem Berufswunsch entspricht, sondern weil sie gegenüber dem Beruf der Diplomierten Gesundheits- und staatlich geprüften FIT-Instruktorin (der keine Reifeprüfung voraussetzt) eine Höherqualifizierung (Bachelorstudium) mit sich bringt, mit der im Allgemeinen bessere Erwerbs- und Fortkommenschancen verbunden sind. Dass die Physiotherapieausbildung gegenüber dem Beruf der Diplomierten Gesundheitstrainerin und staatlich geprüften FIT-Instruktorin wesentlich verbesserte Einkommenschancen bietet, steht auch bereits konkret fest.  Die ernsthafte Neigung, die besondere Eignung und der ausreichende Fleiß der Antragstellerin für die gewünschte Ausbildung zur Physiotherapeutin sowie die ernsthafte und zielstrebige Betreibung dieser Ausbildung ist erwiesen. Dass dem Antragsgegner die Erbringung der Unterhaltsleistung nach seinen Lebensverhältnissen nicht zumutbar wäre, wird in der Revisionsrekursbeantwortung nicht mehr geltend gemacht. Es wird auch nicht mehr damit argumentiert, dass eine Nostrifizierung der in Deutschland absolvierten Phsyiotherapieausbildung nicht chancenreich wäre. Ein Vergleich der Erwerbs- und Fortkommenschancen im Beruf der Physiotherapeutin mit den Erwerbs- und Fortkommenschancen in jenen Berufen, die die Antragstellerin aufgrund ihrer HTL-Reifeprüfung in der Baubranche ausüben könnte, ist ausgehend von der Rechtsprechung, dass die Reifeprüfung an der HTL keine die Selbsterhaltungsfähigkeit herbeiführende Berufsausbildung darstellt, nicht entscheidungswesentlich (RIS-Justiz RS0047625).

5.2 Zusammenfassend soll es der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen, dass sie die Zeit bis zum Auffinden eines Ausbildungsplatzes in dem von ihr seit langem gewünschten Beruf nicht ungenützt verstreichen ließ, sondern die Wartezeit für den Erwerb einer – ihrem Vorbringen nach – für die Erfüllung ihres Berufswunsches zweckdienlichen Ausbildung genützt hat und nach Abschluss dieser Ausbildung kurzfristig unselbständig erwerbstätig war. Unter diesen Umständen ist vielmehr davon auszugehen, dass ein maßstabsgerechter Elternteil bei fiktiven „intakten“ Familienverhältnissen seinem Kind weiterhin bzw neuerlich Unterhalt gewährt. Ein weiterer Beitrag zur Berufsausbildung der Antragstellerin erscheint daher auch dem Antragsgegner zumutbar. Auf Grundlage der bisherigen Verfahrensergebnisse lebt dessen ab 1. 9. 2015 für erloschen erklärte Unterhaltsverpflichtung somit ab 1. 2. 2016 wieder auf.

6. Da das Rekursgericht – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten – Rechtsansicht, der Antragstellerin stehe aus rechtlichen Gründen kein Unterhaltsanspruch zu, die im Rekurs des Antragsgegners erhobene Mängel- und Beweisrüge bisher unerledigt gelassen hat, war mit einer Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung und einer Zurückverweisung an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung vorzugehen.

Dem Revisionsrekurs ist somit im Sinn des – im Abänderungsantrag eventualiter enthaltenen – Aufhebungsantrag Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 AußStrG.

Textnummer

E123933

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00095.18W.1219.000

Im RIS seit

08.02.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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