Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohammed Abdi M***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 12. Juni 2018, GZ 30 Hv 11/18w-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohammed Abdi M***** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB (I./) sowie der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (II./) und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt und zu Unrecht (RIS-Justiz RS0088812, RS0086987; Schroll in WK2 JGG § 13 Rz 11), jedoch ersichtlich nicht zum Nachteil, gemäß § 31 Abs 1 StGB zu einer Zusatzstrafe zu dem einen Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe gemäß § 13 Abs 1 JGG enthaltenden Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 21. Dezember 2017, GZ 15 U 98/17v-12, verurteilt.
Danach hat er am 16. Dezember 2017 in G*****,
I./ fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Geldbörse im Wert von 20 Euro samt darin befindlichem Bargeld in Höhe von zumindest 360 Euro Alexander S***** mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er zur Ablenkung das Opfer danach fragte, ob es einen 100 Euro-Schein wechseln könne, um diesem sodann die Brieftasche aus der Hand zu entreißen, wobei er bei seiner Betretung auf frischer Tat Gewalt gegen eine Person anwendete, um sich die weggenommene Sache zu erhalten, indem er dem Alexander S***** zunächst einen Faustschlag gegen den Kopf und danach einen Kopfstoß versetzte, was bei diesem eine Schwellung der Lippen und Schmerzen im Bereich von Nase und Zähnen zur Folge hatte;
II./ durch die zu Punkt I./ beschriebene Tathandlung ein unbares Zahlungsmittel des Alexander S*****, über welches er nicht verfügen durfte, nämlich eine Bankomatkarte, mit dem Vorsatz, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt, indem er diese wegnahm;
III./ durch die zu Punkt I./ beschriebene Tathandlung die E-Card, den Führerschein sowie eine Mitgliedskarte für eine Kletterhalle und einen Boulderclub des Alexander S*****, somit Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem er diese wegnahm.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus Z 5 und Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der schon aus dem letztgenannten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt.
Die Tatrichter nahmen als erwiesen an, dass die Brieftasche samt Inhalt, also dem Bargeld von 360 Euro, der Bankomatkarte und den genannten Urkunden, am 16. Dezember 2017 um 2:47 Uhr vom Angeklagten auf der Polizeiinspektion G***** K*****straße abgegeben wurde, die Anzeigeerstattung durch Alexander S***** (erst) am 16. Dezember 2017 gegen 12:00 Uhr erfolgte und dass die Gegenstände diesem rückausgefolgt wurden (US 4).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zeigt zutreffend auf, dass das Erstgericht mit der Begründung, wonach tätige Reue dort ausgeschlossen sei, wo nicht nur fremdes Vermögen geschädigt, sondern überdies Gewalt oder gefährliche Drohung angewendet und demnach auch ein anderes Rechtsgut verletzt werde (US 5), die Anwendbarkeit des Strafaufhebungsgrundes nach § 167 StGB auf das Verbrechen des räuberischen Diebstahls – schon wegen des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes und des bestehenden Analogieverbots – zu Unrecht ausgeschlossen hat (Kienapfel/Schmoller StudB BT II2 § 167 Rz 13 f; Stricker in WK2 StGB § 131 Rz 55; Kirchbacher in WK2 StGB § 167 Rz 19; Rainer, SbgK § 167 Rz 8; in diesem Sinn auch die Entscheidungen 12 Os 104/91 und 14 Os 81/95, in denen die Behauptung des Vorliegens tätiger Reue bei nach §§ 127, 131 erster Fall StGB beurteilten Tathandlungen inhaltlich geprüft wurde, ohne diesen Strafaufhebungsgrund in Frage zu stellen).
Angesichts dessen sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Rückgabe der deliktisch erlangten Sachen an die Behörde bei – fallbezogen aufgrund der in der Brieftasche enthaltenen Ausweisdokumente – sichergestellter Ausfolgung an den Geschädigten für eine Schadensgutmachung durch den Täter (§ 167 Abs 2 Z 1 StGB) hinreicht (Kirchbacher in WK2 StGB § 167 Rz 92, 118), erweist sich die im Schuldspruch I./ zum Ausdruck kommende (implizite) rechtliche Annahme der Beseitigung dieses Ausnahmesatzes mangels weiterer Feststellungen, weshalb der relevierte Strafaufhebungsgrund dennoch ausgeschlossen wäre, als unschlüssig (RIS-Justiz RS0122332; vgl auch 14 Os 32/17p; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602). Daran vermögen im vorliegenden Fall auch die vom Tatopfer erlittenen leichten Verletzungen nichts zu ändern. § 167 Abs 2 Z 1 StGB verlangt zwar die Gutmachung des gesamten aus der Tat entstandenen Schadens. Dieser deckt sich nach ständiger Rechtsprechung jedoch nicht mit dem zivilrechtlichen Schadensbegriff („volle Genugtuung“ bei vorsätzlichem Handeln gemäß § 1324 ABGB), sondern erfordert nur den Ersatz des – auch aus Begleitumständen der Tat – im Sinne deliktstypischer Verknüpfung entstandenen, für den Täter in seinem Ausmaß objektiv überschaubaren Vermögensschadens (also nicht eines ideellen Schadens; vgl Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 Rz 1353), somit in der Regel des positiven Schadens aufgrund objektiv-abstrakter Schadensberechnung (vgl RIS-Justiz RS0095155; SSt 59/86; Brandstetter, JBl 1987, 545; Kirchbacher in WK2 StGB § 167 Rz 49 ff). Außerdem gilt der auf ein im Wege der Scheinkonkurrenz verdrängtes, nicht reuefähiges Delikt zurückgehende Schaden nur dann als „deliktstypisch“, wenn dieses Delikt gegen das selbe Rechtsgut gerichtet ist wie das reuefähige Delikt, von dem es verdrängt wurde (vgl Brandstetter, JBl 1987, 545 [547]).
Für den zweiten Rechtsgang bleibt anzumerken, dass für den Fall der Annahme tätiger Reue diese nur die Aufhebung der Strafbarkeit wegen des Vermögensdelikts betrifft, sodass von § 131 StGB konsumierte strafbare Handlungen wie etwa nach § 83 StGB oder § 105 StGB wieder aufleben (Stricker in WK2 StGB § 131 Rz 55; Kirchbacher in WK2 StGB § 167 Rz 135; Rainer, SbgK § 167 Rz 9).
Doch auch zu den Schuldsprüchen II./ und III./ erweist sich die Beschwerde als berechtigt:
Weder wurden – unter dem Gesichtspunkt des Strafaufhebungsgrundes des § 241g Abs 1 StGB – Feststellungen zu einem der Rückstellung vorangegangenen, tätige Reue ausschließenden (Schroll in WK2 StGB § 241g Rz 7 und 9), auch bloß versuchten Gebrauch der Bankomatkarte im Rechtsverkehr getroffen, noch sind den Entscheidungsgründen Anhaltspunkte für eine im Sinn des § 241g Abs 1 StGB unfreiwillige (Schroll in WK2 StGB § 241g Rz 5) Rückstellung der Bankomatkarte an die Behörde (§ 151 Abs 3 StGB) zu entnehmen.
Des weiteren wurde nicht konstatiert, dass die unterdrückten Urkunden durch das Tatopfer – tätiger Reue nach § 229 Abs 2 StGB entgegenstehend – noch vor deren Rückerlangung im Rechtsverkehr hätten gebraucht werden sollen (Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 229 Rz 42).
Damit erweist sich auch die zu II./ und III./ (erkennbar infolge verfehlter Rechtsansicht des Erstgerichts) zum Ausdruck kommende implizite rechtliche Annahme der Beseitigung des relevierten Strafaufhebungsgrundes mangels weiterer Feststellungen als unschlüssig (RIS-Justiz RS0122332; vgl auch 14 Os 32/17p; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602), sodass der Schuldspruch auch insoweit aufzuheben war.
Eines Eingehens auf das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) bedurfte es somit nicht.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war das angefochtene Urteil daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung zur Gänze aufzuheben (§
285e StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Textnummer
E123940European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00107.18D.0124.000Im RIS seit
08.02.2019Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022