Entscheidungsdatum
28.11.2017Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
I412 2165673-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol vom 22.06.2017, Zl. OB:
XXXX, betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Am 08.05.2017 beantragte Frau XXXX, geb. am XXXX (in der Folge als Beschwerdeführerin bezeichnet), die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in ihren Behindertenpass.
Mit Bescheid vom 22.06.2017 wies das Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet), den Antrag der Beschwerdeführerin ab. In der Begründung stützt sich die belangte Behörde auf das im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten kurz davor eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. N. vom 27.03.2017. Darin führt die Sachverständige aus, dass keine der festgestellten Funktionseinschränkungen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar mache. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung lägen daher nicht vor. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens wurden als Beilage zum Bescheid übermittelt.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und brachte vor, dass eine akute zusätzliche Erkrankung bestehe, welche im Gutachten noch keine Berücksichtigung gefunden habe. Bei dieser Krankheit handle es sich wahrscheinlich um eine Autoimmun-Erkrankung. Der Beschwerde wurde diesbezüglich auch ein ärztliches Attest beigefügt.
Beschwerde und bezughabender Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 27.07.2017 zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schreiben vom 31.07.2017 wurde neuerlich Dr. N. beauftragt, ihr Gutachten vom 27.03.2017 zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu ergänzen und die zusätzlichen Fragen des erkennenden Gerichtes möglichst ausführlich und nachvollziehbar zu beantworten.
In ihrem Ergänzungsgutachten vom 11.08.2017 führte die Sachverständige aus wie folgt:
"[ ] Ad 1) Ist die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Erkrankung als schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems anzusehen, welche die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung (Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht möglich) rechtfertigt?
[ ] Die Diagnose mikroskopische Colitis wurde gestellt Insgesamt wird die Entzündung als "geringgradig", nicht aber als schwere Erkrankung des Immunsystems beschrieben. [ ]
Die Ursache für eine mikroskopische Colitis ist noch nicht vollständig geklärt, ein Autoimmungeschehen ist wahrscheinlich Er liegt jedoch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor. Therapeutisch wird ein Kortisonpräparat und evt. entzündungshemmende Mittel eingesetzt, unter welchen die Entzündung und damit die Durchfälle rückläufig sind Eine anhaltende Stuhlinkontinenz, welche das Benützen von OFFIS bedingen würde, liegt selten, und nur bei Komplikationen, wie z B chronischen Analfissuren o.a vor. Dieser Umstand ist vergleichbar mit den Krankheitsbildern Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa wo auch nur in Ausnahmefallen mit schwerwiegender Inkontinenz die Unbenützbarkeit von ÖFFIS begründet werden kann.
Auch die weiteren, bereits im Vorgutachten vom 23.3.2017 festgestellten Funktionseinschränkungen (02.02.02 Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades, 03.06.01 Affektive Störung leichten Grades, 12.02.01 Einschränkung des Hörvermögens und 04.11.01 chronisches Schmerzsyndrom) bedingen keine Unbenutzbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel, wie schon im Vorgutachten festgestellt wurde Zu diesen Krankheitsbildern wurde auch kein neuer Befund vorgelegt.
Ad 2 a) Kann die Beschwerdeführerin eine kurze Wegstrecke (ca. 300 bis 400m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe (allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe) ohne Unterbrechung zurücklegen?
Ja. Es bestehen keine Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten oder internistische bzw. neurologische Erkrankungen, welche das Zurücklegen einer kurzen Gehstrecke unmöglich machen. Es bestehen wässrige Durchfälle bei mikroskopischer Colitis, jedoch keine höhergradige Stuhlinkontmenz. Durch die Therapieeinleitung mit einem Kortisonpräparat ist eine rasche Abheilung mit Sistieren der Durchfälle zu erwarten.
Ad 2 b) Erschwert die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel in hohem Maß?
Nein
Ad 2 c) Wirkt sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens (zu überwindende Niveauunterschiede) und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel (u.a. beim Stehen oder bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt) unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen aus?
Nein
Ad 2 d) Bestehen bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten?
Ja. Es wurden ein leichter Knorpelschaden, sowie ein Meniscusverschleiß rechts festgestellt, weiters ein Schmerzsyndrom zwischen Kniescheibe und Kniegelenksknorpel, sowie ein laterales Hyperkompressionssyndrom (Verkippung der Kniescheibe nach lateral mit Erhöhung des Gelenksdruckes zwischen äußerer Kniescheibenfacette und seitlicher Kniegelenksrolle) rechts >links. Diese Funktionseinschränkung ist jedoch beidseits nicht als schwer zu betrachten, das Zurücklegen einer kurzen Gehstrecke, das Ein-/Aussteigen m/aus ÖFFIS, sowie der sichere Transport in ÖFFIS werden dadurch nicht beeinträchtigt
Ad e) Bestehen bei Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit?
Nein
Ad 2 f) Bestehen beim Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. Funktionen?
Nein. [ ]"
Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien mit Schreiben vom 16.08.2017 zur Kenntnis gebracht. Seitens der Beschwerdeführerin langte dazu keine Stellungnahme ein, die belangte Behörde schloss sich den Ausführungen der Sachverständigen vollinhaltlich an.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren und hat ihren Wohnsitz in Österreich. Der Beschwerdeführerin wurde am 01.06.2017 ein Behindertenpass übermittelt.
Die Beschwerdeführerin leidet an mäßigen Funktionseinschränkungen bei Polyarthrose der Finger, Knie und Wirbelsäule, an einer affektiven Störung leichten Grades, an Einschränkung des Hörvermögens und an Migräneattacken leichter Verlaufsform.
Weiters leidet die Beschwerdeführerin an geringgradiger mikroskopischer Colitis.
Bei der Beschwerdeführerin besteht ein Gesamtgrad der Behinderung von 50%.
Das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind der Beschwerdeführerin möglich. Des Weiteren kann sie auch eine kurze Wegstrecke ohne Hilfsmittel und Unterbrechung zurücklegen. Die Beschwerdeführerin ist nicht hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind.
Bei der Beschwerdeführerin besteht keine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit.
2. Beweiswürdigung:
Feststellungen zur Person, zum Wohnort der Beschwerdeführerin und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unbestritten.
Hinsichtlich der körperlichen Funktionseinschränkungen stellte Dr. N. insbesondere in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 11.08.2017 fest, dass diese zu keiner Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führen und begründete dies umfassend und nachvollziehbar. So führte sie insbesondere aus, dass weder die generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates, noch die affektive Störung, noch die Einschränkung des Hörvermögens oder das chronisches Schmerzsyndrom das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel verunmöglichen.
Zu den Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrem Beschwerdeschriftsatz, wonach eine zusätzliche Erkrankung aufgetreten sei und es sich diesfalls um eine Autoimmunerkrankung handle, welche schon ex lege eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich mache, nahm die Sachverständige ausführlich Stellung. Dr. N. geht eingehend auf die vorgelegten medizinischen Befunde ein und beschreibt schlüssig, dass es sich um eine geringgradige Erkrankung handelt und durch die Therapieeinleitung eine rasche Abheilung zu erwarten ist. Somit konnte festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin an keiner schweren Erkrankung des Immunsystems leidet.
Insgesamt kommt die Sachverständige - auch unter Eingehen auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin - zum Schluss, dass eine Zumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel gegeben ist.
Die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme nahm sie nicht Gebrauch. Die belangte Behörde schloss sich den Ausführungen von Dr. N. vollinhaltlich an und blieben die Einschätzungen der Sachverständigen somit unbestritten.
Das Gutachten sowie die ergänzende Stellungnahme stehen mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, sind schlüssig und vollständig und ihnen wurde nicht (auf derselben fachlichen Ebene) entgegen getreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat diese Gutachten unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.
3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher eine ergänzende ärztliche Stellungnahme eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde diese, so wie auch das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten der Dr. N. als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Im Rahmen des Parteiengehörs hatte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegen getreten. Es wurden die der Beschwerde beigelegten Beweismittel ausgiebig in der eingeholten Stellungnahme diskutiert und entsprechend in die Beurteilung miteinbezogen. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
4. Rechtliche Beurteilung:
4.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
§§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:
"Einzelrichter
§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen."
§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:
"(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:
"§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.
(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt."
4.2. Zu A) – Abweisung der Beschwerde
4.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:
"ABSCHNITT VI
BEHINDERTENPASS
§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu."
§ 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2013/495, lautet wie folgt:
"Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen."
4.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).
Nach den Ausführungen der Gutachterin Dr. N. wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgeblich auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens sowie auf das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt.
4.2.3. Das Ermittlungsverfahren hat des Weiteren ergeben, dass bei der Beschwerdeführerin keine schweren anhaltenden Erkrankungen des Immunsystems vorliegen und sie weder blind noch hochgradig sehbehindert oder taubblind ist.
Zur Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, vorliegt, führen die Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2013/495, zu § 1 Abs 2 Z 3 Folgendes an:
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
"-
anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
-
schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
-
fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
-
selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen."
Bei der Beschwerdeführerin liegt jedenfalls keine dieser ausdrücklich angeführten Einschränkungen vor. Auch wurde keine der sonst bei der Beschwerdeführerin festgestellten Leiden als "erheblich" oder "schwer" eingestuft, weshalb keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit besteht.
Aus diesem Grund liegt auch keine erhebliche Einschränkung der unteren Extremitäten vor.
Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.
4.3 Zu B) - Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I412.2165673.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.02.2019