TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/4 W182 2174732-1

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Veröffentlicht am 04.12.2018
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Entscheidungsdatum

04.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W182 2174736-1/12E

W182 2174734-1/13E

W182 2174733-1/11E

W182 2174738-1/12E

W182 2174732-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX ,

3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. ad 1.) 821858003-1599091, ad 2.) 821858101-1599083, ad 3.) 821858210-1599075 und ad 4.) 831340304-1719208 nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005

(AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 55 Abs. 1 - 3, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen und gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG festgestellt, dass die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig waren.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. 1085589608-151258319, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 55 Abs. 1 - 3, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen und gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG festgestellt, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden BF1) stellte am 19.10.2005 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seines ersten Asylverfahrens behauptete er im Wesentlichen, dass er im Oktober 2004 deshalb ausgereist wäre, da er im Juni 2004 von drei Personen - zwei davon in Tarnuniform, eine in Zivil - für einen Monat festgehalten worden wäre, und im August 2004 vor Gericht hätte stehen sollen, da ihm unterstellt worden wäre, Widerstandskämpfer unterstützt zu haben.

Das Bundesasylamt erließ in der Folge am 29.12.2006 einen Bescheid, wonach die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Asylberechtigung und Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurden, sowie eine Ausweisung in die Russische Föderation ausgesprochen wurde. Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Fluchtvorbringen des BF1 vor den österreichischen Behörden im diametralen Widerspruch zu seinen Angaben vor den deutschen Behörden stehe. Auf Vorhalt der anderslautenden Angaben des BF1 vor den deutschen Behörden gab der BF1 an, er habe vor den deutschen Behörden die Wahrheit gesagt. Das Vorbringen des BF1 wurde als vage, unglaubwürdig und unplausibel bewertet.

Der BF1 erhob gegen die Entscheidung in seinem ersten Asylverfahren zwar rechtzeitig Berufung, mit Aktenvermerk des Asylgerichtshofs vom 15.04.2008 wurde sein Verfahren jedoch als gegenstandslos abgelegt, weil er unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe in sein Heimatland ausreiste.

2. Der BF1 gelangte am 22.12.2012 gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden BF2), sowie dem gemeinsamen Sohn und Drittbeschwerdeführer (im Folgenden BF3) illegal in das österreichische Bundesgebiet. Sie stellten am selben Tag gemeinsam jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2.1. Bei der Erstbefragung am 22.12.2012 im zweiten Asylverfahren des BF1 gab dieser im Wesentlichen als Fluchtgrund an, dass er am XXXX .2012 von Kadyrowzy in XXXX mitgenommen worden wäre. Am XXXX 2012 wäre er entlassen worden, weil seine Verwandten Lösegeld gezahlt hätten. Später wäre er von der dagestanischen Polizei vorgeladen worden. Diese hätte wissen wollen, warum er am XXXX 2012 mitgenommen worden wäre. Da er Angst gehabt hätte, sei er nicht hingegangen. Nach seiner Entlassung wäre der BF1 sofort ins Krankenhaus gekommen. Während seines Aufenthalts wären am XXXX 2012 Polizisten zum BF1 nach Hause gekommen und hätten ihn gesucht. Die BF2 hätte im Krankenhaus angerufen und ihm davon erzählt. Nach dem Krankenhaus wäre der BF1 nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, sondern hätte sich bis zur Ausreise am 17.12.2012 bei verschiedenen Verwandten versteckt.

2.2. Die BF2 gab im Wesentlichen im Rahmen ihrer Erstbefragung am 22.12.2012 an, dass ihr Ehemann am XXXX .2012 von maskierten Männern der Behörde mitgenommen worden wäre. Nach zirka ein bis zwei Wochen wäre die BF2 von diesen Maskierten aufgesucht worden. Diese hätten ihr gedroht, dass sie den Aufenthaltsort ihres Mannes nennen sollte. Die nächsten sechs Monate wären sie ein bis zwei Mal im Monat gekommen und hätten ihren Mann gesucht. Als ihr Sohn auf die Welt gekommen wäre, hätten sie der BF2 gedroht, dass sie ihr das Kind wegnehmen würden, wenn sie nicht sagen würde, wo ihr Mann sich befinde. Daraufhin hätte die BF2 die Entscheidung getroffen, ihr Land zu verlassen. Ihr Mann wäre während dieser Zeit auf der Flucht gewesen, Kontakt hätten sie keinen gehabt. Der BF1 wäre nur einmal im Monat kurz nach Hause gekommen, um sich Sachen zu holen; er wäre danach sofort wieder verschwunden.

3.1. Bei einer ergänzenden Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz, am 20.03.2013, gab der BF1 im Wesentlichen an, gesundheitliche Probleme mit dem Kopf und dem Rücken zu haben. Zu seinen Fluchtgründen brachte er zusammengefasst vor, dass er am XXXX .2012 abends gemeinsam mit seinen Freunden von maskierten Kadyrovzis in Tschetshenien auf der Straße festgenommen und in ein Auto verfrachtet worden sei. Sie hätten wissen wollen, ob er die Rebellen unterstütze. Er hätte mit ihnen zusammenarbeiten sollen und sei auch geschlagen worden. Er sei etwa zehn Tage festgehalten und danach freigekauft worden. Er und seine Freunde seien von Verwandten abgeholt worden. Am folgenden Tag sei er ins Krankenhaus gefahren, wo er cirka eine Woche geblieben sei. Als er von seiner Frau telefonisch erfahren habe, dass er zur Polizei in Dagestan geladen worden sei, sei er aus dem Krankenhaus geflüchtet und habe sich bei Bekannten und Verwandten versteckt. Zwei oder drei Mal sei er vor der Ausreise zu Hause gewesen; es habe keine Vorkommnisse mehr gegeben.

Hinsichtlich des BF1 wurden ein 2004 ausgestellter nationaler Führerschein, eine im November 2012 ausgestellte Heiratsurkunde sowie ein russischer Vaterschaftsnachweis, ausgestellt im Oktober 2012, in Vorlage gebracht.

3.2. Bei einer ergänzenden Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz, am 20.03.2013, gab die BF2 im Wesentlichen an, dass der BF1 am XXXX 2012 mit seinen Freunden unterwegs gewesen und mitgenommen worden sei. Im August und September hätten die maskierten und bewaffneten Omon-Mitarbeiter das Haus umstellt und nach ihrem Mann gesucht. Eine Woche später seien sie wiedergekommen und hätten den Hof inspiziert. Ihr sei schlecht geworden, sie sei in Ohnmacht gefallen und ins Krankenhaus gebracht worden, wo sie 15 Tage wegen der Geburt geblieben sei. Im Oktober seien die Bewaffneten wieder gekommen, hätten nach ihrem Mann gefragt und ihr gedroht, sie und das Kind mitzunehmen. Sie sei wieder ohnmächtig geworden und sei am nächsten Tag bei ihrer Mutter eine Woche lang behandelt worden. Danach sei sie zur Schwiegermutter gefahren. Am

15. oder 16.10.2012 sei ihr Mann nach Hause gekommen und sie habe ihm erzählt, was vorgefallen sei. Einen Monat oder eineinhalb Monate später sei ihr Mann gekommen und habe gesagt, dass sie er am 17.12.2012 wegfahren würden. Es habe keine Vorkommnisse mehr gegeben. Auch Nachfrage brachte sie vor, dass sie der dagestanischen Polizei nicht hätte sagen können, wo sich der BF1 befunden habe, weil sie es nicht gewusst habe. Er sei nach ein oder zwei Tagen aus dem Krankenhaus geflüchtet, was sie aber nicht gewusst habe. Sie habe am XXXX 2012 eine Ladung erhalten und ihn abends angerufen. Da das Telefon ausgeschaltet gewesen sei, sei sie ins Krankenhaus gefahren und er sei nicht mehr da gewesen, worauf sie eine Abgängigkeitsanzeige für ihren Mann bei der Polizei erstattet habe. Zu den Länderberichten brachte sie vor, dass alles richtig sei, jedoch sei die Wirklichkeit anders.

Hinsichtlich der BF2 wurde als Beweismittel eine im November 2012 im Herkunftsland ausgestellte Heiratsurkunde in Vorlage gebracht.

4. Mit den Bescheiden des Bundesasylamtes vom 08.04.2013 zu den Zahlen 12 18.580-BAL, 12 18.581-BAL und 12 18.582-BAL wurden die Anträge des BF1, der BF2 und des minderjährigen BF3 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.), gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte II.) und die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 10 Absatz 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkte III.).

Hinsichtlich des BF1 wurde im angefochtenen Bescheid zusammengefasst festgehalten, dass die Identität, die Volksgruppe und die Staatsbürgerschaft feststehen würden. Der BF1 habe Rücken- und Kopfschmerzen und sei wegen der Rückenschmerzen bereits im Heimatland in Behandlung gestanden. Der BF1 leide jedoch an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit.

Die Entführung durch tschetschenische Sicherheitskräfte wurde von der belangten Behörde als erfundene Fluchtgeschichte eingestuft. Ob der BF1 von der dagestanischen Polizei eine Ladung erhalten hätte, wäre ungewiss, würde jedoch laut Einschätzung der belangten Behörde kein Problem darstellen. Die Ausreise wäre nicht in der vom BF1 geschilderten Weise erfolgt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF1 einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Die in der Russischen Föderation tätigen nationalen Behörden seien willens und fähig, die Bevölkerung zu schützen. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände konnte nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre. Zudem konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder eine Rückkehr für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Hinsichtlich der BF2 wurde im ebenfalls angefochtenen Bescheid vom selben Tag im Wesentlichen ausgeführt, dass die Identität, die Volksgruppe und die Staatsbürgerschaft feststehen würden. Die BF2 leide an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit. Die Entführung ihres Mannes durch tschetschenische Sicherheitskräfte sei erfunden. Ob ihr Mann von der dagestanischen Polizei eine Ladung erhalten habe, sei ungewiss, würde jedoch kein Problem darstellen. Ihre Ausreise sei nicht in der von der BF2 geschilderten Weise erfolgt. Ihre dargebrachten oftmaligen Besuche der Behörde bei der BF2 würden laut Einschätzung der belangten Behörde nicht der Wahrheit entsprechen.

Es konnte von der belangten Behörde nicht festgestellt werden, dass die BF2 einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände konnte nicht festgestellt werden, dass die BF2 im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation dort der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre. Zudem konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF2 im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für sie als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

5. In der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass diese inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wären. Die Verfahren seien bereits durch die Art und Weise, wie die Einvernahmen vor dem Bundesasylamt vom 20.03.2013 durchgeführt worden wären, mit Rechtswidrigkeit behaftet. Der Organwalter habe die Familie immer wieder angeschrien, ausgelacht und verhindert, dass sie ihr Vorbringen detailliert darlegen hätten können. Er habe deutlich gemacht, dass er an der Darstellung nicht wirklich interessiert sei.

Zusammengefasst hätten die BF vorgebracht, dass der BF1 von den Kadyrowzy gefangen gehalten, misshandelt und betreffend eine allfällige Zusammenarbeit mit den Rebellen verhört worden sei. Nach einer Lösegeldzahlung wäre der BF1 freigelassen und in weiterer Folge von der dagestanischen Polizei vorgeladen worden, da er gewusst hätte, dass "sie" ihn ebenfalls verdächtigen würden, mit Rebellen in Kontakt zu stehen, und der BF1 bereits einmal vor seiner Flucht im Jahr 2004 in deren Gewahrsam gewesen wäre. Der BF1 hätte daher gewusst, welche Misshandlungen ihm drohen würden, würde er der Ladung nachkommen, daher wäre er in Dagestan untergetaucht. In weiterer Folge wäre deshalb auch die BF2 von maskierten Männern aufgesucht und bedrängt worden, den Aufenthaltsort ihres Ehemannes bekannt zu geben und ihr wäre gedroht worden, ihr das gemeinsame Kind wegzunehmen. Dieses Vorbringen sei von der Behörde als unglaubhaft erachtet worden und daher keiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt worden. Die Feststellung der Unglaubwürdigkeit durch die belangte Behörde sei nicht nachvollziehbar.

Die niederschriftlichen Ausführungen würden keine wörtliche Wiedergabe des Vorbringens des BF1 darstellen. Hinsichtlich der Feststellung im Bescheid, dass der BF1 angegeben hätte, dass er seine Freunde nach der Festnahme nicht mehr gesehen hätte, würde sich dies nur auf den Zeitraum während der Inhaftierung beziehen. Als Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der BF2 seien zeitliche Ungereimtheiten und eine differierende Anzahl von Besuchen durch maskierte Männer, welche den Ehemann gesucht hätten, angeführt worden. Hier wären jedoch durchgehend drei Vorfälle behauptete worden, die Angabe von ein bis zwei Besuchen pro Monat wäre niemals getätigt worden. Es wäre niederschriftlich festgehalten worden, dass die BF2 nach ein bis zwei Wochen von den Männern aufgesucht worden wäre, dies beziehe sich nicht auf den Zeitpunkt der Festnahme, sondern auf den Zeitpunkt der Freilassung. Hätte sich die Behörde mit dem Vorbringen in gebotener Weise auseinandergesetzt und wäre sie der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts nachgekommen, hätte sie bei der richtigen Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung zu einem anderslautenden Ergebnis gelangen können. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Die BF2 beschrieb die Einvernahme vor dem Bundesasylamt in einer Beilage zur Beschwerde dergestalt, dass der Organwalter gegrinst hätte und immer lauter geworden wäre, als die BF von ihrem Problem im Rahmen der Einvernahme berichtet hätten. Der Organwalter hätte behauptet, dass die BF Lügen erzählen würden und habe auch nicht die Möglichkeit eingeräumt, dass die BF ihre Antworten erläutern hätten können. Am Ende der Einvernahme vor dem Bundesasylamt hätten die BF keine Kopie des Einvernahmeprotokolls erhalten. Der BF1 beschrieb die Einvernahme vor dem Bundesasylamt niederschriftlich als Beilage zur Beschwerde dergestalt, dass der Organwalter, nachdem er die Fragen gestellt hätte, keine Möglichkeit eingeräumt hätte, diese zu beantworten bzw. zu erklären. Als der BF1 Einwände gegen die Kommentare des Organwalters erhoben habe, wonach er nicht richtig verstehe, sei dieser laut geworden und habe erklärt, dass er Märchen erzähle.

6. Am XXXX 2013 wurde die Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden BF4) als gemeinsame Tochter des BF1 und der BF2 in Österreich geboren.

Die BF4 brachte am 17.09.2013 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 unter Vorlage ihrer Geburtsurkunde ein. Die gesetzliche Vertretung gab für sie an, dass sie keine eigenen Asylgründe habe und die Gründe für die Asylantragstellung in dem Umstand liege, dass sie denselben Schutz wie die Familienangehörigen beantrage.

Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.10.2013 zur Zahl 13 13.403-BAL wurde der Antrag der BF4 gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.), gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte II.) und die BF4 gemäß § 10 Absatz 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkte III.).

Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass die BF4 Staatsangehörige der Russischen Föderation sei, der Volksgruppe der Tschetschenen angehöre und moslemischen Glaubens sei. Ihre Identität stehe fest. Sie leide an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit und sei in Österreich geboren. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF4 einer Bedrohung ausgesetzt sei. Es habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass die BF4 im Falle einer Rückkehr in der Russischen Föderation dort der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

In der gegen den Bescheid hinsichtlich der nachgeborenen BF4 erhobenen Beschwerde wurde insbesondere ausgeführt, dass das Asylverfahren ihrer Eltern bereits anhängig sei. Als minderjährige Tochter sei sie Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 AsylG 2005 und daher berechtigt, einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes zu stellen. Hinsichtlich der Beschwerdebegründung wurde auf die Ausführungen ihrer Eltern in deren Beschwerdeverfahren verwiesen und beantragt, ihr Verfahren im Rahmen des Familienverfahrens weiterzuführen.

7. Der BF1 und die BF2 wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 12.05.2015 vor dem Bundesverwaltungsgericht befragt. Anlässlich der Beschwerdeverhandlung wurden folgende Dokumente vorgelegt:

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ein Unterstützungsschreiben eines Sachbearbeiters eines Gemeindeamtes, einer Betreuerin der Volkshilfe und eines Sozialarbeiters, wonach sich die BF bemühen würden, sich in der Gemeinde zu integrieren und hilfsbereit seien

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eine Arbeitsbestätigung hinsichtlich des BF1 vom September 2014, wonach dieser von März bis August 2013 insgesamt 120 Stunden für eine Gemeinde tätig gewesen sei

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eine an den BF1 gerichtete Einladung des AMS vom März 2015 zu einer Jobbörse im März 2015

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ein ärztliches Attest vom Mai 2015, wonach der BF1 bei einem österreichischen Arzt für Allgemeinmedizin aufgrund der Diagnosen "Lumbalgie, Gastritis und Lumbalgie" in ärztlicher Behandlung gestanden sei

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eine Geburtsurkunde der Viertbeschwerdeführerin

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ein im Februar 2015 vom BF1 ausgefüllter "Bewerbungsbogen für Arbeit in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau, Grünflächenpflege oder Tierzucht in XXXX 2015" des AMS.

8. Am 26.05.2015 langte hinsichtlich der BF eine Stellungnahme ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass während der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht seitens des Gerichts die Notwendigkeit einer psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung vom BF1 thematisiert worden sei. Dem BF1 sei kein Dolmetscher für einen Psychologen "gegeben" worden. Die Hausärztin habe den BF1 an das Therapiezentrum überwiesen.

Hinsichtlich der Länderfeststellungen zur Russischen Föderation bzw. zu Dagestan ergebe sich, dass sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren verschlechtert habe und es wurde darauf verwiesen, dass Dagestan das gewalttätigste Gebiet im Nordkaukasus sei. Es ergebe sich weiters aus den Länderfeststellungen, dass Personen, welche - wie der BF1 - als potentieller Rebell verdächtigt werden bzw. in einem Zusammenhang mit Rebellen gesehen werde, einer maßgeblichen Gefährdungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit ausgesetzt seien. Es könne auch nicht von einer Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ausgegangen werden. Der Umstand, dass der BF1 vaus der Haft freigekauft worden sei, stärkte die Begehrlichkeit der dagestanischen Sicherheitskräfte nach Geldern zu einem weiteren Freikauf, was aufgrund deren oben aufgezeigter Korruption und Willkürbereitschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Es könne ein Zusammenhang von tschetschenischen und dagestanischen Sicherheitskräften angenommen werden, welche die Gefährdungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit der BF drastisch erhöhe, da sie ins Blickfeld sowohl der Kadyrowzi als auch der OMON geraten seien. Präsident Kadyrow betreibe eine aktive und intensive, in weiten Teilen gesetzlose Widerstandsbekämpfung. Dabei agiere er auch über die Landesgrenzen Tschetscheniens hinaus.

Zusammen mit der Stellungnahme wurden folgende Dokumente übermittelt:

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ein Bericht über das Abklärungsgespräch am 22.05.2015 in einem Therapiezentrum, wonach das dargestellte Zustandsbild diagnostisch nicht eindeutig einordenbar sei. Es könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass die gedankliche Einengung auf Vermeidungsverhalten von traumatischem Stress zurückzuführen sei. Der BF1 zeige sich an einer längerfristigen psychologischen Behandlung interessiert, in deren Rahmen ein konkreter therapeutischer Auftrag erarbeitet werden könne. Aus organisatorischen Gründen sei letzteres in rund zwei Monaten möglich. Empfohlen wurde zudem eine psychiatrische Untersuchung.

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ein Original der aktenkundigen Kopie einer Bestätigung eines Spitals des Herkunftsstaates über den Aufenthalt des BF1 vom XXXX .

9. Am XXXX 2015 wurde der Fünftbeschwerdeführer (im Folgenden: BF5) als zweiter gemeinsamer Sohn des BF1 und der BF2 im Bundesgebiet geboren.

In weiterer Folge stellte die Mutter des nachgeborenen Sohnes als dessen gesetzliche Vertreterin am 01.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie machte keine eigenen Asylgründe für ihr Kind geltend, der Grund des Ansuchens liege in der Familienzusammengehörigkeit.

10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.12.2015, Zlen W162 1309061-2/18E, W162 1434550-1/12E, W162 1434551-1/11E, W162 1438453-1/10E, wurde die Beschwerde der BF1 bis BF4 gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 08.04.2013 gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass eine dem BF1 drohende asylrelevante oder sonstige Verfolgung in der Russischen Föderation bzw. in Dagestan nicht habe festgestellt werden können. In der Beweiswürdigung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die divergierenden Angaben des BF1 und der BF2 nur den Schluss zulassen würden, dass die vorgebrachten Vorfälle nicht wie geschildert stattgefunden haben könnten. Mangels Nachvollziehbarkeit und Plausibilität seien diese nicht als glaubhaft zu erachten gewesen. Weder in der mündlichen Verhandlung noch in einer Stellungnahme seien die Ungereimtheiten und Widersprüche nachvollziehbar aufgeklärt worden. Dieses Erkenntnis wurde den BF am 07.01.2016 zugestellt.

11. Im fortgesetzten Verfahren wurden der BF1 und die BF2 am 09.06.2017 beim Bundesamt einvernommen. Der BF1 legte eine Absichtserklärung einer Immobilienfirma, 17 Unterstützungserklärungen, eine Arbeitsbestätigung einer Gemeinde vom September 2014, ein Prüfungszeugnis Deutsch A2 vom 13.02.2016, eine Teilnahmebestätigung vom 23.03.2017 am Deutschkurs B1, eine Teilnahmebestätigung am Seminar "Vielfalt Nutzen Lernen" sowie eine Bestätigung der Volkshilfe vom 20.01.2016 vor. Im Herkunftsland würden die Mutter und zwei Schwestern des BF1 sowie die Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder der BF2 leben. Es bestehe Kontakt zwischen den BF und ihren Familienangehörigen im Herkunftsland. Der BF1 gab an, an keinen ernsthaften Krankheiten zu leiden und lediglich Schmerztherapie gegen Kopf- und Rückenschmerzen zu erhalten. Für die übrigen BF wurden keine gesundheitlichen Probleme vorgebracht. Der BF1 sei im Herkunftsland als Schweißer und Bauarbeiter tätig gewesen, habe jedoch ca. ein Jahr vor der Ausreise nicht mehr gearbeitet. In Österreich habe er unentgeltliche Tätigkeiten für die Gemeinde verrichtet und seinen Nachbarn kostenlos geholfen. Er spiele Fußball, sei jedoch nicht in einem Verein aktiv. Seinen Lebensunterhalt bestreite er von der staatlichen Grundversorgung. Die BF2 habe eine Ausbildung als Visagistin und habe im Herkunftsland zwei Jahre in einem Schönheitssalon gearbeitet. Sie lebe von der Grundversorgung, sei in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und engagiere sich auch nicht in einem Verein. Sie betreue ihre Kinder. Sie besuche derzeit einen Deutschkurs. Ein Zertifikat habe sie bisher noch nicht.

Zu den ihnen ausgehändigten Länderfeststelllungen zur Russischen Föderation bzw. Dagestan (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes - Russische Föderation inklusive Dagestan, 01.06.2016, Update 15.05.2017) wurde ihnen eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

12. Mit den nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheiden des Bundesamtes vom 15.09.2017, Zlen. 821858003-1599091, 821858101-1599083, 821858210-1599075 und 831340304-1719208, wurden den BF1 bis BF4 gemäß §§ 57 AsylG 2005 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt I.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde den BF1 bis BF4 für die freiwillige Ausreise eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).

Dazu wurde u.a. begründend ausgeführt, dass die Identität der BF1 bis BF4 feststehe. Der BF1 sei von Beruf Schweißer und habe als Bauarbeiter gearbeitet. Er sei gesund und unbescholten. Er sei verheiratet und habe drei Kinder, wobei alle russische Staatsbürger seien und im gemeinsamen Haushalt leben würden. Weitere Verwandte habe er im Bundesgebiet nicht. Im Herkunftsstaat lebten noch Verwandte und er stehe in Kontakt mit seiner Mutter. Seinen Lebensunterhalt bestreite er aus der staatlichen Grundversorgung und sei daher nicht selbsterhaltungsfähig. Er habe Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 belegt. Er sei in keinen Vereinen aktiv und befinde sich nicht in Ausbildung. Er habe in Österreich soziale Kontakte geknüpft. Weitere Aspekte für eine schützenswerte Integration seien nicht hervorgekommen. Die BF2 sei vor ihrer Ausreise Hausfrau gewesen, unbescholten sowie gesund. Sie sei verheiratet und lebe mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt. Weitere Verwandte habe sie im Bundesgebiet nicht. Im Herkunftsstaat würden noch Familienmitglieder wohnen, sie habe mit den Eltern noch Kontakt. Den Lebensunterhalt bestreite sie aus der staatlichen Grundversorgung und sei daher nicht selbsterhaltungsfähig. Zeugnisse über Deutschprüfungen habe sie nicht vorgelegt. Sie sei in keinen Vereinen aktiv und auch nicht in Ausbildung. Sie habe in Österreich soziale Kontakte geknüpft. Weitere Aspekte einer schützenswerten Integration seien nicht hervorgekommen. Der sechsjährige BF3 sei gemeinsam mit seinen Eltern unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet eingereist. Er lebe wie die fünfjährige BF4 mit den Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Gründe für ein Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigen Gründen hätten für die BF1 bis BF4 nicht festgestellt werden können. Gegenüber den Erkenntnissen vom 29.12.2015 habe kein maßgeblich geänderter Sachverhalt festgestellt werden können, welcher ein Hindernis bei der Rückkehrentscheidung samt Abschiebung in die Russische Föderation bzw. Gründe für ein Aufenthaltsrecht erkennen ließe.

Mit Verfahrensanordnungen vom 18.09.2017 wurde den BF1 bis BF4 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

13. Mit dem gleichfalls angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 15.09.2017, Zl. 1085589608-151258319, wurde der Antrag des BF5 vom 01.09.2015 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs.1 Z 3 ASylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF5 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.) sowie die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass der dreijährige BF5 russischer Staatsbürger sei und an keiner schweren oder lebensbedrohenden Erkrankung leide. Der Asylantrag sei aus Gründen des familiären Zusammenhalts gestellt worden und er stütze sich auf die Asylgründe der Eltern. Im Herkunftsstaat würden noch Familienangehörige und Verwandte leben. Er werde zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in die Russische Föderation zurückkehren, weshalb nicht von unüberwindbaren Schwierigkeiten auszugehen sei, zumal er sich in einem anpassungsfähigen Alter befinde. Weitere Verwandte habe er im Bundesgebiet nicht. Aspekte einer schützenswerten Integration seien nicht hervorgekommen. Gründe für ein Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigen Gründen hätten nicht festgestellt werden können. Für seine Eltern liege weder eine asylrelevante Verfolgung noch eine Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK vor. Im vorliegenden Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 seien die Voraussetzungen für Asyl oder subsidiären Schutz sohin nicht gegeben. Die Ausweisung gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in die russische Föderation stelle keinen Eingriff in sein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK dar. Während seines Aufenthaltes infolge seines Asylantrages vom 01.09.2015 habe der BF5 soziale Kontakte geknüpft, jedoch habe seine gesetzliche Vertretung nicht davon ausgehen können, in Österreich bleiben zu dürfen. Er befinde sich in einem sehr anpassungsfähigen Alter. Er sei in Österreich geboren und bisher teilweise mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Es sei nicht davon auszugehen, dass er im Fall einer gemeinsamen Verbringung mit seinen Eltern und Geschwistern in den Herkunftsstaat mit unzumutbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre. Die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung würden sein privates Interesse am Verbleib in Österreich überwiegen, sodass seine Ausweisung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei. Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Mangels Vorliegen von Gründen gemäß § 50 FPG sei seine Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise sei mangels Gründen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen festgesetzt worden.

Mit Verfahrensanordnung vom 18.09.2017 wurde dem BF5 von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

14. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurden binnen offener Frist durch die Rechtsvertretung der BF1 bis BF5 verfasste Beschwerden erhoben. Darin wurde argumentativ nur auf die Rückkehrentscheidungen gegen die BF eingegangen und dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Interessensabwägung gemäß § 9 BFA-VG zu Gunsten Minderjähriger ein Schulbesuch und ein besonderer Schulerfolg oder eine Berufsausbildung zu berücksichtigen seien. Die Behörde habe es verabsäumt, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ordentlich zu ermitteln und die vorgelegten Beweise ordentlich zu würdigen. Die Feststellung der nicht ausreichenden Integration der BF basiere auf einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und einer unschlüssigen Beweiswürdigung und verletzte § 60 AVG. So hätte die Behörde einen gültigen Dienstvertrag einzufordern und den potentiellen Arbeitgeber zu befragen gehabt, um festzustellen, dass der BF1 von dieser Firma dringend gebraucht würde und hochgeschätzt werde. Die Behörde verkenne, dass der BF1 sehr wohl selbsterhaltungsfähig sei, wie der (mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels, der die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zulasse) bedingte Dienstvertrag beweise. Er habe sich um eine Stelle bemüht, habe jedoch keine finden können. Er helfe älteren Leuten bei der Gartenarbeit oder im Haus, verrichte die gesamte Grünlandpflege um ein Asylwerberhaus, übernehme freiwillige Arbeiten der Gemeinde, im Pfarrheim und bei Feuerwehrfesten. Auch die BF2 helfe immer wieder mit Reinigungs- und Gartenarbeiten aus, koche bei Veranstaltungen und helfe, wo sie gebraucht werde, mit. Der Vorwurf, sie hätten ihre sozialen Kontakte während ihres unsicheren Aufenthaltes nach einem Asylantrag geknüpft, könne nicht ins Treffen geführt werden, weil sie geglaubt hätten, in Österreich Asyl zu bekommen und komme diesem Aspekt bei der Interessensabwägung nur eine untergeordnete Rolle zu. Zwar habe die Behörde die Sprachzertifikate der BF jedoch nicht deren Deutschkenntnisse gewürdigt, insbesondere jener der BF3 bis BF5. Der BF5 und die BF4 seien in Österreich geboren, der BF3 sei im Alter von 2,5 Monaten nach Österreich eingereist und sie würden alle besser Deutsch als Russisch sprechen. Auch der BF1 spreche sehr gut Deutsch, die Familie spreche auch zu Hause sehr viel Deutsch. Sie hätten nur in Österreich soziale Bindungen, besuchten den Kindergarten und würden sich sehr gut entwickeln. Die Intensität ihrer sozialen Beziehungen in Österreich übersteige jene des Herkunftsstaates. Die Behörde habe keine gebotene Prüfung hinsichtlich der Frage nach einer Möglichkeit zur Schaffung einer Existenzgrundlage im Herkunftsstaat vorgenommen. Die Behörde habe - wenn überhaupt - nur eine oberflächliche Interessensabwägung vorgenommen. Der BF1 sei, sobald er eine Anstellung und eine Arbeitserlaubnis habe, selbsterhaltungsfähig. Die Bescheide der Behörde würden somit einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben der BF darstellen. Die Rückkehrentscheidungen seien im Fall der BF unzulässige Eingriffe in ihr Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK, weshalb sie für Dauer als unzulässig zu erklären und den BF eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen seien. Die Begründung der Behörde sei nicht nachvollziehbar und entspreche nicht den gebotenen Voraussetzungen der §§ 58 bis 60 AVG. Das Ermittlungsverfahren sei fehlerhaft gewesen und die Bescheide daher aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig. Die Behörde übe mit den angefochtenen Bescheiden Willkür indem sie die Rechtslage in großem Ausmaß verkenne, das Ermittlungsverfahren bezüglich entscheidungsrelevanter Punkte unterlasse und die Bescheide nicht ausreichend nachvollziehbar, klar und übersichtlich begründe. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erscheine unvermeidlich. Vorgelegt wurde ein mit Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung aufschiebend bedingter Dienstvertrag für den BF1 vom 25.09.2017, ein Bewerbungsbogen beim AMS für den BF1 vom 02.02.1025, ein Empfehlungsschreiben einer Gemeinde vom 23.09.2017 zum Antrag auf eine Rot-Weiß-Rot-Karte für die BF, drei Empfehlungsschreiben, ein Zertifikat über die Teilnahme an einem Seminar über die Basisbildung für die BF2 vom 08.02.2017, ein Schreiben eines Kindergartens vom 02.10.2018 betreffend BF3 und BF4.

15. Die BF sind laut Mitteilung von IOM vom 30.10.2018 am 25.10.2018 unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig in die Russische Föderation ausgereist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF, ein Ehepaar und dessen drei Kinder im Alter von XXXX , XXXX und XXXX Jahren, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und haben sich im Herkunftsland zuletzt in Dagestan aufgehalten. Ihre Identität steht fest.

Die BF1 bis BF3 haben sich seit der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz im Dezember 2012 im Bundesgebiet aufgehalten. Die BF4 wurde im Bundesgebiet geboren und stellte am 17.09.2013 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihre diesbezüglichen Verfahren wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.05.2015 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.12.2015, Zlen. W162 1309061-2/18E, W162 1434550-1/12E, W162 1434551-1/11E und W162 1438453-1/10E, rechtskräftig abgeschlossen, wobei ihre Beschwerden hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. subsidiär schutzberechtigten abgewiesen und die Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wurde. Darin wurde ausgeführt, dass eine den BF1 bis BF4 drohende asylrelevante oder sonstige Verfolgung in der Russischen Föderation bzw. in Dagestan nicht glaubhaft sei. Die Erkenntnisse wurden den BF1 bis BF4 am 07.01.2016 zugestellt.

Der BF5 wurde 2015 im Bundesgebiet geboren und stellte am 01.09.2015 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei eigene individuelle Fluchtgründe für ihn nicht geltend gemacht wurden.

Die BF haben zuletzt im Herkunftsland Dagestan in einem Haus gelebt, das sich noch immer im Eigentum der Mutter des BF1 befindet. Der BF1 hat zuletzt im Herkunftsland als Schweißer bzw. Bauarbeiter gearbeitet. Die BF2 hat vor ihrer Eheschließung in einem Schönheitssalon gearbeitet, danach war sie Hausfrau. Der BF1 und die BF2 sind arbeitsfähig. In der Russischen Föderation leben die Mutter, zwei Schwestern und zahlreiche Onkel und Tanten des BF1 sowie die Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder der BF2. Zwischen den BF und ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat besteht Kontakt.

Die BF können sich jedenfalls auch in einem anderen Landesteil (außerhalb Dagestans) niederlassen.

Nicht festgestellt werden konnte, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF sind grundsätzlich gesund. Wegen Rückenschmerzen war der BF1 bereits im Herkunftsstaat in medizinischer Behandlung.

Der BF1 und die BF2 haben Deutschkurse für Asylsuchende besucht. Der BF1 hat ein Deutschzertifikat auf Niveau A2 vorgelegt. Die BF2 konnte kein Zertifikat über eine abgeschlossene Deutschprüfung vorlegen. Der BF1 verrichtete im Bundesgebiet freiwillige Arbeiten für die Gemeinde, die Pfarre sowie die Feuerwehr und pflegte das Grünland rund um ein Asylwerberheim. Er unterstützte auch ältere Leute bei der Gartenarbeit oder im Haus und verfügt über einen Dienstvertrag für den Fall der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bzw. einer Arbeitsbewilligung bei einer Immobilienfirma. Die BF2 hat immer wieder bei Reinigungs- und Gartenarbeiten ausgeholfen und bei Veranstaltungen gekocht. Der BF3 und die BF4 haben den Kindergarten besucht. Die BF haben im Bundesgebiet bereits soziale Kontakte geknüpft. Sie haben seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes bezogen und in einem Flüchtlingsheim gelebt.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die BF sind am 25.10.2018 unter Gewährung von Rückkehrhilfe gemeinsam und freiwillig in die Russische Föderation zurückgekehrt.

Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesamt ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Dagestan ausgegangen:

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 22.3.2016, vgl. GIZ 3.2016c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Mit 238 von 450 Sitzen verfügt die Partei 'Einiges Russland' über eine absolute Mehrheit in der Staatsduma. Bei der Wahl am 4. Dezember 2011 wurde die Staatsduma erstmals für eine verlängerte Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Alle Abgeordneten wurden ausnahmslos über Parteilisten nach dem Verhältniswahlrecht mit einer Sieben-Prozent-Hürde gewählt. Neben 'Einiges Russland' sind aktuell die Kommunisten mit 92 Sitzen, die formal linksorientierte Partei 'Gerechtes Russland' mit 64 Sitzen und die 'Liberaldemokraten' des Rechtspopulisten Schirinowski mit 56 Sitzen in der Staatsduma vertreten. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Duma-Wahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Ab der nächsten Wahl soll die Hälfte der Abgeordneten mittels relativer Mehrheitswahl in Einpersonen-Wahlkreisen (also in Wahlkreisen, in denen jeweils ein Kandidat/eine Kandidatin gewählt wird) bestimmt werden. Es soll wieder die Fünf-Prozent-Hürde gelten. Die nächste Duma-Wahl soll am 18. September 2016 stattfinden (AA 3.2016a, vgl. GIZ 4.2016a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden am 13. September 2015 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten (AA 3.2016a).

Angesichts einer zunehmenden internationalen Isolierung des Landes und wachsender wirtschaftlicher Probleme war die russische Regierung 2015 bemüht, die Bevölkerung auf Begriffe wie Einheit und Patriotismus einzuschwören, "traditionelle Werte" zu betonen und Angst vor angeblichen inneren und äußeren Feinden des Landes zu schüren. Meinungsumfragen zufolge traf Präsident Wladimir Putin mit seiner Art, das Land zu führen, unverändert auf breite Zustimmung. Regierungskritiker wurden in den Massenmedien als "unpatriotisch" und "anti-russisch" verunglimpft und gelegentlich auch tätlich angegriffen. Am 27.2.2015 wurde Boris Nemzow, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes, in Sichtweite des Kremls erschossen. Trauernde Menschen, die am Tatort an ihn erinnern wollten, wurden von den Moskauer Behörden und Regierungsanhängern schikaniert. Die Regierung stritt die immer zahlreicheren Beweise für eine militärische Beteiligung Russlands in der Ukraine weiterhin ab. Im Mai 2015 erklärte Präsident Putin per Erlass alle Verluste der russischen Armee bei "Spezialeinsätzen" in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis. Bis November 2015 hatten sich amtlichen Schätzungen zufolge 2700 russische Staatsbürger, die zum Großteil aus dem Nordkaukasus stammten, in Syrien und im Irak der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Unabhängige Experten nannten höhere Zahlen. Am 30.9.2015 begann Russland mit Luftangriffen in Syrien, die nach offiziellen Angaben den IS treffen sollten, sich häufig aber auch gegen andere Gruppen richteten, die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ablehnten. Meldungen über zahlreiche zivile Opfer der Luftangriffe wurden von der russischen Regierung bestritten. Am 24.11.2015 schoss die Türkei ein russisches Kampfflugzeug ab, das in den türkischen Luftraum eingedrungen sein soll. Der Vorfall löste gegenseitige Schuldzuweisungen aus und führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern (AI 24.2.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html,

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html,

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CIA - Central Intelligence Agency (22.3.2016): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html,

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900,

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/

1.1. Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von 2,94 Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien, setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 16.3.2015).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in dem Kadyrow'schen Privatstaat. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersona

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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