TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/7 W272 2184144-1

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Veröffentlicht am 07.12.2018
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Entscheidungsdatum

07.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W272 2184124-1/8E

W272 2184139-1/6E

W272-2184147-1/5E

W272-2184144-1/5E

W272-2184150-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN Alois als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geboren am XXXX , 2.) XXXX , geboren am XXXX , 3.) XXXX , geboren am XXXX ,

4) XXXX , geboren am XXXX und 5) XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch Mag. BITSCHE Robert, gegen die Bescheide des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion Burgenland vom 09.01.2018, Zahl XXXX , Zahl

XXXX , Zahl XXXX , Zahl XXXX , Zahl XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde des XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gem. § 3 Abs. 4 leg cit. kommt Ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter bis zum 07.12.2021 zu.

II. Der Beschwerde der XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gem. § 3 Abs. 4 leg cit. kommt Ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter bis zum 07.12.2021 zu.

III. Der Beschwerde der XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gem. § 3 Abs. 4 leg cit. kommt Ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter bis zum 07.12.2021 zu.

IV. Der Beschwerde der XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gem. § 3 Abs. 4 leg cit. kommt Ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter bis zum 07.12.2021 zu.

V. Der Beschwerde der XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gem. § 3 Abs. 4 leg cit. kommt Ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter bis zum 07.12.2021 zu.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF 1), reiste gemeinsam mit seiner Ehefrau der Beschwederführerin 2 (in der Folge BF 2) und ihren drei Kindern, der Beschwerdeführerin 3 (in der Folge BF 3), der Beschwerdeführerin 4 (in der Folge BF 4) und der Beschwerdeführerin 5 (in der Folge BF 5) alle afghanische Staatsangehöriger, nach ihren Angaben irregulär und schleppergestützt in Österreich ein und stellten am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG)

2. Bei der erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.01.2016 gab der BF 1 unter Verwendung eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in Mazar e Sharif in Afghanistan geboren und lebe seit 20 Jahren mit seiner Familie BF 2 (Ehefrau) und BF 3 - 5 (Kinder) im Iran. Seine Mutter und seine Schwester seien im Iran. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Keselbasch und schiitischer Moslem. Er habe eine zweijährige Ausbildung zu Hause erfahren und als Schuhmacher im Iran gearbeitet. Er habe die Flucht vor ca. eineinhalb Monaten vom Iran (Teheran)aus angetreten.

Als Fluchtgrund gab er an, dass er im Iran illegal gewesen sei und keine Aufenthaltsberechtigung habe und sich vor einer Abschiebung nach Afghanistan gefürchtet habe. Seinen Kindern wäre es nicht möglich in die Schule zu gehen und er fürchte um sein und das Leben seiner Familie in Afghanistan, da die Sicherheitslage sehr schlecht sei.

Auch die BF 2 gab an, dass sie Angehörige der Volksgruppe der Kesselbach und schiitischer Moslem sei. Sie habe eine achtjährige Grundschule im Iran besucht. Sie sei mit ihrem Mann dem BF 1 und den gemeinsamen Kindern BF 3 - 5 in Österreich illegal eingereist. Sie sei noch ein Kind gewesen, als ihr Vater beschlossen habe Afghanistan zu verlassen. Den Grund wisse sie nicht. Als Frau habe sie in Afghanistan keinerlei Rechte. Im Iran habe sie sich vor einer Abschiebung nach Afghanistan gefürchtet und sie fürchte um ihr und das Leben ihrer Familie in Afghanistan. Dieselben Gründe gelte für BF 4 und 5.

Die BF 3 gab an, dass sie eine siebenjährige afghanische Schule im Iran besucht habe. Den Entschluss auszureisen habe ihr Vater gefasst. Sie sei noch nie in Afghanistan gewesen, habe die Schule im Iran nicht abschließen können, da sie dort illegal gewesen sei und habe eine Abschiebung nach Afghanistan befürchtet. In Afghanistan sei es als Frau schwieriger zu überleben.

3. Bei der Einvernahme des BF 1 am 26.09.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprechen und brachte im Wesentlichen Folgendes vor:

Er heiße XXXX und sei in Mazar-i-Sharif geboren und habe dort bis zu seinem 18. Lebensjahr gelebt. Danach sei er alleine in den Iran gereist und habe sich bis zum Ende Muharram 1394 (entspricht Oktober 2015) dort aufgehalten. Seine Schwester sei ebenfalls seit 10 Jahren im Iran und seine Mutter seit dem Tod seines Vaters. Er habe in Afghanistan nicht gearbeitet, im Iran habe er als Schuhmacher gearbeitet. Bis zu seiner Ausreise habe neben seiner Familie (BF 2 -5) auch seine Mutter gelebt. Die sei nun bei seiner Schwester. Er habe vor 21 Jahren geheiratet und seine Frau sei seit ihrer Kindheit im Iran. In Afghanistan sei er nur drei Monate gewesen, um die Formalitäten bezüglich des Todes seines Vaters zu regeln. Der Bruder seiner Frau habe ihm die Geburtsurkunden vom Iran gebracht. Im Iran habe er zunächst eine Flüchtlingskarte gehabt, danach habe er sieben bis acht Jahre illegal dort gelebt. Er habe keine Arbeitserlaubnis gehabt. Als er gearbeitet habe, sei ihm die Flüchtlingskarte abgenommen worden und nicht mehr verlängert. Seine Familie sei legal im Iran gewesen, sie hätten eine Flüchtlingskarte gehabt. Er habe noch einen Onkel und einen Cousin in Mazar e-Sharif.

Zur Flucht gab er Folgendes an:

Er habe mit 18 Jahren Afghanistan verlassen, da er seine Cousine heiraten habe sollen und die Taliban junge Männer rekrutierten. Den Iran habe er verlassen, da seine Kinder die Schule nur gegen Bezahlung hoher Gebühren besuchen haben dürfen. Seine Töchter seien außer Haus immer ohne Kopftuch gewesen und seien immer belästigt worden. In Afghanistan habe er das Erbe seines Vaters regeln wollen. Sein Onkel und dessen Söhne seien jedoch mit gefälschten Urkunden zu seinem Erbe (Haus, Geschäft, Waren) gekommen. Er habe keine Dokumente den Dorfältesten vorweisen können und habe daher seinen Anspruch nicht beweisen können. Als er zu Gericht gehen habe wollen, sei sein Onkel darauf gekommen und habe vier Personen zu seinem Cousin geschickt, wo er gewohnt habe. Da er nicht anwesend gewesen sei, sei sein Cousin geschlagen worden. Der BF 1 habe dies gehört und sei über eine Mauer geflohen. Im Iran sei er geschlagen worden, als er von der Arbeit heimkam. Daher habe er die Narbe am rechten Arm. Seine Tochter sei mit Kopftuch außer Haus gegangen, da jedoch ihr Haaransatz zu sehen gewesen sei, sei sie beschimpft worden. Seine älteste Tochter habe gegenüber der Gruppierung Gasht Irshab einen Eid ablegen müssen, dass sie so etwas nicht mehr mache.

Am gleichen Tag wurde die BF 2 von dem BFA einvernommen und gab Folgendes im Wesentlichen an. Sei leide an Asthma, ihre jüngste Tochter sei schnell wund und kratze sich. Die Wunden seien verheilt, jedoch die Narben vorhanden. Ihre minderjährigen Kinder haben keine eigenen Asylgründe, sie übernehme die gesetzliche Vertretung. Sie sei in Kabul geboren und mit drei Jahre mit ihren Eltern in den Iran gereist, sie glaube wegen des Krieges. Sie sei mit ihrem Mann seit 21 Jahren verheiratet, habe mit ihm und ihren Kindern im Iran gelebt und dieser habe als Schuhmacher gearbeitet. Sie habe eine Schwester in Kanada. Den Iran habe sie verlassen, da sie keine Rechte gehabt habe. Ihre Töchter, insbesondere BF3, habe immer Probleme gehabt, da ihr Haaransatz trotz Kopftuch zu sehen gewesen sei. Diese habe einen Eid unterschreiben müssen, damit sie so etwas nicht mehr mache. Ihr Mantel sei nicht lang genug gewesen und sie sei ein wenig geschminkt gewesen. Die BF 2 habe sich für ihre Tochter eingesetzt, damit sie von der Gruppierung Gasht Irshad nicht mitgenommen werde. In Afghanistan habe ihr Mann Probleme mit seinem Onkel wegen des Erbes seines Vaters gehabt. Im Iran sei er überfallen worden, davon habe er seine Narbe, sein Arm sei an drei Stellen gebrochen gewesen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe sie Angst vor dem Onkel ihres Mannes und die Einschränkung ihrer Freiheit als Frau. In Afghanistan gebe es Vergewaltigung und Zwangsheirat. Man habe keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, könne nicht zur Polizei gehen und Anzeige erstatten oder die eigene Meinung sagen. In Österreich fühle sie sich frei.

Die BF 3 gab am 03.10.2017 vor dem BFA im Wesentlichen Folgendes an:

Sie habe bei der Ersteinvernahme die Wahrheit gesagt, jedoch sei sie nur gefragt worden, ob sie die gleichen Fluchtgründe wie ihrer Eltern habe und sie habe dies bejaht. Sie sei in Teheran geboren und habe im Iran gelebt. Ihr Vater sei Schuhmacher gewesen. Sie sei in die Schule gegangen und sei in letzter Zeit von den Mitschülern schlecht behandelt worden. Sie habe die achte Klasse zwei Jahre vor der Ausreise abgeschlossen. Derzeit besuche sie die Schule "Ecole" in Güssing und spiele Volleyball in einem Verein in Güssing. Sie würde zweimal bis 18.00 in der Schule sein und in ihrer Freizeit mit ihren österreichischen Freundinnen spazieren gehen und Deutsch lernen. Den Iran habe sie verlassen, da sie dort ihr Bildungsziel nicht erreichen könne. Afghanistan sei nicht sicher. In Afghanistan sei sie einmal von der Polizei angehalten worden, da sie geschminkt gewesen sei und kurze Sachen getragen habe. Die Mitnahme habe ihre Mutter verhindern können. Sie habe ihre Fingernägel lackiert gehabt, einen Mantel bis zur Mitte des Oberschenkels getragen und ihr Haaransatz sei zu sehen gewesen. Es sei die Polizei gewesen und sechs oder sieben Monate vor der Ausreise gewesen. In Afghanistan könne sie nicht leben, da kein Mädchen nach 17.00 Uhr auf die Straße gehen könne und die Gefahr der Entführung und Vergewaltigung bestehe. Sie habe im Iran Kopftuch getragen und in Afghanistan müsse man Hijab tragen und sie sei dagegen. Bei der Einvernahme hat sie dunkle Jeans, Turnschuhe und ein ärmelloses weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt getragen. Sie hat ihr Haar offen getragen und ist geschminkt gewesen.

Die BF 4 und 5 folgten der Aussage der BF 2.

Folgende Unterlagen liegen vor:

BF1: Geburtsurkunde original, Teilnahmebestätigung Deutschkurs A1, Teilnahmebestätigung "Gemeinsam Sicher", Fotos der rechten Narbe,

BF2: Ärztlicher stationärer Aufenthaltsbrief vom 27.07.2017 für den Zeitraum vom 22.07.2017 bis 27.07.2017 des A.ö. Krankenhaus Güssing, Teilnahmebestätigung Deutschkurs A1

BF3: Teilnahmebestätigung "Basisausbildung für Jugendliche mit Politischer Bildung", Urkunde "Rote Nasen Lauf", Terminliste "Volleyballverein in Güssing", Jahresinformation HBLA Schuljahr 2016/17, verschiedene Fotos

BF 4: Schulnachricht NMS 2015&2016/17, Schulbesuchsbestätigung HBLA, Teilnahmebestätigung "Basisausbildung für Jugendliche mit Politischer Bildung",

BF 5: Schulnachricht NMS 2016/17

Teilnahme Fußballverein, Teilnahme Deutsch Anfängerkurs.

4. Mit den Bescheiden des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018 XXXX (BF 5) wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) abgewiesen und den BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) zuerkannt. Schließlich wurde Ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 09.01.2019 erteilt.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF, deren Gesundheitszustandes und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Nicht festgestellt werden konnten Verfolgungsgründe, welche stichhaltige Gründe darlegen, die gegen eine Abschiebung nach Afghanistan sprechen würden. Aufgrund der prekären allgemeinen Lage in Zusammenhang mit der persönlichen Situation (sorgepflichtig für drei Kinder) sei in der derzeitigen Situation in Afghanistan für die BF 2 nicht mit der geforderten Sicherheit ausgeschlossen, dass im Falle der Rückkehr - zumindest - einer unmenschlichen Behandlung - im Sinne von Artikel 3 EMRK- ausgesetzt sein würde. Sie habe keine Verwandten in Afghanistan und ihre Mutter lebe im Iran und beide Tanten seien verstorben. Sie leide unter Asthma und ist von einer eingeschränkten Erwerbstätigkeit auszugehen. Auch würde der BF 1 aufgrund seiner persönlichen Situation - Familienvater, sorgepflichtig für drei Kinder - im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Daher wurden dem BF 1 und der BF 2 subsidiärer Schutz zuerkannt.

BF 3 - 5 erhielten gem. § 34 Abs. 3 AsylG (Familienverfahren) aufgrund der Gewährung des Status des subsidiären Schutzberechtigten für BF 1 bzw. BF 2 ebenfalls den Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Eigene Verfolgungsgründe gem. GFK konnten nicht festgestellt werden. Die Tatsache allein, dass die BF 2 - 5 afghanische Frauen sind reiche nicht aus um eine Verfolgung im Sinne der GFK genannten Gründe festzustellen.

5. Gegen Spruchpunkt I der angegebenen Bescheide erhoben die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften ein.

Die BF 2 - 5 würden einen westlichen, freien und selbstbestimmten Lebensstil verinnerlicht haben und ein freies und selbstbestimmtes Leben führen. Sie würden daher der sozialen Gruppe "westlicher orientierter Personen" angehören und würden einer Verfolgung im Sinne der GFK unterliegen. Weiters habe sich die Behörde nicht mit der Situation von minderjährigen Mädchen in Afghanistan auseinandergesetzt.

Beantragt wurde den Beschwerden Folge zu geben und die Bescheide dahingehend abzuändern, dass den Beschwerdeführern der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird. In eventu die Bescheide hinsichtlich Spruchpunkt I. zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an die Erstinstanz zurückzuverweisen.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 17.01.2018 vom BFA vorgelegt. Ausgeführt wurde, dass sich der BF an die Lebensführung in Österreich äußerlich angepasst haben mag, aber aus dem Beschwerdevorbringen ergebe sich nicht inwieweit der BF 1 etwa europäische Werte verinnerlicht habe bzw. wenn er diese hätte, welche Gründe dagegen sprechen mit einer solchen Einstellung wieder in Afghanistan Aufenthalt zu nehmen. Dies gelte auch für BF 2. Es sei ihr zuzumuten sich mit den Bekleidungsvorschriften in Afghanistan abzufinden. Unter Anführung verschiedener Judikatur stellt das BFA nochmals fest, dass hier zwar eine persönliche subjektive Befürchtung vorliegen mag, jedoch aus objektiver individueller Sicht keine asylrechtliche Gefährdung vorhanden ist. Weiters sei die BF 2 erst ein Jahr in Österreich und daher könne eine "westliche Orientierung" nicht bereits verinnerlicht sein.

7. Mit Anberaumung der mündlichen Verhandlung wurden die aktuellen Länderberichte mitübermittelt.

8. Das BVwG führte am 04.12.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari durch, zu der die BF persönlich in Begleitung ihres Vertreters erschienen sind. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete mit Schreiben vom 07.11.2018 auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden die BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu ihrem gesundheitlichen Befinden, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihren persönlichen Verhältnissen und ihrem Leben in Afghanistan bzw. im Iran, ihren Familienangehörigen, ihren Fluchtgründen und ihren Rückkehrbefürchtungen sowie zu ihrem Leben in Österreich ausführlich befragt.

Als Beilagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung wurden ein Konvolut an Unterlagen (Schulbesuchsbestätigung der BF 3 HBLA 2018/19, Schulbesuchsbestätigung der BF 3 HBLA 2017/18, Schulbesuchsbestätigung der BF 4 HBLA 2018/19, Zertifikat "Deutschlernen" der BF4 und 5, Bestätigung über ehrenamtliche Mithilfe November und Juli 2018 der BF 5, Schulbesuchsbestätigung für die NMS St. Michael 2018/19 der BF 5, Alphabetisierungskurs September und November 2018 der BF 2, Bestätigung AMS vom März 2018 des BF 1 und BF 2, Deutschkurs A1 vom Mai und Juni 2018 der BF 2, Sprachkurs A1 vom September 2018 des BF 1, zwei Fotos der BF 3 (Selfie mit Freunden und im Freibad) genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in Afghanistan sowie der mündlichen Verhandlung wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Zur Person:

Der BF 1 führt den Namen XXXX und wurde in Afghanistan in Mazar e-Scharif geboren. Die BF 2 führt den Namen XXXX und wurde in Afghanistan geboren. Die BF 3 führt den Namen XXXX und wurde am XXXX im Iran geboren. Die BF 4 führt den Namen XXXX und wurde am XXXX im Iran geboren. Die BF 5 führt den Namen XXXX und wurde am XXXX im Iran geboren. Die BF 3 - 5 sind die Kinder, der seit ca. 23 Jahren verheirateten Eltern BF 1 und BF 2. Alle BF sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters sind sie Angehörige der Volksgruppe der Qesel-Bash an und bekennen sich zum schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari. BF 1, 2 und 4 verfügen über wenige Deutschkenntnisse. BF 3 und 5 über gute Deutschkenntnisse. Im Bundesgebiet leben die BF in einem gemeinsamen Haushalt. Sie sind gesund, die BF 2 hatte eine leichte Verkühlung.

Die BF sind am 25.11.2015 in das Bundesgebiet illegal eingereist und haben einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Die BF 1 und 2 haben für ihre minderjährigen Kinder denselben Antrag eingebracht.

Der BF 1 hat eine zweijährige Schulausbildung zu Hause abgeschlossen und im Iran als Schuhmacher gearbeitet und damit den Lebensunterhalt sichergestellt. Die BF 2 hat eine achtjährige Schulausbildung abgeschlossen. Die BF 3 hat eine achtjährige Schulausbildung abgeschlossen.

Der BF 1 hat Afghanistan im Alter von 18 Jahren verlassen und sich in Iran (Teheran) als Flüchtling niedergelassen. Die BF 2 hat im Alter von 3 Jahren mit ihren Eltern Afghanistan verlassen. Der BF 1 und BF 2 heirateten traditionell im Iran. Die Familie BF 1 - 5 lebten in Teheran als Flüchtlinge. Der Vater BF 1 sorgte für den Unterhalt, die Mutter BF 2 war zu Hause, widmete sich der Erziehung der Kinder und sorgte für den Haushalt. BF 3 - 5 gingen in die Schule.

Die BF sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, waren dort nie inhaftiert, und kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung. Sie haben sich nicht politisch betätigt und hatten keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland. Aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zu den Qesel-Bash in Afghanistan drohte ihnen keine gegen sie gerichtete psychische bzw. physische Gewalt. Auch sonst konnten keine Verfolgungsgründe festgestellt werden, welche zur Flucht aus dem Herkunftsstaat führten. Die BF hatten Probleme mit den Iranern im Iran.

Die BF leben als Familie in Österreich. Sie haben einen Deutschkurs absolviert und BF 3 - 5 besuchen die Schule. Die Beschwerdeführer sind nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes geworden.

Der BF 1 unterliegt keiner Verfolgung im Herkunftsland.

Die BF 2 unterliegt keiner Verfolgung im Herkunftsland.

Die BF 3 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse der Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen nach den konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie selbst lebt nicht nach dieser Tradition in Österreich und übt ihren muslimischen Glauben nur im häuslichen Umfeld aus. Die Lebensweise der BF 3 ist als "westlich" zu bezeichnen. Ihre Lebensumstände in Afghanistan stünden jenen, welche sich die BF 3 aus freien Willem zu gestalten wünscht, in unüberwindbaren Gegensatz.

Die BF 4 und 5 sind im anpassungsfähigen Alter und leben in Kreise der Familie.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Qesel-Bash, aufgrund ihres Religionsbekenntnisses politisch-ideologischer Einstellung oder sonst irgendwelcher Probleme Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt waren.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland.

Die BF 1,2,4,5 konnten nicht glaubhaft vermitteln, dass Sie im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung ausgesetzt wären. Die BF 3 wäre aufgrund ihrer verinnerlichten Lebensweise im Sinne einer westlichen Orientierung einer Verfolgung ausgesetzt.

1.4. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationblatt inkl. deren Quellenangaben, welches dem BFA, den BF und den Rechtsvertreter übermittelt und keine Einwände erhoben wurden. Das Länderinformationsblatt wurde auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung besprochen.

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Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformation:

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demonstration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheliegenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b)

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien:

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018). Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition:

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb- e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288.

Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele:

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten:

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kame

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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