TE Bvwg Beschluss 2018/12/10 W102 2163896-2

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Veröffentlicht am 10.12.2018
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Entscheidungsdatum

10.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W102 2163896-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ, über den Antrag von XXXX, geb. XXXX, StA Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48, 1170 Wien, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018, W102 2163896-1, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz:

A)

Der Antrag wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara mit schiitischer Religionszugehörigkeit, stellte nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 30.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 26.05.2017, Zl. XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 30.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde traf Feststellungen zur Person des Antragstellers, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, zur Situation im Falle seiner Rückkehr sowie zur Lage in Afghanistan. Im Anschluss unterzog die belangte Behörde den von ihr festgestellten Sachverhalt unter Bezugnahme auf die einzelnen Spruchpunkte des Bescheides einer rechtlichen Beurteilung.

3. Dagegen wurde vom Beschwerdeführer (durch eine Vertreterin seiner bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation verfasste) Beschwerde erhoben, die fristgerecht bei der belangten Behörde einlangte.

In weiterer Folge wurde diese Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 26.05.2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018, W102 2163896-1, als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der nunmehrige Antragsteller im Herkunftsstaat keiner individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt war, oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre. Das Bundesverwaltungsgericht schenkte den Angaben des Antragstellers bezüglich der von ihm geschilderten Verfolgungssituation mit näherer Begründung keinen Glauben.

Zwar kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz Ghazni nicht möglich sei, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde und sei die Provinz auch nicht auf sicherem Weg erreichbar sei. Jedoch kam das Bundesverwaltungsgericht - mit näherer Begründung - zu der Ansicht, dass es dem Antragsteller stattdessen durchaus möglich und zumutbar sei, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif oder Herat niederzulassen.

Trotz gewisser Integrationsbemühungen erachtete das Bundesverwaltungsgericht die Bindung des nunmehrigen Antragstellers zu Afghanistan für deutlich intensiver als jene zu Österreich. Mit näherer Begründung wurde dargetan, dass eine Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers keinen unzulässigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen würde.

4. Das Erkenntnis wurde beiden Verfahrensparteien rechtswirksam zugestellt.

5. Mit - von einer Vertreterin der vom Antragssteller bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation verfassten - Schriftsatz vom 13.09.2018 wurde der im Spruch genannte, auf § 32 Abs.1 Z 2 VwGVG gestützte Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gestellt. Unter einem wurde mit näherer Begründung auch ein "Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht" gestellt.

Zur Begründung des Antrages wurde vorgebracht, dass nach Abschluss des Verfahrens neue Tatsachen bzw. Beweismittel hervorgekommen, welche im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden seien und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptteil des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Konkret wurde vorgebracht, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts stützte sich hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Wesentlichen auf die Länderinformationen der Staatendokumentation, aufgrund dessen der Schluss gezogen worden sei, dass Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle. Wegen der Annahme, es liege eine innerstaatliche Fluchtalternative, nämlich in Kabul vor, sei dem Antragsteller sowohl die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten verweigert worden.

Der Antragsteller sei nunmehr jedoch in den Besitz der "Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan" des UNHCR vom 30.08.2018 (im Folgenden: UNHCR-Richtlinien) gelangt, aus denen sich eindeutig ergeben würde, dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme.

Aufgrund der bereits zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, aber erst in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 festgestellten realen Gefahr einer Verletzung der Rechte nach Art. 2 und Art. 3 EMRK hätte das Bundesverwaltungsgericht dem Antragsteller den Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Aus den neuen UNHCR-Richtlinien gehe eindeutig hervor, dass Kabul keine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle. Die UNHCR-Richtlinien, von denen der Antragsteller im Verfahren ohne Verschulden nicht Gebrauch machen habe können, wären geeignet gewesen, in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens eine stattgebende Entscheidung herbeizuführen.

Bezogen auf die Rechtzeitigkeit des gegenständlichen Antrages wurde ausgeführt, dass die Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien und deren Inhalt der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation des Beschwerdeführers am 31.08.2018 bekannt wurde, sodass der Antrag auf Wiederaufnahme im vorliegenden Fall innerhalb der zweiwöchigen Frist gestellt wurde, und somit die Wiederaufnahmefrist gewahrt sei.

Schließlich wurde beantragt, dass Verfahren zur Zahl W102 2163896-1 wiederaufzunehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens

2.1. § 32 VwGVG lautet wie folgt:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."

2.2. Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass die das seinerzeitige Verfahren abschließende Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit und auch die Erhebung von Rechtsmitteln bei den Höchstgerichten hindern, selbst wenn der Beschwerde oder der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft (VwGH 16.09.1980, 1079/79; 23.02.2012, 2010/07/0067; 28.02.2012, 2012/05/0026).

Nachdem es in einem Verfahren über einen Wiederaufnahmeantrag um eine Durchbrechung des Grundsatzes der Rechtskraft geht, sind die Prozessvoraussetzungen streng zu prüfen (VwGH vom 24.09.2014, 2012/03/0165).

Entscheidungen eines Verwaltungsgerichtes werden mit ihrer Erlassung rechtskräftig. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 wurde mit seiner Zustellung an die bevollmächtigte Rechtsberaterorganisation rechtskräftig. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn in weiterer Folge eine Beschwerde bzw. Revision an den VfGH bzw. an den VwGH erhoben werden würde (vgl. dazu etwa VwGH 26.11.2015, Ro 2015/07/0018; 19.01.2016, Ra 2015/01/0070; 24.05.2016, Ra 2016/03/0050; 31.01.2017, Ra 2017/03/0001).

2.3. Der Einschreiter stellte am 13.09.2018 den vorliegenden, auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018, W102 2163896-1, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, welcher am 14.09.2018 beim BVwG einlangte.

Ausgehend von der (dem Akteninhalt nach nachvollziehbaren) Einlassung des Antragstellers, wonach die mit seiner Vertretung bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation erst am 31.08.2018 von der Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien in der Fassung vom 30.08.2018 Kenntnis erlangt habe, ist die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

2.4. In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) wurde festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0136, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.

2.5. Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund neuer Tatsachen bzw. Beweismittel iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.

Nach ständiger - auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG übertragbarer - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen d.h. Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, d.h. Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens").

Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf Basis des geänderten Sachverhalts die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).

2.6. Vorauszuschicken ist, dass dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 neben Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. Rasuly zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul u.a. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 02.03.2017 zugrunde gelegt wurde.

Der Antragsteller bringt in seinem Wiederaufnahmeantrag zusammengefasst vor, aus den aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 ergebe sich, dass die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme, was eine anderslautende, den Anträgen des Anragstellers stattgebende Entscheidung herbeigeführt hätte.

2.7. Aufgrund folgender Erwägungen kann dieser Ansicht jedoch nicht gefolgt werden:

Dem Antragsteller ist zunächst insoweit Recht zu geben, als er vorbringt, dass die Tatsachen (z.B. über die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan und die bestehenden Risikoprofile), auf denen die am 30.08.2018 herausgegebenen UNHCR-Richtlinien basieren, bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bestanden haben. Dies ergibt sich daraus, dass die Richtlinien - sofern nicht anders angegeben - auf den dem UNHCR am 31.05.2018 bekannten Informationen beruhen (vgl. FN 2 auf S. 5 der Richtlinien).

In den Richtlinien vom 30.08.2018 äußert UNHCR angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul die Auffassung, dass eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt allgemein nicht zur Verfügung stehe (arg. S. 114: "UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) is generally not available in the city.").

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken (s. VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; zur "Indizwirkung" vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN). Diese Rechtsprechung geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zurück, in der dieser erkannte, dass Empfehlungen internationaler Organisationen zweifelsohne Gewicht zukommt, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453).

Unbeschadet dessen verkennt der Antragsteller jedoch, dass die Richtlinien des UNHCR im gegebenen Zusammenhang weder "neue Tatsachen" noch ein "neues Beweismittel" iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellen.

Im Wiederaufnahmeantrag wird argumentiert, dass sich die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 auf die Informationslage 2017/2018 beziehen würden. Inhalt seien daher Tatsachen, die im Entscheidungszeitpunkt bereits bestanden hätten, aber erst nach der Entscheidung festgestellt worden seien. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass es sich bei den UNHCR-Richtlinien um ein Gutachten handeln würde, würde dies an der Entscheidung nichts ändern.

Im Kommentar von Hengstschläger/Leeb (AVG § 69 Stand 01.04.2009, Rdb Rz 33) wird diesbezüglich ausgeführt, dass Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden sind und damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein können (VwGH 10.05.1996, 94/02/0449; 21.04.1999, 99/03/0097; 02.07.2007, 2006/12/0043). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides "feststellt" oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 18.01.1989, 88/03/0188; 04.08.2004, 2002/08/0074; 25.07.2007, 2006/11/0147). Einen Wiederaufnahmegrund können aber nur neue Befundergebnisse bzw. neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen in einem Gutachten bilden und nicht auch ein Irrtum des Sachverständigen (VwGH 07.09.2005, 2003/08/0093; 16.10.2007, 2004/18/0376), d.h. geänderte sachverständige Schlussfolgerungen aus eben den festgestellten Tatsachen.

Zwar handelt es sich bei den UNHCR-Richtlinien nicht im engeren Sinn um ein Sachverständigengutachten iSd AVG, sondern um eine Hilfestellung für Entscheidungsträger bei der Beurteilung des internationalen Schutzbedarfs von Asylwerbern. Dennoch sind Rechtsprechung und Lehre zum Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach Ansicht des erkennenden Gerichtes zumindest insoweit auf den vorliegenden Fall übertragbar, als die hier in Rede stehende Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul eben keine "neue (sachverständige) Tatsachenfeststellung", sondern vielmehr eine geänderte Schlussfolgerung des UNHCR auf Basis der bereits zum Entscheidungszeitpunkt bestandenen und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 zugrunde gelegten Tatsachen (insbesondere betreffend die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul) darstellt und insoweit als (unverbindliche) Empfehlung oder als eine Art "Rechtsgutachten" angesehen werden kann.

Die geänderte Schlussfolgerung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Kabul in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 vermag auch deshalb weder "neue Tatsachen" noch ein "neues Beweismittel" zu begründen, weil die Beurteilung der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Verweisung auf eine innerstaatliche Fluchtalternative rechtlicher Natur ist, mag diese auch anhand konkreter einzelfallbezogener Sachverhaltsfeststellungen erfolgen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgestellt hat, unterscheidet § 11 AsylG 2005 nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 MRK widersprechen. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 MRK widersprechen (oder auf Grund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen (vgl. etwa VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154).

Dass es sich sowohl bei der Frage, ob im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, als auch bei der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative jeweils um eine rechtliche Beurteilung handelt, welche natürlich in den Feststellungen Deckung finden muss, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt (vgl. etwa VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277; 21.03.2018, Ra 2017/18/0372; 02.08.2018, Ra 2017/19/0229).

Die von Seiten des UNHCR geäußerte Auffassung, wonach angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt allgemein nicht zur Verfügung stehe, stellt daher streng genommen eine - dem der belangten Behörde und letztlich dem Bundesverwaltungsgericht - obliegende rechtliche Beurteilung dar, der im Einzelfall mit näherer Begründung auf Basis konkreter Feststellungen gefolgt oder auch nicht gefolgt werden könnte.

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit aus den dargelegten Erwägungen der Ansicht, dass die vom Antragsteller ins Treffen geführte - in den Richtlinien vom 30.08.2018 enthaltene - Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellt.

Im Übrigen besteht die Möglichkeit, Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, in denen eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul im Lichte der zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Länderinformationen und der persönlichen Umstände des Asylwerbers in rechtlicher Hinsicht als möglich und zumutbar erachtet wird, im Wege eines außerordentlichen Rechtsmittels zu bekämpfen.

2.8. Nach der ausdrücklichen Anordnung in § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG stellen neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweise zudem nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens dar, wenn sie allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung herbeigeführt hätten (VwGH vom 18.01.2017, Ra 2016/18/0197; VwGH vom 24.09.2014, 2012/03/0165). Der Beschwerdeführer hat daher in seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens die Relevanz seines Antrages substantiiert dazulegen.

2.9. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Kabul - unbeschadet der Frage des Bestehens eines Wiederaufnahmegrundes - weder allein noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätte:

Was die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten anlangt, ist auszuführen, dass sich das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 tragend auf eine fehlende Glaubhaftmachung der behaupteten Verfolgung stützte, weshalb eine allenfalls bestehende innerstaatliche Fluchtalternative nicht maßgeblich für die Entscheidung war (vgl. etwa VwGH 24.01.2017, Ra 2016/01/0338).

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtslage und der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung auszugsweise Folgendes ausgeführt:

"Was die Sicherheitslage in der Provinz aus der der Beschwerdeführer geflohen ist (Provinz Ghazni) betrifft, ist festzuhalten, dass diese Provinz zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans zählt. Eine Rückkehr wäre dem Beschwerdeführer aufgrund der festgestellten Länderinformationen wohl nicht zumutbar.

Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt es sich insgesamt, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

[...]

Es kann im konkreten Fall davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht in eine derart ausweglose Lage geraten würde, die ihm jegliche Existenzgrundlage entzieht. Auch die Sicherheitslage in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind - wie den obigen Länderfeststellungen zu entnehmen ist - verhältnismäßig gut.

Weitere Faktoren, die gegen die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat sprechen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden vom Beschwerdeführer auch nicht substantiiert vorgebracht.

Kabul ist den vorliegenden Länderinformationen zufolge eine für Normalbürger über den Flughafen gut erreichbare, relativ sichere Stadt, auch wenn es dort immer wieder zu Anschlägen kommt. Innerhalb Kabuls existieren demnach in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Die afghanische Regierung behält jedoch die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahbereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGOs ereignen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul als ausreichend sicher zu bewerten ist. Hinsichtlich der in der Stadt Kabul bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist jedoch zumindest grundlegend gesichert.

Der Beschwerdeführer ist mobil, gesund, anpassungs- und arbeitsfähig, sodass bei ihm die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Beschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung, könnte wohl trotz der wirtschaftlich schlechten Situation der Familie mit deren Unterstützung rechnen. Es ist aber auch ohne Unterstützung der Familie anzunehmen, dass er in Kabul in der Lage sein wird, sich ein ausreichendes Auskommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Aufgrund seiner Arbeitsfähigkeit hat der Beschwerdeführer jedenfalls die Möglichkeit, sich nach seiner Rückkehr wieder eine Existenzgrundlage zu sichern und ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte zu führen (vgl. jüngst VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001-5 mit Hinweis auf UNHCR Richtlinien Nr. 4., Rz 22 ff und Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie [2009], 226 ff). Überdies kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Kabul das Auslangen finden. Deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Zudem gehört der Beschwerdeführer keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

Wie bereits dargelegt wurde, hat der Beschwerdeführer in Afghanistan Familienangehörige, mit denen er Kontakt aufnehmen könnte und auf deren Unterstützung er gegebenenfalls zurückgreifen könnte. Dem Beschwerdeführer wäre es aufgrund der dargelegten Umstände auch ohne unmittelbar in Kabul bestehende soziale bzw. familiäre Anknüpfungspunkte möglich, sich dort - etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten - eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Daher ist nicht zu erkennen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059, zur ‚Schwelle' des Art. 3 EMRK), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Afghanistan jegliche Existenzgrundlage - im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059 - fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Dementsprechend ist auch schon das BFA im bekämpften Bescheid von einer möglichen Ansiedlung in der Hauptstadt Kabul ausgegangen.

Es muss jedoch maßgeblich berücksichtigt werden, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen arbeitsfähigen jungen Mann handelt, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in das Heimatland in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnte. Der Beschwerdeführer ist in Kabul geboren und lebte in einem afghanischen Familienverband. Er musste bereits in Afghanistan und im Iran erwerbstätig sein, es ist daher davon auszugehen, dass er in seinem Heimatland im Stande sein wird, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, zumal er mit der Sprache und Kultur vertraut ist.

Aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zudem, dass die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat - im Vergleich zu anderen Provinzen - nicht als derart unsicher qualifiziert werden können, dass es einem Beschwerdeführer von vornherein verunmöglicht würde, dorthin zurück zu gelangen. Kabul, Mazar-e Sharif und Herat verfügen über eine vergleichsweise gute Infrastruktur mit dem Bestehen eines Flughafens, der für den zivilen Flugverkehr geeignet ist. Auch aus den (aktuellen) Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. Rasuly geht hervor, dass die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat derzeit zu relativ sicheren Städten Afghanistans gezählt werden können.

[...]"

Nach der ausdrücklichen Anordnung in § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG stellen neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweise nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens dar, wenn sie allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Es muss sich also um neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel handeln, die den Sachverhalt betreffen und die, wenn sie schon im wiederaufzunehmenden Verfahren berücksichtigt worden wären, zu einer anderen Feststellung des Sachverhalts und voraussichtlich zu einer im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Entscheidung geführt hätten (VwGH 14.06.1993, 91/10/0107; 27.09.1994, 92/07/0074; 30.06.1998, 98/05/0033; 22.02.2001, 2000/04/0195; 20.12.2005, 2005/12/0124).

Als Wiederaufnahmegrund könnten die vom Antragsteller ins Treffen geführten UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 - ungeachtet des bereits Gesagten - daher nur dann maßgeblich sein, wenn sie nach ihrem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich ihrer inhaltlichen Bewertung) geeignet wären, dass es im wieder aufzunehmenden Verfahren bei ihrer Zugrundelegung voraussichtlich zu einer im Hauptinhalt des Spruchs anders lautenden Entscheidung gekommen wäre (vgl. auch VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Aus folgenden näher dargelegten Gründen trifft dies im vorliegenden Fall jedoch nicht zu:

Im wiederaufzunehmenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2018 führte die Prüfung der maßgeblichen Kriterien im konkreten Fall des Antragstellers zu dem Ergebnis, dass diesem - als innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Bezug auf seine Herkunftsprovinz Ghazni - eine Ansiedelung nicht nur in der Hauptstadt Kabul, sondern darüber hinaus auch in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar ist.

Nach den aktualisierten Richtlinien vom 30.08.2018 ist UNHCR vor dem näher dargestellten Hintergrund der Ansicht, dass eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur sinnvoll möglich (und zumutbar) ist, wenn die Person Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder nachgewiesene und nachhaltige Unterstützung für den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard hat. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden, bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

UNHCR ist weiters der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten (wie näher beschrieben) vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (vgl. S. 109 f.).

Diesbezüglich ist aber keine maßgebliche Änderung im Vergleich zu den dem wiederaufzunehmenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018 zugrunde gelegten Entscheidungsquellen zu sehen.

Soweit UNHCR darüber hinaus die Auffassung vertritt, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt allgemein nicht zur Verfügung stehe (S. 114), ist festzuhalten, dass eine entsprechende Schlussfolgerung im Hinblick auf die Stadt Mazar-e Sharif in den aktualisierten Richtlinien nicht enthalten ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher derzeit auch nicht davon aus, dass UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Mazar-e Sharif generell ausschließt, sondern insoweit (wie bisher) eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall für erforderlich erachtet.

Da das Bundesverwaltungsgericht - nach Prüfung des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des Antragstellers sowie unter Beachtung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung - u.a (auch) eine Rückkehr des Antragstellers nach Mazar-e Sharif für möglich und zumutbar erachtet hat und (tragend) deshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen hat, hätte die Berücksichtigung der in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 enthaltenen Neueinschätzung der Lage in Kabul weder allein noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt. Dass die Richtlinien des UNHCR vom 30.08.2018 in Bezug auf Mazar-e Sharif maßgebliche, die Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens rechtfertigende Änderungen enthält, behauptet im Übrigen auch der Antragsteller nicht.

2.10. Aus den dargelegten Erwägungen sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nicht erfüllt, weshalb der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens spruchgemäß abzuweisen war.

2.11. Mit der Abweisung des gegenständlichen Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens erübrigt sich auch ein Abspruch über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht auf Gewährung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts bzw. auf Hintanhaltung der Abschiebung.

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Da die Sachlage aufgrund der Aktenlage als erklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde vom anwaltlich vertretenen Antragsteller auch nicht gestellt. Dem Entfall der Verhandlung stehen im Ergebnis weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Wie bereits oben ausgeführt, wurde § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG nach den Materialien der Bestimmung des § 69 AVG nachempfunden, weshalb auf die einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG zurückgegriffen werden konnte. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Voraussetzungen, Wiederaufnahme, Wiederaufnahmeantrag,
Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W102.2163896.2.00

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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