TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/8 W159 2157213-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2018
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Entscheidungsdatum

08.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.130 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §54
FPG §55
FPG §58
VwGVG §8 Abs1

Spruch

W159 2157213-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gem. Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 09.07.2015, Zl. 15-XXXX, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 20.07.2017 und am 15.11.2017, zu Recht erkannt:

A)

1. Der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz vom 09.07.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen.

2. Der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz vom 09.07.2015 wird auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gem. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen.

3. Gem. § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, auf Dauer unzulässig ist und XXXX eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gem. §§ 54, 55 und 58 AsylG 2005 idgF erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der paschtunischen Volksgruppe, gelangte (spätestens) am 09.07.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die Polizeiinspektion XXXX gab der Antragsteller zu seinen Fluchtgründen an, dass die Leute in seiner Heimatprovinz Laghman sehr konservativ seien und sie es nicht mögen, wenn man für Ausländer arbeite. Aus Angst, dass es die Leute erfahren würden, habe seine Familie den Umstand, dass er für die ISAF gearbeitet habe, geheim gehalten. Trotzdem sei seine Familie mit dem Umbringen und dem Niederbrennen des Hauses bedroht worden. In seiner Firma sei es am 12.12.2012 zu einem Selbstmordanschlag gekommen, wobei zwei Personen getötet und ca. 35 bis 40 verletzt worden seien. Er sei auch verletzt worden und habe ein Fernsehinterview dem Sender "NTV" gegeben. Aufgrund dieses Interviews sei er in seiner Heimatprovinz erkannt worden und Ende 2014 sei das Haus seiner Eltern von den Taliban angegriffen worden. Sie hätten seinen Vater mitgenommen und ihn damit erpressen wollen. Nach zwei Tagen sei sein Vater tot aufgefunden worden. Der Zeitraum zwischen dem Interview und dem Anschlag sei deswegen so lange gewesen, da es in seiner Heimatprovinz nicht immer Strom gebe und nur beschränkt Fernsehen. Aus Angst vor den Taliban habe ein Freund seines Vaters seine Familie nach Kabul geholt und seine Ausreise organisiert, da sein Leben in Gefahr gewesen sei.

Mit Schreiben vom 19.12.2016 gab der Antragsteller seine Vertretung durch den XXXX. an und ersuchte um rasche Durchführung der Einvernahme. Der Beschwerdeführer legte weiters eine Bestätigung über Teilnahme an einem Deutschkurs an der Wirtschaftsuniversität sowie einen Erfolgsnachweis und einen Studierendenausweis der Wirtschaftsuniversität vor.

Mit Schriftsatz vom 17.01.2017 erhob der Antragsteller durch seine ausgewiesene Vertretung eine Säumnisbeschwerde.

Am 22.02.2017 erfolgte eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien. Der Antragsteller gab an, dass er gesund und arbeitsfähig sei. Zu seinen persönlichen Daten gab er an, dass er am XXXX in der Provinz Laghman im Dorf XXXX, das zur Stadt XXXX gehöre, geboren und aufgewachsen sei und sich von der 7. Klasse bis zur 12. Klasse dort und anschließend in Kabul aufgehalten habe. Er legte Dienstausweise, einen Führerschein, insgesamt elf Diplome, einen Drohbrief, der vor der Moschee verteilt wurde, Unterstützungsschreiben der Uni Wien, einen Studentenausweis, eine Deutschkursbestätigung und 19 Fotos vor. Er sei Paschtune und afghanischer Staatsangehöriger. Zunächst sei er beim Fernsehen als Übersetzer tätig gewesen und nebenbei auf der Uni. Am 21. April habe er bei der ISAF als Storekeeper begonnen. Die Positionen hätten sich immer wieder geändert, er sei auch als Computeroperator und Dolmetscher tätig gewesen sowie als Supervisor für verschiedene Handwerker und dann für Terminvereinbarungen und für den Einkauf zuständig gewesen. Insgesamt habe er bis März 2015 dort gearbeitet, was ISAF bedeute wisse er aber nicht. Er habe sich über das Internet bei der ISAF beworben. Sein direkter Chef habe XXXX geheißen, den obersten Chef kenne er nicht. Alle ca. sechs Monate sei ein Neuer Chef gewesen. Er nannte auch die früheren Vorgesetzten.

Er sei verheiratet, seine Frau heiße Hasenat mit dem Vornamen, sie sei 26 Jahre alt, sie hätten am XXXX lediglich traditionell geheiratet und nicht die Ehe offiziell eingetragen. Er habe auch einen Sohn, XXXX, welcher am XXXX geboren sei. Beide würden in Kabul leben. Sein Vater sei 2014 von den Taliban ermordet worden. Seine Mutter wohne mit seiner Frau zusammen. Auch seine beiden jüngeren Brüder XXXX und XXXX würden bei seiner Mutter in Kabul leben. Auch weitere Verwandte habe er in Afghanistan. Die finanzielle Situation der Familie sei sehr schlecht gewesen. Er habe in Afghanistan beim Roten Kreuz ehrenamtlich geholfen, Kinder seien geimpft worden.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass die Menschen in seiner Provinz gegen Bildung, Ausbildung und die Kooperation mit ausländischen Firmen seien, deswegen habe ihn sein Vater schon nach der sechsten Klasse nach Kabul geschickt. Er habe neben der Schule auch Englischkurse besucht. Später habe er selbst auch Englischunterricht gegeben. Ca. einmal in der Woche sei er zurück nach Laghman gefahren und habe seine Familie besucht und habe nur erzählt, dass er in Kabul ein Geschäft habe.

Am 21.04.2009 habe er für die ISAF begonnen zu arbeiten. Am 17.12.2012 sei es zu einem Selbstmordattentat in ihrem Büro gekommen. Er sei dabei auch am Kopf verletzt worden. Dann seien Reporter der verschiedenen Sender gekommen und er habe auch ein Interview gegeben. Dabei habe er sich gegen die Taliban ausgesprochen und für die ISAF. Sie wären dann nach diesem Vorfall in eine andere Arbeitsstätte in einem anderen Stadtteil übersiedelt. Er habe dort bis 2014 normal weitergearbeitet. Am Abend habe er die Uni besucht. Dann habe jemand aus seiner Heimatprovinz das Interview gesehen und sei diese Nachricht auch an die Taliban weiterverbreitet worden. Es sei dann ihr Haus in Laghman angegriffen worden und die Taliban hätten seinen Vater mitgenommen, sie hätten auch das Haus durchsucht und alles über ihn gefunden. Zuerst hätten sie seinem Vater gesagt, dass er freikommen würde, wenn er seinen Sohn ausliefere, er habe dies aber nicht gewollt. Deswegen sei er dann ermordet worden und die Leiche vor ihr Haus geworfen worden. Sein Onkel habe es dann geschafft, seine Mutter und seine Geschwister nach Kabul zu bringen. Er habe mitbekommen, dass ihn die Taliban suchen würden und habe die Polizei um Hilfe gebeten. Diese habe aber gesagt, dass sie nichts für ihn machen könne. Dann habe sich ein erneuter Selbstmordanschlag vor ihrem Büro ereignet, dabei sei niemand verletzt worden. Daraufhin habe ein Freund seines Vaters ihm geraten das Land zu verlassen, da er fürchtete, dass er einen dritten Terroranschlag nicht überleben würde. Die Taliban hätten gesagt, dass er ein Spion für die Amerikaner sei und deswegen sein Vater ermordet worden sei. Er habe die Leiche aber nie sehen können und habe auch am Begräbnis nicht teilnehmen können. Sein Heimatdorf sei ca. 60km von Kabul entfernt. Sein Vater habe nie Kontakt zu den Taliban gehabt, aber der Ehemann seiner Tante schon. Er habe auch versucht in XXXX ein neues Leben aufzubauen, aber er habe über den Ehemann seiner Tante erfahren, dass die Taliban ihn auch dort suchen würden. Finanzielle Probleme habe er in Afghanistan nicht gehabt. Er möchte gerne in Österreich arbeiten.

Ohne eine Entscheidung des Bundesamtes wurde der Akt am 17.05.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und die Verzögerung damit begründet, dass der Akt nach der Einvernahme in Verstoß geraten sei.

Mit Schreiben vom 03.07.2017 legte der Antragsteller eine Vollmacht an die XXXX vor. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 20.07.2017 an. Mit Schriftsatz vom 03.08.2017 wurde die Kündigung des Vollmachtsverhältnisses zum XXXX bekannt gegeben.

Zur Beschwerdeverhandlung am 20.07.2017 erschien der Beschwerdeführer in Begleitung einer Mitarbeiterin der XXXX. Er hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht, wollte aber korrigieren, dass er bis 2015 Student gewesen sei. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, Paschtune und Moslem/Sunnit und sei am XXXX in der Provinz Laghman im Ort XXXX geboren. Bis zur 7. Klasse habe er in der Provinz Laghman gelebt, dann habe ihn sein Vater nach Kabul geschickt und habe er sich dort bis zu seiner Ausreise aufgehalten. Er sei am Donnerstag immer zu seiner Familie nach Laghman gefahren und am Freitagabend wieder zurück nach Kabul. Als Kind sei er auch illegal in Pakistan gewesen. In XXXX habe er sich nur eine Woche aufgehalten. Sein Vater würde nicht mehr leben, seine Mutter schon. Er habe zwei jüngere Brüder. Sie würden mit seiner Mutter und seiner Ehegattin in Kabul leben. Auch sein mittlerweile drei Jahre alter Sohn lebe bei seiner Frau in Kabul.

Er habe die Schule mit der zwölften Klasse abgeschlossen, danach habe er Business-Administration studiert. Im letzten Semester seines Bachelorstudiums habe er das Studium wegen seiner Probleme abbrechen müssen. 2009 habe er sich den ISAF-Truppen angeschlossen, zunächst sei er als Storekeeper tätig gewesen, dann sei er Computeroperator und Übersetzer gewesen. Er habe im Nahbereich der US-Armee vom 21.04.2009 bis ca. Februar 2015 gearbeitet. Politisch betätigt habe er sich in Afghanistan nicht. Daheim habe er gesagt, dass er ein Geschäft in Kabul habe, er sei auch immer in traditionellem Gewand nachhause gefahren.

Am 17.12.2012 habe es einen Selbstmordanschlag auf das Büro der ISAF gegeben. Er habe dann mit einem Journalisten von Channel 1 ein Interview gegeben. Da er verletzt worden sei, sei er dann ins Spital gebracht worden. Das Büro sei dann in einen anderen Stadtteil verlegt worden. Zum Schluss seiner Tätigkeit habe er die Termine zwischen den amerikanischen und afghanischen Streitkräften koordiniert. Der Beschwerdeführer nannte in der Folge jene Personen, die auf den vorgelegten Fotos zu sehen sind. Die Bevölkerung in seiner Heimatprovinz sei gegen schulische und universitäre Bildung, gegen die Regierung und die Amerikaner gewesen. Bei dem Interview mit dem Channel 1 habe er gesagt, dass der Anschlag außerhalb der menschlichen und islamischen Regeln stehe und dass die Ausländer auch nur Menschen seien und zu Hilfe der Bevölkerung da seien. Bei dem Anschlag seien zwei Personen umgekommen und viele verletzt worden. Dieses Interview des Channel 1 sei noch am selben Tag ausgestrahlt worden. Er habe dann in der Folge keine Probleme gehabt, bis jemand sein Interview im Fernsehen in der Provinz Laghman gesehen habe und herumerzählt habe, dass er kein Geschäft in Kabul habe, sondern für die Amerikaner arbeite. Er vermutet, dass diese Person ein Talib gewesen sei. Unter den Taliban hätte sich die Nachricht schnell verbreitet. Sie hätten dann ihr Haus angegriffen und bei diesem Angriff seinen Vater mitgenommen. Als er von dem Anschlag auf das Haus erfahren habe, habe er seine Mutter, seine Ehegattin, seine Brüder und seinen Sohn zu einem Freund seines Vaters gebracht. Der Angriff auf sein Elternhaus habe ca. am 12. Dezember 2014 stattgefunden. Gefragt, warum es so lange gedauert habe, dass sich das Fernsehinterview vom Dezember 2012 in Laghman herumgesprochen habe, gab er an, dass es dort keine Fernseher und keinen Radio gäbe. Die Taliban würden auch nicht jederzeit angreifen, sondern erst, wenn sie eine gute Gelegenheit dazu bekommen würden. Die Taliban hätten seinem Vater angeboten, dass sie ihn freilassen würden, wenn er ihn herholen würde. Dieses Angebot habe sein Vater aber abgelehnt. Die Taliban hätten alle Botschaften an den Ehemann seiner Tante geschickt. Dieser sei die Kontaktperson gewesen und als die Taliban den Vater mitnahmen, hätten sie auch das Haus durchsucht und hätten einige seiner Dokumente gefunden. Nachdem sein Vater die Forderungen der Taliban nicht erfüllt habe, hätten sie ihn wieder nachhause gebracht und ihn dort getötet. Sie hätten gesagt, dass er, der Sohn seines Vaters, ein Spion sei und dass das die Bestrafung dafür sei. Er habe dann wohl zum Begräbnis seines Vaters fahren wollen, aber ein Freund seines Vaters habe das nicht zugelassen. Er persönlich sei nicht von den Taliban bedroht worden. Ob die Taliban ihn auch in Kabul gesucht hätten, wisse er nicht.

Es habe dann einen zweiten Angriff auf sein Büro stattgefunden, bei dem zwei Security-Mitarbeiter verletzt worden seien. Danach sei er zur Polizei gegangen. Diese habe aber eine Hilfe abgelehnt, da er "sein Geld in Dollar bekommen habe." Er habe dann beschlossen von Kabul wegzugehen und wollte zunächst nach XXXX übersiedeln, weil sie die sicherste Stadt von Afghanistan gewesen sei. Er habe dann eine Woche lang dort Häuser gesucht, aber der Ehemann seiner Tante habe dann angerufen und ihm gesagt, dass die Taliban wissen würden, dass er sich in XXXX aufhalten würde. Daraufhin sei er wieder nach Kabul zurück. Ein Freund seines Vaters habe ihm dann geraten, Afghanistan zu verlassen, da er zweimal Anschläge überlebt hätte und einen dritten wahrscheinlich nicht überleben würde.

Gefragt, ob der Mann seiner Tante ein Naheverhältnis zu den Taliban gehabt habe, gab er an, dass dieser Landbesitzer sei und sowohl zu den Taliban, als auch zur afghanischen Regierung ein gutes Verhältnis haben möchte. Er würde die Taliban immer wieder mit Nahrungsmittel und Essen unterstützen. Deswegen sei er auch schon einmal vor Gericht gestanden, aber er habe damit argumentiert, dass die Regierung nicht für seine Sicherheit sorgen könne. Seine Familienangehörigen seien nur eine Nacht bei dem Mann seiner Tante gewesen, dann habe er sie mit dem Auto nach Kabul zu dem Freund seines Vaters gebracht. Dies sei zwischen 25. und 28. Dezember 2014 gewesen. Das letzterwähnte Attentat habe nicht ihm persönlich gegolten, der Anschlag sei auf das Büro verübt worden. Nachdem der Freund seines Vaters ihm dringend zur Ausreise geraten habe, sei er dann von Kabul Richtung Iran aufgebrochen, dann in die Türkei und schließlich nach Europa. Er habe Kabul im Jahr 2015 verlassen. Seine Familienangehörigen lebten nach wie vor beim Freund seines Vaters, dürften das Haus aber nicht verlassen. Mit diesem Freund seines Vaters habe er auch Kontakt und damit indirekt zu seinen Familienangehörigen. Es gehe ihnen aber auch finanziell nicht gut, sie seien wie in einem Gefängnis. Er selbst könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, sonst würden die Taliban das erfahren und ihn töten. Wenn er sich den Amerikanern anschließen würde, würden ihn die Taliban umbringen und wenn er sich den Taliban anschließen würde, die Amerikaner, weil er geheime Informationen habe.

Er habe Depressionen gehabt. Befunde habe er aber keine, er habe allerdings Medikamente erhalten.

In Österreich besuche er die Universität, er studiere Wirtschaft und besuche Deutschkurse. Außerdem habe er schon Freiwilligenarbeit geleistet und sei er mit dem Abgeordneten XXXX gut befreundet. Er möchte auch Kameratechnik lernen. Gefragt nach seinen Rückkehrbefürchtungen, gab er an, dass er zwei Anschläge überlebt hätte und immer wieder dabei Glück gehabt hätte.

Über Befragen durch die Beschwerdeführervertreterin gab der Antragsteller an, dass die Taliban einen Brief an die Menschen in der Moschee verteilt hätten, mit einer Art Fahndungsanzeige mit Belohnung. Seine Mutter habe ihm zunächst nichts erzählt. Sie habe den Brief bei sich aufbewahrt. Ca. vor acht Monaten habe sie ihm davon erzählt und ihm den Brief dann auch per Post geschickt.

Der vorsitzende Richter kündigte die Einholung einer länderkundlichen gutrichtlichen Äußerung bei dem Sachverständigen Dr. Sarajuddin RASULY an, welcher mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.08.2017 zum länderkundlichen Sachverständigen im vorliegenden Verfahren bestellt wurde.

Der länderkundliche Sachverständige benötigte zur Verfassung einer gutächtlichen Äußerung noch weitere, präzise Angaben des Beschwerdeführers und wurde zu diesem Zweck für den 15.11.2017 eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung des länderkundlichen Sachverständigen Dr. RASULY durchgeführt.

Mit Datum 02.03.2018 erstattete der genannte länderkundliche Sachverständige eine verfahrensbezogene gutächtliche Äußerung, die zusammengefasst im wesentlichen wie folgt lautet: Dem Dorfvorsteher von XXXX war weder der Beschwerdeführer noch sein Vater bekannt. Es war ihm auch nicht bekannt, dass die Taliban dort ein Haus seines Vaters XXXX in Brand gesteckt und ihn selbst mitgenommen und getötet hätten. Auch andere von Mitarbeitern des Sachverständigen befragte Bewohner des Ortes konnten die vorgebrachten Umstände nicht bestätigen.

Der vom Beschwerdeführer genannte "Freund seines Vaters, dessen Telefonnummer er zur Verfügung stellte" machte unterschiedliche Angaben und gewannen die Mitarbeiter des länderkundlichen Sachverständigen den Eindruck, dass er diese hinhalten wolle, ohne sich mit ihm zu treffen oder konkret seine Adresse zu nennen. Die Mitarbeiter haben jedoch den Eindruck gewonnen, dass diese Person ein Verwandter des Beschwerdeführers sein muss, wodurch seine Identität bestätigt wurde. Über den "Freund des Vaters des Beschwerdeführers" konnte keine Bestätigung erhalten werden, dass der Vater des Beschwerdeführers getötet worden wäre. Der auf dem Foto mit dem Beschwerdeführer abgebildete XXXX konnte wohl die ebenfalls auf dem Foto abgebildeten Amerikaner, nicht jedoch die Identität des Beschwerdeführers bestätigen. Nachdem der "Freund des Vaters des Beschwerdeführers", dessen Telefonnummer der Beschwerdeführer angegeben hat, die Mitarbeiter des länderkundlichen Sachverständigen wiederholt hingehalten haben, konnte von ihm keine Informationen über die Familienzusammensetzung des Beschwerdeführers in Kabul gesammelt werden. Auch das angegebene Haus konnte nicht gefunden werden.

Der länderkundliche Sachverständige kam zu der Schlussfolgerung, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass der Beschwerdeführer als einfacher ziviler Angstellter in Kabul für Amerikaner und afghanische Behörden gearbeitet habe. Es konnte wohl eine Person den Beschwerdeführer erkennen, aber nichts Näheres über die Art und Weise der Tätigkeiten des Beschwerdeführers sagen. Es konnte jedoch bestätigt werden, dass am 17.12.2012 tatsächlich ein Anschlag auf eine amerikanische Firma in Kabul stattgefunden habe und komme es auch öfters vor, dass Medien nach einem Anschlag auf eine Institution wahllos Personen unabhängig von ihrer Stellung befragen. Weiters führte der Sachverständige schlussfolgernd aus, dass nachdem die Identität der Familie des Beschwerdeführers in seinem angegebenen Heimatort Gumyn nicht bestätigt werden konnte, er auch nicht davon ausgehe, dass die Taliban den Beschwerdeführer in der Provinz Laghman bedroht und ihm einen Drohbrief geschickt hätten. Ausgehend von den Befragungen in Kabul und Laghman gehe der länderkundliche Sachverständige weiters nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer zu einer exponierten Gruppe von Personen gehört habe. Dieser Personenkreis werde in Kabul nicht von den Taliban gesucht, es könne jedoch sein, dass wenn sich solche Personen wie der Beschwerdeführer in den Herrschaftsbereich der Taliban z.B. nach Laghman begeben, dort getötet würden.

Die nunmehrige Vertretung des Beschwerdeführers, der XXXX, nahm das Gutachten des Sachverständigen Dr. RASULY zu Kenntnis. Von Seiten der belangten Behörde erfolgte keine Äußerung.

In der Folge legte die Beschwerdeführervertretung weitere Integrationsunterlagen nämlich eine Vereinbarung mit der XXXX betreffend gemeinnützige Tätigkeit in Form von Pausenaufsicht und allgemeinen Hilfstätigkeiten sowie einen Arbeitsvorvertrag als Kameramann und Fotograf mit der XXXX vor. Weiters wurde mit Datum 29.08.2018 ergänzend ein Referenzschreiben der XXXX, die nicht nur Sprachkurse, sondern auch Alphabetisierungs- und Integrationskurse, sowie Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber anbietet, vorgelegt wird und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht nur als Pausenaufsicht, sondern auch für administrative Aufgaben und zur Unterstützung der Trainer, aber auch zur Übersetzung für einzelne Kursteilnehmer herangezogen wurde, wobei die soziale Kompetenz, das Engagement, die Flexibilität, die Mehrsprachigkeit des Beschwerdeführers ausdrücklich gelobt wurden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, gehört der paschtunischen Volksgruppe an und ist Moslem/Sunnit. Er wurde am

XXXX im Ort XXXX in der Provinz Laghman geboren, wo er auch bis zur

7. Klasse die Schule besuchte. Anschließend übersiedelte er nach Kabul, schloss die zwölfjährige Schulausbildung ab und begann ein Studium "Business Administration", wobei er dieses kurz vor Erlangung des Bachelorgrades abbrach. Der Beschwerdeführer hat sich in Afghanistan nicht politisch betätigt. Zu den Fluchtgründen können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.

Der Beschwerdeführer gelangte am 09.07.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich, aber er hat die in Österreich verbrachte Zeit äußerst gut dafür genutzt, um sich hier zu integrieren. Er hat bereits kurz nach seinem Eintreffen in Österreich mit einem Studium an der Wirtschaftsuniversität begonnen. Weiters hatte er zahlreiche Deutschkurse besucht, ein A2-Prüfungszeugnis erworben, B1-Kurse besucht und arbeitet im Rahmen gemeinnütziger Tätigkeit bei einem Seminaranbieter, wobei er verschiedenste Tätigkeiten ausübt. Weiters verfügt er über einen Arbeitsvorvertrag als Kameraassistent. Bereits im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vom 20.07.2017 konnte sich der zur Entscheidung befugte Einzelrichter von den ausgezeichneten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers überzeugen. Der Beschwerdeführer ist unbescholten. Er leidet unter keinen schwerwiegenden organischen oder psychischen Erkrankungen.

Zu Afghanistan wird folgendes festgestellt:

I. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

Quellen:

AFP - Agence France-Presse (11.9.2018): Student killed in twin bomb attack near Afghan girls' school, https://www.afp.com/en/news/23/student-killed-twin-bomb-attack-near-afghan-girls-school-

doc-1904hc1, Zugriff 11.9.2018

AJ - Al Jazeera (10.9.2018): Afghanistan: Bomb attack hits Ahmed Shah Massoud supporters,

https://www.aljazeera.com/news/2018/09/afghanistan-bomb-attack-hits-ahmed-shah-massoud-

supporters-180909112746171.html. Zugriff 11.9.2018

AJ - Al Jazeera (6.9.2018): Afghanistan: Two journalists among 20 killed in Kabul blasts,

https://www.aljazeera.com/news/2018/09/afghanistan-deadly-suicide-attack-kabul-sports-club-

180905142909428.html, Zugriff 11.9.2018

CNN - Cable News Network (6.9.2018): Two journalists among 20 killed in wrestling club blasts in Kabul, https://edition.cnn.com/2018/09/06/asia/kabul-attack-wrestling-intl/index.html.

Zugriff

11.9.2018

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.8.2018): Totei bei Angriff auf Schiiten-Moschee,

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-tote-bei-angriff-auf-schiiten-moschee-

15721269.html, Zugriff 21.8.2018

Khaama Press (10.9.2018a): Taliban militants overrun Khamab district in Jawzjan proince, https://

www.khaama.com/taliban-militants-overrun-khamab-district-in-jawzjan-province-05929/.

Zugriff

11.9.2018

Khaama Press (10.9.2018b): ISIS claims suicide attack on the supporters of Massoud in Kabul, https://www.khaama.com/isis-claims-suicide-attack-on-the-supporters-of-massoud-in-kabul-05926/.

Zugriff 11.9.2018

LWJ - Long War Journal (10.9.2018): Taliban threatens Sar-i-Pul City, captures district in Jawzjan, https://www.longwarjournal.org/archives/2018/09/taliban-threatens-sar-i-pul-city-captures-district-

in-jawzjan.php, Zugriff 11.9.2018

LWJ - Long War Journal (30.8.2018): Faryab capital under Taliban threats as Afghan troops desert bases, https://www.longwarjournal.org/archives/2018/08/faryab-capital-under-taliban-threatas-afghan-troops-desert-bases.php, Zugriff 11.9.2018

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (11.9.2018): Suicide Attack, Bombing Strike Eastern

Afghanistan,https://www.rferl.org/a/suicide-attack-bombings-strike-eastern-afghanistan/29483707.html, Zugriff 11.9.2018

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (5.9.2018): At Least 20 People Reported Killed, Including Two Journalists, In Twin Kabul Blasts, https://www.rferl.org/a/at-least-four-killed-insuicide-attack-at-wrestling-club-in-kabul/29473678.html. Zugriff 11.9.2018

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.8.2018): 'Goodbye, Dad': Father Remembers Afghan Twins Killed In Kabul Bombing, https://www.rferl.org/a/goodbye-dad-father-remembersafghan-twins-killed-in-kabul-bombing/29439516.html. Zugriff 20.8.2018

SO - Spiegel Online (5.9.2018): Tote und Verletzte bei Doppelanschlag in Kabul,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-tote-und-verletzte-bei-doppelanschlag-in-kabul-a-

1226712.html, Zugriff 11.9.2018

TG - The Guardian (5.9.2018): At least 20 people killed in separate bombings at Kabul wrestling

club,https://www.theguardian.com/world/2018/sep/05/at-least-20-people-killed-in-separate-bombings-at-kabul-wrestling-club, Zugriff 11.9.2018

Tolonews (11.9.2018): Suicide Bomber Targets Protest in Nangarhar; Eight Killed,

https://www.tolonews.com/afghanistan/suicide-bomber-targets-protest-nangarhar

Zugriff 11.9.2018

Tolonews (10.9.2018a): Center of Jawzjan's Kham Aab District falls to Taliban,

https://www.tolonews.com/index.php/afghanistan/center-jawzjan%E2%80%99s-kham-aab-district-

falls%C2%A0-taliban. Zugriff 11.9.2018

Tolonews (10.9.2018b): Dozens of Afghan Forces Killed in North,

https://www.tolonews.com/index.php/afghanistan/afghan-forces-suffer-huge-casualty-toll-

%C2%A0north, Zugriff 11.9.2018

TWP - The Washington Post (11.9.2018): Afghan official: Suicide bomber kills 20 in Nangarhar,

https://www.washingtonpost.com/world/asia pacific/afghan-official-suicide-bomber-kills-20-in-

nangarhar/2018/09/11/3ba8ec50-b5a8-11e8-ae4f-2c1439c96d79_story.html?

noredirect=on&utm_term=.2748ace6475c. Zugriff 11.9.2018

Kommentar:

Weiterführende Informationen über die Aktivitäten der Taliban und Zusammenstöße it den afghanischen Sicherheitskräften werden in der kommenden Aktualisierung (Q3) der Sicherheitslage näher beschrieben.

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz- Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).

Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).

IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018

Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

Quellen:

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https://www.albawaba.com/news/dozens-afghan-soldiers-killed-ghazni-clashes-taliban-1174140.

Zugriff 21.8.2018

AJ - Al Jazeera (15.8.2018): Afghanistan: Dozens of security forces killed in Taliban attack, https:// www.aljazeera.com/news/2018/08/afghanistan-dozens-security-forces-killed-taliban-attack-

180815065025633.html, Zugriff 21.8.2018

AJ - Al Jazeera (23.7.2018): Several dead in Kabul suicide blast as exiled VP Dostum returns,

https://www.aljazeera.com/news/2018/07/blast-heard-kabul-airport-exiled-vp-dostrum-returns-

180722123819595.html, Zugriff 20.8.2018

ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (14.8.2018): Afghanistan:

talebani conquistano base militare a nord, http://www.ansa. it/sito/notizie/mondo/2018/08/13/afghanistan-a-ghazni-120-

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ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (13.8.2018): Afghanistan:

a Ghazni 120 morti, http://

www.ansa.it/sito/notizie/mondo/asia/2018/08/13/afghanistan-a-ghazni-120-morti 695579f5-407b-

4e4f-8814-afcd60397435.html, Zugriff 21.8.2018

BBC - British Broadcasting Corporation (20.8.2018): Afghan Taliban kidnap dozens of bus passengers near Kunduz, https://www.bbc.com/news/world-asia-45244339, Zugriff 21.8.2018

BBC - British Broadcasting Corporation (15.8.2018): Kabul suicide bomber kills 48 in tuition centre attack, https://www.bbc.com/news/world-asia-45199904. Zugriff 20.8.2018

BZ - Berliner Zeitung (15.8.2018): Erneute Attacken Mindestens 40 Tote bei Taliban-Angriffen in Afghanistan, https://www.berliner-zeitung.de/politik/erneute-attacken-mindestens-40-tote-beitaliban-angriffen-in-afghanistan-31111842, Zugriff 21.8.2018

CBS - CBS News (14.8.2018): Taliban overruns Afghan base, killing 17 soldiers,

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ghazni-fight/, Zugriff 21.8.2018

DS - Der Standard (13.8.2018): Taliban töten mindestens 100 Sicherheitskräfte in afghanischer Stadt Ghazni, https://derstandard.at/2000085221814/Dutzende-Tote-bei-Gefechten-umostafghanische-Stadt-Ghazni, Zugriff 21.8.2018

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.8.2018): Totei bei Angriff auf Schiiten-Moschee,

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15721269.html, Zugriff 21.8.2018

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IFQ - Il Fatto Quotidiano (20.8.2018): Afghanistan, i Talebani rapiscono 170 persone in viaggio su tre autobus nel nord del paese, https://www.ilfattoquotidiano.it/2018/08/20/afghanistan-i-talebanirapiscono-170-persone-in-viaggio-su-tre-autobus-nel-nord-del-paese/4569588/. Zugriff 21.8.2018

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (16.8.2018): Bewaffnete greifen Geheimdienst-Einrichtung in Kabul an, https://www.nzz.ch/international/dutzende-tote-bei-selbstmordanschlag-in-kabul-ld.1411834.

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Repubblica (15.8.2018): Caos Afghanistan: kamikaze a Kabul tra i giovani diplomati, 34 studenti uccisi,

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Repubblica (13.8.2018): Afghanistan, Ghazni sotto assedio da quattro giorni,

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Reuters (20.8.2018): Taliban reject Afghan ceasefire, kidnap nearly 200 bus passengers,

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Reuters (16.8.2018a): Death toll in suicide attack on Afghan students revised down to 34,

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Reuters (16.8.2018b): Afghan school hit as militants seek soft targets,

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seek-soft-targets-idUSKBN 1L10XI, Zugriff 20.8.2018

Reuters (3.8.2018): Suicide bomb attack on Afghan Shi'ite mosque kills 39, 80 injured,

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Reuters (23.7.2018): Afghanischer Vizepräsident entgeht knapp einem Anschlag,

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.8.2018): 'Goodbye, Dad': Father Remembers Afghan Twins Killed In Kabul Bombing, https://www.rferl.org/a/goodbye-dad-father-remembersafghan-twins-killed-in-kabul-bombing/29439516.html. Zugriff 20.8.2018

SI - Sicurezza Internazionale (4.8.2018): Afghanistan: attentato Isis moschea schiita, 39 morti e 80 feriti, http://sicurezzainternazionale.luiss.it/2018/08/04/afghanistan-attentato-moschea-sciita-39-

morti-80-feriti/. Zugriff 21.8.2018

Tolonews (20.8.2018): 3 Passenger Buses Seized On Takhar-Kunduz Highway.

https://www.tolonews.com/afghanistan/3-passenger-buses-seized-takhar-kunduz-highway. Zugriff 21.8.2018

Tolonews (19.8.2018): Ghani Announces Conditional Ceasefire,

https://www.tolonews.com/afghanistan/ghani-announces-conditional-ceasefire. Zugriff 22.8.2018

Tolonews (12.8.2018): 17 Soldiers Killed in Faryab Army Base Attack.

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Zugriff

21.8.2018

Xinhua - Xinhuanet (15.8.2018): Life returns normal in Ghazni city as Afghan forces drive out militants.

http://www.xinhuanet.com/english/2018-08/15/c_137392677_2.htm. Zugriff 21.8.2018

ZO - Zeit Online(15.8.2018): Viele Tote und Verletzte bei Anschlag in Kabul.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/afghanistan-anschlag-kabul-tote. Zugriff 20.8.2018

2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine

verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb- e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärun

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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