TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/22 I403 2143621-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2018
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Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I403 2143621-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch "Diakonie Flüchtlingsdienst - ARGE Rechtsberatung", gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.11.2016, Zl. 1072158303-150618384/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2018, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und den ersten Satz des Spruchpunktes III. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. (im Umfang des zweiten und dritten Satzes) und IV. wird stattgegeben und diese werden behoben.

XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 05.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 07.06.2015 stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, er sei aus seiner Heimat Irak geflohen, da er die Tochter eines Mannes geliebt habe, welcher ihn nunmehr töten wolle. Auch sei der Beschwerdeführer öfters von den Familienmitgliedern des besagten Mannes geschlagen worden.

Der Beschwerdeführer wurde am 08.08.2016 niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er an, dass er im Irak von Milizen bzw. einen Stamm verfolgt werde, nachdem er sich in die Tochter des Scheichs verliebt und nach zweijähriger Beziehung um deren Hand angehalten hatte. Der Vater hätte dies abgelehnt und eines Tages seien vermummte, bewaffnete Männer im Frisörsalon des Beschwerdeführers aufgetaucht, hätten den Beschwerdeführer gegen seinen Willen mitgenommen und für drei Tage in ein Gefängnis gesperrt, in dem der Beschwerdeführer schwer gefoltert worden sei. Am letzten Tag sei der Scheich persönlich gekommen und habe gesagt, dies sei erst der Anfang gewesen, solle sich der Beschwerdeführer weiter für das Mädchen interessieren. Nachdem der Scheich in weiterer Folge wahrscheinlich ein Stammesurteil gegen den Beschwerdeführer gefällt habe, sei dieser geflohen. Zwischenzeitlich sei die Schwester des Beschwerdeführers anstatt diesem getötet worden und das Haus der Familie des Beschwerdeführers sei angezündet worden.

Mit Bescheid des BFA vom 29.11.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen den am 02.12.2016 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht mit Schreiben vom 14.12.2016 in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Es wurde vorgebracht, das Ermittlungsverfahren sowie die Beweiswürdigung der belangten Behörde seien mangelhaft und die herangezogenen Länderberichte veraltet. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an das Bundesamt zurückverweisen, in eventu dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak zuerkennen, sowie feststellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) bzw. einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz vorliegen sowie eine mündliche Verhandlung durchführen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 02.01.2017 vorgelegt und der Gerichtsabteilung L524 der Kammer L zugewiesen. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 27.06.2018 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 der Kammer I neu zugewiesen und dieser am 04.07.2018 vorgelegt.

Am 04.10.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, im Zuge derer der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen im Wesentlichen wiederholte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer hält sich seit zumindest 05.06.2015 in Österreich auf. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Die Eltern sowie sieben Brüder und fünf Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Irak.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsland in XXXX gelebt und dort einen Friseursalon betrieben. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich. Allerdings führt er seit einigen Monaten eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin. In den dreieinhalb Jahren seines Aufenthaltes im Bundesgebiet hat der unbescholtene Beschwerdeführer verschiedene Schritte gesetzt, um sich nachhaltig in der österreichischen Gesellschaft zu integrieren;

so hat er umfassende Deutschkenntnisse erworben, die es ihm ermöglicht haben, die Verhandlung problemlos auf Deutsch zu führen;

er hat sich ehrenamtlich engagiert und ist in einem Sportverein tätig. Der unbescholtene Beschwerdeführer kann im Gebäudemanagement der Stadt XXXX zu arbeiten beginnen und ist von seiner Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen. Er hat sich einen breiten Freundeskreis in Österreich aufgebaut.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers konnte nicht festgestellt werden, dass dieser im Irak einer Verfolgung durch staatliche Behörden oder Privatpersonen ausgesetzt ist. Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer von der Miliz Asa¿ib Ahl al-Haqq verfolgt wird, weil er eine Beziehung zur Tochter eines Milizenführers hatte.

Es sind keine Gründe ersichtlich, warum es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar wäre, in seine Heimatstadt XXXX zurückzukehren. Er ist jung, gesund und erwerbsfähig und hat zudem jahrelange Berufserfahrung als Betreiber eines Friseursalons.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3. Zur Situation im Irak:

1.3.1. Zur allgemeinen Lage

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, z.B. den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite geprägt. Der IS versuchte durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Südirak und im Zentralirak seine - wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte - Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren.

Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider AL-ABADI die Stadt Mossul für vom IS befreit, im Dezember 2017 gab er bekannt, dass der IS besiegt sei.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad ist im Wesentlichen nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu dienen solle, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte zu richten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Offiziell ist nach wie vor das ca. 70.000 Mitglieder umfassende und sich aus Soldaten aus der regulären Armee, der Militärpolizei, der normalen Polizei und den Geheimdiensten zusammensetzende "Baghdad Operations Command" (BOC) für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Seitdem der IS im Juli 2017 zurückgedrängt wurde, nahmen die auf Bagdad gerichteten Anschläge kontinuierlich ab. Dennoch kommt es immer wieder zu Selbstmordanschlägen, vor allem in schiitisch dominierten Viertel, wie Sadr City, Shula und Hay Al-Amel als auch an Checkpoints und bei militärischen Einrichtungen. Bagdad erlebte im Jahr 2017 einen Rückgang der Gewalt. Diese Entwicklung wird vor allem der Boc zugeschrieben.

1.3.2. Zur Dokumentensicherheit:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ergibt sich auch, dass jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen ist.

1.3.3. Zu den schiitischen Milizen:

Zu den schiitischen Milizen wird im Länderinformationsblatt festgehalten:

Genese und Entwicklung seit 2014

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe.

Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in "Irakischer Islamischer Hoher Rat" umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata'ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines "Staates im Staate" ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Überblick über die wichtigsten PMF:

Anm.: Die folgende Darstellung ist nicht als abschließende Liste aufzufassen. Die angegebenen regionalen Eingrenzungen stellen lediglich eine Momentaufnahme dar, sind laufenden Änderungen unterworfen und ebenfalls nicht als abschließend anzusehen.

 

Name *Gründung

Anführer und Gruppengröße

Verbindungen, Zusammenarbeit

Bekannte regionale Aktivität

1

Badr-Organisation *1983/84

Hadi al-Amiri 20.000 - 50.000

Kata'ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) *2007

Abu Mahdi al-Muhandis ca. 30.000

Badr, Kata'ib Sayyid Shuhada, Kata'ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) *2006

Qaiz al-Khaz'ali mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) *2014

Muqtada as-Sadr mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) *2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata'ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

6

Saraya Tali'a al-Khorasani (Khorasan Brigade) *2013

Ali Yasiri mind. 3.000

unbekannt

Kommandozentrum in Qadir Kerem, aktiv in Kirkuk und Salah ad-Din

7

Kata'ib Sayyid ash-Shuhada (Bataillone der Märtyrer Sayyids, Martyrs of Sayyid Batallions) *2013

Hajj Abu Ala

Badr, Kata'ib Hizbullah, Asa'ib Ahl al-Haqq

Unterstützungsbasis vor allem im Südirak, aktiv in Salah ad-Din

8

Harakat (Hizbullah) an-Nujaba Bewegung der Edlen) *2013

Eqrem al-Qaibi

Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah

aktiv in Babel, Samarra und um Bagdad

9

Liwa Abu al-Fadel al-Abbas (Abu Fadel Abbas Brigade) *2012

10.000

unbekannt

Kommandozentrum in Kerbela; aktiv in Bagdad und Umgebung sowie Salah ad-Din

10

Hizbullah al-Mujahidun f-il Iraq (Kämpfer der Partei Gottes im Irak) *2014

Abbas al-Muhammadawi

unbekannt

unbekannt

11

Faylaq al-Wa'ad as-Sadiq (Legion des wahren Versprechens)

Mohammad Hamza at-Tamimi

unbekannt

unbekannt

12

Kata'ib al-Imam al-Hussein (Bataillone des Imam Hussein) *2014

unbekannt

unbekannt

aktiv in Salah ad-Din

13

Kata'ib al-Imam al-Gha'ib (Bataillone des abwesenden Imam)

unbekannt

Splittergruppe von Kata'ib Hizbullah

aktiv in Falluja und Samarra

14

Kata'ib Ansar al-Hijja (Bataillone der Unterstützer von al-Hijja)

Mohammad al-Qinani

Kata'ib Martyr Sadr

aktiv in Salah ad-Din und Anbar

15

Kata'ib al-Ghadab (Bataillone der Wut) *2014

Abu Fakkar ash-Shammari

unbekannt

aktiv in Bagdad, Tikrit und Samarra

16

Kata'ib Ruhallah (Bataillone der Seele Allahs)

Abu Talib al-Mayahi

Kata'ib Ahrar al-Iraq

aktiv im Norden Bagdads und in Salah ad-Din

17

Kata'ib Ahrar al-Iraq (Bataillone der freien Männer Iraks) *2014

Abbas al-Maliki

Kata'ib Ruhallah

unbekannt

18

Saraya Ansar al-Aqida (Brigade der Unterstützer des Glaubensbekenntnisses) *2014

Jalal ad-Din Sagir

unbekannt

um Bagdad und Samarra, am aktivsten in Dhi Qar and Kerbela

19

Saraya al-Jihad (Brigade des Heiligen Krieges) *2014

Hasan as-Sari

unbekannt

Kommandozentrum in Wasit

20

Liwa Youm al-Qaim (Brigade des Tages des Auferstehenden)

unbekannt

Kata'ib al-Mawt al-Istishariyya

Bagdad

21

Liwa Dhu al-Fiqar (Zulfiqar-Brigade) *2013

Abu Shahad al-Juburi

unbekannt

Schutz eines Heiligen Schreins in Syrien

22

Liwa Assadullah al-Ghalip (Brigade der erobernden Löwen Gottes)

Suhail al-Araji

unbekannt

aktiv in Wasit und Bagdad

23

Liwa al-Muntadar (Brigade der Erwarteten)

Daghir al-Musavi

Kata'ib Sayyid al-Shuhada

Kommandozentrum in Basra

24

Liwa al-Youm al-Mau'ud (Brigade des versprochenen Tages) *2008

unbekannt

Saraya as-Salam

unbekannt

 

Weitere Milizen: Harakat al-Abdal, Hizbollah as-Sairun, Hizbullah al-Abrar, Kata'ib ad-Difa al-Muqaddas/Quwwa Shaheed al-Sadr, Kata'ib al-Fatah al-Mobin, Kata'ib al-Shaheed al-Awal, Kata'ib al-Shaheed al-Awal: Quw w-al-Buraq, Kata'ib at-Tayyar ar-Risali, Liwa al-Imam al-Hasan al-Mujtaba, Liwa al-Imam al-Qaim, Liwa al-Qa'im, Liwa al-Qaria, Saraya Ashura, Liwa Ammar ibn Yasir, Liwa ash-Shabab ar-Risali, Liwa as-Sadeqeyn, Saraya az-Zahra.

 

 

 

(Süß 21.8.2017)

Führung und Rechtsstellung der PMF

Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz'ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata'ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata'ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind (Posch 8.2017).

Konfessionelle Zusammensetzung der PMF

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen (Lattimer 26.4.2017; Al-Monitor 21.8.2017).

PMF-Milizen und organisierte Kriminalität

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem Ölschmuggel im großen Stil, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker waren. So lassen sich politische Streitigkeiten innerhalb der schiitischen Milizen ebenso gut als Allokations- und Revierkämpfe von Mafiabanden interpretieren, die sich auch auf parlamentarischer Ebene wiederfinden (Posch 8.2017).

Quellen:

-

Al-Monitor (21.8.2017):Turkey fumes as Sinjar Yazidis declare 'democratic autonomy',

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/independence-iraqi-kurdistan-referendum-opposition.html#ixzz4qlVEYvfy, Zugriff 25.8.2017

-

Lattimer, Mark - Director of the Ceasefire Cetre for Civilian Rights (26.4.2017): EASO COI Meeting Report Iraq, Practical Cooperation Meeting 25.- 26. April, Brussels, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/IRQ_Meeting_Report.pdf, Zugriff 24.7.2017

-

Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien

-

Volksmobilisierungseinheiten und andere, per Email

-

Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504517740_bfa-staatendokumentation-ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31.pdf

1.3.4. Zu Ehrenverbrechen:

Das Global Justice Project Iraq (GJPI), ein vom US-Außenministerium gefördertes Projekt der Universität Utah, veröffentlicht im Mai 2018 eine Übersetzung des irakischen Strafgesetzbuches Nummer 111 aus dem Jahr 1969 mit aktuellen Änderungen vom März 2010. In Artikel 377 des Strafgesetzbuches wird angeführt, dass eine Ehebrecherin und der Mann, mit dem sie Ehebruch begangen habe, mit Haft bestraft würden. Es werde davon ausgegangen, dass der Schuldige von der Ehe gewusst habe, es sei denn er könne nachweisen, nicht darüber informiert gewesen zu sein. Laut Artikel 377 könnten auch unverheiratete Personen, die mit verheirateten Personen in Beziehung stehen würden, zur Verantwortung gezogen werden. Das Verbrechen des Ehebruchs sei ein Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren nach Artikel 26 des Strafgesetzbuchs bestraft werden könne.

Die Minority Rights Group International (MRG), eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, schreibt in einem Bericht über Frauen im Irak im November 2015, dass sogenannte Ehrenverbrechen Gewalttaten seien, die von Familienmitgliedern gegen einen Verwandten, der Schande über die Familie gebracht habe, verübt würden. Ehrenverbrechen würden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Verwandte verübt, wobei gelegentlich auch Männer Opfer dieser Gewalt würden. Im Mai 2018 führt die finnische Migrationsbehörde (Finnish Immigration Service) an, dass die überwiegende Mehrheit der Ehrenverbrechen von Männern gegen weibliche Verwandte verübt werde, Männer aber auch gelegentlich Opfer solcher Delikte würden. Laut UNO (2013) seien Ehrenmorde im Irak zum Teil auch deshalb häufig, weil das Strafgesetzbuch eine Strafmilderung erlaube, wenn die Straftat aus Gründen der Ehre begangen werde.

Dr. Aisha Gill, eine Lektorin für Kriminologie an der Universität Roehampton, die sich unter anderem mit Ehrenverbrechen wissenschaftlich auseinandersetzt, führt in einem auf der britischen Medienplattform Media Diversified veröffentlichten Beitrag Gründe an, aufgrund derer auch Männer Opfer von Ehrenverbrechen werden können. Männer würden am ehesten durch ihr Verhalten gegenüber Frauen Schande verursachen, unter anderem durch (i) die Wahl ihrer romantischen und/oder sexuellen Partner, (ii) die Ablehnung einer arrangierten Ehe, (iii) das Outing als schwul, bisexuell oder transsexuell, und/oder (iv) die Weigerung ein Ehrenverbrechen zu begehen. Dennoch sei es eine Tatsache, dass die Mehrheit der Opfer weiblich und die Mehrheit der Täter männlich sei.

Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS), der dänische Flüchtlingsrat (DRC) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo geben im Juli 2009 in ihrem Bericht zur gemeinsamen Fact-Finding Mission im März 2009 im Irak zu Ehrenverbrechen im Süd- und Zentralirak an, dass diese laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Generationen im Irak begangen würden. Es sei hinzugefügt worden, dass Ehrenverbrechen nichts Neues seien und die Regierung kaum in der Lage sei, diese zu verhindern, da es sich um eine Stammespraxis handle. Es sei selten der Fall, dass Angelegenheiten im Zusammenhang mit Ehrenverbrechen in Stammesräten behandelt würden. Wenn ein solches Problem jemals außerhalb der eigenen vier Wände angesprochen werde, würden die Stammesführer miteinbezogen. Dies geschehe zum Beispiel, wenn Personen außerhalb der Familie in den Vorfall verwickelt seien, wie bei außerehelichen Affären. Unabhängig vom Ausgang einer sogenannten illegalen Liebesaffäre, in die unverheiratete Personen verwickelt seien, komme es häufig vor, dass beide Parteien ihren Heimatort verlassen müssten. In vielen Fällen würden große Geldbeträge nach traditionellen Regeln als Entschädigung gezahlt. Es komme auch vor, dass der Stamm des Täters den Täter drängt, seinen Stamm zu verlassen oder der Stamm, dessen Ehre verletzt worden sei, das Opfer zur Flucht dränge. Es könne auch vorkommen, dass Menschen sich aufgrund der wahrgenommen Verletzungen ihrer Rechte rächen würden. In Stammesangelegenheiten sei alles möglich, und auch wenn eine Entschädigung gezahlt worden sei, könne das Opfer immer noch von Racheakten bedroht sein.

Quelle:

BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Lage für unverheiratete Männer, die mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hatten: Sanktionen, Verfolgungen von Seite der Familie der verheirateten Frau, gerichtliche Sanktionen, Sanktionen der eigenen Familie, 31. August 2018, https://www.ecoi.net/en/document/1442975.html (Letzter Zugriff am 20.09.2018).

Dies steht in Einklang mit den in der Beschwerde zitierten Berichten, wonach Ehrenverbrechen im Irak verbreitet sind und auch Männer diesen zu Opfer fallen können.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Darüber hinaus wurde am 04.10.2018 im Beisein des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Lebensumstände, des Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit, der Herkunft, der Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 08.08.2016) und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift vom 04.10.2018). Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines vorgelegten irakisch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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