TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/15 G301 2199675-1

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Veröffentlicht am 15.11.2018
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Entscheidungsdatum

15.11.2018

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G301 2199675-1/13E

G301 2199676-1/6E

G301 2199677-1/12E

G301 2199678-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 10.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die gemeinsame Beschwerde 1.) des XXXX, geboren am XXXX, 2.) der XXXX, geboren am XXXX, 3.) des XXXX, geboren am XXXX, und 4.) der minderjährigen XXXX, geboren am XXXX und gesetzlich vertreten durch die Eltern, alle Staatsangehörigkeit: Ecuador, alle vertreten durch den "Verein Menschenrechte Österreich" in Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zl. XXXX (zu 1.), XXXX (zu 2.), XXXX (zu 3.) und XXXX (zu 4.), betreffend Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 jeweils vom 31.01.2014, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG

festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die beschwerdeführenden Parteien auf Dauer unzulässig ist.

Den beschwerdeführenden Parteien wird jeweils gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Wien, den beschwerdeführenden Parteien zugestellt am 29.05.2018, wurden die Anträge des Erstbeschwerdeführers (im Folgenden: BF1), der Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), des Drittbeschwerdeführers (im Folgenden: BF3) sowie der minderjährigen, vom BF1 und von der BF2 gesetzlich vertretenen Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF4) vom 31.01.2014 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen und gegen die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß 46 FPG nach Ecuador zulässig ist (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit vier Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, längstens bis 15.07.2018, festgelegt (Spruchpunkt III.).

Mit dem am 25.06.2018 beim BFA, RD Wien, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhoben die beschwerdeführenden Parteien durch ihren bevollmächtigten Rechtsvertreter gemeinsam Beschwerde gegen die oben genannten Bescheide. Darin wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe beantragt, die angefochtenen Bescheide dahingehend abzuändern, dass die gegen die beschwerdeführenden Parteien ausgesprochenen Rückkehrentscheidungen für auf Dauer unzulässig erklärt werden und dass den beschwerdeführenden Parteien einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erteilt werde, in eventu den Spruchpunkt I. der Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Verhandlung an das BFA zurückzuverweisen, sowie eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 02.07.2018 vom BFA vorgelegt.

Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 10.10.2018 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die beschwerdeführenden Parteien im Beisein einer bevollmächtigten Rechtsvertreterin teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde ist zur Verhandlung nicht erschienen (Teilnahmeverzicht).

Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.

Mit dem am 16.10.2018 eingebrachten und mit 15.10.2018 datierten Schriftsatz beantragte das BFA als belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die beschwerdeführenden Parteien führen die im Spruch angeführten Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind alle Staatsangehörige der Republik Ecuador.

Die BF2 hält sich eigenen Angaben zufolge seit 28.09.2011, der BF1 und der BF3 halten sich seit 24.09.2012 in Österreich auf. Zuvor lebten der BF1 und die BF2 bereits seit 1995 durchgehend in Italien.

Der am 10.11.1999 in XXXX geborene BF3 lebte bei seinen Eltern in Italien. Die minderjährige BF4 wurde am 06.03.2013 in XXXX geboren.

Der BF1, die BF2 und der BF3 verfügen in Italien jeweils über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" (ital.: "Permesso di soggiorno - Soggiornante di lungo periodo-UE").

Die beschwerdeführenden Parteien leben in XXXX in einer gemeinsamen, vom BF1 bezahlten Mietwohnung.

Der BF1 ist in XXXX als Pastor (sog. "Licensed Preacher") der christlichen "XXXX" tätig, welche seit XXXX2012 im Zentralen Vereinsregister (ZVR) als Verein mit Sitz in XXXX angemeldet ist. Der BF1 übt in diesem Verein gleichzeitig die Tätigkeit des Kassiers aus. Die "XXXX" (engl.: "XXXX") hat ihren Hauptsitz in XXXX, Puerto Rico.

Hinsichtlich seiner beruflichen Zukunft würde der BF1 für den Fall des Vorliegens einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung in Österreich eine Tätigkeit als Fahrer oder Pfleger für ältere Menschen anstreben.

Die BF2 kümmert sich eigenen Angaben zufolge gelegentlich um die Kinder einer Frau, die am Sitz der Vereinten Nationen (UNO) in XXXX arbeitet. Von dieser wurde der BF2 auch eine schriftliche Zusage für die Erledigung verschiedener kleinerer Arbeiten mittels Dienstleistungsschecks für den Fall einer Aufenthaltsbewilligung ausgestellt.

Der BF3 besucht derzeit die dritte Klasse der HTL XXXX im Unterrichtszweig Maschinenbau und Anlagentechnik. Der BF3 beabsichtigt nach erfolgreicher Ablegung der Reifeprüfung den Besuch eines zweijährigen Kollegs und danach allenfalls eines technischen Universitätsstudiums.

Die BF4 besucht derzeit einen Kindergarten in XXXX.

Die beschwerdeführenden Parteien finanzieren sich ihren gesamten Lebensunterhalt in Österreich, insbesondere die Kosten für die Wohnungsmiete und alle sonstigen laufenden Ausgaben für Lebensmittel, Schule und Kinderbetreuung, zur Gänze aus finanziellen Mitteln (Zuwendungen) der "XXXX", wobei der BF1 als namentlich genannte verfügungsberechtigte Person des auf den Verein lautenden Giro-Kontos bei einer österreichischen Bank fungiert. Als Kassier ist der BF1 nach eigenen Angaben gegenüber seinem vorgesetzten Pastor der Filialkirche in Italien rechenschaftspflichtig, welche auch die Finanzgebarung durch den BF1 intern überprüft.

Die beschwerdeführenden Parteien haben bislang keine öffentlichen Mittel oder Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch genommen, weshalb der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in Österreich bislang auch zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führte.

Der BF1 verfügt über Deutschkenntnisse, die zumindest dem A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen, die BF2 zumindest über ein A2-Niveau. Sowohl der BF1 als auch die BF2 besuchen derzeit weiterführende, von ihnen selbst finanzierte Deutschkurse. Sowohl der BF1 als auch die BF2 sind in der Lage, im Alltag eine einfache Konversation in deutscher Sprache zu führen und sich damit zu verständigen. Die BF2 hat bereits am 09.01.2015 das ÖSD-Diplom "A2 Grundstufe Deutsch 2" und der BF1 am 18.08.2018 das ÖSD-Zertifikat "ÖSD Zertifikat A1" erfolgreich abgelegt. Der BF3 verfügt über hervorragende, fast akzentfreie Deutschkenntnisse, welche es ihm ermöglichen, dem in deutscher Sprache durchgeführten Unterricht in der HTL problemlos zu folgen.

Die beschwerdeführenden Parteien verfügen in Österreich mittlerweile auch über zahlreiche soziale Bindungen, insbesondere der BF3 verfügt über einen großen Freundeskreis. Sie sind allesamt strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die Feststellung zur Identität und Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien ergibt sich aus dem diesbezüglich unzweifelhaften Akteninhalt und den glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zum bisherigen Aufenthalt in Österreich beruhen auf den diesbezüglichen Angaben in den in den Verwaltungsakten einliegenden Antragsformularen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, die auch von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden nicht bestritten wurden.

Die Feststellung zum unbefristeten Daueraufenthaltsrecht des BF1, der BF2 und des BF3 in Italien beruht auf den in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegten Aufenthaltstiteln im Kartenformat (siehe beigelegte Kopien zur Verhandlungsniederschrift vom 10.10.2018), an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und Lebensumständen der beschwerdeführenden Parteien, insbesondere zur Wohn- und Haushaltsgemeinschaft, zur grundsätzlichen Arbeitswilligkeit und dem Bestehen sozialer Bindungen (wie eines großen Freundeskreises des BF3), beruhen auf den glaubhaften Angaben des BF1, der BF2 und des BF3 in der mündlichen Verhandlung sowie auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR). Sie alle haben in der mündlichen Verhandlung durchwegs einen persönlich glaubwürdigen Eindruck hinterlassen und es sind auch keinerlei Umstände hervorgekommen, allenfalls an der Richtigkeit ihrer Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Bestehen des Vereins der "XXXX" und der Tätigkeit des BF1 als Pastor und Kassier des Vereins ergeben sich aus den Eintragungen im Zentralen Vereinsregister (ZVR) und aus den glaubhaften Angaben des BF1 sowie den dazu vorgelegten und unbedenklichen Unterlagen (Dienstausweis, Bankomatkarte und Kontoauszüge sowie Bekanntgabe der Vorstandsmitglieder an die LPD Wien; siehe Anlagen A, B und E zur Verhandlungsniederschrift).

Die Feststellung zum Bestehen einer Beschäftigungszusage an die BF2 beruht auf dem dazu vorgelegten und unbedenklichen Bestätigungsschreiben (Anlage D zur Verhandlungsniederschrift).

Die Feststellung zum Schulbesuch des BF3 beruht auf den glaubhaften Angaben des BF3 in der Verhandlung sowie dem von ihm vorgelegten und bis 31.12.2019 gültigen Schülerausweis ("edu.card") (siehe beigelegte Kopie zur Verhandlungsniederschrift).

Die Feststellungen zur finanziellen Situation der beschwerdeführenden Parteien und der Sicherung ihres Lebensunterhaltes gänzlich aus eigenen, ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ohne bisherige Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und Leistungen beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF1 in der Verhandlung, die durch die vorgelegten Kontoauszüge, aus denen sämtliche Eingaben und Ausgaben für die vom BF1 genannten Zwecke in nachvollziehbarer Weise dargestellt sind, untermauert wurden.

Die Feststellung zu den oben näher beschriebenen Deutschkenntnissen des BF1, der BF2 und des BF3, insbesondere zu den hervorragenden Deutschkenntnissen des BF3 sowie zum Umstand, dass sowohl der BF1 als auch die BF2 in der Lage sind, eine einfache Konversation in deutscher Sprache zu führen und sich damit im Alltag in deutscher Sprache verständigen zu können, beruht überdies auf der eigenen Wahrnehmung des erkennenden Gerichts in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung zur erfolgreichen Belegung eines A1- bzw. eines A2-Deutschkurses sowie zum derzeitigen Besuch eines weiteren Deutschkurses beruht überdies auf den diesbezüglich in der Verhandlung vorgelegten und unbedenklichen Unterlagen (siehe Anlage C zur Verhandlungsniederschrift).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Parteien ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich, wonach keine Verurteilungen aufscheinen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Stattgebung der Beschwerde (Spruchpunkt A.):

Gemäß § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß § 9 Abs. 4 IntG ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2. einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 abgewiesen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige angeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Die Anwendung dieser Rechtslage auf den gegenständlichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige von Ecuador und als solche Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10

FPG.

Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die gegen die beschwerdeführenden Parteien erlassene Rückkehrentscheidung - im Hinblick auf die Abweisung der Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 - auf § 52 Abs. 3 FPG (iVm. § 10 Abs. 3 AsylG 2005) gestützt und gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Ecuador festgestellt hat.

Dabei hat die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Begründung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung jedoch völlig den wesentlichen Umstand außer Acht gelassen, dass dem BF1, der BF2 und dem BF3 in Italien jeweils ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht zukommt. In den betreffenden Bescheiden stellte die belangte Behörde zwar fest, dass ihnen eine Daueraufenthaltsberechtigung in Italien zukomme, allerdings fand diese von der Behörde getroffene Feststellung im Zuge der rechtlichen Beurteilung keinerlei Berücksichtigung. So ging die belangte Behörde bei der von ihr nach § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zu beurteilenden Frage nach dem Eingriff in das Privat- und Familienleben auch überhaupt nicht auf die Situation der beschwerdeführenden Parteien im EU-Mitgliedstaat Italien ein.

Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates ist, unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

Im Kontext des § 52 Abs. 6 FPG kommt es aber nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit an, sondern darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007, Rz 11).

Die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu beurteilende Frage nach dem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen darf aber nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern es ist gegebenenfalls auch die Situation in anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen (VwGH 15.12.2011, Zl. 2001/21/0237; VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007, Rz 10).

Da die belangte Behörde einerseits das Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs. 6 FPG in keiner Weise geprüft und somit auch nicht dargelegt hat, ob die beschwerdeführenden Parteien zur unverzüglichen Ausreise nach Italien aufgefordert worden wären bzw. weshalb die sofortige Ausreise aus Österreich der in Italien daueraufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich wäre, und andererseits von der belangten Behörde auch im Zuge der Prüfung des Eingriffs in das Privat- oder Familienleben dieser Umstand des Daueraufenthaltsrechts in Italien auch unberücksichtigt blieb, hat sich die gegen die beschwerdeführenden Parteien erlassene Rückkehrentscheidung schon aus diesem Grund als rechtswidrig erwiesen.

Unbeachtlich dessen ist bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.

Die beschwerdeführenden Parteien leben in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Den eigenen und auch von der belangten Behörde unbestritten gebliebenen Angaben zufolge halten sich die BF2 seit über sieben Jahren sowie der BF1 und der BF3 seit über sechs Jahren in Österreich auf. Davor lebten der BF1 und die BF2 bereits seit 1995 und der nunmehr volljährige BF3 seit seiner Geburt im Jahr 1999 in Italien, wo ihnen allen nunmehr auch ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht zukommt. Die BF4 ist in Österreich geboren und hält sich seit ihrer Geburt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Österreich auf.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und minderjährigen Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen. Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso jure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des EGMR jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (siehe explizit VwGH 21.04.2011, Zl. 2011/01/0093, und 19.02.2014, Zl. 2013/22/0037; sowie VfGH 09.06.2006, B 1277/04, mit dortigem Verweis auf das Urteil des EGMR vom 10.07.2003, Nr. 53441/99, im Fall Benhebba, wo es in Rz 36 heißt: "[...] la Cour rappelle à cet égard que les rapports entre adultes ne bénéficieront pas nécessairement de la protection de l'article 8 de la Convention sans que soit démontrée l'existence d'éléments supplémentaires de dépendance, autres que les liens affectifs normaux"). Als besondere Umstände im Sinne der Rechtsprechung des EGMR, die zu berücksichtigen sind, zählen etwa ein gemeinsamer Haushalt, ein Pflege- oder Betreuungsverhältnis sowie eine finanzielle oder psychische Abhängigkeit (VwGH 21.04.2011, Zl. 2011/01/0093).

Der VfGH hat in seinem Erkenntnis vom 11.06.2014, B 623-624/2013, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 24.04.1996 im Fall Boughanemi, Nr. 22070/93 (siehe Rz 33 und 35), ausgeführt, dass ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt entsteht. Diese besondere geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und volljährigen Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jede Bindung gelöst ist. Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern kommt es nicht darauf an, dass ein "qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Nahverhältnis" besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (siehe gleichlautend schon vorher VfGH 12.03.2014, U 1904/2013). Weiters wird im Erkenntnis des VfGH vom 11.06.2014 unter Rz 19 ausgeführt, dass im Zuge der Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK gegebenenfalls auch eine Auseinandersetzung mit der Frage stattzufinden hat, inwieweit psychische Beeinträchtigungen der beschwerdeführenden Partei - wörtlich zitiert - "zu einer höheren Schutzwürdigkeit ihres im Bundesgebiet entfalteten Familienlebens" führen.

In einer Gesamtbetrachtung der angeführten Rechtsprechung ist somit zunächst das Bestehen bzw. die Auflösung eines Familienlebens zwischen Eltern und volljährigen Kindern zu prüfen (vgl. EGMR im Fall Boughanemi) und, wenn das Bestehen eines Familienlebens und ein Eingriff in Gestalt einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bejaht wird, nach Durchführung einer Interessensabwägung die besondere "Schutzwürdigkeit" eines solchen Familienlebens im Hinblick auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK zu beurteilen, und zwar im Hinblick darauf, ob zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. EGMR im Fall Benhebba). Insoweit ist die vom VfGH mit Berufung auf das ältere Urteil des EGMR vom 24.04.1996 im Fall Boughanemi angenommene Rechtsprechung im Lichte des zeitlich jüngeren Urteils des EGMR im Fall Benhebba vom 10.07.2003 zu sehen, dem sich sowohl der VwGH (siehe die oben angeführten Entscheidungen vom 21.04.2011 und 19.02.2014) als auch schon früher der VfGH (z.B. Erkenntnis vom 09.06.2006, B 1277/04) inhaltlich angeschlossen haben.

Im vorliegenden Fall erscheint jedenfalls unzweifelhaft, dass einerseits zwischen dem BF1 und der BF2 ein Familienleben als Ehegatten und andererseits zwischen ihnen und der BF4 als gemeinsamer minderjähriger Tochter ein Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK besteht.

Aber auch was das Verhältnis zwischen dem BF1 und der BF2 als Eltern und des nunmehr 19 Jahre alten und folglich volljährigen BF3 anbelangt, war auf Grund der festgestellten Umstände auch das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens zwischen dem BF3 und seinen Eltern bzw. zwischen dem BF3 und der BF4 als Geschwister unzweifelhaft anzunehmen. So leben alle beschwerdeführenden Parteien nicht nur seit Beginn ihres Aufenthalts in Österreich im gemeinsamen Haushalt, sondern die Familiengemeinschaft zwischen dem BF3 und seinen Eltern bestand bereits vorher in Italien. Überdies sichert der BF1 durch seine ihm zur Verfügung stehenden Mittel den Lebensunterhalt aller Familienmitglieder, insbesondere auch des BF3, der selbst über kein Einkommen verfügt und derzeit eine HTL besucht. Dass auch eine enge emotionale Bindung zwischen allen Familienmitgliedern besteht, erscheint auf Grund des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung eindeutig gewonnenen Eindrucks und der persönlichen Glaubwürdigkeit der einvernommenen beschwerdeführenden Parteien ebenso unzweifelhaft.

Im vorliegenden Fall war daher davon auszugehen, dass die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und die angeordnete Rückkehrentscheidung gegenüber allen beschwerdeführenden Parteien einen Eingriff in ein zwischen ihnen bestehendes Familienleben darstellt.

Neben dem Bestehen eines aufrechten Familienlebens sind auch Umstände des Privatlebens der beschwerdeführenden Parteien zu würdigen:

Die beschwerdeführenden Parteien halten sich nunmehr seit mehr als fünf Jahren in Österreich auf, wobei die BF4 in Österreich geboren wurde und seit ihrer Geburt immer in Österreich ihren Lebensmittelpunkt hatte. Die beschwerdeführenden Parteien haben gleich zu Beginn ihres Aufenthalts zahlreiche erkennbare Anstrengungen unternommen, um sich in Österreich unter den gegebenen Umständen in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht so weit wie möglich zu integrieren. Tatsächlich haben sie es mit großer persönlicher Anstrengung und Ernsthaftigkeit in vergleichsweiser kurzer Zeit geschafft, in Österreich einen hohen Grad einer umfassenden Integration zu erreichen, und zwar nicht nur in sprachlicher, sondern eben auch in materieller und sozialer Hinsicht (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG).

Wesentlich zu berücksichtigen war dabei der Umstand, dass sowohl der BF1 als auch die BF2 jedenfalls über hinreichende, für eine Alltagskommunikation taugliche Deutschkenntnisse verfügen, der BF3 sogar über hervorragende Deutschkenntnisse, wovon sich das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung auch unmittelbar selbst überzeugen konnte. Das liegt wohl vor allem auch daran, dass der BF1 und die BF2 bereits mehrere Deutschkurse besucht haben und letztlich auch die A1- bzw. die A2-Deutschprüfung mit Erfolg absolvierten. Dass sie auch unvermindert den festen Willen haben, ihre Deutschkenntnisse auch weiterhin stetig zu perfektionieren, ergibt sich daraus, dass sie ihre Bemühungen zur Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse ohne Aufschub fortsetzten, indem sie aus eigener Initiative weitere Deutschkurse besuchen und die Kosten dafür ausschließlich mit ihren eigenen finanziellen Mitteln bezahlen.

Im konkreten Fall war überdies maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in Österreich bislang keine finanzielle Belastung für eine Gebietskörperschaft dargestellt hat und sie zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich bislang zu keinem Zeitpunkt öffentliche Mittel oder Leistungen in Anspruch nehmen mussten.

Die durchwegs persönlich glaubwürdigen beschwerdeführenden Parteien haben auch glaubhaft dargelegt, dass sie überdies in sozialer Hinsicht alle Anstrengungen unternommen haben und auch künftig unternehmen werden, um sich in Österreich nachhaltig gesellschaftlich zu integrieren. Aus ihren Aussagen konnte angenommen werden, dass sie, insbesondere der BF3, in Österreich bereits über weitreichende soziale Bindungen, wie das Bestehen eines großen Freundes- und Bekanntenkreises, in dem auch Deutsch gesprochen wird, verfügen.

Was die Bindungen zum Heimatstaat Ecuador anbelangt (siehe § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG), ist festzuhalten, dass solche dahingehend zu relativieren sind, als der BF1 und die BF2 seit 1995 nicht mehr in Ecuador leben und der BF3 in Italien geboren wurde und den überwiegenden Teil seiner bisherigen Lebenszeit dort verbrachte. Schließlich wurde die BF4 in Österreich geboren, wo sie seit ihrer Geburt durchgehend lebt und auch sozialisiert wurde.

Letztlich war auch maßgeblich zu berücksichtigen, dass die beschwerdeführenden Parteien die gegenständlichen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 bereits im Jänner 2014 stellten, die nunmehr angefochtenen Bescheide allerdings erst über vier Jahre später, im Mai 2018, ergingen. Es konnte somit davon ausgegangen werden, dass die Dauer des bisherigen Aufenthalts der beschwerdeführenden Parteien in Österreich auch in der belangten Behörde zurechenbaren Verzögerungen begründet ist (siehe § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG). So weisen etwa die BF2 seit September 2012 und der BF1 seit April 2013 einen amtlich gemeldeten Hauptwohnsitz in XXXX auf und waren in dieser ganzen Zeit für die Behörden erreichbar. Dass die lange Dauer des Verfahrens allenfalls dem Verhalten der beschwerdeführenden Parteien geschuldet wäre, hat sich nicht ergeben.

Aus all den dargelegten Umständen ergibt sich unzweifelhaft, dass die beschwerdeführenden Parteien zahlreiche der oben angeführten Kriterien, die bei der Abwägung der betroffenen Interessen nach Art. 8 EMRK maßgeblich zu berücksichtigen sind, erfüllen und diese besonders intensiven familiären und privaten Interessen auch das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts in Österreich überwiegen. So haben die beschwerdeführenden Parteien von Anfang an gezeigt, dass sie trotz ihres unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet stets um eine möglichst umfassende und letztlich auf Dauer angelegte persönliche Integration in Österreich bemüht waren und gerade deshalb auch bereits einen entsprechend hohen Grad der Integration in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht erreicht haben.

Es wird zwar nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privat- und Familienlebens der beschwerdeführenden Parteien in Österreich dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Des Weiteren ist festzuhalten, dass das BFA als belangte Behörde auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet und auch sonst im gegenständlichen Beschwerdeverfahren keine Umstände vorgebracht hat, die allenfalls eine andere rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes zum Entscheidungszeitpunkt bedeutet hätten.

Abschließend ist festzuhalten, dass die beschwerdeführenden Parteien alle strafgerichtlich unbescholten sind, weshalb im Fall des Verbleibens im Bundesgebiet auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erkennen ist.

Da im Hinblick auf die oben dargelegten Abwägungen zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse der beschwerdeführenden Parteien an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen nicht nur vorübergehenden Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde, war der (gemeinsamen) Beschwerde stattzugeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Was die Erteilung des konkreten Aufenthaltstitels an die beschwerdeführenden Parteien anbelangt ist festzuhalten, dass auch das BVwG - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels ist vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst, weshalb in einem zu entscheiden ist (siehe ErläutRV 582 BlgNR 25. GP).

Die beschwerdeführenden Parteien haben weder einen Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erbracht, noch üben sie zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG erreicht wird.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" somit bei allen beschwerdeführenden Parteien nicht vorliegen, war ihnen jeweils gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Die Ausstellung des Aufenthaltstitels auf Grund dieser Entscheidung ist gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter persönlicher Mitwirkung der beschwerdeführenden Parteien vorzunehmen und der Aufenthaltstitel sodann an die beschwerdeführenden Parteien auszufolgen.

3.2. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, Deutschkenntnisse, Integration, Privat- und
Familienleben, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G301.2199675.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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