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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2018, Zl. W111 2162144-2/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: I Y, vertreten durch die Hofbauer & Wagner Rechtsanwälte KG, in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte, eine ukrainische Staatsangehörige, beantragte am 27. Jänner 2018 internationalen Schutz. Zur Begründung brachte sie zusammengefasst vor, sie sei im November 2017 nach rechtskräftigem negativem Abschluss des Verfahrens betreffend ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in ihren Herkunftsstaat zurückgekehrt und habe sich am 11. Jänner 2018 zu einer neuerlichen Reise nach Österreich entschlossen. Hier hielten sich ihr Ehemann und Freunde auf. Darüber hinaus habe sie in der Ukraine Probleme gehabt. Sie sei dort des Terrors verdächtigt worden und sei auch zweimal von Männern verprügelt worden, wobei weder die Ärzte noch die Polizei bereit gewesen seien, ihr zu helfen.
2 Mit Bescheid vom 7. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Mitbeteiligten auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 205, erließ gegen die Mitbeteiligte eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Überdies wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und gegen die Mitbeteiligte ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt.
3 Die Mitbeteiligte erhob Beschwerde.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid des BFA vom 7. März 2018 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.
5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Bescheid des BFA erweise sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft. Die von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung des Fluchtvorbringens sowie die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens seien unterblieben. Die Behörde sei auch ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Die Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren seien missachtet worden, weil sich das Ermittlungsverfahren in wesentlichen Punkten als mangelhaft erweise. Die Auseinandersetzung mit den von der Mitbeteiligten vorgelegten Beweismitteln sei unzureichend gewesen. Den vorgelegten Unterlagen sei zu entnehmen, dass die Mitbeteiligte in der zweiten Dezemberhälfte 2017 aufgrund von körperlichen Verletzungen stationär in einer Abteilung für Traumatologie einer ukrainischen Krankenanstalt aufgenommen worden sei und dass die Mitbeteiligte am 14. Dezember 2017 eine Anzeige wegen eines tätlichen Angriffs erstattet habe. Auf dem die Anzeige betreffenden Schreiben finde sich der Vermerk: "Die Anzeige der genannten Straftat wurde gemäß § 91 Abs. 5 Strafprozessordnung eingestellt, da für eine Anzeige das Motiv für die Straftat unzureichend ist." Angesichts des Vorbringens der Mitbeteiligten, wonach ihr infolge eines zweiten Überfalls eine Entgegennahme einer Anzeige durch die Polizei verweigert worden sei, sei eine nähere Abklärung des Grundes für die Einstellung des Verfahrens erforderlich gewesen. Da der Mitbeteiligten nach ihren Schilderungen in Bezug auf die ausreisekausalen Vorfälle kein wirksamer polizeilicher Schutz zugekommen sei, seien, auch wenn es sich bei der Ukraine gemäß § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG in Verbindung mit § 1 Z 14 Herkunftsstaaten-Verordnung um einen sicheren Herkunftsstaat handle, konkrete Ermittlungen betreffend die Schutzfähigkeit und -willigkeit der ukrainischen Behörden durchzuführen gewesen. Überdies habe sich das BFA nicht mit der Situation alleinstehender muslimischer Frauen in der Zentral- und Westukraine sowie allfälligen Diskriminierungen auseinandergesetzt, denen die Mitbeteiligte, die aus dem Krisengebiet der Ostukraine stamme, in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt sein könne. Auf die Situation muslimischer Frauen gingen die von der Behörde herangezogenen Länderberichte nur am Rande ein. Das BFA habe es unterlassen, den realen Hintergrund der von der Mitbeteiligten vorgebrachten Fluchtgründe in seine Überlegungen miteinzubeziehen. Auch in Fällen, in denen die Schilderungen von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erschienen, entbinde dies die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen. Da das Vorliegen einer relevanten Gefährdungslage für die Mitbeteiligte in Bezug auf ihren Herkunftsstaat vor dem Hintergrund ihres Vorbringens ohne das Vorliegen ausreichender Feststellungen zur Situation in ihrem Herkunftsstaat nicht vorweg ausgeschlossen werden könne, sei der Bescheid des BFA zu beheben gewesen. Die aufgezeigten Mängel seien auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei deren Vermeidung ein für die Mitbeteiligte günstigeres Ergebnis erzielt werden könne. Damit habe das BFA im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt. Eine Sanierung der vorliegenden Mängel durch das Bundesverwaltungsgericht und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Gericht lägen weder im Sinne des Gesetzes noch im Interesse der Raschheit und seien auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Das BFA sei überdies eine Spezialbehörde, die über die notwendigen Informationen verfüge.
6 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Voraussetzungen für die Aufhebung eines Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Es lägen in Anbetracht des behördlichen Verfahrens keine Ermittlungslücken vor, die eine Zurückverweisung rechtfertigten. Ergänzende Ermittlungen seien durch das Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen. Der angefochtene Beschluss zeige auch nicht auf, welche konkreten (realistischer Weise auch durchführbaren) Ermittlungsschritte im behördlichen Verfahren unterblieben wären. Die Einholung ergänzender Länderberichte obliege gegebenenfalls dem Bundesverwaltungsgericht. Zudem seien die verwaltungsgerichtlichen Überlegungen betreffend die Einrichtung des BFA als Spezialbehörde vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet, eine Zurückverweisung der Angelegenheit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu rechtfertigen.
7 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist im Sinne ihrer Zulassungsbegründung zulässig und begründet.
9 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
10 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
11 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0115, mwN).
12 Der angefochtene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts steht mit diesen höchstgerichtlichen rechtlichen Leitlinien nicht im Einklang.
13 Das BFA hat sich u.a. vor dem Hintergrund der von ihm eingeholten Länderberichte und nach Übersetzung der von der Mitbeteiligten vorgelegten Schriftstücke mit den von dieser ins Treffen geführten Beweismitteln näher auseinandergesetzt und gelangte aus den in der Beweiswürdigung der Behörde im Einzelnen dargelegten Gründen zu dem Schluss, dass die in Rede stehenden Schriftstücke - selbst im Falle ihrer Authentizität - keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Ablauf der von der Mitbeteiligten behaupteten Ereignisse zuließen (vgl. S. 90 ff des Bescheides). Es kann daher im vorliegenden Fall nicht davon gesprochen werden, die Behörde habe jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt. Der Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht der Beweiswürdigung der Behörde nicht beitritt, rechtfertigt für sich nicht die Annahme, es lägen gravierende Ermittlungslücken im behördlichen Verfahren vor, die eine Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu tragen vermöchten. Allenfalls aus Sicht des Gerichts ausstehende ergänzende Ermittlungen (und zwar u.a. die vom Bundesverwaltungsgericht vermissten Erhebungen betreffend die Situation muslimischer Frauen in der Ukraine) sind durch das Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen. Auch das - vom Bundesverwaltungsgericht angeführte - Argument, das BFA sei als Spezialbehörde eingerichtet, wurde in der bisherigen Rechtsprechung schon verworfen und als untauglich angesehen, eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG allein darauf gründen zu können (VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).
14 Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 11. Jänner 2019
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180363.L00Im RIS seit
06.02.2019Zuletzt aktualisiert am
06.03.2019