Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.
Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** P*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch Posch, Schausberger & Lutz Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen 31.497,84 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 15.748,91 EUR), gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Juli 2018, GZ 11 Ra 31/18k-16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. März 2018, GZ 19 Cga 79/17s-10, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw ihren Rechtsvorgängern (kurz: Beklagte) von 1. 1. 1990 bis 31. 3. 2017 angestellt. Bis zur Geburt ihres Sohnes am ***** 7. 2008 war sie mit 38,5 Wochenstunden vollzeitbeschäftigt. Im Hinblick auf den Dienstantritt der Klägerin nach Ende der Karenz schlossen die Parteien am 28. 12. 2010 eine zeitlich unbefristete Teilzeitvereinbarung ab, mit der die Arbeitszeit der Klägerin ab 17. 1. 2011 auf 16 Wochenstunden reduziert wurde. Es kann nicht festgestellt werden, ob vor Abschluss dieser Vereinbarung die Betreuungspflicht für den Sohn der Klägerin konkret als Grund der Teilzeit genannt wurde. Der Beklagten war aber bekannt, dass die Klägerin ein kleines Kind hatte. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Teilzeitvereinbarung war es bei der Beklagten üblich, dass mit den Mitarbeiterinnen, die aus der Karenz zurückkehrten, eine Teilzeitvereinbarung abgeschlossen wurde. Die Parteien haben nur diese eine Teilzeitvereinbarung getroffen, die ohne weitere Gespräche auch über das 7. Lebensjahr des Kindes hinaus weiterlief.
Das Dienstverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung. Die Beklagte zahlte der Klägerin unter Zugrundelegung der zuletzt ausgeübten Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 16 Wochenstunden 22.399,92 EUR an gesetzlicher Abfertigung. Diese würde bei einer Vollzeitbeschäftigung 53.897,76 EUR betragen. Die Klägerin hat in dem für die gesetzliche Abfertigung maßgeblichen Zeitraum durchschnittlich 70,78 % einer Vollzeitbeschäftigten gearbeitet.
Weitere – für die Revisionsentscheidung jedoch nicht relevante – Feststellungen traf das Erstgericht zur Möglichkeit der Nachmittagsbetreuung in der Wohngemeinde der Klägerin, zum Schulweg ihres Sohnes und zu dessen schulischen Leistungen und Kompetenzen.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten 31.497,84 EUR brutto sA an Differenz zwischen der ihr zustehenden gesetzlichen Abfertigung auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung (§ 14 Abs 4 AVRAG) und der von der Beklagten auf Basis einer Teilzeitbeschäftigung von 16 Wochenstunden ausbezahlten Abfertigung. Die Normalarbeitszeit sei aufgrund der Betreuungspflicht für ihren Sohn herabgesetzt worden.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG sei nicht anwendbar, weil den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses der Teilzeitvereinbarung nicht bewusst gewesen sei, dass die Klägerin auch nach der Karenz die Teilzeit zur Betreuung ihres Kindes benötigte. Im Übrigen habe die Klägerin – insoweit knüpfe § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG an die Pflegefreistellung nach § 16 UrlG an – zum Zeitpunkt der (zuletzt abgeschlossenen) Teilzeitvereinbarung für ihr damals bereits schulpflichtiges Kind keine besonderen Betreuungspflichten mehr gehabt, weil in der Heimatgemeinde der Klägerin eine Nachmittagsbetreuung bestanden habe und darüber hinaus auch die Eltern der Klägerin für Betreuungsdienste zur Verfügung gestanden wären. Selbst wenn das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe, würde der Klägerin nur eine Abfertigung im Ausmaß ihrer durchschnittlichen Arbeitszeit von 70,78 % einer Vollzeitbeschäftigten gebühren.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die zwischen den Parteien abgeschlossene Teilzeitvereinbarung habe bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres des Sohnes der Klägerin auf § 15h Abs 1 MSchG beruht. Die darüber hinausgehende, weitergeführte Teilzeitbeschäftigung sei aber keine Vereinbarung nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG, weil der Klägerin der dafür erforderliche Nachweis eines besonderen Betreuungsbedarfs für Kinder zwischen dem 7. und dem 14. Lebensjahr nicht gelungen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und dem Klagebegehren mit 15.748,91 EUR brutto sA statt. Das Mehrbegehren von 15.748,93 EUR brutto sA wies es ab. Die Bestimmung des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG sei nicht auf Fälle der Pflege von Kindern mit besonderem Betreuungsbedürfnis zu beschränken. Unstrittig bestehe hier aufgrund des Alters des Kindes eine allgemeine, im Familienrecht begründete Betreuungspflicht. Derjenige, der ein Kind betreue, könne sich immer dann, wenn die (engeren) Voraussetzungen der §§ 15h ff MSchG bzw §§ 8 ff VKG nicht vorlägen, jedenfalls auf § 14 AVRAG berufen. Da die Normalarbeitszeit der Klägerin im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses am 31. 3. 2017 bereits mehr als sechs Jahre herabgesetzt gewesen sei, sei der Abfertigungsanspruch nach § 14 Abs 4 zweiter Satz AVRAG auf Basis eines Durchschnitts der während der für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre geleisteten Arbeitszeit der Klägerin zu berechnen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Arbeitszeit der Klägerin von 70,78 % einer Vollzeitbeschäftigten gebühre ihr eine Abfertigung von 38.148,83 EUR. Da die Beklagte bereits 22.399,92 EUR bezahlt habe, sei der Klägerin noch ein Betrag von 15.748,91 EUR zuzusprechen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zur Betreuungsnotwendigkeit eines 7 bis 14-jährigen Kindes im Zusammenhang mit der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach § 14 AVRAG noch nicht Stellung genommen habe.
In ihrer gegen den klagestattgebenden Teil gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Da der Beklagten nicht bewusst gewesen sei, dass die Klägerin auch nach der Elternteilzeit die weitergeführte Teilzeit zur Betreuung ihres Kindes gewünscht und auch tatsächlich benötigt habe, liege keine Vereinbarung gemäß § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG vor. Diese Regelung knüpfe an einen besonderen Betreuungsbedarf von nahen Angehörigen an. Ein bloß gewöhnlicher Betreuungsbedarf für ein Kind, welches das 7. Lebensjahr bereits vollendet habe, sei davon nicht umfasst. Die Klägerin habe auch nicht nachgewiesen, dass die Betreuungspflicht für ihren Sohn über jene eines anderen schulpflichtigen Kindes hinausgehe.
Die Klägerin, die die Abweisung des Mehrbegehrens unbekämpft ließ, beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Nach § 15h Abs 1 MSchG hat die Dienstnehmerin bei Vorliegen der weiteren – im Revisionsverfahren nicht strittigen – Voraussetzungen (Z 1–3) einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung längstens bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahres oder einem späteren Schuleintritt des Kindes. Der Zweck der Elternteilzeit besteht darin, der Dienstnehmerin ausreichend Zeit zur Kinderbetreuung zu gewähren (8 ObA 15/12g Pkt 2.2; 9 ObA 158/16z Pkt 2.).
2. Nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG kann zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer mit nicht nur vorübergehenden Betreuungspflichten von nahen Angehörigen im Sinne des § 16 Abs 1 letzter Satz UrlG, die sich aus der familiären Beistandspflicht ergeben, auch wenn kein gemeinsamer Haushalt gegeben ist, die Herabsetzung der Normalarbeitszeit vereinbart werden. Hat die Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach § 14 Abs 2 AVRAG zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kürzer als zwei Jahre gedauert, so ist bei der Berechnung einer ua nach dem AngG zustehenden Abfertigung die frühere Arbeitszeit des Arbeitnehmers vor dem Wirksamwerden der Vereinbarung nach Abs 2 zugrunde zu legen. Hat die Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach Abs 2 zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses länger als zwei Jahre gedauert, so ist – sofern keine andere Vereinbarung abgeschlossen wird – bei der Berechnung einer ua nach dem AngG zustehenden Abfertigung für die Ermittlung des Monatsentgelts vom Durchschnitt der während der für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre geleisteten Arbeitszeit auszugehen (§ 14 Abs 4 Satz 1 und 2 AVRAG).
3. Weder das MSchG noch das VKG schließen die Anwendung des § 14 AVRAG aus. Derjenige, der ein Kind betreut, kann sich daher immer dann, wenn die (engeren) Voraussetzungen des MSchG bzw VKG nicht vorliegen, jedenfalls auf § 14 AVRAG berufen (9 ObA 38/06p; 9 ObA 60/06y; 9 ObA 41/17w Pkt 1.). Liegen die Voraussetzungen der Elternteilzeit nicht mehr vor, dazu gehört auch das Überschreiten der Höchstdauer, kommt § 14 AVRAG zur Anwendung, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Wird also die Maximaldauer überschritten, endet zwar die Besserstellung nach dem MSchG, jedoch kann § 14 AVRAG nahtlos folgen (Binder, DRdA 2007, 463 [467]; Mosing, Ausgewählte Rechtsfragen der Elternteilzeit, ASoK 2018, 362 [365 f]; Thöny, Die Teilzeitbeschäftigung 110; aA Rauch, ZAS 2007/19, 126 [128]).
4. Nach gefestigter Rechtsprechung ist auch die im Familienrecht begründete Betreuungspflicht für gesunde Kinder vom Anwendungsbereich des § 14 AVRAG erfasst. Eine Verpflichtung des Dienstnehmers, die Betreuung an Dritte zu übertragen, besteht auch dann nicht, wenn geeignete Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen (RIS-Justiz RS0121020). Jedenfalls bei noch nicht schulpflichtigen Kindern und damit jener Altersgruppe („bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahrs“), für die der Gesetzgeber im MSchG bzw VKG die Betreuungsbedürftigkeit unterstellt, kann auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände von einer im Sinne des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG relevanten Betreuungspflicht der Eltern ausgegangen werden (9 ObA 38/06p; 9 ObA 60/06y; 9 ObA 41/17w Pkt 1.; zustimmend Binder, DRdA 2007, 463 [466]; Pfeil, DRdA 2008/3 [37]).
5. Die Beklagte legt ihren Revisionsausführungen ausdrücklich zugrunde, dass die Parteien am 17. 1. 2011 eine Elternteilzeitvereinbarung abgeschlossen haben. Ob man hier von einer Elternteilzeitvereinbarung nach § 15h Abs 1
MSchG – dessen Voraussetzungen (Z 1–3 leg cit) unstrittig vorlagen –, an die sich eine nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG anschloss oder von einer Vereinbarung nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG für den gesamten Zeitraum der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin ausgeht, ist im konkreten Fall im Ergebnis irrelevant. Entscheidend ist nur, ob beiden Parteien bewusst war, dass die Klägerin auch nach Vollendung des 7. Lebensjahres ihres Kindes die Teilzeit zur Betreuung ihres Kindes wünschte und benötigte. Dies ist nämlich für die Annahme einer Vereinbarung nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG als ausreichend anzusehen (9 ObA 41/17w Pkt 3.).
6.1. Für die Auslegung der vorliegenden Teilzeitvereinbarung ist der objektive Erklärungswert der Willensäußerungen maßgebend (vgl RIS-Justiz RS0028642; RS0113932), wobei auch die gesamten Umstände des Vertragsabschlusses maßgeblich sind (9 ObA 80/10w). Der objektive Erklärungswert rechtsgeschäftlichen Willens verliert nur dort seine Bedeutung, wo sich die Parteien über einen anderen als den nach objektiven Kriterien ermittelten Vertragsinhalt einig sind (RIS-Justiz RS0017751).
6.2. Der Zweck der Teilzeit nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG besteht darin, Arbeitnehmern ausreichend Zeit zu geben, ihren längeren familiären Betreuungspflichten von nahen Angehörigen (im Sinne des § 16 Abs 1 letzter Satz UrlG) nachkommen zu können, ohne aber ihre arbeitsrechtliche Stellung, etwa in Bezug auf die Abfertigung, zu verschlechtern (vgl Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG³ § 14 Rz 2; ErläutRV 886 BlgNR 20. GP 74). Dementsprechend ist – in Anlehnung an die insoweit vergleichbaren Entscheidungen 8 ObA 15/12g und 9 ObA 158/16z – maßgebend, ob die Teilzeitarbeit von der Dienstnehmerin deshalb begehrt wird, weil eine Vollzeitbeschäftigung der Dienstnehmerin nicht die erforderliche Zeit für die familiäre Betreuung zulassen würde, die gewünschte Teilzeit also der Betreuung des nahen Angehörigen dient. Kommt diese Zweckbestimmung der begehrten oder – wie hier – vom Arbeitgeber der Dienstnehmerin angebotenen Teilzeitarbeit zum Ausdruck und sind die relevanten Umstände dem Dienstgeber daher bekannt, so ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung grundsätzlich der Schluss zu ziehen, dass eine Vereinbarung über die Teilzeit im Sinne des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG zustande gekommen ist (vgl 9 ObA 80/10w; Riedl, In Unkenntnis der Bestimmungen des MSchG vereinbarte Teilzeit ist dennnoch Elternteilzeit, ASoK 2011, 311); 8 ObA 15/12g und 9 ObA 158/16z zur Teilzeitbeschäftigung nach dem MSchG).
6.3. Im vorliegenden Fall schlossen die Parteien unmittelbar nach der Karenz und vor Dienstantritt der Klägerin am 28. 12. 2010 eine unbefristete Teilzeitvereinbarung, die ohne weitere Gespräche zwischen den Parteien auch nach Vollendung des 7. Lebensjahres des Kindes der Klägerin einfach weiterlief. Da die Beklagte der Klägerin, wie jeder anderen Mitarbeiterin auch, nach Rückkehr aus der Karenz den Abschluss einer Teilzeitvereinbarung anbot, konnte dies aus objektiver Sicht der Klägerin nur dahin verstanden werden, dass ihr damit die zeitliche Möglichkeit gegeben wird, ihr Kind zu betreuen. Da diese Teilzeitvereinbarung ohne weitere Gespräche der Parteien auch nach Vollendung des 7. Lebensjahres des Kindes der Klägerin weiter bestehen blieb, konnte die Klägerin aus objektiver Sicht diese Weiterführung auch nur so verstehen, dass ihr die Beklagte damit die – von ihr erkennbar gewünschte und erforderliche – Möglichkeit einräumt, weiterhin ihr (nunmehr schulpflichtiges) Kind zu betreuen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Parteien nach Beendigung des 7. Lebensjahres des Kindes der Klägerin über einen anderen als den nach objektiven Kriterien ermittelten Vertragsinhalt und Zweck einig wurden, bietet der festgestellte Sachverhalt nicht.
7.1. Es bleibt nun noch zu prüfen, ob auch bei einem gesunden Kind nach Vollendung des 7. Lebensjahres von einer im Sinne des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG relevanten Betreuungspflicht ausgegangen werden kann. Diese Frage wurde in der Entscheidung 9 ObA 38/06p ausdrücklich offen gelassen.
7.2. Die Betreuungspflicht des nahen Angehörigen muss sich nach dem Gesetzestext aus einer familiären Beistandspflicht ergeben. Die familiäre Beistandspflicht gegenüber Kindern ergibt sich aus der Pflicht zur Obsorge der Elternteile gegenüber ihren Kindern (§ 158 iVm § 160 ABGB) (9 ObA 38/06p; Pfeil, DRdA 2008/3 [38]). Die Pflege des minderjährigen Kindes umfasst besonders die Wahrnehmung des körperlichen Wohles und der Gesundheit sowie die unmittelbare Aufsicht, die Erziehung besonders die Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen und sittlichen Kräfte, die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie dessen Ausbildung in Schule und Beruf (§ 160 Abs 1 ABGB). Der Umfang von Pflege und Erziehung hängt vom Alter und von der Entwicklung des Kindes ab; die Betreuung ist umso intensiver, je jünger das Kind ist. Während bei Kleinkindern die Pflege im Vordergrund steht, steht bei älteren Kindern die Erziehung, der seelische Beistand und die Unterstützung in der Schule im Fokus der Obsorge (vgl Gitschthaler in Schwimann/Kodek4 § 160 ABGB Rz 2; Fischer-Czermak in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 160 Rz 2 f).
7.3. Auch die familiäre Beistandspflicht gegenüber einem gesunden Kind, das noch die Volksschule besucht, erfordert normalerweise eine Betreuung des Kindes im Sinne des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG, die mit einer Vollzeitbeschäftigung des betreuenden Elternteils häufig nicht so leicht in Einklang gebracht werden kann. Kinder, die noch die Volksschule besuchen, benötigen gewöhnlich bereits ab Mittag eine Aufsicht, weil man sie nicht für längere Zeit allein zu Hause sich selbst überlassen kann. Kinder brauchen in diesem Alter gewöhnlich nicht nur (auch noch) eine entsprechende Pflege, sondern vielfach auch Hilfe und Unterstützung im Rahmen der schulischen Aufgaben.
7.4. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher der Abfertigungsberechnung die Teilzeitvereinbarung der Klägerin im Sinne des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG zugrunde gelegt. Dass diese nach § 14 Abs 4 Satz 2 AVRAG vorzunehmen war, ist im Revisionsverfahren infolge rechtskräftiger Abweisung des Klagemehrbegehrens nicht mehr zu prüfen.
7.5. Ob die Anwendung des § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG auch bei Kindern über das Volksschulalter hinaus bis zum 14. Lebensjahr grundsätzlich, also ohne Hinzutreten besonderer Umstände, zu bejahen ist (so Pfeil, DRdA 2008/3 [39]), braucht hier nicht näher untersucht werden. Ob dafür Entscheidungen sprechen könnten, die aus unterhaltsrechtlicher Sicht die Zumutbarkeit der Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung durch den Obsorgeberechtigten im Falle der Betreuung von Kindern unter 14 Jahren beschränken (vgl 1 Ob 570/95; 1 Ob 84/04s Pkt 5.2.; 8 Ob 136/12a Pkt 5.2, 6.1), kann daher dahingestellt bleiben.
Der unbegründeten Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E123911European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00102.18T.1217.000Im RIS seit
06.02.2019Zuletzt aktualisiert am
15.02.2021