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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Aufhebung des den gesamten Altstadtbereich zur Wohnstraße erklärenden Teils einer Verordnung mangels Anhörung der RechtsanwaltskammerSpruch
Punkt 5. der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Juli 1983 wird als gesetzwidrig aufgehoben, soweit damit der gesamte Altstadtbereich zur Wohnstraße erklärt wurde.
Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1841/95 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 2. Februar 1995, Z12/12-7/1994, anhängig. Mit diesem wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, mit dem über ihn eine Verwaltungsstrafe gemäß §76 b Abs3 in Verbindung mit §99 Abs3 lita StVO 1960 wegen vorschriftswidrigen Parkens in Hall in Tirol auf einer nicht gekennzeichneten Stelle in einer Wohnstraße verhängt wurde, als unbegründet abgewiesen und der Spruch dahin abgeändert, daß die durch die Tat verletzte Rechtsvorschrift §23 Abs2 a StVO 1960 sei.
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten durch eine gesetzwidrige Verordnung, nämlich der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Juli 1983, soweit damit der gesamte Altstadtbereich zur Wohnstraße erklärt wurde (im folgenden kurz: Verordnung), als verletzt.
2. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher er die Gesetzmäßigkeit der Verordnung verteidigt.
3. Der Stadtrat der Stadtgemeinde Hall in Tirol legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Stellungnahme, in welcher er ebenfalls die gegenständliche Verordnung verteidigt.
4. Der Beschwerdeführer erstattete eine weitere Stellungnahme, die Stadtgemeinde Hall in Tirol replizierte darauf.
5. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Beschluß vom 26. November 1996, B1841/95-15, von der Präjudizialität der Verordnung für die gegenständliche Beschwerde insoweit aus, als in ihrem Punkt 5. der gesamte Altstadtbereich zur Wohnstraße erklärt wurde. Er beschloß, die angeführte Verordnung gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
Der Verfassungsgerichtshof hegte das vorläufige Bedenken, daß die Behörde, welche (nach dem Inhalt der vorgelegten Verordnungsakten sowie den Ausführungen in der Gegenschrift) die Rechtsanwaltskammer nicht anhörte, die bezeichnete Verordnung in einem nicht der Bestimmung des §94 f StVO 1960 entsprechenden Verfahren erließ.
6. Die Tiroler Landesregierung sah von der Abgabe einer Äußerung ab.
7. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Hall in Tirol erstattete keine Äußerung.
II. Der Verfassungsgerichtshat erwogen:
1. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hatte bei dem im Anlaßverfahren angefochtenen Berufungsbescheid die Verordnung insoweit anzuwenden, als in ihrem Punkt 5. der gesamte Altstadtbereich zur Wohnstraße erklärt wurde. In diesem hatte der Beschwerdeführer die Verwaltungsübertretung begangen, deretwegen er mit dem angefochtenen Bescheid bestraft wurde. Auch der Verfassungsgerichtshof hat sohin bei seiner Entscheidung über die zu B1841/95 protokollierte Beschwerde diese Verordnung bezüglich ihres Punktes 5. anzuwenden.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
2. Das im Prüfungsbeschluß dargestellte Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweist sich in der Sache selbst als berechtigt:
Gemäß §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960 sind (außer bei Gefahr im Verzuge) vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung die gesetzliche Interessenvertretung einer Berufsgruppe anzuhören, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden". Wird diese Anhörungspflicht verletzt, haftet der Verordnung ein formaler Mangel an (VfSlg. 5784/1968, 9818/1983, 11920/1988, 13783/1994, 14053/1995). Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 9818/1983 und 13783/1994 angenommen hat, werden durch eine Beschränkung des Parkens vor einem Gerichtsgebäude die Interessen der Angehörigen des Berufsstandes der Rechtsanwälte im allgemeinen - im Sinne einer Erschwerung ihrer Berufsausübung - berührt, unabhängig davon, ob etwa den das Gerichtsgebäude aufsuchenden Rechtsanwälten andere, etwas ferner gelegene Parkmöglichkeiten zur Verfügung stünden.
Dem Inhalt des §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960 zufolge werden durch die Erklärung der gesamten Haller Altstadt zur Wohnstraße durch die gegenständliche Verordnung auch die Interessen der Berufsgruppe der Rechtsanwälte berührt, da das Bezirksgericht Hall im Wohnstraßenbereich gelegen ist und die Erklärung zur Wohnstraße ua. die Rechtswirkung äußert, daß gemäß §23 Abs2 a StVO 1960 das Parken von KFZ nur an den gekennzeichneten Stellen erlaubt ist.
Die bezeichnete generelle Norm wurde in einem nicht den Bestimmungen des §94 f StVO 1960 entsprechenden Verfahren erlassen, da die Behörde, (nach dem Inhalt der vorgelegten Verordnungsakten sowie den Ausführungen in der Gegenschrift zufolge) die Rechtsanwaltskammer nicht anhörte. Der Punkt 5. der Verordnung ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.
3. Die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung beruht auf Art139 Abs5 B-VG.
4. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen, Wohnstraße, Anhörungsrecht (bei Verordnungserlassung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:V155.1996Dokumentnummer
JFT_10029390_96V00155_00