TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/29 I414 2191295-1

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Veröffentlicht am 29.08.2018
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Entscheidungsdatum

29.08.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I414 2191295-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und die Richterin MMag. Alexandra JUNKER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg (SMS) vom 01.03.2018, Zl. OB: XXXX, betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 60% beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Am 02.01.2018 beantragte Herr XXXX (in der Folge als Beschwerdeführer bezeichnet) die Ausstellung eines Behindertenpasses. Mit Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) vom 01.03.2018 wurde dem Beschwerdeführer ein Behindertenpass befristet bis zum 01.02.2020 ausgestellt und wurde der Grad der Behinderung mit 50 v.H. festgesetzt.

Die belangte Behörde stützte sich dabei auf das medizinische Sachverständigengutachten von Dr. L. Arzt für Allgemeinmedizin), welches am 01.03.2018 aufgrund der Aktenlage erstellt wurde. Dabei wurde zusammengefasst ausgeführt:

"Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

PosNr.

Gdb %

1

Zustand nach Lebertransplantation 04/2017 bei Leberzirrhose Child C (Analogposition, derzeit noch Katheteranlage, laufend immunsuppressive Therapie, leichtgradige Reduzierung des AZ

07.05.07

50

2

Thrombozytopenie (Splenomegalie, Nachweis von Thrombozyten-Antikörpern 2016 bei idiopathischer Thrombozytopenie)

10.01.01.

20

3

LWS-Beinschmerz bei Zustand nach Diskusprolaps (entsprechendes Vorgutachten)

02.01.01

20

4

Anpassungsstörung (entsprechendes Vorgutachten, Zustand nach stationärem Aufenthalt 2010 und 2012)

03.06.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Die führende Position 1 betragt 50 %, die Leiden 2 bis 4 bewirken keine weitere stufenrelevante Erhöhung.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Fam. Mittelmeerfieber (anamnestisch im Vorgutachten angeführt - keine vorliegenden Befunde)

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum Vorgutachten erfolgte mittlerweile eine Lebertransplantation. Infolgedessen wurde das ehemalige Leiden zwei im Leiden eins berücksichtigt. Das ehemalige Leiden eins (Hepatopathie) ist ebenfalls im Leiden eins mitberücksichtigt. An den übrigen Leiden keine Veränderung.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Erhöhung des GdB um 2 Stufen bei noch reduziertem AZ und befristetem Reha Geld bei Z.n. Lebertransplantation.

 

Dauerzustand

X

Nachuntersuchung 02/2020 - Verlaufsbeurteilung, da eine Stabilisierung des Leidens 1 zu erwarten ist.

[...]

Gegen die Feststellung des Grades der Behinderung von 50 v.H. erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führt er aus, dass nicht alle Befunde berücksichtigt worden seien und er nicht persönlich untersucht worden sei. Bei einer Untersuchung bei der Pensionsversicherungsanstalt sei eine Invalidität von 67 % festgestellt worden.

Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten von Dr. W., Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.05.2018, eingeholt. Der Sachverständige führte auf die vom Bundesverwaltungsgericht gestellten Fragen unter Berücksichtigung der bisher erstatteten Gutachten sowie der vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde im Wesentlichen aus:

a) zur Diagnose samt Feststellung der Funktionsbeeinträchtigung(en) bzw. der Art der Gesundheitsschädigung(en);

1-Zustand nach Lebertransplantation 04/2017, pos. Nr. 07.05.07, Gdb 50%

Begründung: Die Einschätzung erfolgt nach durchgeführter Anamnese:

Subjektiv ist der Beschwerdeführer nach durchgeführter Lebertransplantation mit dem Funktionieren des transplantierten Organes zufrieden.

Sichtung der vorliegenden Befunde: Mehrere Befunde werden vorgelegt zum Teil übersetzt, der XXXX UNIVERSITÄT XXXX: Nach Zusammenschau der Kontrollen welche überwiegend 2017 durchgeführt wurden insgesamt zufriedenstellender postoperativer Verlauf nach

Lebertransplantation. Klinischem Aspekt des Beschwerdeführers: Er präsentiert sich mit einem leicht reduzierten Allgemeinzustand, es zeigen sich schöne Narbenverhältnisse nach Lebertransplantation, Unterschenkeiödeme beidseits.

2-Kreuzschmerzsyndrom bei beginnenden Abnutzungserscheinungen der Lendenwirbelsäule, Pos. Nr. 02.01.02, Gdb 30%

Begründung: Der Beschwerdeführer gibt an unter chronischen Kreuzschmerzen zu leiden, er nimmt keine Schmerzmittel ein, in den vorgelegten Befunden wurde ein Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule beschrieben, in der aktuellen orthopädischen Untersuchung konnte keine radikuläre Symptomatik objektiviert werden, somit mäßige Funktionseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule

3-Thrombozvtopenie, Pos. Nr. 10.01.01 Gdb 20%

Begründung: Der Beschwerdeführer berichtet in der Anamnese über eine Kraftlosigkeit und Abgeschlagenheit, diese führt er subjektiv auch auf diese von zu uns Einschränkung zurück.

Einschätzung auch auf Basis von vorgelegten Befunden: In Vergleich zum Vorgutachten von November 2016 konnten keine neuen richtungsweisenden Befunde vorgelegt werden, somit bleibt der Einzelgrad der Behinderung unverändert.

4-Anpassungsstörung, Pos. Nr.03.06.01, Gdb 10%

Begründung: im Vergleich zum Vorgutachten aus November 2016 werden keine neueren psychiatrischen Befunde vorgelegt, aus diesem Grund bleibt nach Anamnese und fehlenden aktuellen Befunden die Einschätzung unverändert.

b) zur Frage, ob es sich bei den Funktionsbeeinträchtigung(en) um Dauerzustände handelt oder ob (und bejahendenfalls wann) eine Nachuntersuchung vorzusehen ist;

Dauerzustand, keine Nachuntersuchung notwendig.

c) zur Einschätzung des Grades der Behinderung für jede der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen;

Siehe unter a.

d) zu den Richtsatzpositionen laut Einschätzungsverordnung EVO und - falls Rahmensätze vorgegeben sind - dem von Ihnen zu Grunde gelegten Rahmensatz;

1-Zustand nach Lebertransplantation 04/2017, Pos. Nr. 07.05.07, Gdb 50%

Richtsatzpos.: Es handelt sich um einen Zustand nach Lebertransplantation, derzeit leichte Dekompensationszeichen vorliegend: In der Anamnese mitgeteilt Unterschenkelödeme. Somit

Rahmensatz: 50%

2-Kreuzschmerzsvndrom bei beginnenden Abnutzunoserscheinungen der Lendenwirbelsäule, Pos.Nr. 02.01.02, Gdb 30%

Richtsatzpos.: Der Beschwerdeführer berichtet über Kreuzschmerzen, es konnten Befunde vorgelegt werden, in denen radioiogische Veränderungen im Sinne von Bandscheibenvorfällen an der Lendenwirbelsäule festgestellt wurden, jedoch besteht keine radikuläre Symptomatik somit Rahmensatz: 30%

3-Thrombozytopenie, Pos. Nr. 10.01.01, Gdb 20%

Richtsatzpos.: Schon im Vorgutachten aus 2016 wurden Befunde vorgelegt die eine

Thrombozytopenie bestätigen, somit o.g. Richtsatzposition. Subjektiv gibt der Beschwerdeführer mäßige Beschwerden an, somit Rahmensatz 20%.

4- Anpassungsstörunq, Pos.Nr. 03.06.01, Gdb 10%

Richtsatzpos.: Schon im Vorgutachten aus 2016 wurden Befunde vorgelegt, die eine

Anpassungsstörung bestätigen, somit o.g. Richtsatzposition. Es werden in der Medikamentenanamnese keine Psychopharmaka Medikamente angegeben, er wirkt in der Untersuchung psychisch stabil somit Rahmensatz 10%.

e) zur Frage, ob im Vergleich zum Gutachten vom 01.03.2018 eine Änderung des Gesundheitszustandes festgestellt werden kann;

bejahendenfalls zur Änderung in den Graden der Behinderung bezüglich der einzelnen festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen;

Im Vergleich zum Gutachten vom 1.3.2018 konnte keine Änderung des Gesundheitszustandes festgestellt werden.

f) zu dem von Ihnen ermittelten Gesamtgrad der Behinderung (GdB);

Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung durch die Funktionseinschränkungen 2-3. Es kommt zu einer zusätzlichen Belastung, es findet eine negative wechselseitige Beeinflussung statt. Somit Gesamtgrad der Behinderung 60%.

Im Vergleich zur Akteneinschätzung des Dr. L. (Gesamtgrad der Behinderung 50%) konnte nach Befunderhebung, Anamnese und körperlicher Untersuchung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60% festgestellt werden.

g) beim Zusammenwirken aller Funktionsbeeinträchtigungen bzw. mehrerer Gesundheitsschädigungen, ob die führende funktionelle Einschränkung durch eine weitere funktionelle Einschränkung erhöht wird oder nicht und - bejahendenfalls - um wie viele Stufen, wobei die wechselseitige (Nicht-) Beeinflussung der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen bzw. Leiden einer ausführlichen Begründung bedarf.

Erhöhung des Gesamtgrad der Behinderungen durch die Funktionseinschränkungen 2 und 3 um eine Stufe.

Aufgrund des Leberleidens ist der Allgemeinzustand des Beschwerdeführers reduziert. Hinzu kommen nun Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule beziehungsweise eine Funktionseinschränkung aufgrund der Thrombozytopenie, was insgesamt eine zusätzliche Belastung bedeutet beziehungsweise eine negative wechselseitige Beeinflussung der Leiden.

Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme nahm weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und er ist österreichischer Staatsangehöriger.

Dem Beschwerdeführer wurde am 01.03.2018 ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. ausgestellt.

Der Beschwerdeführer leidet - Leiden 1 - an einer Funktionseinschränkung der Leber nach einer Lebertransplantation mit derzeit vorliegenden leichten Dekompensationszeichen, Positionsnummer 07.05.02, mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. Er leidet - Leiden 2 - an einer Funktionseinschränkung mittleren Grades der Wirbelsäule, Positionsnummer 02.01.02, mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 30 v.H. Er leidet - Leiden 3 - an Thrombozytopenie mit leichten bis mäßigen Auswirkungen, Positionsnummer 10.01.01, mit einem (Einzel) Grad der Behinderung von 20 v.H. und er leidet - Leiden 4 - an einer Anpassungsstörung, Positionsnummer 03.06.01 mit einem (Einzel)Grad der Behinderung v.H.

10.

Aufgrund der Funktionseinschränkung der Leber (Leiden 1, führendes Leiden) ist der Allgemeinzustand des Beschwerdeführers reduziert, hinzu kommen nun Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (Leiden 2) sowie eine Funktionseinschränkung aufgrund der Thrombozytopenie (Leiden 3). Die Leiden beeinflussen sich wechselseitig, daher kommt es zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung um eine Stufe.

Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt 60 v.H.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch die Einsicht in den Akt der belangten Behörde, insbesondere in den Antrag vom 02.01.2018, in die Gutachten von Dr. L. vom 01.03.2018, in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz, sowie durch Einsicht in das fachärztliche Gutachten von Dr. W. vom 14.05.2018.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers sowie zum Behindertenpass basieren auf dem vorliegenden Verwaltungsakt und sind unstrittig.

Die Feststelllungen bezüglich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. W. vom 14.05.2018.

Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen nach der Einschätzungsverordnung.

Hinsichtlich des Leidens 1 führt der Gutachter in seinem Gutachten begründend zur gewählten Positionsnummer 07.05.07 aus, dass nach der Lebertransplantation, derzeit leichte Dekompensationszeichen vorliegen würden.

Bezüglich des Leidens 2 führt er zur gewählten Positionsnummer 02.01.02 aus, dass der Beschwerdeführer über Kreuzschmerzen berichtet, diesbezüglich konnten Befunde vorgelegt werden, in denen radiologische Veränderungen im Sinne von Bandscheibenvorfällen an der Lendenwirbelsäule festgestellt wurden.

Hinsichtlich des Leidens 3 führt er zur gewählten Positionsnummer 10.01.01 aus, dass schon im Vorgutachten im Jahr 2016 Befunde vorgelegt wurden, welche eine Thrombozytopenie bestätigen. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer subjektiv nur unter mäßigen Schmerzen leidet.

Hinsichtlich des Leidens 4 führt er zur gewählten Positionsnummer 03.06.01 aus, dass schon im Vorgutachten im Jahr 2016 Befunde vorliegen, welche eine Anpassungsstörung bestätigen. Da in der Medikamentenanamnese keine Psychopharmaka angeführt sind und der Beschwerdeführer in der Untersuchung einen stabilen psychischen Eindruck machte ist der Grad der Behinderung von 10 v.H. festzusetzen.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Gutachter auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen ist, und die Beeinträchtigungen im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft wurden.

Hinsichtlich des Gesamtgrades führt der Gutachter schlüssig aus, dass das Leiden 2 und das Leiden 3 zu einer wechselseitigen negativen Leidensbeeinflussung von Leiden 1 führen, sodass es zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung um 1 Stufe kommt.

Das Gutachten von Dr. W. wurde dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde zur Stellungnahme übermittelt. Diese sind dem Gutachten in der Folge jedoch nicht entgegengetreten.

Das Gutachten steht mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, ist schlüssig und vollständig und ihm wurde nicht entgegen getreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat dieses Gutachten unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem eingeholten Ergänzungsgutachten. Zudem sind die Verfahrensparteien dem letztlich eingeholten Ergänzungsgutachten nicht (mehr) entgegengetreten. Es wurde keinerlei Stellungnahme abgegeben.

Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) - Stattgebung der Beschwerde:

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lautet wie folgt:

§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.

(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 4 der Einschätzungsverordnung (EVO) in der geltenden Fassung, lautet wie folgt:

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Dem vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von Dr. W. vom 14.05.2018 folgend, beträgt der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers nunmehr 60 %.

Die führende funktionelle Einschränkung wurde vom Gutachter unter die Positionsnummer 07.05.07 mit einem Grad der Behinderung von 50 % eingestuft. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung sieht bei dieser Positionsnummer einen Grad der Behinderung zwischen 50 und 100 % vor. Der Gutachter führt begründend für den herangezogenen Grad der Behinderung von 50 % aus, dass derzeit leichte Dekompensationzeichen vorliegen. Diese Einordnung entspricht den Voraussetzungen der Anlage zur Einschätzungsverordnung.

Die Einstufung des Leidens 2 mit einem Grad der Behinderung von 20 % laut Positionsnummer 02.01.02 mit einem Grad der Behinderung von 30 % sowie die Einstufung des Leidens 3 mit einem Grad der Behinderung von 20 % laut Positionsnummer 10.01.01 und Leiden 4 mit einem Grad der Behinderung von 10 % laut Positionsnummer 03.06.01 entsprechen ebenfalls dem vorgegebenen Rahmen der Anlage zur Verordnung.

Auch bei der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist der Gutachter nach den Vorgaben von § 3 Abs. 3 der Einschätzungsverordnung ausgegangen, wonach eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, (nur) dann vorliegt, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Diesbezüglich hat der Gutachter angegeben, dass das Leiden 1 durch Leiden 2 sowie durch Leiden 3 wechselseitig negativ beeinflusst wird und begründete dies umfassend. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde daher zu Recht mit 60 % festgestellt.

Entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach der Grad der Behinderung 50 % betrage, beträgt der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers nunmehr 60 %.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I414.2191295.1.00

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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