Entscheidungsdatum
19.09.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W240 2187488-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2018, Zl. 1100658606-152084122, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.07.2018, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin von Somalia, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 30.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 31.12.2015 wurde sie einer Erstbefragung unterzogen. Sie gab an im Wesentlichen an, sie sei in XXXX geboren und habe dort bis zur Ausreise im Juli 2015 gelebt. Als Grund für die Ausreise gab sie an, dass sie bei Pflegeeltern gelebt habe. Wo sich ihre leiblichen Eltern befinden, wisse sie nicht. Ihre Pflegeeltern hätten sie schlecht gehandelt. Sie sei von ihnen misshandelt worden. Sie sei dadurch nervenkrank geworden. Wegen dieser Pflegeeltern habe sie beschlossen Somalia zu verlassen, sie hätte sonst niemanden in Somalia. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie Misshandlungen durch ihre Pflegeeltern.
Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 16.01.2018 eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Die Beschwerdeführerin gab zu Ihrem Ausreisegrund im Wesentlichen wie folgt an:
"(...)
LA: Welcher Volks- und Glaubensgruppe gehören Sie an?
VP: Ich bin sunnitische Moslemin und gehöre der Volksgruppe der XXXX an.
Nachgefragt, wie der Name meines Sub-Clans lautet, gebe ich an, dass ich dies nicht weiß.
LA: Welchem Clan ist Ihr Clan XXXX zugehörig?
VP: Ich weiß es nicht.
LA: Wie ist Ihr Familienstand? Wie viele leibliche Kinder haben Sie?
VP: Ich bin ledig und habe keine Kinder.
LA: An welcher Adresse haben Sie zuletzt vor Ihrer Ausreise aus Somalia gelebt?
VP: Region Lower Shabelle, Stadt XXXX , Bezirk XXXX . Straßennamen gab es nicht.
LA: Mit wem haben Sie dort zusammen in einem Haushalt gewohnt?
VP: Mit einer Frau und einem Mann und vier Kindern.
LA: Bis wann waren Sie an dieser Adresse aufhältig?
VP: Bis Juli 2015. Es war Anfang Juli 2015. Ich erinnere mich nicht an das genaue Datum.
LA: Wann haben Sie Ihr Heimatland verlassen?
VP: Am zuvor genannten Datum habe ich Somalia verlassen.
Nachgefragt, ich habe zeitgleich meinen Wohnort und mein Heimatland verlassen.
LA: Wie haben Sie in Ihrem Heimatland Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Diese Familie, bei der ich gelebt habe, hat mir geholfen.
LA: Von wann bis wann lebten Sie bei dieser Familie?
VP: Ich bin dort aufgewachsen.
LA: Die Frage wird wiederholt.
VP: Von 1998 bis Juli 2015.
LA: Wer Ihrer Angehörigen lebt derzeit in Somalia?
VP: Ich weiß es nicht. Niemand.
LA: Wo leben Ihre Eltern?
VP: Ich weiß es nicht.
LA: Wann haben Sie Ihre Eltern zum letzten Mal gesehen?
VP: Ich habe meine Eltern noch nie in meinem Leben gesehen.
LA: Stehen Sie derzeit in Kontakt mit der Familie, bei der Sie gelebt haben?
VP: Nein.
Nachgefragt, wann ich den letzten Kontakt zu dieser Familie hatte, gebe ich an, dass das im Juli 2015 gewesen ist.
LA: Sie haben nunmehr die Möglichkeit, Ihre Beweggründe für das Verlassen Ihrer Heimat
ausführlich darzulegen. Bitte schildern Sie möglichst lebensnahe, also konkret und mit sämtlichen Details, sodass auch unbeteiligte Personen Ihre Darstellung nachvollziehen können, aus welchem Grund Sie Ihr Heimatland verließen.
VP: Zuerst - ich habe keine Eltern. Meine Eltern haben mich weggeworfen als ich klein war. Sie legten mich vor der Moschee ab. Die Leute, die in der Moschee waren haben mich gesehen und ein Mann hat gesagt, dass er keine Kinder hat und er mich mitnimmt und adoptiert. Dann bin ich bei dieser Familie aufgewachsen und habe dort gelebt. Sie haben noch weitere vier Kinder bekommen. Sie waren eine schlechte Familie. Sie haben mich schlecht behandelt und geschlagen.
Auch die Nachbarinnen haben mich beschimpft. Ich konnte nicht mit anderen Kindern spielen.
Nach vier Jahren haben sie gesagt, dass ich nicht mehr die Schule besuchen kann und ich im
Haushalt helfen muss und auf die kleinen Kinder aufpassen muss. Dann bin ich krank geworden. Ich habe Nervenprobleme bekommen. Sie haben mich nicht unterstützt und mich nicht ins Spital gebracht. Ich war sechs Monate krank. Ich habe mit diesem Problem mein Leben gelebt. Dann habe ich einen Mann kennengelernt und er wollte mich heiraten, aber seine Familie wollte nicht, dass ich ihn heirate. Dann bin ich sehr krank geworden. Die Familie, bei der ich gelebt habe, mein Adoptivvater hat versucht mich zu vergewaltigen. Am letzten Tag, an dem ich Somalia verlassen habe, hat er versucht mich zu vergewaltigen. Seine Frau war nicht zu Hause. Er hat mich geschlagen. Seine Frau ist gekommen. Als er Ihre Geräusche gehört hat, hat er mich plötzlich geschlagen. Er hat mich beschuldigt, dass ich mit ihm schlafen wollte. Seine Frau hat geschrien und beide haben mich geschlagen. Sie haben mir einen Finger gebrochen. Sie haben mein Zimmer zugesperrt. Die Frau wollte gegen mich Anzeige erstatten, obwohl ich unschuldig war. Dann bin ich geflüchtet. Ich bin zu meinem Freund gegangen. Er hatte ein kleines Geschäft. Ich habe ihm die Geschichte erzählt. Er hat gesagt, dass er mir nicht helfen kann und er meinte, dass wenn sie mich ins Gefängnis bringen, mir niemand hilft. Er sagte, dass die einzige Sache die wir machen können, ist zu flüchten. Er hat Geld genommen von seinem Geschäft und wir sind geflüchtet. Wir sind nach Äthiopien gegangen.
LA: Wann wurden Sie krank?
VP: Das war 2014.
LA: Welche Erkrankung wurde bei Ihnen diagnostiziert?
VP: Meine Augen werden klein und mein Mund verschob sich auf die andere Seite.
LA: Um welche Erkrankung handelt es sich?
VP: Ich weiß es nicht genau, aber ich habe gehört, dass es ein Nervenproblem ist.
LA: Wer stellte die Diagnose?
VP: Ich war nicht beim Arzt, aber ein paar Leute haben gesagt, dass ich Nervenprobleme haben.
LA: Um wen handelte es sich bei diesen Leuten konkret?
VP: Die Frau, bei der ich gelebt habe.
LA: Wie wurden Ihre Nervenprobleme behandelt?
VP: Ich habe keine Behandlung bekommen.
(...)
LA: Wann haben Sie den Mann kennengelernt, den Sie heiraten wollten?
VP: Das war 2014.
LA: Bitte konkretisieren Sie Ihre Angaben.
VP: Es war am 10.08.2014.
LA: Wo haben Sie diesen Mann kennengelernt?
VP: In seinem Geschäft.
LA: Wie lauten der Name und das Geburtsdatum dieses Mannes?
VP: XXXX . Sein Geburtsdatum weiß ich nicht, aber er war älter als ich.
LA: Wie lange führten Sie mit XXXX eine Beziehung?
VP: Wir waren zusammen von 10.08.2014 bis Juli 2015. Wir waren zusammen.
LA: Die Frage wird wiederholt.
VP: Ein Jahr und sechs Monate.
LA: Wann machten Sie Ihre Beziehung öffentlich bekannt?
VP: Das war im Juni 2015.
LA: Wer wusste vor Juni 2015, dass Sie miteinander eine Beziehung geführt haben?
VP: Niemand.
LA: Wie gestalteten Sie Ihre Beziehung bis Juni 2015?
VP: Wir haben uns oft in seinem Geschäft getroffen, wenn ich etwas kaufen wollte.
LA: Welche Aktivitäten unternahmen Sie gemeinsam?
VP: Wir haben uns immer freitags getroffen. Ich habe ihm immer von meiner Situation erzählt. Ich habe ihn nicht oft getroffen, weil ich große Angst vor der Frau hatte, bei der ich gelebt habe.
LA: In welcher Form standen Sie miteinander in Kontakt?
VP: Wir hatten kein Telefon. Wir haben uns oft in seinem Geschäft getroffen und freitags draußen getroffen. Der Kontakt war ausschließlich persönlich.
LA: Wen informierten Sie über Ihre Heiratspläne?
VP: Er hat mit seiner Familie gesprochen. Er hat seine Eltern gebeten, dass sie meine Adoptiveltern um meine Hand bitten.
LA: Die Frage wird wiederholt.
VP: Ich habe niemanden informiert.
LA: Wann lernten Sie erstmals die Eltern Ihres Freundes kennen?
VP: Ich habe sie nicht gekannt.
LA: Welchem Clan gehörte Ihr Freund an?
VP: XXXX .
LA: Warum lehnten die Eltern Ihres Freundes die Heirat ab?
VP: Als sie zu meinen Adoptiveltern gekommen sind, haben sie erfahren, dass ich nicht ihr eigenes Kind bin und sie mich gefunden haben und sie nicht meine Eltern kennen. Dann haben seine Eltern gesagt, wenn niemand dieses Mädchen kennt, Ihr Sohn nicht heiraten darf.
LA: Wie haben Ihre Adoptiveltern darauf reagiert?
VP: Sie haben nichts gemacht.
LA: Waren Ihre Adoptiveltern mit der Entscheidung der Eltern Ihres Freundes einverstanden?
VP: Ja, sie waren einverstanden.
LA: Wie reagierte Ihr Freund auf die Ablehnung der Heirat durch seine Eltern?
VP: Er war sehr wütend, aber er konnte nichts dagegen machen.
LA: Schildern Sie den Vorfall am Tag Ihrer Ausreise mit sämtlichen Details.
VP: Als mein Adoptivvater versuchte mich zu vergewaltigen, hat er mich dann beschuldigt, dass ich mit ihm schlafen wollte. Seine Frau hat geschrien und mich geschlagen. Sie sagte, dass sie mich ins Gefängnis bringt. Ich wusste, wenn ich im Gefängnis lande, ich nie wieder
hinauskommen kann, weil ich niemanden habe. Dann bin ich weggelaufen.
LA: Wie konnten Sie sich Ihrer wütenden Adoptivmutter entziehen?
VP: Als sie mich geschlagen hat, bin ich zu meinem Zimmer gegangen und habe viel geweint. Sie hat nicht geglaubt, dass ich einfach gehen kann und einfach weglaufen kann. Ich habe die Chance genützt und bin weggegangen.
LA: Warum hat niemand versucht, Sie vom Weggehen zu hindern?
VP: Niemand hat mich gesehen. Ich bin zu meinem Freund gegangen und habe ihm die Geschichte
erzählt. Er hat gesagt, dass wir keine andere Möglichkeit haben und wir zusammen gehen müssen.
LA: Wo befanden sich die anderen Personen, die mit Ihnen in einem Haushalt gelebt haben, als Sie das Haus verließen?
VP: Sie waren im anderen Zimmer.
LA: Wie konnten Sie ungehindert das Haus verlassen?
VP: Ich bin um Mitternacht weggelaufen.
LA: Standen die Türen des Hauses offen?
VP: Ja, es war offen.
LA: Warum hat Ihre Adoptivmutter nicht unmittelbar nach dem Vorfall, wie angedroht, Anzeige erstattet?
VP: Es war in der Nacht.
LA: Man kann doch auch in der Nacht bei Problemen eine Anzeige erstatten.
VP: Ja das stimmt. Sie meinte aber, dass sie in der Früh zur Polizeistation gehen wollte.
LA: Bitte geben Sie das konkrete Gespräch mit Ihrer Stiefmutter am Tag des Vorfalls mit sämtlichen Details wieder.
VP: Sie hat mich geschlagen.
LA: Die Frage wird wiederholt.
VP: Wir haben nicht miteinander gesprochen. Als Ihr Ehemann mich beschuldigt hat, hat sie mich nur sofort geschlagen.
LA: Wurden keine weiteren Gespräche geführt?
VP: Nein. Als sie mich geschlagen hat, habe ich nur oft laut geschrien, dass ich unschuldig bin, aber sie hat mich nicht gehört.
LA: Welche Gespräche führten Ihre Adoptiveltern anschließend miteinander?
VP: Der Adoptivvater hat mich beschuldigt und sie hat es geglaubt. Sie hat gesagt, wenn jemand keine Eltern hat, kann er alles machen. Sie haben gesprochen, dass sie in der Früh gegen mich Anzeige erstatten. Die Frau sollte Zeugin sein.
LA: Wer konkret wollte die Anzeige erstatten?
VP: Meine Adoptivmutter.
LA: Von wem konkret wurden Sie geschlagen, als Ihre Adoptivmutter von dem Vorfall Kenntnis erlangte?
VP: Beide haben mich geschlagen, aber am meisten hat mich die Adoptivmutter stark geschlagen.
LA: Wann kamen Sie nach Ihrer Flucht bei Ihrem Freund an?
VP: Es war gegen Mitternacht.
LA: Wo suchten Sie Ihren Freund auf?
VP: Er war in seinem Geschäft. Dort hat er oft geschlafen.
LA: Woher wussten Sie, dass sich Ihr Freund in seinem Geschäft aufhalten und nicht zu Hause bei seinen Eltern sein würde?
VP: Ich wusste, dass er dort schlief.
LA: Sie gaben an, dass er oft dort geschlafen hat. Woher wussten Sie, dass er genau auch in dieser Nacht in seinem Geschäft schlafen würde?
VP: Er hat dort oft geschlafen. Ich habe mir gedacht, dass er dort ist.
LA: Was hätten Sie gemacht, wenn Sie ihn nicht in seinem Geschäft angetroffen hätten?
VP: Ich weiß es nicht, was ich gemacht hätte.
LA: Warum haben Sie nicht versucht sich anderenorts gemeinsam mit Ihrem Freund eine neue Existenz aufzubauen z. B. in Mogadischu?
VP: Wir hatten Angst, dass seine Familie uns suchen würde.
LA: Somalia ist ein großes Land. Wie sollte Sie die Familie Ihres Freundes dort finden?
VP: Sie können uns finden. Wenn wir unseren Ort verlassen und jemand anderen aufsuchen, den er kennt, dann könnte uns diese Person in einem anderen Ort verraten. Er hatte große Angst, dass uns jemand sieht.
LA: Wann sahen Sie Ihren Freund zum letzten Mal?
VP: Im Oktober 2015.
LA: Wo hält sich Ihr Freund jetzt auf?
VP: Als wir in Libyen waren ist er gestorben.
LA: Warum ist Ihr Freund gestorben?
VP: Der Schlepper hat ihn getötet.
LA: Wo waren Sie während des Vorfalls?
VP: Wir waren im selben Ort, aber in getrennten Lagern.
LA: Wie haben Sie vom Tod Ihres Freundes erfahren?
VP: Die anderen Jugendlichen, die auch dort waren, haben mich informiert.
LA: Warum kehrten Sie nicht wieder nach Somalia zurück um sich eine neue Existenz aufzubauen?
VP: Ich konnte nicht zurückkehren.
LA: Warum konnten Sie nicht zurückkehren?
VP: Weil mich der Schlepper nicht zurückschickte.
LA: Was befürchten Sie im Fall einer etwaigen Rückkehr nach Somalia?
VP: Zuerst meine Adoptiveltern und zweitens habe ich niemanden. Ich habe keine Eltern. Ich kann nicht nach Somalia zurückkehren.
(...)
LA: Woher wissen Sie das, dass Sie keine Arbeit finden würden? Haben Sie jemals den Versuch unternommen eine Arbeit zu finden?
VP: Ich habe nicht versucht Arbeit zu finden, aber es gibt dort ein Clan System. Wenn jemand
einem starken Clan angehört, bekommt er Arbeit.
(...)
VP: Er hat zu seiner Frau gesagt, dass ich schon mehrmals versucht habe mit ihm zu schlafen. Sie hat schnell angefangen mich zu schlagen.
LA: Wie oft versuchte Ihr Adoptivvater Sie zu vergewaltigen?
VP: Viermal.
(...)
LA: Wann ereignet sich der Vorfall am Tag Ihrer Flucht konkret?
VP: Das war am XXXX .2015.
LA: Zu welcher Uhrzeit kam es zu dem Vorfall?
VP: Es war ca. um 18:00 Uhr.
LA: Wie lange dauerte der Vorfall an?
VP: Ich kann nur schätzen, ca. 10 Minuten.
LA: Wenn sich der Vorfall derart früh ereignete, warum ging Ihre Adoptivmutter dann nicht noch am selben Tag zur Polizei?
VP: Sie hat angefangen mich zu schlagen. Danach hat sie lange mit ihrem Mann geredet und es ist später geworden.
(...)"
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 24.01.2018, Zl. 1100658606-152084122, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchteil
III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.01.2019 erteilt.
In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin einer individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, etc. zu befürchten gehabt hätte oder habe. Es hätte keine asylrelevante Gefährdung für die Person der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Somalia festgestellt werden können. Es hätte jedoch ein Abschiebungshindernis festgestellt werden können. Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Somalia sei anzunehmen. Der Beschwerdeführerin sei derzeit die Rückkehr in die Heimat nicht zumutbar.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht gegen den (abweisenden) Spruchpunkt I. Beschwerde. Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin von ihren leiblichen Eltern als Baby weggegeben worden sei. Ihre Adoptivfamilie habe sie schlecht behandelt und ihr seien Schul- und Arztbesuche verboten worden. Die Beschwerdeführerin habe schließlich einen Mann kennengelernt, welchen sie hätte heiraten wollen, dies sei jedoch nicht gestattet worden. Ihr Adoptivvater habe versucht die Beschwerdeführerin zu vergewaltigten und habe sie misshandelt. Als ihre Adoptivmutter davon Kenntnis erlangt habe, habe ihr Adoptivvater die Beschwerdeführerin fälschlicher Weise beschuldigt, dass sie ihn versucht hätte zu verführen. Die Adoptiveltern hätten daraufhin auf die Beschwerdeführerin eingeschlagen und die Beschwerdeführerin sei geflüchtet. Mit ihrem Lebensgefährten sei die Beschwerdeführerin schließlich aus Somalia geflüchtet.
4. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 13.07.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der die Beschwerdeführerin, vertreten durch eine Vertreterin des VMÖ, einvernommen wurde.
Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht, eine Frist für Abgabe einer Stellungnahme wurde nicht beantrag.
• Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017
• UK Home Office, Country Information and Guidance, Somalia: Women fearing gender-based harm and violence, vom 02.08.2016;
• Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Somalia, 12.01.2018 (letzte Kurzinformation vom 03.05.2018)
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist somalische Staatsbürgerin, hat keine Kinder, stammt aus XXXX und lebt seit ihrer Antragstellung im Jahr 2015 in Österreich. Es kann nicht festgestellt werden, welchem Clan die Beschwerdeführerin angehört, da die Beschwerdeführerin ihre leiblichen Eltern nicht kennt. Sie wurde als Baby von ihren leiblichen Eltern weggeben und von einem Ehepaar adoptiert. Bei ihren Adoptiveltern lebte sie zusammen mit den leiblichen Kindern der Adoptiveltern, für die sie sorgte, in einem Haus bis zu ihrer Ausreise. Der Adoptiveltern hatten die Beschwerdeführerin wiederholt misshandelt und der Adoptivvater hatte mehrmals versucht die Beschwerdeführerin zu vergewaltigen. Beim letzten Vergewaltigungsversuch kam die Adoptivmutter der Beschwerdeführerin überraschend ins Zimmer, und in der Folge überzeugte der Adoptivvater diese, dass eigentlich die Beschwerdeführerin versucht habe, ihn zum Geschlechtsverkehr zu verführen. Die Adoptiveltern haben daraufhin die Beschwerdeführerin geschlagen und mit einer Anzeige gedroht. Die Beschwerdeführerin flüchtete in der Folge. Die Beschwerdeführerin hatte ab August 2014 einen Lebensgefährten, gegen eine Ehe waren jedoch die Eltern des Lebensgefährten, weil die Beschwerdeführerin adoptiert war. Die Beschwerdeführerin flüchtete gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, der auf der Flucht in Libyen von einem Schlepper umgebracht wurde. Die Beschwerdeführerin hat im Heimatstaat keine anderen familiären und sozialen Anhaltspunkte als zu den Adoptiveltern, welche sie misshandeln und bedrohen.
Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin als adoptiertes Kind, dass keinerlei andere familiäre und soziale Anknüpfungspunkte als zu ihrer Adoptivfamilie hat, nach mehrmaligen Misshandlungen und Vergewaltigungsversuchen durch ihren Adoptivvater geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt ist. Nach dem Vergewaltigungsversuchen hatte der Adoptivvater die Adoptivmutter davon überzeugt, dass eigentlich die Beschwerdeführerin den Adoptivvater versucht hatte zu verführen, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht. Auch könnte die Beschwerdeführerin als Adoptivkind, welche ihren Clan nicht kennt, keinen Clanschutz in Anspruch nehmen, da auch bei einer Anzeige und einer strafrechtlichen Verfolgung vor traditionellen Gerichten das Opfer keine direkte Entschädigung erhalten würde und im gegenständlichen Fall die Adoptiveltern vielmehr drohten, die Beschwerdeführerin anzuzeigen, weil der Adoptivvater die Adoptivmutter von - tatsächlich nicht erfolgten - Verführungsversuchen der Beschwerdeführerin überzeugt hatte. Das patriarchalische Clansystem bietet Frauen keinen Schutz. Die Lösung bei einer Vergewaltigung besteht entweder in einer Ehe zwischen Opfer und Täter oder ein einer Kompensationszahlungen an den Clan der Frau. Bei einer Anzeige haben Frauen auch mit möglichen Repressalien rechnen.
Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei als alleinstehende Frau, die ein adoptiertes Kind ist, welches ihren Clan nicht kennt und von ihren Adoptiveltern bedroht wird, in Somalia eine reale geschlechtsspezifische Gefährdung droht. Im Detail muss die Beschwerdeführerin zur Zeit als alleinstehende Frau angesehen werden, die ihre Clanzugehörigkeit nicht kennt und von ihren Adoptiveltern bedroht wird, weshalb sie zu diesen nicht zurückkehren kann, für die ein ernstzunehmendes Risiko besteht, sich im Falle einer Rückkehr in einem IDP-Lager wiederzufinden.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt der Beschwerdeführerin nicht zu, da sie abgesehen von ihren Adoptiveltern, welche sie misshandelten und beschuldigen den Adoptivvater verführt zu haben, und sie dort die oben erwähnten frauenspezifischen Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:
18. Relevante Bevölkerungsgruppen
18.1. Frauen
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).
Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).
Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).
Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).
Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 3.3.2017). Andererseits gibt es Berichte die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.1.2017).
Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).
In Puntland wurde im Jahr 2015 ein Gesetz gegen Vergewaltigung in Kraft gesetzt. Mit diesem Gesetz wurde die formelle Justiz als relevanter Apparat zur Prozessführung bei Vergewaltigungen eingesetzt. Die Frage darüber, ob ein Verfahren geführt wird, entscheidet der Generalstaatsanwalt, nicht das Opfer. Traditionelle Älteste werden von allen Schritten des Verfahrens ausgeschlossen. Damit ist die Anwendung informeller oder traditioneller Konfliktlösungsmechanismen bei Vergewaltigung oder Sexualverbrechen verboten. Allerdings bedarf es zur effektiven Umsetzung noch Ausbildungsmaßnahmen für die nunmehr verantwortlichen Richter. Trotzdem ist diese neue Gesetzeslage in Somalia einzigartig und zukunftsweisend (UNHRC 6.9.2017). Laut einer vom puntländischen Generalstaatsanwalt veröffentlichten Statistik über Vergewaltigungsfälle in Puntland im Jahr 2016 wurden dort 123 Prozesse gegen Vergewaltiger geführt (A 2.2017).
Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).
Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).
Al Shabaab setzt Frauen - manchmal auch Mädchen - zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).
Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Bis zur Neuwahl des Parlaments stellten diese aber nur 14% von 275 Abgeordneten (USDOS 3.3.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Im neuen Unterhaus und im Oberhaus des Parlaments stellen Frauen nunmehr 24% der Abgeordneten. 23% der Mitglieder des Ministerkabinetts sind Frauen (UNSC 9.5.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). 13 von 54 Abgeordneten im Oberhaus sind Frauen (NLMBZ 11.2017). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 3.3.2017).
Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert - außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-
A - Sicherheitsanalyseabteilung (2.2017): Sicherheitsbericht im Februar 2017
-
BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
-
DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):
South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017
-
HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017
-
NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
-
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
-
SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017
-
SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
-
UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
-
UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
-
UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
-
USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Somalia: IFA Mogadischu, Frauen vom 09.01.2014
1. Inwieweit hat man als volljährige Frau, ohne Familienbezug in der Hauptstadt Mogadishu, die Möglichkeit, sich selbstständig eine Existenz aufzubauen?
Quellenlage/Quellenbewertung
Es liegen mehrere Quellen zur Bewertung der Frage vor, ob Personen ohne Anknüpfungspunkte (Clan, Familie o.Ä.) nach Mogadischu zurückkehren können bzw. ob und für wen Mogadischu eine IFA darstellen kann.
UNHCR vertritt die eigenen Konventionen, Guidelines und Regelwerke.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte veröffentlichte ein Urteil. Dieses wurde von den Richtern im Senat mit 5:2 gefällt.
Der Bericht des UN-Generalsekretärs erscheint periodisch und befasst sich mit der Situation in Somalia im Berichtszeitraum.
Die Quellen im Bericht von DIS/Landinfo sind teils anonymisiert, es kann jedoch aufgrund der Standards der beiden Institutionen davon ausgegangen werden, dass die Quellen gewissenhaft und nach internationalen Maßstäben ausgewählt worden sind.
Die OGN stellen eine Policy der britischen Asylbehörde dar. Das darin zitierte Urteil der britischen Berufungsbehörde ist ein sog. "Benchmark-Urteil".
Zusammenfassung
Grundsätzlich rangiert laut UN und britischer Behörde Somalia an zweiter Stelle der schlimmsten Staaten für Frauen. Die somalische Gesellschaft ist auf eine Diskriminierung der Frauen ausgerichtet, Gewalt gegen Frauen in der Kultur verankert. Trotzdem gibt es zahlreiche Haushalte, in welchen die Frau den Unterhalt für die Familie verdient - etwa als Kleinhändler im städtischen Bereich. Laut UN-Generalsekretär bleiben die Anstrengungen der Regierung, um die Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzudämmen, gering.
Der EGMR unterstreicht, dass es den Vertragsstaaten vorbehalten ist, eine Interne Fluchtalternative (IFA) festzustellen. Allerdings müssen dafür einige Dinge gegeben sein: Die Person muss das fragliche Gebiet erreichen können; sie muss im fraglichen Gebiet aufgenommen werden; sie muss sich dort niederlassen können.
Die britischen OGN beinhalten Auszüge aus einem Benchmark-Urteil der britischen Berufungsinstanz, in welchem darauf hingewiesen wird, dass Frauen v.a. im städtischen Bereich bei Vorhandensein von Clan- und Familienunterstützung eine IFA finden können. Allerdings gibt es einige Frauen, die von einer IFA unverhältnismäßig hart getroffen würden. Die - u.a. humanitären - Umstände vor Ort sind zu berücksichtigen.
Der UNHCR erklärt, dass eine IFA für Mogadischu nur dann als annehmbar erachtet werden kann, wenn die fragliche Person ausreichend Unterstützung durch die Kern- oder die erweiterte Familie in Anspruch nehmen kann und wenn gleichzeitig Clanschutz im Ort der Rückführung gegeben ist. UNHCR erachtet bei einer Absenz ausreichender Unterstützung durch die Kern- oder erweiterte Familie bei gleichzeitigem Clanschutz eine IFA in Mogadischu für folgende Personengruppen nicht als gegeben:
* Unbegleitete Minderjährige oder Jugendliche mit dem Risiko einer Zwangsrekrutierung und anderer schwerer Verstöße;
* Junge Männer mit dem Risiko, als Sympathisanten der al Shabaab erachtet und dementsprechend durch Sicherheitskräfte der Regierung drangsaliert zu werden;
* Ältere Menschen;
* Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen;
* Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans.
Angehörige der Diaspora können ungehindert nach Mogadischu zurückkehren und tun dies auch. Es gibt diesbezüglich keine Diskriminierung. Die Rückkehrer aus der Diaspora verfügen meist über ausreichend Ressourcen. UNHCR ergänzt, dass aber einige dieser "Rückkehrer" Somalia auch schon wieder verlassen haben.
Auch aus den direkten Nachbarländern kehren Flüchtlinge nach Somalia zurück. Ähnliche Bewegungen gibt es innerhalb des Landes, wo IDPs in ihre Heimat zurückkehren.
Quellen im Bericht von DIS/Landinfo erklären, dass eine Person, die nach Mogadischu zurückkehrt, auf Kontaktpersonen oder Familienverbindungen bzw. ein Netz in Mogadischu angewiesen ist. Quellen im Bericht von DIS/Landinfo erklären, dass eine Person, die nach Mogadischu zurückkehrt, auf Kontaktpersonen oder Familienverbindungen angewiesen ist. UNHCR erläutert, dass jeder Rückkehrer auf ein Netzwerk angewiesen ist, um in der Stadt überleben zu können. Dies betrifft jedenfalls unbegleitete Minderjährige oder Jugendliche mit dem Risiko einer Zwangsrekrutierung und anderer schwerer Verstöße; junge Männer mit dem Risiko, als Sympathisanten der al Shabaab erachtet und dementsprechend durch Sicherheitskräfte der Regierung drangsaliert zu werden; ältere Menschen; Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen; alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans.
UNHCR erklärt weiter, dass Neuankömmlinge in der Stadt, die weder über Clan- noch über Familienbeziehungen verfügen, schnell in das Visier der Sicherheitskräfte kommen können.
Der UNHCR stellt fest, dass die Rückkehrer in ein städtisches Gebiet, sofern kein vordefinierter Zugang zu Unterkunft oder Broterwerb vorliegt, und wo die Person über keine ausreichenden Unterstützungsnetzwerke verfügt, sich diese Person in jener Situation wiederfinden wird, in der sich die IDPs befinden. Daher muss die bereits vorhandene Anzahl an IDPs (in Mogadischu 336.000-360.000) und deren Situation berücksichtigt werden, wenn eine Rückführung nach Mogadischu angedacht wird. Es mangelt bereits jetzt an grundlegenden Ressourcen (u.a. Land und Trinkwasser). Der UNHCR berichtet hinsichtlich der IDPs in Mogadischu von:
körperlicher Gewalt; Einschränkung der Bewegungsfreiheit;
Einschränkung des Zugangs zu Nahrung und Unterkunft;
Diskriminierung. Zusätzlich leiden die IDPs gemäß UN-Generalsekretär und UNHCR unter unvorbereiteten Delogierungen und damit einhergehend oftmals Entzug der Lebensgrundlage. Unter den Zwangsdelogierten befinden sich laut UN-Generalsekretär auch Waisenkinder, alleinerziehende Mütter, und Behinderte.
Mehrere Quellen bei DIS/Landinfo teilen die Ansicht, wonach die IDPs in Mogadischu eine gefährdete Gruppe sind.
Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind in Mogadischu laut UNHCR weit verbreitet. Folglich können viele Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken.
Laut UN-Generalsekretär bleiben die humanitären Bedürfnisse trotz einiger Verbesserungen enorm, das Erreichte fragil. Die Zahl der Personen in Krisen- oder Notsituation sank ca. 870.000. Weitere 2,3 Millionen Menschen ringen damit, auch nur minimale Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Unterernährungsraten bleiben hoch: 206.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt.
Humanitäre Kräfte helfen den Familien, ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Broterwerb, auf der Vieh- und Landwirtschaft. Die FAO, UNICEF und das WFP haben Infrastruktur wieder hergestellt (z.B. Bewässerungssysteme). In den ersten neun Monaten des Jahres 2013 profitierten 35.000 Haushalte von einem Geld-für-Arbeit-Programm. Im Berichtszeitraum half das WFP ca. 853.000 Menschen pro Monat [u.a. mit Nahrungsmittelhilfe].
Mehrere Quellen im Bericht von DIS/Landinfo gehen davon aus, dass Clanschutz in Mogadischu nicht mehr von hoher Relevanz ist. Vor allem aber die IDP-Frauen von Minderheiten leiden unter sexueller Gewalt und Vergewaltigung [Anm.: Anzunehmen ist, dass alle in Mogadischu nicht stark vertretenen Clans als - lokale - Minderheiten zu erachten sind]. Die sexuelle Gewalt grassiert selbst in von der Regierung geführten IDP-Lagern.
Andere Quellen im gleichen Bericht widersprechen und erklären, dass der Clanschutz immer noch eine gewichtige Rolle spielt. Auch der UNHCR geht davon aus, dass gerade hinsichtlich des Schutzes einer Person der Clan in Mogadischu nach wie vor von großer Relevanz ist.