TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/6 98/01/0602

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Veröffentlicht am 06.07.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §4 Abs1;
AsylG 1997 §4 Abs2;
AsylG 1997 §4 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des F S in W, geboren am 29. Mai 1974, vertreten durch DDDr. Franz Langmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/12a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. November 1998, Zl. 205.649/0-IX/25/98, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, stellte am 21. September 1998 beim Bundesasylamt einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 30. September 1998 gemäß § 4 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 21. September 1998 von Ungarn kommend "illegal" in das Bundesgebiet eingereist. Ungarn habe am 14. März 1989 die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und am 5. November 1992 die MRK ratifiziert und eine Erklärung nach Art. 25 MRK abgegeben. In Ungarn bestehe gesetzlich ein Asylverfahren nach den Grundsätzen der GFK, das den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK übernommen habe. Eine Refoulement-Prüfung im Sinne des Art. 33 GFK sei "innerstaatlich" verankert. Ungarn habe im Dezember 1997 ein neues Asylgesetz Nr. CXXXIX/1997 beschlossen, das seit 1. März 1998 in Kraft sei. Die einschlägigen Fragen des Flüchtlingsrechts erführen dadurch eine einheitliche und umfassende Regelung. In diesem Gesetz sei keine Frist, die eine Asylantragstellung zeitlich einschränke, vorgesehen. Demzufolge stehe einem Asylwerber nach seiner Wiedereinreise nach Ungarn ein Asylverfahren offen. Des Weiteren seien Asylwerber während des Verfahrens in Ungarn "zum Aufenthalt berechtigt (vgl. Art. 14 bis 16 des oa. Gesetzes)". Schließlich sehe das erwähnte Gesetz den Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat vor, "falls dort eine Bedrohung im Sinne der §§ 57 Abs. 1 oder Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) gegeben wäre (vgl. insbesondere Art. 61 Abs. 1 und Art. 61 Abs. 6 leg. cit.)". Gemäß Art. 332 Abs. 3 des (ungarischen) Gesetzes über Zivilverfahren bestehe im Falle einer negativen Entscheidung der Asylbehörde und der anschließenden Anrufung des Gerichts die Möglichkeit, bei diesem Gericht einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (gemeint: der Klage) zu stellen. Es gebe zwar weder aufgrund der GFK noch aufgrund der MRK die Notwendigkeit eines Instanzenzuges bzw. einer nachprüfenden Kontrolle erstinstanzlicher Entscheidungen und daraus folgend auch nicht die Notwendigkeit der Erteilung einer aufschiebenden Wirkung, doch "wurde diese laut UNHCR immer zuerkannt". Im Übrigen sei anzumerken, dass die Neufassung der asylrechtlichen Bestimmungen unter Einbindung des Büros des UNHCR erfolgte. Des Weiteren existiere zwischen Österreich und Ungarn ein Schubabkommen.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, entgegen der Auffassung der Behörde erster Instanz sei Ungarn kein sicheres Drittland. Tatsächlich würden zahlreiche der von Österreich nach Ungarn abgeschobenen Kosovo-Albaner vom ungarischen Staat an Jugoslawien ausgeliefert. In der ersten Jahreshälfte 1998 z. B. wären dies fünf (im Berufungschriftsatz namentlich genannte) Personen gewesen, die sämtlich am 21. April 1998 abgeschoben worden seien. Auch am 9. Juni 1998 sei ein Kosovo-Albaner (namentlich genannt) von Ungarn nach Jugoslawien abgeschoben worden, dies trotz der schon damals unzumutbaren Verhältnisse für Kosovo-Albaner in Jugoslawien.

Am 28. Oktober 1998 wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers vom unabhängigen Bundesasylsenat ein Aktenvermerk vom 22. Oktober 1998 (angelegt nach telefonischer Rückfrage beim UNHCR-Büro Wien) zum angekündigten Positionspapier "Drittstaatssicherheit Ungarn" zur Kenntnisnahme übermittelt. Diesem Aktenvermerk zufolge habe eine Mitarbeiterin des UNHCR-Büros Wien am 22. Oktober 1998 mitgeteilt, dass nicht absehbar sei, wann das für Oktober 1998 versprochene Positionspapier des UNHCR zu Ungarn fertig gestellt bzw. verfügbar sein werde. Auch zu den seit 5. Oktober 1998 an den UNHCR Wien gerichteten Anfragen bezüglich einzelner namentlich genannter Personen, die angeblich von Ungarn aus trotz laufender Asylverfahren abgeschoben worden sein sollen, habe bis jetzt weder vom UNHCR Wien noch vom UNHCR Budapest eine Bestätigung gegeben werden können, es gebe dazu in absehbarer Zeit wohl auch keine neuen Informationen. Der Bescheid werde daher auf der Grundlage des bisher vorliegenden Informationsmaterials ergehen.

Mit Schreiben vom 2. November 1998 teilte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers dem unabhängigen Bundesasylsenat mit, er sei bereits früher für einen Mandanten tätig geworden, den er inzwischen nicht wieder kontaktieren könne, sodass er wegen Verschwiegenheit nicht in der Lage sei, den Namen zu nennen. Ein Angehöriger dieses Mandanten sei nach Ungarn abgeschoben und dort in Györ angehalten worden. Der damalige Mandant habe seinen Angehörigen in diesem Lager besucht und ihn über Ersuchen des Rechtsvertreters nach Namen von Personen befragt, die in letzter Zeit - was ja gerüchteweise bekannt gewesen sei - als ethnische Kosovo-Albaner nach Jugoslawien abgeschoben worden seien. Nach einigen Tagen sei der Mandant wieder in die Kanzlei des Rechtsvertreters gekommen und habe ihm eine Liste der von ihm schon früher vorgebrachten Namen übermittelt. Die genannten Personen - identisch mit den bereits in der Berufung genannten Personen - seien sämtlich am 21. April 1998 abgeschoben worden.

Am 3. November 1998 teilte der unabhängige Bundesasylsenat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit, er übermittle als neuestes Ermittlungsergebnis die Telefax-Stellungnahme des UNHCR vom 30. Oktober 1998, aus der zu entnehmen sei, dass keine der in der Berufung angeführten Personen den ungarischen Behörden bekannt sei. Für eine allfällige Stellungnahme werde eine zweitägige Frist eingeräumt. Beigeschlossen war eine Kopie einer Telefax-Mitteilung des Regionalbüros des UNHCR in Wien vom 30. Oktober 1998, derzufolge der UNHCR mitteilt, dass keine der in der Berufung angeführten Personen den ungarischen Behörden bekannt sei, wobei von den Kollegen des UNHCR in Budapest sowohl beim ungarischen Asylamt als auch bei den Grenzbehörden und bei den zuständigen Fremdenbehörden angefragt worden sei.

Eine weitere Stellungnahme des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers unterblieb nach der Aktenlage.

Der unabhängige Bundesasylsenat wies die Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 10. November 1998 gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ab. In der Begründung führte der unabhängige Bundesasylsenat aus, er schließe sich den zutreffenden Feststellungen der Erstbehörde hinsichtlich der Person des Asylwerbers, "der Einreise über Ungarn und den Feststellungen über die rechtliche Situation in Ungarn" an und mache diese Feststellungen zu seinen eigenen. Ergänzend werde festgestellt, dass eine von der Gesetzeslage abweichende Vollzugspraxis durch die ungarischen Behörde nicht bestehe und der Berufungswerber in Ungarn keiner wie immer auch gearteten Verfolgung ausgesetzt sei. Die ergänzenden Feststellungen stützten sich auf die einschlägigen ungarischen Bestimmungen, den Aktenvermerk vom 22. Oktober 1998 sowie das Schreiben des UNHCR-Regionalbüros Wien vom 30. Oktober 1998.

§ 4 Abs. 3 AsylG definiere die für die Regelvermutung notwendigen Voraussetzungen. Lägen diese spezifischen Voraussetzungen vor, sei sohin die rechtliche Bindung des Drittstaates im Sinne des § 4 Abs. 3 AsylG eindeutig, so sei von der Vermutung auszugehen, dass der bezeichnete Drittstaat den Schutzumfang, den er aufgrund seiner Rechtsordnung zu gewähren verpflichtet ist, auch tatsächlich gewähre. Ohne konkrete und spezifische Behauptungen des Betroffenen, dennoch einer unmittelbaren Gefahr im Drittstaat ausgesetzt zu sein, oder ein bestehendes Amtswissen der zur Entscheidung berufenen Behörde, sei daher von gegebenem Schutz im Drittstaat ohne weitere Ermittlungstätigkeit über eine allfällige Effektuierbarkeit des eingeräumten Schutzes auszugehen.

Im gegenständlichen Fall habe der Berufungswerber bei seiner niederschriftlichen Befragung nach Vorhalt des Schutzumfanges und der pro futuro gegebenen Möglichkeit der Asylantragstellung in Ungarn keine ihn persönlich betreffenden und aktuellen Gefährdungsbehauptungen aufgestellt. Seine Ausführungen seien nicht als geeignet anzusehen, die Regelvermutung des § 4 Abs. 3 AsylG zu erschüttern, es sei daher keine Notwendigkeit für die Behörde erster Instanz gegeben gewesen, eine weitere Ermittlungstätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 AsylG durchzuführen. In der Berufung selbst sei auf eine nicht der ungarischen Rechtslage entsprechende Vollzugspraxis hingewiesen worden, wobei auf namentlich genannte Einzelpersonen verwiesen worden sei. Seitens der erkennenden Behörde sei dieser Hinweis als Anhaltspunkt für eine weitere Ermittlungspflicht gewertet und dem Berufungswerber mitgeteilt worden, dass mit der Entscheidungsfindung bis zum Vorliegen eines aktuellen Positionspapiers des UNHCR betreffend die Drittstaatssicherheit in Ungarn, welches bis Ende Oktober vorliegen sollte, zugewartet werde. Nach Mitteilung des UNHCR-Büros Wien vom 22. Oktober 1998, wonach die zeitliche Fertigstellung des angekündigten Positionspapieres nicht absehbar sei und weder vom UNHCR-Büro Wien noch vom UNHCR-Büro Budapest irgendwelche Einzelfälle betreffend die Vollzugspraxis der ungarischen Behörden verifiziert hätten werden können und dazu in absehbarer Zeit auch keine neuen Informationen zu erwarten seien, sei dem Berufungswerber mitgeteilt worden, dass der Bescheid auf Grundlage des bisher vorliegenden Informationsmaterials ergehen werde. Mit 30. Oktober 1998 sei seitens des UNHCR-Büros Wien aufgrund einer bereits laufenden Anfrage - die in der gegenständlichen Berufung angeführten Personen seien bereits mehrfach in Berufungen zitiert worden - dem unabhängigen Bundesasylsenat mitgeteilt worden, dass die genannten Personen den ungarischen Behörden nicht bekannt seien, wobei sowohl beim ungarischen Asylamt als auch bei den Grenzbehörden als auch bei den zuständigen Fremdenbehörden angefragt worden sei. Von diesem aktuellen Schreiben sei der Berufungswerber mit der Möglichkeit einer Stellungnahme hiezu in Kenntnis gesetzt worden.

Aus den vorliegenden und dem Berufungswerber zur Kenntnis gebrachten aktuellen Informationen des UNHCR zur Vollzugspraxis in Ungarn, wonach "keine Verifizierung von Personen, die angeblich von Ungarn aus, trotz laufender Asylverfahren, abgeschoben worden seien sollen und die auch namentlich den ungarischen Behörden bekannt seien", ziehe der unabhängige Bundesasylsenat den Schluss, dass die Vollzugspraxis gesetzeskonform sei. Der UNHCR habe bei der Gesetzwerdung des nunmehr geltenden ungarischen Asylgesetzes mitgewirkt und sei auch durch ein Regionalbüro in Budapest ständig präsent. Es sei zweifellos davon auszugehen, dass eine nicht entsprechende Vollzugspraxis - insbesondere eine ungeprüfte Abschiebung seitens ungarischer Behörden in den Herkunftsstaat des jeweils Betroffenen - diesem Büro sofort zur Kenntnis gelangen würde und damit auch eine entsprechende Dokumentation sofort verfügbar wäre. Fehlleistungen in der Vollziehung von Gesetzen könnten zweifellos für keinen Staat ausgeschlossen werden, doch ergäben sich aufgrund des vorliegenden Informationsmaterials für die erkennende Behörde keinerlei Hinweise dahingehend, dass von einer allgemeinen, die Gesetzes- und Rechtslage negierenden Vollzugspraxis der ungarischen Behörden ausgegangen werden müsse. Die vom Berufungswerber vorgelegten Schreiben, insbesondere der Bericht des Rechtsvertreters des Berufungswerbers, sei im Hinblick auf das vorliegende aktuelle Informationsmaterial nicht geeignet, die Drittstaatssicherheit von Ungarn in Frage zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Gegen die Beurteilung der belangten Behörde, Ungarn sei ein sicheres Drittland, sei ins Treffen zu führen, dass in Ungarn Kosovo-Albanern nicht in dem Sinne Asyl geboten werde, dass sie sich dort frei bewegen könnten. Sie würden in Lagern - hauptsächlich dem Lager in Györ - interniert. Zusätzlich seien die Zustände in diesem Lager dem menschenrechtlichen Standard nicht entsprechend. Dies sei als häufiger Gegenstand von Reportagen gerichtsbekannt. Zum Beweis werde ein Ausschnitt aus der Frankfurter Rundschau vom 10. November 1998 vorgelegt. Der Beschwerdeführer sei der Auffassung, dass Ungarn deshalb kein sicheres Drittland sei, weil die dort angehaltenen Kosovo-Albaner mit massiven Menschenrechtsverletzungen rechnen müssten. Diese bestünden erstens schon darin, dass sie überhaupt gegen ihren Willen angehalten würden, und zwar im Lager, des Weiteren darin, dass die Haftbedingungen in diesem Lager den menschenrechtlichen Standards nicht entsprächen. Dies ergebe sich auch aus einer Pressemitteilung des UNHCR vom 24. Juli 1998.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die hier maßgebliche Bestimmung des § 4 AsylG lautete (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999) auszugsweise:

"Unzulässige Asylanträge wegen Drittstaatssicherheit

§ 4. (1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn der oder die Fremde in einem Staat, mit dem kein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages besteht, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).

(2) Schutz im sicheren Drittstaat besteht für Fremde, wenn ihnen in einem Staat, in dem sie nicht gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sind, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen steht, sie während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt sind und wenn sie dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat - auch im Wege über andere Staaten - haben, sofern sie in diesem gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sind.

(3) Die Voraussetzungen des Abs. 2 sind in einem Staat regelmäßig dann gegeben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren entsprechend den Grundsätzen dieser Konvention eingerichtet sowie die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, ratifiziert und eine Erklärung nach Art. 25 dieser Konvention abgegeben hat.

(4) ...

(5) Können Fremde, deren Asylantrag nach Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, nicht in einen sicheren Drittstaat zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden, so tritt der Bescheid, mit dem der Asylantrag zurückgewiesen wurde, mit dem Zeitpunkt des Einlangens der Mitteilung nach § 57 Abs. 7 FrG außer Kraft. Mit diesem Zeitpunkt beginnt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG von neuem zu laufen; ein anhängiges Berufungsverfahren ist als gegenstandslos einzustellen."

1. Nach der auf dem hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, aufbauenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die Asylbehörde zunächst die Rechtslage im potentiellen Drittstaat - das kann nur ein solcher sein, in den der Fremde freiwillig einreisen oder notfalls zwangsweise, etwa auf Grund eines Schubabkommens, verbracht werden kann - zu ermitteln, und zwar bezogen auf die individuelle Situation des konkreten Asylwerbers. Ergibt die Prüfung, dass die Rechtslage des in Aussicht genommen Zielstaates diesem Asylwerber Schutz im Sinn des § 4 Abs. 2 AsylG bietet (womit im Regelfall gewährleistet ist, dass dort ein Asylverfahren entsprechend den Grundsätzen der GFK eingerichtet ist) und liegen die weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 leg. cit. vor, so gilt grundsätzlich die Annahme, dass diese Rechtslage auch umgesetzt wird, sodass es insoweit keiner weiteren Ermittlung bedarf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde Ungarn als sicheren Drittstaat qualifiziert, in dem der Beschwerdeführer Schutz vor Verfolgung finden könne. Unbestritten gelangte der Beschwerdeführer über Ungarn nach Österreich.

Der Verwaltungsgerichtshof findet - auch mangels eines dahin zielenden Beschwerdevorbringens - keine Anhaltspunkte dafür, dass die belangte Behörde in ihrer oben wiedergegebenen Bescheidbegründung - durch Verweis auf die Feststellungen der Behörde erster Instanz - die ungarische Rechtslage in der Frage, ob Asylwerbern ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings offen steht, unrichtig beurteilt hätte. Was die Aufenthaltsberechtigung während des Asylverfahrens anlangt, so hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem bereits erwähnten Erkenntnis vom 11. November 1998 sowie in seiner daran anknüpfenden Judikatur (vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0364, und vom 24. März 1999, Zl. 98/01/0313) zwar klargestellt, dass die Asylbehörde festzustellen hat, ob ein Asylwerber während des - gesamten - Asylverfahrens im potentiellen Drittstaat "zum Aufenthalt berechtigt" ist und in dem dem hg. Erkenntnis vom 11. November 1998 zu Grunde liegenden Beschwerdefall den angefochtenen Bescheid u.a. mit der Begründung aufgehoben, dass aus der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht hervorgehe, ob der Asylwerber in Ungarn nur während des asylbehördlichen Verfahrens oder auch während des daran anschließenden Überprüfungsverfahrens durch ein Gericht zum Aufenthalt in Ungarn berechtigt ist. Er hat allerdings im genannten Erkenntnis zum Ausdruck gebracht, dass von einem "Aufenthaltsrecht" auch dann gesprochen werden kann, wenn das vorläufige Bleiberecht eines Asylwerbers zwar zunächst nur für die Dauer des asylbehördlichen Verfahrens vorgesehen sei, vom gegen eine abweisende asylbehördliche Entscheidung angerufenen Gericht aber die aufschiebende Wirkung einer Klage zuerkannt werden könne und in der Praxis der ungarischen Behörden von dieser Möglichkeit in der Regel so Gebrauch gemacht werde, "dass von einem (praktisch ausnahmslos) zuerkannten Recht auf Aufenthalt auch während des Rechtsmittelverfahrens ausgegangen werden kann". In weiterer Folge wurden, an diesen Gedanken anknüpfend, Bescheide der belangten Behörde auch dann aufgehoben, wenn die Möglichkeit der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung zwar erwähnt, die diesbezügliche Gerichtspraxis aber nicht festgestellt worden war (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0400).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid insofern gerecht, als er - zulässigerweise - die Feststellungen der Behörde erster Instanz zur Rechtslage in Ungarn übernimmt und zu eigenen Feststellungen erklärt, wobei die Behörde erster Instanz - worauf es hier ankommt - ausdrücklich auf die Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts gegen die abweisende Asylentscheidung der Verwaltungsbehörde hinweist und explizit zum Ausdruck bringt, dass der Klage beim Gericht laut einer Mitteilung des UNHCR immer aufschiebende Wirkung zuerkannt werde. Diese Feststellung hat der Beschwerdeführer im gesamten Verwaltungsverfahren nicht bestritten.

Auch die von der belangten Behörde durch Übernahme der erstbehördlichen getroffenen Feststellungen zur Verankerung einer umfassenden Refoulement-Prüfung in der ungarischen Rechtslage werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

Die belangte Behörde hat weiters - ebenfalls unbestritten - festgestellt, dass Ungarn die GFK und die MRK ratifiziert und eine Erklärung nach Art. 25 MRK abgegeben hat. Die belangte Behörde hat darüber hinaus im angefochtenen Bescheid ergänzend festgestellt, dass eine von der Gesetzeslage abweichende Vollzugspraxis durch die ungarischen Behörden nicht bestehe und der Beschwerdeführer in Ungarn keiner wie immer auch gearteten Verfolgung ausgesetzt sei. Sie hat sich bei dieser Beurteilung insbesondere darauf gestützt, dass die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung erwähnten Fälle von Abschiebungen von Kosovo-Albanern durch ungarische Behörden nach Jugoslawien vom UNHCR nicht hätten bestätigt werden können, nachdem dieser die in Frage kommenden ungarischen Behörden befragt hätte.

2. Der Beschwerdeführer bringt (auch) in der Beschwerde nichts vor, was Zweifel daran wecken könnte, dass die ungarische Rechtslage Schutz um Sinne des § 4 Abs. 2 AsylG biete. Er kommt ferner auf die im Verwaltungsverfahren erwähnten Fälle von Abschiebungen von Kosovo-Albanern durch ungarische Behörden nach Jugoslawien nur mehr insoweit zurück, als er rügt, dass die von ihm - ausschließlich in diesem Zusammenhang - beantragte Anfrage an die Polizeibehörde in Györ nicht durchgeführt worden sei. Das Unterbleiben dieser Anfrage kann freilich schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel darstellen, weil selbst bei Zutreffen seiner Angaben über behauptete Fälle von Abschiebungen nach Jugoslawien - wobei der Beschwerdeführer nicht vorbrachte, dass trotz laufender Asylverfahren abgeschoben worden wäre - daraus nicht ohne weiteres - bezogen auf die ungarische Rechtslage - auf eine rechtswidrige Vollzugspraxis der ungarischen Behörden geschlossen werden kann.

Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, dass Kosovo-Albanern in Ungarn nicht in dem Sinne Asyl geboten werde, dass sie sich dort frei bewegen könnten, dass sie in Lagern - hauptsächlich dem Lager in Györ - interniert würden und dass die Zustände bzw. die "Haftbedingungen" in diesem Lager den "menschenrechtlichen Standards" nicht entsprechend seien. Dies sei als häufiger Gegenstand von Reportagen gerichtsbekannt. Als Beweis dazu bietet er einen Ausschnitt aus der Frankfurter Rundschau vom 10. November 1998 an.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits mehrfach erwähnten Erkenntnis vom 11. November 1998 ausgeführt hat, darf im Zusammenhang mit der Effektivitätsvermutung ("Regelvermutung") des § 4 Abs. 2 AsylG nicht außer Acht gelassen werden, dass der Gesetzgeber im 6. Abschnitt des AsylG mit dem Bundesasylamt und dem unabhängigen Bundesasylsenat Spezialbehörden vorgesehen hat, deren ausschließliche Aufgabe in der Vollziehung des AsylG besteht. Es ist daher vorauszusetzen, dass die Asylbehörden laufend zumindest Vorkehrungen dafür treffen, dass ihnen einschlägige Informationen (etwa periodische Berichte österreichischer Vertretungsbehörden in angemessenen Abständen) unverzüglich zukommen, die ihnen eine Beurteilung auch der faktischen Situation - vor allem in Staaten, die regelmäßig als "sichere Drittstaaten" in Frage kommen bzw. in Erwägung gezogen werden - erlauben. Amtswissen, welches auf Grund der solcherart eröffneten Informationskanäle bei den Asylbehörden entsteht, vermag die "Regelvermutung" zu erschüttern oder gar zu widerlegen. Weitere Ermittlungen sind nur dann entbehrlich, wenn nicht begründete Zweifel an der Umsetzung einer grundsätzlich als "sicher" erkannten Rechtslage auftauchen, die das gesetzliche Wahrscheinlichkeitskalkül erschüttern. Solche Zweifel müssten etwa schon dann angenommen werden, wenn der Asylwerber substanziierte Behauptungen zu relevanten Rechtsverletzungen betreffend Personen in seiner Situation aufstellt oder wenn Berichte namhafter Organisationen auf dem Gebiet des Flüchtlingswesens vorliegen, die die Effektivität der ausländischen Rechtslage (für den betreffenden Asylwerber) in Frage stellen (vgl. das ebenfalls bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175). Es obliegt dann den Asylbehörden, ergänzende Ermittlungen zur faktischen Situation im Drittstaat einzuleiten, auf Grund derer schließlich die Prognoseentscheidung nach § 4 Abs. 1 AsylG zu treffen ist.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dazu getroffen, wie die ungarischen Behörden mit Asylwerbern verfahren, deren Asylantrag von Österreich zurückgewiesen wird, ob diese (z.B. in Lagern) angehalten und wie sie bei einer allfälligen Anhaltung behandelt werden. Sie hat insbesondere nicht ausgeführt, weshalb es ihrer Ansicht nach keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass solche zurückgewiesenen Asylwerber in Ungarn gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht seien. Sie hat sich in diesem Punkt erkennbar auf die erwähnte "Regelvermutung" gestützt.

Der Beschwerdeführer hat zwar im gesamten Verwaltungsverfahren kein Vorbringen dahingehend erstattet, dass Asylwerber in Ungarn unmenschlicher Behandlung ausgesetzt seien, sein nunmehriges Beschwerdevorbringen zur Behandlung von Asylwerbern in Ungarn unterliegt dennoch insoweit nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot, als es darauf abzielt, einen der belangten Behörde behauptetermaßen unterlaufenen Verfahrensmangel, nämlich entgegen (ebenfalls behauptetem) Amtswissen bzw. entgegen der oben dargelegten Sorgfaltspflicht, sich über die Geschehnisse im potentiellen Drittstaat ausreichend informiert zu halten, jegliche Auseinandersetzung mit der Praxis der ungarischen Behörden bei der Behandlung von Asylwerbern unterlassen zu haben, aufzuzeigen.

Das Beschwerdevorbringen ist allerdings nicht geeignet darzulegen, dass der belangten Behörde in dem in Rede stehenden Punkt ein Verfahrensfehler unterlaufen ist.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der belangten Behörde die Nichtberücksichtigung oder -verwertung des genannten Zeitungsberichtes vom 10. November 1998 nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, stammt doch der angefochtene Bescheid vom selben Tag. Darüberhinaus könnte aber der belangten Behörde auch nicht angelastet werden, einen Bericht einer in Österreich relativ wenig verbreiteten - in der Bundesrepublik Deutschland erscheinenden - Zeitung nicht berücksichtigt zu haben, weil die Pflicht der Asylbehörden, sich ausreichenden Zugang zu Informationsmaterial über die Vollzugspraxis von potentiellen Drittstaaten zu sichern, nicht so weit reicht, sämtliche, auch weniger verbreitete ausländische Zeitungen evident zu halten. Dass die behaupteten menschenrechtswidrigen "Zustände" in ungarischen Lagern der belangten Behörde hätten bekannt sein müssen, kann mit dem wiedergegebenen Beweisanbot somit nicht dargetan werden.

Soweit aber Unterlagen genannt werden, deren Kenntnis im Sinne des oben Gesagten allenfalls bei der belangten Behörde vorausgesetzt werden muss (UNHCR-Bericht vom 24. Juli 1998, Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde in einem Parallelfall), ist das darauf Bezug nehmende, inhaltliche Vorbringen des Beschwerdeführers nicht sachverhaltsbezogen gehalten. Es enthält zwar die (vorweggenommene) rechtliche Wertung, die Anhaltung von Asylwerbern in ungarischen Lagern (insbesondere in Györ) und die "Zustände" im Lager Györ entsprächen nicht den "menschenrechtlichen Standards", auf Grund welcher faktischer Umstände der Beschwerdeführer zu dieser Einschätzung gelangt, bringt er hingegen nicht vor. Weder behauptet er konkret der ungarischen Rechtslage widersprechende Freiheitsentziehungen für Asylwerber (die auch ihm selbst drohen könnten), noch gibt er an, welcher Personenkreis von den behaupteten Anhaltungen (und für welchen Zeitraum) betroffen sein soll. Insbesondere das - offenbar zentrale - Beschwerdevorbringen zu den so bezeichneten "Zuständen" im Lager Györ enthält keinerlei sachverhaltsbezogene Angaben derart, dass - die Richtigkeit solcher Angaben vorausgesetzt - in rechtlicher Hinsicht gefolgert werden müsste, es bestünden stichhältige Gründe dafür, dass Asylwerbern (und damit auch dem Beschwerdeführer) in Ungarn unmenschliche Behandlung (unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe können im vorliegenden Zusammenhang ausgeklammert bleiben) droht. Soweit der Beschwerdeführer als Beweis für die Richtigkeit seiner Ausführungen den Autor des erwähnten Artikels der Frankfurter Rundschau anbietet, ist ihm zu entgegnen, dass er nicht vorbringt, welche auf der Tatsachenebene liegende Angaben von diesem Autor zu erwarten wären. Auch der Hinweis auf die Pressemitteilung des UNHCR vom 24. Juli 1998 kann nicht als ausreichend konkretisiertes Sachverhaltsvorbringen gewertet werden, weil in dieser Mitteilung zwar von einigen Mängeln im (ungarischen) Asylgesetz sowie von einer Überbelegung und den schlechten hygienischen Verhältnissen im "Aufnahmezentrum Györ", die "in den vergangenen Wochen von Flüchtlingsorganisation (richtig: -en) und Medien wiederholt kritisiert worden" seien, die Rede ist, aber ebenfalls keine konkreten Angaben über tatsächliche Vorgangsweisen der ungarischen Behörden gemacht werden, aus denen sich Rückschlüsse auf eine unmenschliche Behandlung (im Sinne des Art. 3 MRK) ziehen ließen.

Das Beschwerdevorbringen zeigt daher weder in seinen Einzelheiten noch bei Zusammenschau auf, dass die belangte Behörde zu verwertendes Wissen über die Behandlung von Asylwerbern in Ungarn außer Acht gelassen und trotz Erschütterung der "Regelvermutung" auf weitere Ermittlungen zur faktischen Umsetzung der ungarischen Rechtslage verzichtet hätte.

Treffen aber die im angefochtenen Bescheid enthaltenen - und nach dem bisher Ausgeführten mängelfreien - Feststellungen zur Rechtslage in Ungarn sowie zur Vollzugspraxis der ungarischen Behörden zu, so kann die rechtliche Schlussfolgerung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könne in Ungarn Schutz vor Verfolgung finden, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Juli 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998010602.X00

Im RIS seit

21.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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