Entscheidungsdatum
04.12.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W258 2188406-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch MMag. Astrid Zörer, Rechtsanwältin in 4650 Lambach, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Zahl XXXX 151895661/BMI-BFA_SBG_AST_01, wegen ua Nichtgewährung von internationalem Schutz den Beschluss:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid
aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Der männliche Beschwerdeführer (in Folge als "BF" bezeichnet) stellte am 29.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, wurde dazu am 30.11.2015 von der Landespolizeidirektion Wien einvernommen.
Am 15.12.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg (in Folge auch kurz als "belangte Behörde" bezeichnet) unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin, Frau XXXX , einvernommen. Als Fluchtgrund gab er unter anderem an, er sei in Afghanistan zur Ehe mit seiner psychisch kranken Cousine gezwungen worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.01.2018 wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei. Die belangte Behörde argumentierte ua sinngemäß, das Vorbringen, der BF sei auf Grund der Zwangsheirat gefährdet, sei nicht glaubhaft.
Der Bescheid wurde am 29.01.2018 übernommen. Der BF brachte gegen den Bescheid am 26.02.2018 bei der belangten Behörde Beschwerde ein, in der er unter anderem die Verletzung von Verfahrensvorschriften im behördlichen Verfahrens geltend gemacht hat.
Beweise wurden aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und fernmündliche Nachfrage bei der belangten Behörde nach dem Geschlecht des an der Einvernahme des BF vor der belangten Behörde beteiligten Dolmetschers.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der zu Punkt I. geschilderte Verfahrensgang steht fest.
Der BF wurde weder über sein Recht belehrt, dass bei seiner Einvernahme ein jeweils männlicher Sachbearbeiter und Dolmetscher beizuziehen ist, sofern er nicht anderes verlangt, noch hat der BF verlangt, seiner Vernehmung vor der belangten Behörde einen weiblichen Dolmetscher beizuziehen.
Die Einvernahme des BF durch die belangte Behörde und sein Vorbringen der Zwangsheirat wurde von der belangten Behörde zur Begründung der mangelnden Glaubhaftigkeit des BF herangezogen (Seiten 242 ff des angefochtenen Bescheides).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt und hinsichtlich des Geschlechts des Dolmetschers auf die fernmündliche Auskunft der belangten Behörde (OZ 7).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen (§ 28 Abs 3 2. Satz VwGVG). Dies aber nur bei krassen Ermittlungsmängeln, nämlich ua dann, wenn die belangte Behörde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder den maßgeblichen Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl jüngst VwGH 31.1.2017, Ra 2016/03/0063).
Der belangten Behörde ist ein solcher krasser Ermittlungsmangel vorzuwerfen, den der BF in seiner - zulässigen - Beschwerde allgemein als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht hat:
Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung [...] auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter [und Dolmetscher] desselben Geschlechts einzuvernehmen, sofern er nichts anderes verlangt (§ 20 Abs 1 1. Satz AsylG 2005; zum Dolmetscher siehe - mit detaillierter Begründung zum zu § 20 AsylG 2005 wortgleichen § 27 Abs 3 letzter Satz AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 76/1997 - VwGH 3.12.2003, 2001/01/0402). Die Furcht vor einem drohenden Eingriff ist dabei ausreichend (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 AsylG 2005 K5). Dem Vorbringen, sich vor Zwangsverheiratung zu fürchten, ist ein drohender Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung jedenfalls inhärent (siehe dazu Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 K7).
Wird ein Asylwerber dennoch von einer Person eines anderen Geschlechts bzw. unter Beiziehung eines Dolmetschers eines anderen Geschlechts einvernommen, [...] wird [das] vielfach als krasser Ermittlungsmangel zu qualifizieren sein, der eine Behebung gemäß § 28 Abs 3 VwGVG rechtfertigt, sofern die beweiswürdigenden Erwägungen wesentlich auf der betreffenden Einvernahme aufbauen [...] (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 AsylG 2005 K3).
Der männliche BF hat mit seinem Vorbringen vor der belangten Behörde, er sei gezwungen worden, seine psychisch kranke Cousine zu heiraten, einen drohenden Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung behauptet. Die Beiziehung eines weiblichen Dolmetschers hat der BF nicht verlangt. Die belangte Behörde hat zur Einvernahme des BF dennoch einen weiblichen Dolmetscher beigezogen und ihre beweiswürdigenden Erwägungen im Wesentlichen auf der betreffenden Einvernahme aufgebaut.
Die derart durchgeführte Einvernahme stellt einen völlig ungeeigneten Ermittlungsschritt dar, weil die wesentliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der BF durch die Beiziehung eines Sachbearbeiters mit anderem Geschlecht Hemmschwellen aufgebaut und seine Erlebnisse über den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung nur zum Teil oder abgeschwächt wiedergegeben hat.
Die durch die belangte Behörde vorgenommene Einvernahme des BF ist daher nicht zum Nachweis der mangelnden Glaubhaftigkeit seines Vorbringens geeignet. Indem die belangte Behörde diese Einvernahme trotzdem zum Nachweis der mangelnden Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF verwendet hat, ist ihr ein krasser Ermittlungsmangel vorzuwerfen, der eine Behebung gemäß § 28 Abs 3 VwGVG rechtfertigt.
Trotz Vorliegens eines krassen Ermittlungsmangels hat das Verwaltungsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs 2 Z 2 VwGVG).
Der maßgebliche Sachverhalt steht nicht fest, weil der im Asylverfahren zentrale Ermittlungsschritt, die Einvernahme des Asylwerbers, mangelhaft war und zur Feststellung des wesentlichen Sachverhaltes nicht herangezogen werden kann. Der maßgebliche Sachverhalt kann daher erst durch die (neuerliche) Einvernahme des BF unter Beiziehung eines jeweils männlichen Sachbearbeiters und Dolmetschers sowie allenfalls durch die Vornahme weiterer, sich aus der neuen Einvernahme ergebenden, Ermittlungsschritte, wie Länderrecherchen, festgestellt werden. Diese faktische Neudurchführung des verwaltungsbehördlichen Verfahrens kann durch die belangte Behörde als (gerichtsnotorisch bekannte) Spezialbehörde rascher und kostengünstiger als durch das erkennende Gericht durchgeführt werden. § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG steht somit einer Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde nicht entgegen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Die belangte Behörde wird im neuen Rechtsgang den BF unter Beiziehung eines jeweils männlichen Sachbearbeiters und Dolmetschers neuerlich zu vernehmen haben.
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, wenn Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur lösenden Rechtsfrage fehlt. Selbst dann liegt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die Rechtsfrage durch die zu früheren Rechtslagen ergangene und auf die aktuelle Rechtslage übertragbare Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bereits geklärt wurde (vgl jüngst VwGH 29.4.2015, Ra 2015/06/0027).
Zwar fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob § 20 Abs 1 1. Satz AsylG 2005 die Behörde verpflichtet, im Falle des behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung, nicht nur einen Organwalter sondern auch einen Dolmetscher mit demselben Geschlecht wie der BF beizuziehen, die hiezu zum § 27 Abs 3 letzter Satz AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 76/1997 ergangene Entscheidung VwGH 3.12.2003, 2001/01/0402 ist aber, aufgrund des identischen Wortlauts der beiden Bestimmungen, auf die aktuelle Rechtslage übertragbar.
Mangels Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Eingriff in sexuelle Selbstbestimmung, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W258.2188406.1.00Zuletzt aktualisiert am
05.02.2019