Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der FI Mock als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. März 2018, AZ D 10/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Dr. Schreiber, des Kammeranwalts Dr. Kaska, und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Der Disziplinarbeschuldigte wird vom gegen ihn erhobenen Vorwurf, er habe im Zusammenhang mit der rechtsfreundlichen Vertretung seines Sohnes im Verwaltungsverfahren GZ VSTV 913600022132/2016 sowohl im Einspruch vom 2. Mai 2016 als auch in der Beschwerde vom 4. Juni 2016 rechtswidrig nicht den Kanzleisitz, sondern lediglich die Sprechstelle in *****, als Zustelladresse und Abgabestelle angegeben, solcherart zu einem behördlichen Missverständnis über die Zustelladresse des Vertreters beigetragen und dadurch §§ 5, 9 Abs 1 und 21 RAO verletzt, gemäß § 3 DSt freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. März 2018, AZ D 10/17, wurde Rechtsanwalt ***** des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.
Danach hat er im Zusammenhang mit der rechtsfreundlichen Vertretung seines Sohnes im Verwaltungsverfahren GZ VSTV 913600022132/2016 sowohl im Einspruch vom 2. Mai 2016 als auch in der Beschwerde vom 4. Juni 2016 rechtswidrig nicht den Kanzleisitz, sondern lediglich die Sprechstelle in *****, als Zustelladresse und Abgabestelle angegeben und solcherart zu einem behördlichen Missverständnis über die Zustelladresse des Vertreters beigetragen.
Über ihn wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Disziplinarstrafe eines schriftlichen Verweises verhängt. Zugleich wurde er zur Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 289 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO iVm § 77 Abs 3 DSt), der im Ergebnis Berechtigung zukommt.
Gemäß § 7a Abs 4 RAO sind sowohl die Kanzlei als auch die Niederlassungen Abgabestellen im Sinne des § 13 Abs 4 ZustG. Nach dieser Bestimmung des Zustellgesetzes ist, sofern der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ist, ein Dokument in deren Kanzlei zuzustellen. Die Behörde hat somit die Kanzlei des berufsmäßigen Parteienvertreters als Abgabestelle anzugeben. Abweichungen von den Bestimmungen zu Zustellgesetze stellen einen Mangel im Verfahren der Zustellung dar, wobei auch § 7a Abs 4 RAO eine Zustellfiktion oder eine von Zustellvorschriften des Zustellgesetzes abweichende Möglichkeit der Zustellung nicht vorsieht (Feil/Wennig, AnwR8 § 7a RAO Rz 4).
Eine rechtsgültige Zustellung außerhalb der Kanzlei oder eine Niederlassung eines berufsmäßigen Parteienvertreters ist somit im Gesetz nicht vorgesehen, sodass das Vorbringen des Disziplinarbeschuldigten, Zustellungen können auch an eine Sprechstelle vorgenommen werden, ins Leere geht. Ebenso können die „technischen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts“ gesetzliche Bestimmungen nicht derogieren. Dabei ist unerheblich, ob bei der Sprechstelle eine vollständige Infrastruktur eingerichtet ist.
Eine Zustellung an der vom ***** in den Schriftsätzen angegebenen Sprechstelle und somit an jener Adresse, die von den beteiligten Behörden den Schriftsätzen entnehmbar war, konnte somit nicht rechtsgültig erfolgen. Da von einer Behörde nicht verlangt werden kann, im Fall des Einschreitens eines berufsmäßigen Parteienvertreters stets nachzuforschen, an welche Adresse ein behördliches Schriftstück zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Zustellvorgangs zu richten ist, muss im Verkehr mit Behörden auf einer Eingabe eines solchen Parteienvertreters jedenfalls eine Adresse angegeben werden, an der rechtsgültig zugestellt werden kann, andernfalls ein als Vertreter gerierender Rechtsanwalt eine sich aus der verfestigten Standesauffassung ergebende Berufspflicht verletzt.
Der Sache nach zutreffend weist die Berufung allerdings auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 DSt hin (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).
Gemäß § 3 DSt ist ein Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und – kumulativ (vgl Feil/Wennig, AnwR8 § 3 DSt, 883) – sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Spezial-
oder generalpräventive Erwägungen sind hingegen kein Kriterium der Anwendung dieser Bestimmung (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 3 DSt Rz 2; RIS-Justiz RS0114103).
Folgen des inkriminierten Fehlverhaltens waren nicht feststellbar.
Die bei der zusätzlich vorzunehmenden Schuldgewichtung anzustellende Prüfung hypothetischer Strafzumessungsgründe hat entsprechend den Grundsätzen der §§ 32 ff StGB zu erfolgen (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 3 DSt Rz 5). Vorliegend kommen ***** mildernd die Unbescholtenheit, die im Tatsächlichen geständige Verantwortung und die überlange Verfahrensdauer zugute. Dem steht kein Erschwerungsumstand gegenüber.
Angesichts des solcherart zum Ausdruck kommenden geringfügigen Verschuldens war nach § 3 DSt mit einem Freispruch vorzugehen.
Textnummer
E123876European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0280DS00006.18Y.0117.000Im RIS seit
05.02.2019Zuletzt aktualisiert am
05.02.2019