Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. Jänner 2019 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Konzett und Mag. Brunar als Anwaltsrichter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 29. November 2017, GZ D 2/16-10, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Kammeranwalts der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer Dr. Müller und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Unterstellung der Tat als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben.
Für das dem Disziplinarbeschuldigten weiterhin zur Last liegende Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung wird unter Bedachtnahme gemäß § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt iVm §§ 31 und 40 StGB auf die Erkenntnisse des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 19. Dezember 2016, AZ D 1/15, D 11/15, D 16/15, und vom 18. Oktober 2017, AZ D 12/15, D 18/15, D 1/16, D 11/16, von der Verhängung einer Zusatzgeldbuße abgesehen.
Im Übrigen wird der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld keine Folge gegeben.
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße in Höhe von 500 Euro verurteilt.
Danach hat er in seiner an die Vorarlberger Rechtsanwaltskammer gerichteten Disziplinaranzeige vom 16. Oktober 2015 Rechtsanwalt ***** vorgeworfen, dieser habe bei der R***** Kopien angefordert und die damit im Zusammenhang stehenden Kopierkosten als seine persönlichen Verbindlichkeiten in Höhe von 225 Euro nicht bezahlt.
Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft das Erkenntnis mit Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO) sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ist – wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt – nicht geeignet, Bedenken gegen die Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu wecken. Sie wendet sich nämlich gegen Konstatierungen, die im Erkenntnis (so) gar nicht getroffen wurden, wie die Annahme, dass „die Kopierkosten nicht Verbindlichkeiten Dris. ***** seien“ und jene, wonach „die Bank überhöhte Kopierkosten verrechnet hätte“.
Im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a und lit b) vermag der Berufungswerber unbeschadet seines weitwendigen, im Ergebnis darauf abzielenden Vorbringens, dass ein Rechtsanwalt jedenfalls Ehre und Ansehen des Standes untergrabe, wenn er Kopien bestelle, diese nach Erhalt aber nicht bezahle und – im Sinn eines Rechtfertigungsgrundes – Rechtsanwälte auf diese Weise Gefahr liefen, künftig keine Kopien mehr zu erhalten, nicht auf Basis des festgestellten Sachverhalts aus dem Gesetz abzuleiten, inwiefern es sich im gegenständlichen Fall nicht um eine § 2 RL-BA 1977 (gleichlautend § 17 RL-BA 2015) zuwiderlaufende leichtfertige Disziplinaranzeige gegen ein Mitglied des eigenen Standes gehandelt hätte.
Nach den wesentlichen Feststellungen des Disziplinarrats hat die R***** dem in der Folge vom Beschuldigten zur Anzeige gebrachten Rechtsanwalt ***** über dessen, im Rahmen der rechtsfreundlichen Vertretung von S***** im Jahr 2014 ergangenes Ersuchen, ihm in Bezug auf eine Liegenschaft Schuld- und Kreditverträge sowie Pfandurkunden in Abschrift zu übermitteln und „Sollstände“ bekannt zu geben, als „Kostenersatz“ für drei Stunden Arbeit 225 Euro in Rechnung gestellt. Eine Bezahlung dieses Betrags erfolgte nicht. Auf die – im Rahmen seiner Vertretung der R***** – vom Beschuldigten an Rechtsanwalt ***** gerichtete schriftliche Anfrage vom 1. Oktober 2015, welches Hindernis der Zahlung des Betrags von 225 Euro entgegenstehe, hat dieser nicht reagiert. Am 16. Oktober 2015 erstattete der Beschuldigte diesbezüglich bei der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer die gegenständliche Disziplinaranzeige (ES 2 f).
Zutreffend ging der Disziplinarrat davon aus, dass zahlreiche Gründe denkbar sind, die gegen die Annahme sprechen, Rechtsanwalt ***** habe entgegen seiner aus § 3 RL-BA 1977 resultierenden Standespflicht eine von ihm (persönlich) übernommene Verbindlichkeit nicht erfüllt, nämlich allen voran dessen deklariertes Auftreten für eine von ihm rechtsfreundlich vertretene Person und die fragwürdige, für den Ersuchenden unter Umständen überraschende Höhe der Forderung (ES 5). Dadurch, dass der Beschuldigte nach den weiteren Feststellungen keine weiteren Nachforschungen anstellte, hat er der gefestigten Standesauffassung, wonach sich ein Rechtsanwalt, ehe er gegen einen Standeskollegen Disziplinaranzeige erstattet, über die dieser Anzeige zugrunde liegenden Umstände genauestens zu informieren hat, und zwar unbeschadet dessen, ob die Anzeige letztlich berechtigt ist oder nicht, nicht entsprochen (vgl RIS-Justiz RS0056079).
Im Übrigen haben Rechtsanwälte zwar gemäß § 3 RL-BA 1977 eine übernommene Verbindlichkeit zu erfüllen und wäre etwa die Nichtzahlung von Kopierkosten für bei Gericht bestellte und erhaltene Fotokopien disziplinär (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 3 RL-BA 1977 Rz 6). Denn gemäß § 7 Abs 1 Z 3 GGG ist „bei“ Kopien derjenige zahlungspflichtig, der diese bestellt oder veranlasst beziehungsweise selbst herstellt. Aus dieser für Gerichtsgebühren geltenden Sonderregelung kann eine das allgemeine Zivilrecht umfassende Verpflichtung, dass Rechtsanwälte jedenfalls die für ihre Mandanten angeforderten Kopien zu zahlen hätten, nicht abgeleitet werden. Dies gilt umso mehr, wenn – wie der Disziplinarrat ausgeführt hat – das Bestehen der Zahlungspflicht an sich oder zumindest der Höhe nach zweifelhaft ist, was der Beschuldigte in der Rechtsmittelschrift im Übrigen zur Frage, ob Rechtsanwalt ***** eine zivilrechtliche Haftung trifft, selbst einräumt.
Da der Beschuldigte durch die solcherart leichtfertige Erstattung einer Disziplinaranzeige gegen einen Standeskollegen in Bezug auf sein Einschreiten für die R***** ein sachlich nicht gerechtfertigtes Druckmittel iSd § 2 RL-BA 1977 angewendet hat (vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 2 RL-BA 1977 Rz 13 ff), hat er eine Verletzung der Berufspflicht iSd § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu verantworten.
Im Recht ist der Beschuldigte allerdings, soweit er sich (nominell Z 9 lit a, der Sache nach aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO) gegen den Schuldspruch wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt wendet.
Grundsätzlich ist ein Verhalten nur dann geeignet, Ehre oder Ansehen des Standes im Sinn der zitierten Bestimmung zu beeinträchtigen, wenn es einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt und diesem die Zugehörigkeit des Betroffenen zum Anwaltsstand bekannt ist oder wird. Je schwerwiegender ein Fehlverhalten ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Größe des Personenkreises (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 12 f; RIS-Justiz RS0055086). Personen, die selbst dem Anwaltsstand angehören und im Rahmen der Selbstverwaltung mit Disziplinarsachen befasst sind, haben in Ansehung des Publizitätserfordernisses bei § 2 RL-BA 1977 zuwiderlaufenden Anzeigen eines Rechtsanwalts gegen ein Standesmitglied aber außer Betracht zu bleiben (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 14).
Da dem Erkenntnis nicht zu entnehmen ist, dass die gegenständliche – vom Beschuldigten bei der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer erstattete – Disziplinaranzeige das Publizitätserfordernis im dargestellten Sinn erfüllt, haftet dem Erkenntnis ein Rechtsfehler (mangels Feststellungen) an. Da solche Feststellungen auch in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind, war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in teilweiser Stattgebung der Berufung in der Unterstellung der Tat auch als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt sowie dem zufolge auch im Strafausspruch aufzuheben.
Im Rahmen der damit erforderlichen Strafneubemessung war zu berücksichtigen, dass mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom heutigen Tag (23 Ds 2/18y) ein Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 18. Oktober 2017, AZ D 12/15, D 18/15, D 1/16, D 11/16, Tz 18, rechtskräftig wurde, das gemäß § 16 Abs 5 DSt iVm §§ 31, 40 StGB auf ein rechtskräftiges Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 19. Dezember 2016, AZ D 1/15, D 11/15, D 16/15 (vgl 23 Ds 6/17k: Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes; Geldbuße 800 Euro) Bedacht nimmt und in dem über den Beschuldigten wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes eine Geldbuße von 5.000 Euro verhängt worden war.
Mit Blick auf die Tatzeit war auf diese beiden Erkenntnisse gemäß § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt iVm §§ 31 und 40 StGB Bedacht zu nehmen (vgl Ratz in WK2 § 31 Rz 5 f; Fabrizy, StGB12 § 31 Rz 11), wobei bei gemeinsamer Aburteilung keine höhere Strafe als die in den früheren Erkenntnissen verhängte auszusprechen gewesen wäre, weshalb von einer Zusatzgeldbuße abzusehen war (§ 40 zweiter Satz StGB; vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 16 DSt Rz 22 ff).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 38 Abs 2 DSt.
Textnummer
E123874European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0230DS00001.18A.0117.000Im RIS seit
05.02.2019Zuletzt aktualisiert am
05.02.2019