Entscheidungsdatum
09.01.2019Index
41/02 StaatsbürgerschaftNorm
StbG 1985 §26 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Mag. Ivica Kvasina über die Beschwerde der Frau A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 28.12.2017, Zl. ..., mit welchem festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) verloren hat, nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang erlassenen Erkenntnisses vom 03.08.2018 zu Zl. VGW-152/071/1825/2018 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 12.12.2018 zu Zl. E 3753/2018-16,
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Beschied behoben.
II. Gemäß § 42 Abs. 3 StbG wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin, Frau A. B., österreichische Staatsbürgerin ist.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Schreiben vom 17.05.2017 übermittelte laut Aktenlage der C. dem Bundesministerium für Inneres (BM.I) einen Datenträger mit „XLSX Dateien“ (Excel-Tabellen), auf dem die Namen von mehreren zehntausend Personen verzeichnet sind. In dem dazugehörigen Begleitschreiben wurden diese Datensatz als eine „türkische Wählerevidenzliste“ bezeichnet. Der C. übermittelte am 18.05.2017 eine Kopie dieser „Wählerevidenzliste“ an die belangte Behörde zu Händen des zuständigen amtsführenden Stadtrates, worauf die belangte Behörde massenhaft Feststellungsverfahren einleitete. Insgesamt umfasst die Liste laut angefochtenem Bescheid die Personendaten von 66.382 Personen.
Jede Zeile dieser 66.382 Datensätze umfassende Tabelle beinhaltet 12 Spalten: eine 11-stellige Identitätsnummer („Kimlik-Nummer“), den Vornamen, den Familiennamen, die Vornamen der Mutter und des Vaters, das Geschlecht, den Geburtsort, das Geburtsdatum, die Stadt und dazugehörige Provinz, den Aufenthaltsstaat und die Zuständigkeit der türkischen Vertretungsbehörde in Wien.
Die Datensätze (zwei XLSX-Dateien) wurden seitens des Abteilungsleiters der Abteilung ... des BM.I im Juni 2017 dem Bundeskriminalamt (BKA) per E-Mail zu einer forensischen Untersuchung weitergeleitet. Laut dem Bericht des BKA vom 30.06.2017 konnte nicht festgestellt werden, wie alt die Daten sind, in welcher Abfolge, und wo, oder wie diese entstanden sind, zumal der Originaldatenträger nicht für eine forensisch korrekte Untersuchung zur Verfügung stand und auf die im E-Mail Wege überlieferten Dateien bereits schreibend zugegriffen wurde.
Zur Klärung der Herkunft und der Qualität des Datensatzes, welcher dem Bundesministerium für Inneres vom C. am 17.05. 2017 und in weiterer Folge den zuständigen Landesregierungen übermittelt wurde (somit derselbe Datensatz, welcher der belangten Behörde am 18.05. 2017 übermittelt wurde), richtete das Amt der Tiroler Landesregierung am 18. 09.2017 eine Reihe an Fragen an den C.. Konkret wurde der C. zu folgenden Themen befragt: die Quelle und Aktualität der Daten, wie er in deren Besitz gelangt ist und ob allenfalls Personen benannt werden können, welche die Herkunft, Echtheit und Richtigkeit der Daten bezeugen können. Weiters wurde der C. gefragt, aufgrund welcher Umstände es anzunehmen ist, dass es sich dabei um ein Verzeichnis der in Österreich wahlberechtigten Personen mit türkischer Staatsbürgerschaft handelt und ob bekannt ist, für welche Wahl das Verzeichnis erstellt wurde.
Der C. antwortete mit Schreiben vom 20.09.2017 dahingehend, dass der Datenträger anonym zugespielt wurde und eine detaillierte Beantwortung der Fragen daher nicht möglich ist.
Zur Klärung der für das gegenständliche Feststellungsverfahren relevanten türkischen Rechtslage und des Inhaltes und Erscheinungsbildes von türkischen Wählerevidenzlisten wurde seitens des BM.I und der Bundesländern dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) ein Fragenkatalog übermittelt. Mit Schreiben vom 23.06.2017 wurde dieser Fragenkatalog - nach Abstimmung mit der Österreichischen Botschaft in Ankara und ihren Vertrauensanwälten - insbesondere damit beantwortet, dass aktuelle und ehemalige türkische Staatsbürger einen Rechtsanspruch auf die Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges mit staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten hätten. Der Antrag auf Ausstellung könne in der Türkei, aber auch bei den türkischen Vertretungsbehörden im Ausland sowie online gestellt werden. Die oftmals getätigte Aussage, dass (ehemalige) türkische Staatsangehörige keinen Personenstandsregisterauszug erhalten, sei in keinem Fall nachgewiesen worden. Regelmäßig werde dieser nach entsprechendem Insistieren nachgereicht.
Hinsichtlich der türkischen Wählerevidenzlisten äußerte sich das BMEIA dahingehend, dass das türkische Recht eine elektronisch erstellte Wählerevidenz für im Ausland lebende Wahlberechtigte vorsehe. Die Wählerevidenzlisten enthalten nach türkischem Recht unter anderem folgende Angaben: Personenstandsnummer („Kimlik-Nummer“), Vor- und Nachname, Name des Vaters, Geschlecht und Geburtsdatum. Jeder türkische Staatsbürger könne den eigenen Eintrag in die Wählerevidenz über die Seite der Hohen Wahlkommission online, nach Eintragung der Heimatgemeinde, der Personalausweisnummer (Kimlik-Nummer) und der Personenstandsregistereintragsnummer einsehen, unabhängig davon, ob es sich um Auslands- oder Inlandswähler handele. Die türkischen Vertretungsbehörden im Ausland bekommen die Auslands-Wählerevidenzliste vom türkischen Außenministerium zugeschickt. Auslandswählerinnen können sich über die türkischen Auslandsvertretungsbehörden oder online über die Homepage der Hohen Wahlkommission informieren, ob sie als Wählerinnen registriert seien. Sowohl Inlands- als auch Auslandswählerinnen können Einspruch gegen ihre Eintragung in die Wählerevidenz erheben. Auslandswählerinnen müssten ihren Einspruch bei der „Wahlkommission für Auslandswählerinnen“, welche der Hohen Wahlkommission unterstellt ist, einreichen. Vom Wahlrecht ausgeschlossen seien Personen, die nicht die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie dürften auf der Auslandswählerliste nicht aufscheinen. Die Auslandswählerlisten werden elektronisch zur Verfügung gestellt, wobei jeder Bürger nur den eigenen Eintrag einsehen könne. Sie werden lediglich den Zentralen der Parteien in der Türkei zur Verfügung gestellt und dürften nicht weitergegeben werden. Die Weitergabe der Wählerevidenzlisten stelle einen Verstoß gegen das türkische Strafgesetzbuch dar.
Das Verfahren zum Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft werde nach der Äußerung des BMEIA durch einen Wiedererwerbsantrag beim zuständigen Gouverneursamt (nach dem Aufenthaltsort) bzw. der zuständigen türkischen Vertretung im Ausland eingeleitet. Der Antrag müsse persönlich oder durch einen Bevollmächtigten gestellt werden und sei in der Türkei an die Provinzverwaltung des Wohnsitzes und im Ausland an die Auslandsvertretungen zu richten. Nach den Ausführungen des Vertrauensanwaltes der Österreichischen Botschaft in Ankara können personenstandsrelevante Angelegenheiten auch durch die Eltern oder entsprechend bevollmächtigte Vormunde wahrgenommen werden. Ein Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit erfolge aufgrund einer Willenserklärung des Antragstellers. Die Einbürgerung durch behördliche Entscheidung berühre nicht die Staatsbürgerschaft des Ehepartners. Die Kinder des Elternteiles, der zum Zeitpunkt der Einbürgerung Sorgerechtsinhaber ist, erhalten die türkische Staatsbürgerschaft mit, wenn der andere Partner zustimme. Diese Zustimmung kann erforderlichenfalls durch eine richterliche Entscheidung ersetzt werden. Die Kinder von Eltern, die gemeinsam eingebürgert werden, erhalten die türkische Staatsbürgerschaft jedenfalls automatisch, d.h. auch ohne eine eigene Willenserklärung abgegeben zu haben; dies unabhängig davon, ob sie nach österreichischem Recht mündig oder unmündig seien. Dem Antragsteller auf Wiedereinbürgerung werde ein Verleihungsbescheid postalisch eingeschrieben zugestellt. Im Ausland erfolge die Zustellung im Wege der Vertretungsbehörde. Personen, die aus dem türkischen Staatsverband entlassen wurden, bekommen auf Antrag eine Blaue Karte („Mavi-Kart“) ausgestellt, die ihnen bescheinige, dass sie als ehemalige Staatsangehörige in bestimmten Bereichen dieselben Rechte wie türkische Staatsangehörige hätten. Das Wahlrecht sei davon jedoch ausdrücklich ausgenommen. Rechtmäßige Mavi-Karteninhaber sind als ehemalige türkische Staatsbürger vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen und können daher auch nicht rechtmäßiger Weise auf einer Wählerliste aufscheinen.
Da die Beschwerdeführerin in dieser „Wählerevidenzliste“ mit der Personenstandsnummer ..., ihrem Vor- und Nachnamen, dem Vornamen ihrer Mutter (D.) und ihres Vaters (E.), ihrem Geschlecht, dem Geburtsort F., dem Geburtsdatum ...1991 und der Stadt G. in Provinz H. verzeichnet ist, wurde ihr seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 21.09.2017 mitgeteilt, dass der Verdacht der Wiederannahme der türkischen Staatsbürgerschaft besteht und sie wurde gleichzeitig dazu aufgefordert, einen vollständigen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister (vatandaslik agiklamali vukuatli nüfus kayit örnegi) mit allen staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten vorzulegen. Die Beschwerdeführerin hat auf dieses Schreiben nicht reagiert und keine dahingehende Äußerung getätigt.
Ebenso wurde das Generalkonsulat der Türkischen Republik in Wien mit Schreiben vom 21.09.2017, per E-Mail übermittelt am 29.09.2017, zur dringenden Mitteilung darüber gebeten, ob die Beschwerdeführerin die türkische Staatsangehörigkeit besitzt bzw. ob sie in den türkischen Evidenzen verzeichnet ist. Bis zur Bescheiderlassung langte keine Stellungnahme des Generalkonsulats ein.
Die österreichische Botschaft in Ankara wurde seitens der belangten Behörde in einem anderen Fall ersucht bezüglich des in der Bestätigung genannten Mavi Kart Gesetzes vom 17.05.2013 Erhebungen durchzuführen. Hierzu hat die österreichische Botschaft in Ankara mit Schreiben vom 16.08.2017 sinngemäß erklärt, dass betreffend dem Mavi-Karten-Gesetz 2013 berichtet werden kann, dass dieses weder der Botschaft noch dem mit der Angelegenheit befassten Vertrauensanwalt der Botschaft bekannt, noch auffindbar ist. Laut Kenntnis der Botschaft hat jeder türkische oder ehemals türkische Staatsangehörige ein Recht auf Ausstellung sowohl eines Nüfus- als auch eines Mavikartenregisterauszuges. Der Botschaft liegen keine Informationen vor, dass ehemaligen türkischen Staatsangehörigen kein Nüfusregister ausgestellt werden kann.
Mit Schreiben vom 04.12.2017 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass sie davon ausgeht, dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt, jedoch spätestens mit Wirkung vom 18.05.2017, durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat.
Mit E-Mail vom 27.12.2017 teilte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde mit, dass sie nach Erhalt des Schreibens vom 04.12.2017 beim türkischen Generalkonsulat angerufen habe. Da sie keine türkische Staatsbürgerschaft besitze, bekomme sie auch keinen Termin beim Generalkonsulat und könne auch keine Bestätigung holen. Sie sei derzeit in der Schweiz und würde am 05.01.2018 nach Wien zurückkommen und sich darum kümmern.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid und stellte von Amts wegen fest, dass die Beschwerdeführerin durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit spätestens mit Wirkung vom 18.05.2017 die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG verloren habe und sie nicht österreichischer Staatsbürger sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig eine Beschwerde. Am Tag vor der Erhebung der Beschwerde langte bei der belangten Behörde eine Bestätigung des Generalskonsulats der Republik Türkei in Wien vom 29.01.2018, in welcher das Generalkonsulat bestätigt, dass die Beschwerdeführerin aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert sei und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Des Weiteren bestätigte das Generalkonsulat, dass nach der „Mavi-Kart“ Rechtsverordnung der Personenstand der ausgebürgerten Personen nicht mehr im Personenstandsregister, sondern in „Blaue Karten Register“ (Mavi Kartlilar Kütügü) geführt werde. Aus diesem Grund dürfe den ausgebürgerten Personen kein Personenstandsregisterauszug ausgestellt werden.
Der Verwaltungsakt wurde seitens der belangten Behörde am 06.02.2018 (einlangend) an das Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung weitergeleitet.
Das erkennende Gericht nahm Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), den Versicherungsdatenauszug und forderte die belangte Behörde auf, den Einbürgerungsakt der Beschwerdeführerin zu Zl. ... vorzulegen. Es forderte auch die Beschwerdeführerin auf, bis 19.03.2018 eine aktuelle Geburtsurkunde vorzulegen.
Mit Schreiben vom 28.02.2018 ersuchte das erkennende Gericht die Österreichische Botschaft Ankara zwecks Klärung entscheidungsrelevanter Tatsachen in Angelegenheit dieser Beschwerde um Beantwortung folgender Fragen:
1.) Der angeführten Beschwerdeführerin wurde im Jahr 1999 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen, zuvor ist diese nachweislich aus dem türkischen Staatsverband ausgeschieden. Die Beschwerdeführerin verfügt jedoch über eine „Kimlik-Nummer“, welche erst ab dem Jahr 2000 jedem türkischen Staatsbürger vergeben wurde. Konnte die Beschwerdeführerin, welche vor der Einführung der „Kimlik-Nummer“ die türkische Staatsbürgerschaft verloren hat, auch eine „Kimlik-Nummer“ bekommen, obwohl sie fremde Staatsbürgerin war/ist?
2.) Kann aus der Tatsache, dass die Beschwerdeführer, welche zu einem Zeitpunkt aus dem türkischen Staatsverband ausgeschieden sind, wo die „Kimlik-Nummer“ nicht existierten, und nunmehr über eine „Kimlik-Nummer“ verfügen, darauf geschlossen werden, dass sie die türkische Staatsbürgerschaft zu einem späteren Zeitpunkt wiedererworben haben?
3.) Wird eine „Kimlik-Nummer“ ehemaligen türkischen Staatsbürger, welche die türkische Staatsbürgerschaft vor der Einführung der „Kimlik-Nummer“ verloren haben, zugewiesen, falls diese eine „Mavi-Kart“ beantragen?
Mit Schreiben vom 14.03.2018 teilte die ÖB Ankara dem erkennenden Gericht mit, dass im Hinblick auf die 1. Frage keine eindeutige gesetzliche Regelung der nachträglichen Vergabe der Kimlik-Nummer bestehe, wobei die türkische Personenstandsbehörde einräumte, dass eine nachträgliche Vergabe in jenen Fällen denkbar wäre, in welchen der Staat ein Interesse an der Beseitigung einer Rechtsunsicherheit hätte, z.B. offene Fragen zum Grundeigentum. Deshalb müsse in konkreten Fällen stets genau geprüft werden, ob es sich um eine tatsächliche „Kimlik-Nummer“ (für türkische Staatsbürger) oder eine „Mavi-Kart-Nummer (für ehemalige türkische Staatsbürger) handele. Zu der 2. Frage teilte die ÖB Ankara mit, dass von der bloßen nachträglichen Vergabe einer „echten“ Kimlik-Nummer nicht zwangsläufig auf das Vorliegen einer türkischen Staatsangehörigkeit geschlossen werden könne, allerdings könnte es sich dabei um ein starkes Indiz handeln. Im Hinblick auf die 3. Frage verwies die ÖB Ankara auf die mit Schreiben vom 14.03.2018 gemeinsam übermittelte „erläuternden Vorbemerkungen, welchen Folgendes zu entnehmen ist:
„ Erläuternde Vorbemerkungen:
- Nüfus-Register (Register für türkische Staatsangehörige/TR StAng): Register, in welchem alle Personalinformationen aller TR StAng aufscheinen. Die an jeden TR StAng vergebene Identitätsnummer (Kimlik-Nummer) scheint in diesem Register auf.
- Mavi-Kart-Register (Blaue-Karte-Register): Register aller ehemaligen TR StAng.
- Register für ausländische Staatsangehörige (= Fremdenregister): Register aller in der Türkei ansässigen nicht-türkischen Staatsangehörigen. Kinder von ehemaligen TR StAng werden, wenn auch sie in der Türkei ansässig sind, grundsätzlich in diesem Register erfasst. Diese in der Türkei ansässigen Kinder von ehemaligen TR StAng (= die ihrerseits automatisch ins Mavi-Kart Register übernommen werden), können auf Antrag der Eltern ebenfalls in das Mavi-Kart-Register übertragen werden.
- T.C. Identifikationsnummer: 11-stellige Nummer, die seitens der Türkei an jeden, d.h. TR StAng oder in der Türkei lebenden Fremdbürger, vergeben wird.
o Kimlik-Nummer: T.C. Identifikationsnummer eines TR StAng
o Fremden-Nummer: T.C. Identifikationsnummer für in der Türkei lebende Fremdbürger (s. Art. 8 des Gesetzes über das Personenstandswesen, Nr. 5490 vom 25.04.2006) mit „99“ beginnend.
o Mavi-Kart-Nummer:
- aus dem Nüfus-Register übernommene T.C. Identifikationsnummer, sofern diese Person die TR StAng zurückgelegt hat,
- mit „99“ beginnende T.C. Identifikationsnummer, sofern dieser Fremdbürger ein direkter Nachkomme (Kind/Enkelkind) eines Mavi-Kart-Inhabers ist.
Der Vertrauensanwalt führt allgemein aus, dass die T.C. Identifikationsnummer im Jahr 2000 für TR StAng eingeführt wurde.
Anmerkung: gem. Übergangsbestimmung des Gesetzes über das Personenstandswesen, Nr. 5490 vom 25.04.2006, wurde die Nutzung der T.C. ID-Nummer mit 2008 verpflichtend.
Gemäß Art 46 Abs. 2 dieses Gesetzes wird auch Ausländern, deren Eintragungen in der Türkei geführt werden, im Rahmen der durch das Ministerium festzulegenden Richtlinien eine Identifikationsnummer erteilt.
Exkurs:
TR StAng kraft Geburt, die aus dem türkischen Staatsverband entlassen wurden, werden gemäß Art. 28 des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Nr. 5901 v. 29.5.2009) in vielen Bereichen TR StAng gleichgestellt, wobei beim zit. Artikel auch auf die Einschränkungen eingegangen wird, z.B. kein aktives oder passives Wahlrecht, keine Wehrpflicht und kein Zugang zum Beamtenstatus.
Art. 28 Abs. 6 bestimmt, dass „Personen im Anwendungsbereich dieser Bestimmungen […] auf Antrag eine Blaue Karte ausgestellt [wird], die ihnen bescheinigt, dass sie diese Rechte ausüben dürfen“, Art. 28 Abs. 8, dass diesen Personen „nach Grundsätzen, die durch das Ministerium bestimmt werden, eine Identifikationsnummer gegeben wird“ (Erläuterung: entweder die Weiterverwendung der Kimlik-Nr. oder die Neuvergabe der Fremdennummer, s. oben), die dort verwendet wird, „wo sonst die Identifikationsnummer der Türkischen Republik verwendet wird“.
Am 16.03.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin per E-Mail die Kopie ihrer Geburtsurkunde, ausgestellt am 01.07.1994
Am 19.03.2018 führte das erkennende Gericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Beschwerdeführerin wurde in der Ladung zur Verhandlung aufgefordert, ihren gültigen Reisepass, alle österreichischen Reisepässe (auch abgelaufene), einen Auszug aus dem Mavi-Kart-Register (Mavi Kart?lar Kütügü) sowie die Mavi–Kart im Original (sofern vorhanden) in der Verhandlung vorzulegen.
Die Beschwerdeführerin gab, als Partei einvernommen, Folgendes an:
„Die alten Reisepässe habe ich nicht mehr, ich hatte nur einen und diesen habe ich weggeschmissen. Ich war Anfang März in Begleitung meines Ehegatten beim türk. GK in Wien vorstellig und habe einen Auszug aus dem Mavikart-Register verlangt. Mir wurde mitgeteilt, dass dies nicht möglich sei und ich bis zum Verhandlungstermin warten soll. Mein Ehegatte hat danach mehrmals beim türk. GK vorgesprochen jedoch erfolglos. Am Freitag wurde ich dann seitens des türk. GK angerufen und mir wurde mitgeteilt, dass mir ein Auszug aus dem Mavikart-Register nicht ausgestellt werden kann. Ich habe auch versucht eine Bestätigung, dass ich den Antrag gestellt habe zu bekommen, jedoch war dies auch erfolglos. Mir wurde nicht erklärt, weshalb ich einen Auszug nicht bekommen kann. Die aktuelle Mavikart habe ich am 05.02.2018 ausgestellt bekommen. Die alten Mavikarten wurden mir seitens des türk. GK abgenommen und vermutlich vernichtet.
Seit meinem Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband im Jahre 1997 haben weder meine Eltern noch ich einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft gestellt. Ich habe in der Türkei im Jahre 2012 geheiratet und zwar einen türkischen Staatsbürger. Ich hatte sonst keine Rechtsgeschäfte die ich in der Türkei erledigen musste.“
Anlässlich dieser Verhandlung legte die Beschwerdeführerin ihren österreichischen Reisepass und das Original der „Mavi-Kart“ vom 05.02.2018. Die belangte Behörde legte drei Schreiben des türkischen Generalkonsulats in Wien vom 27.12.2017, 23.02.2018 und 08.03.2018 betreffend verfahrensfremde Personen.
Der Beschwerdeführerin wurde am Schluss der Verhandlung zur Vorlage des vollständigen Personenstandsregisterauszuges samt staatsbürgerschaftsrechtlichen Angaben (NÜFUS KAYIT ÖRNEGI) eine Frist bis zum 02.05.2018 eingeräumt.
Mit Schreiben vom 20.4.2018 übermittelte die belangte Behörde eine Stellungnahme des BMEIA vom 06.04.2018 zur Kenntnisnahme, wonach unter anderem bei der Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges bestimmte Sachverhalte wie. z.B. ein allfälliger Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit auf Wunsch der Partei nicht angeführt werden können.
Mit Schreiben vom 02.05.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin die Kopie ihres Mavi-Kart-Registerauszuges (Mavi Kartlilar Nüfus Kayit Örnegi) offenbar vom 31.01.2018 ohne Übersetzung auf Deutsch.
Dieses Schreiben wurde der belangten Behörde mit Schreiben vom 16.05.2018 zur Kenntnis gebracht.
Das Schreiben der ÖB Ankara vom 14.03.2018, sowie die Stellungnahme des BMEIA vom 06.04.2018 wurden der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 16.05.2018 und der belangten Behörde das Schreiben der ÖB Ankara vom 14.03.2018 mit Schreiben vom 18.06.2018 zur Kenntnis gebracht.
Im Hinblick auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 02.05.2018 und die übermittelte die Kopie ihr4es Mavi-Kart-Registerauszuges teilte die belangte Behörde mit Stellungnahme vom 24.05.2018 mit, dass „der vorgelegte Auszug schlecht lesbar is. Es kann jedoch ein "Anmeldedatum" (Tescil Tarihi) entnommen werden. Dieses ist der 30. Jänner 2018. Bei dem vorgelegten Dokument ist ein Ausstellungsdatum nicht ersichtlich. Es kann aber entziffert werden, dass es sich beim Ausstellungsort um das "Viyana Baskongosulu" handelt und er somit in Wien ausgestellt wurde. Frau B. dürfte somit nicht, wie aufgetragen, in die Türkei gereist sein, bzw. auch niemanden in der Türkei bevollmächtigt haben.“
Zur Unmöglichkeit einen Nüfus zu erhalten wurde ausgeführt, „dass diesbezüglich einerseits auf die bereits aktenkundige Stellungnahme des BMEIA verwiesen wird, wonach auch ehemalige türkische Staatsangehörige das Recht auf Ausstellung eines Nüfusregisterauszuges haben, andrerseits werden beiliegend beispielhaft drei h.a. in Feststellungsverfahren vorgelegte Auszüge übermittelt (GZ: MA 35/III - …, MA 35/III - …, und MA 35/III - … Aus den Auszügen, welche 2017 und 2018 ausgestellt wurden, geht hervor, dass die betreffenden Personen im Zeitpunkt der Ausstellung des Nüfus nicht mehr türkische Staatsangehörige waren.
Aus den genannten Gründen ist es für die MA 35 nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin keinen Auszug erhalten.“
Diese Stellungnahme wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 18.06.2018 zur Kenntnis gebracht.
Im Hinblick auf Parteiengehör vom 16.05.2018 (betreffend das Schreiben der ÖB Ankara vom 14.03.2018, sowie die Stellungnahme des BMEIA vom 06.04.2018) teilte die Beschwerdeführerin dem erkennenden Gericht mit E-Mail vom 05.06.2018, mit, dass dieses Anliegen an das Innen- und Außenministerium der Republik Türkei weitergeleitet wurde und zur Zeit noch in Bearbeitung sei. Sie ersuche daher um die Verlängerung der Frist.
Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 26.06.2018, dass sie auf die Abgabe einer weiteren Stellungnahme zu den bis dato übermittelten Unterlagen verzichte.
Mit E-Mail vom 04.07.2018 teilte die Beschwerdeführerin dem Gericht mit, dass sie eine Stellungnahme in Bearbeitung habe. Ihr Vater habe ein Dokument vom Meldeamt aus der Türkei für sie mitgenommen und sie müsse dieses übersetzen.
Mit E-Mail vom 12.07.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme welcher Folgendes zu entnehmen ist:
„Mein Vater war im Mai/Juni 2018 in der Türkei und hat für mich vom Meldeamt ein Dokument abgeholt. Dieses beinhaltet die Antworten auf die drei Fragen vom MA 35. Ich habe es selbst versucht sehr genau zu übersetzen, ich hoffe es ist in Ordnung (leider kann ich nicht so gut türkisch wie Deutsch). Falls erforderlich, kann ich es auch durch eine beglaubigte Übersetzerin übersetzen lassen. Im Folgenden sehen Sie die Antworten:
Zur Frage 1 & 2: Die T.C. Kimlik Nummer bleibt bestehen, auch wenn diese Person durch Austritt, Tod oder Abwesenheit nicht mehr die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Um die Identität dieser Person festsetzen zu können, könnten die ehemaligen Staatbürger eine Kimlik-Nummer (Mavi-Kart-Nummer) bekommen. Allerdings bedeutet das nicht, dass diese Person eine neue Staatsbürgerschaft erworben hat.
Zur Frage 3: Die Kimlik-Nummer ist mit der Mavi-Kart-Nummer identisch, da diese Person bei der Geburt türkische Staatsbürger war und durch Austritt eine andere Staatsbürgerschaft erworben hat. Nach Erwerb der Mavi-Kart bekommt diese Person die Kimlik-Nummer auf die Mavi-Kart, da diese Person schon einmal türkische Staatbürger war.“
Daraufhin forderte das erkennende Gericht mit E-Mail vom 13.07.2018 die Beschwerdeführerin auf, das Original des Dokumentes welches sie von der türkischen Behörden bekommen hat, samt einer Übersetzung auf Deutsch durch einen gerichtlich beeideten Dolmetscher, bis 30.07.2018 vorzulegen.
Mit E-Mail vom 30.07.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin das aufgeforderte „Originaldokument“, wobei anzumerken ist, dass es sich hierbei um eine „PDF“ Datei handelt, welche nur einen Text in türkischer Sprache enthält, ohne Angaben von Aussteller, Datum oder einer Unterschrift.
Mit E-Mail vom 01.08.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin eine - offenbar seitens von Fr. I. J., einer gerichtlich beeideter Dolmetscherin für türkische Sprache, angefertigte – Übersetzung dieses Textes vor, welcher Folgendes zu entnehmen ist:
„Frage 1:
Im Falle dessen, dass Personen mit Bewilligung aus der türkischen Staatsbürgerschaft austreten und im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind und diesen Personen nach dem Jahre 2000 eine T.R. ID-Nr. zugeteilt wurde; ob jene Personen, die aus der türkischen Staatsbürgerschaft austreten und die „fremde Staatsbürgerschaft“ besitzen, die vergebene Nummer zugewiesen bekommen oder nicht?
Antwort 1:
Auch vor Einführung der Vergabe der T.R. ID-Nr. kann, um Tod oder Verschollenheit der im Familienstandsregister vorhandenen Personen vermerken zu können, türkischen Staatsbürgern - offen/geschlossen eingetragen - eine T.R. ID-Nr. erteilt werden.
Frage 2:
Im Falle dessen, dass die Person aus der türkischen Staatsbürgerschaft austritt und ihr keine T.R. ID-Nr. vergeben wurde ; ob im Falle der Innehabung einer solchen Nummer, die Situation des Erwerbs der türkischen Staatsbürgerschaft eintritt oder nicht?
Antwort 2: Da allen, die die türkische Staatsbürgerschaft erworben haben oder türkische Staatsbürger sind, Personen bei denen ein Vermerk hinsichtlich Tod und Verschollenheit eine T.R.-ID-Nr. erteilt wird, gelten nicht alle, die eine T.R.-ID-Nr. besitzen, als türkische Staatsbürger.
Frage 3: Ob Personen, die, vor Einführung der Vergabe der T.R.-ID-Nr., aus der türkischen Staatsbürgerschaft ausgetreten sind, im Zuge des Antrages auf eine Blaue Karte eine andere Nr. erhalten oder nicht?
Antwort 3: Jemandem, der durch Geburt türkischer Staatsbürger ist und mit Bewilligung aus der Staatsbürgerschaft austritt, wird auf Grund der Eintragungen mit der bestehenden T.R.-ID-Nr. direkt eine Blaue Karte angelegt. Daher wird keine neue Nummer zugewiesen und mit den bestehenden Nummern eine Blaue Kartei zugeteilt.“
Weitere Beweise oder Stellungnahme wurden seitens der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt.
Mit Erkenntnis vom 03.08.2018 zu Zl. VGW-152/071/1825/2018 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Gegen dieses Erkenntnis erhob die Beschwerdeführerin eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12.12.2018 zu Zl. E 3753/2018-42 wurde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 03.08.2018 aufgehoben.
II. Sachverhalt
Aus dem die Beschwerdeführerin betreffenden Administrativakt der belangten Behörde zur Zl. ..., den eingeholten Einbürgerungsakt der Beschwerdeführerin zur Zl. ..., den von der Beschwerdeführerin und von der belangten Behörde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Dokumenten und Unterlagen, sowie den vom Verwaltungsgericht Wien getätigten Anfragen ergibt sich folgender, entscheidungswesentlicher Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin wurde am ...1991 in F., Republik Türkei, geboren und lebt seit ihrer Kindheit in Österreich. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18.11.1996, GZ: ..., wurde ihr und ihren Eltern die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 für den Fall zugesichert, dass sie binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband nachweist. Am 12.02. 1998 langte bei der belangten Behörde die Bewilligungsurkunde zur Entlassung aus dem türkischen Staatsverband entsprechend dem Ministerratsbeschluss zur Zl. ... vom 10.11.1997, ausgestellt am 10.02.1998, ein. Mit Wirkung vom 10.04.1998 wurde der Beschwerdeführerin zur GZ: ..., die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 des Staatsbürgerschaftsgesetztes 1985 durch Erstreckung verliehen. Mit Entlassungsurkunde entsprechend dem Ministerratsbeschluss zur Zahl ... vom 10.11.1997, ausgestellt am 07.09.1999, bei der belangten Behörde eingelangt am 09.09.1999, wurde die Beschwerdeführerin endgültig aus dem türkischen Staatsverband entlassen. Einen Antrag auf Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs einer fremden Staatsbürgerschaft hat die Beschwerdeführerin laut Aktenlage nie gestellt.
Sie verfügt über einen österreichischen Reisepass mit der Nummer ..., gültig bis 15.09.2025, sowie eine „Mavi-Kart“ („Blaue Karte“) mit der Nummer ..., ausgestellt am 05.02.2018 vom Generalkonsulat der Republik Türkei in Wien. Die „Mavi-Kart“ wird an ehemalige türkische Staatsbürger zwecks leichterer Einreise und Bewahrung gewisser Rechte in der Türkei ausgestellt, berechtigt jedoch nicht zur Teilnahme an türkischen Wahlen.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens legte sie einen Mavi-Kart-Registerauszug (Mavi Kartlilar Nüfus Kayit Örnegi), ausgestellt offenbar am 30.01.2018 seitens des Generalskonsulats der Republik Türkei in Wien, sowie eine Bestätigung desselben Generalskonsulats vom 29.01.2018, in welcher das Generalkonsulat bestätigt, dass die Beschwerdeführerin aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert sei und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Des Weiteren bestätigte das Generalkonsulat, dass nach der „Mavi-Kart“ Rechtsverordnung der Personenstand der ausgebürgerten Personen nicht mehr im Personenstandsregister, sondern in „Blaue Karten Register“ (Mavi Kartlilar Kütügü) geführt werde. Aus diesem Grund dürfe den ausgebürgerten Personen kein Personenstandsregisterauszug ausgestellt werden.
Trotz Aufforderung des erkennenden Gerichtes konnte die Beschwerdeführerin ihre bereits abgelaufenen österreichischen Reisepässe nicht vorlegen, zumal sie diese laut eigener Angabe bereits weggeschmissen habe.
Ebenso konnte die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung der belangten Behörde und des erkennenden Gerichtes keinen Personenstandsregisterauszug mit staatsbürgerschaftlichen Eintragungen (Nüfus Kayit Örnegi) vorlegen. Nachweise darüber, dass ihr Vater – wie selbst behauptet – in die Türkei gereist ist, um die aufgeforderten Dokumente bei der zuständigen Behörden zu beschaffen, konnte die Beschwerdeführerin auch nicht vorlegen. Selbst eine Negativbescheinigung in der Form, dass keine Auskunft seitens der Behörden in der Türkei erteilt wird, wurde nicht nachgewiesen.
Die Beschwerdeführerin ist in der vom C. überreichten „Wählerevidenzliste“ mit der Personenstandsnummer („Kimlik-Nummer“) ..., ihrem Vor- und Nachnamen, dem Vornamen ihrer Mutter (D.) und ihres Vaters (E.), ihrem Geschlecht, dem Geburtsort F., dem Geburtsdatum ...1991 und der Stadt G. in Provinz H. verzeichnet. Diese Angaben sind identisch mit den Angaben in der von ihr vorgelegten „Mavi-Kart“ sowie den Angaben in dem Mavi-Kart-Registerauszug (Mavi Kartlilar Nüfus Kayit Örnegi) vom 31.01.2018.
Das Verwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG Z 1 erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
§ 28 Abs. 1 und 2 VwGVG lauten:
„(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.“
Im Streit, ob eine Person die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht, ist schon auf Grund der sich aus dem Besitz der Staatsbürgerschaft ergebenden Rechte und Pflichten offenkundig ein öffentliches Interesse an der Feststellung zu erkennen und daher die Berechtigung zur amtswegigen Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß § 42 Abs. 3 StbG 1985 gegeben (VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0338). Daher erfolgte die Erlassung eines amtswegigen Bescheides in vorliegenden Fall zu Recht.
Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die österreichische Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung – also einer positiven Willenserklärung – eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist. Ob eine fremde Staatsangehörigkeit tatsächlich (VwGH 19.2.2009, 2006/01/0884) gültig erworben wurde, ist dabei nach der fremden Rechtsordnung zu beurteilen (Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, 1990, 299; vgl. auch bereits VwSlg. 3653 A/1955), der darauf gerichtete Erwerbswille nach österreichischem Recht (EB zur RV 497 BlgNR 10. GP, 29). Liegen die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG vor, tritt der Verlust der Staatsbürgerschaft ex lege ein, ohne dass es dafür einer behördlichen Entscheidung bedarf.
Das Verfahren gemäß § 42 Abs. 3 iVm § 27 Abs. 1 StbG, das den Verlust der Staatsbürgerschaft zum Gegenstand hat, ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG von Amts wegen zu ermitteln ist. Diesen aus § 37 AVG erfließenden Grundsatz der materiellen Wahrheit in Verbindung mit der in § 39 Abs. 2 AVG normierten Offizialmaxime hat der Verfassungsgerichtshof etwa dann in einer in die Verfassungssphäre reichenden Weise für verletzt erachtet, wenn die Behörde in Verkennung ihrer Ermittlungspflicht unzulässig eine Umkehr der formellen Beweislast angenommen hat (VfSlg. 18.929/2009) oder wenn in unzulässiger Weise aus dem Unterbleiben der Übermittlung von Belegen zum Beweis einer bestimmten Tatsache die Fiktion abgeleitet wurde, dass diese Tatsache nicht gegeben ist (VfSlg. 19.546/2011).
Eingangs ist auf die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, in welcher dieser ausdrücklich feststellte, dass „die mangelnde Authentizität und die ungeklärte Herkunft der Inhalte des dieses Datensatzes, die dem schreibenden Zugriff von wem auch immer offen standen, es von vorneherein ausschließen, dass dieser Datensatz für die Zwecke des § 27 Abs. 1 StbG im Hinblick auf den Beschwerdeführer ein taugliches Beweismittel darstellt“ (VfGH 11.12.2018, E 3717/2018).
Der Ansicht der belangten Behörde, wonach der Datensatz eine Aufzeichnung einer dafür zuständigen türkischen Behörde wiedergebe, die zum Zweck der Erfassung der bei bestimmten türkischen Wahlen wahlberechtigten Personen mit Wohnsitz in Österreich bzw. im Zuständigkeitsbereich des Generalkonsulates der türkischen Republik in Wien erstellt worden sei und damit feststehe, dass es sich bei den in diesen Datensatz aufgenommenen Personen um türkische Staatsangehörige handle, kann daher nicht gefolgt werden. Ebenso wenig der Vermutung der belangten Behörde, wonach sich die Authentizität dieses elektronischen Datensatzes als türkische "Wählerevidenzliste" auf repräsentative, stichprobenartige Ermittlung und eines daraus gezogenen Größenschlusses gründe. Die Annahme der belangten Behörde, dass der gegenständliche Datensatz den Inhalt einer Liste mit entsprechender Funktion ("Wählerevidenzliste") wiedergebe, beruht somit ausschließlich auf einer Vermutung, die im Verfahren vor dem erkennenden Gericht nicht verifiziert werden konnte.
Bei dem der belangten Behörde am 18.05.2017 übermittelten Datensatz handelt es sich um eine jederzeit veränderbare, nicht authentische Liste mit Personendaten. Damit ist es aber auch nicht als gesichert anzusehen, dass es sich bei diesem Datensatz um eine Wählerevidenzliste der zuständigen türkischen Behörden handelt.
Zur die Beschwerdeführerin treffenden Mitwirkungspflicht ist auszuführen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG von Amts wegen zu ermitteln ist. Auf die Verletzung einer Mitwirkungspflicht ist zwar Bedacht zu nehmen, sie entbindet die Behörde aber nicht von ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes, womit die Behörde die Beweislast für das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG auch nicht auf die Partei überwälzen darf. Lässt sich eine tatbestandsrelevante Tatsache nicht feststellen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie nicht vorliegt. Die Annahme, dass im Fall einer rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit für die Behörde, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG zu ermitteln, dessen Ermittlungsverpflichtung unter dem Titel einer Mitwirkungspflicht ohne Weiteres auf den Betroffenen überwälzt werden könne und somit im Falle eines von der Behörde geäußerten Verdachts, es könnten die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG vorliegen, der österreichische Staatsbürger den Negativbeweis zu erbringen habe, verbietet sich angesichts der der Staatsbürgerschaft zukommenden (und aus ihrem Verlust folgenden) Bedeutung. Dies schließt nicht aus, dass die Partei gewisse Mitwirkungspflichten treffen, die in amtswegigen Ermittlungsergebnissen begründet sind und sich im Rahmen der zumutbaren Möglichkeiten der Partei halten (VwGH 19.10.2011, 2009/01/0018; 22.3.2018, Ra 2018/01/0045; VfGH 11.12.2018, E 3717/2018).
Nach den getroffenen Feststellungen hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin aufgefordert, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister, aus dem hervorgehe, dass diese im fraglichen Zeitraum die türkische Staatsangehörigkeit nicht wiedererworben habe (Nüfus-Auszug), vorzulegen. Wie sich ebenfalls aus den getroffenen Feststellungen ergibt, hat die Beschwerdeführerin versucht, dieser Aufforderung nachzukommen, wobei ihr die Ausstellung des geforderten Personenstandsregisterauszuges vom Generalkonsulat der Republik Türkei in Wien verweigert wurde.
Gegenständlich war es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar, weitere als die von ihr ohnehin gesetzten Schritte zu setzen. Die Beschwerdeführerin ist ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes ausreichend nachgekommen. Dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich war, den geforderten Personenstandsregisterauszug zu erhalten, kann im Hinblick auf die eben zitierte Rechtsprechung der Höchstgerichte nicht zu ihren Lasten gehen. Es konnte somit nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Entlassung aus dem türkischen Staatsverband eine fremde, insbesondere die türkische Staatsbürgerschaft, (wieder) erworben hat.
Im Ergebnis bedeutet das, dass in gegenständlicher Angelegenheit die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG nicht vorliegen. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand genommen werden, zumal bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Der Entscheidung des VwGH vom 25.09.2018, Ra 2018/01/0364, lag ein dem gegenständlichen Verfahren nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, zumal der Revisionswerber – anders als die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren – seiner Mitwirkungspflicht in keinster Weise nachgekommen ist.
Schlagworte
Verlust der Staatsbürgerschaft; Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft; Offizialmaxime; materielle Wahrheit; Mitwirkungspflicht; Beweiswürdigung; BeweislastEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.152.071.16701.2018.EZuletzt aktualisiert am
04.02.2019