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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des RN, geboren am 16. März 1980, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. September 1998, Zl. 204.976/0-III/07/98, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Bundesrepublik Jugoslawien ", der am 30. April 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Er wurde am gleichen Tag niederschriftlich einvernommen. Hiebei gab er an, er stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens.
Die Behörde erster Instanz sprach dem Beschwerdeführer auf Grund aufgezeigter Widersprüche die Glaubwürdigkeit ab. Er habe deshalb nicht glaubhaft machen können, dass er Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Mit Spruchpunkt 2. stellte die Behörde erster Instanz fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 8 Asylgesetz nicht zulässig sei.
In der ausschließlich gegen Spruchteil 1. des erstinstanzlichen Bescheides gerichteten Berufung wendete sich der Beschwerdeführer einerseits gegen die Wertung seiner Angaben als unglaubwürdig und führte im Wesentlichen aus, dass er einer ethnischen Minderheit angehöre, die bereits seit längerer Zeit von der jugoslawischen Regierung, die ausnahmslos mit Serben besetzt sei, verfolgt und vertrieben werde. Diese Maßnahmen seien in den letzten Wochen derart eskaliert, dass ganze Dörfer der Kosovo-Albaner von den jugoslawischen Truppen angegriffen, bombardiert und verwüstet worden seien. Eine Vielzahl der albanischen Bevölkerung sei ermordet worden, weil sie keine Möglichkeit mehr gehabt habe, vor den unzähligen, meist überraschend stattgefundenen Angriffen zu fliehen. Viele Männer und Frauen, die weder einer politischen Oppositionspartei angehörten, noch im Untergrund politisch tätig gewesen seien, seien dabei getötet worden. Die serbischen Truppen würden nicht einmal vor der Ermordung von Kindern und Jugendlichen zurückschrecken, bei denen offensichtlich sei, dass sie noch nie politisch tätig gewesen seien. Bei der Beurteilung der Umstände dürfe man keinesfalls nur von einem Einzelfall ausgehen. Vielmehr lasse die Situation im Kosovo den Schluss zu, dass eine gesamte ethnische Gruppe, nämlich die Kosovo-Albaner, von der jugoslawischen Regierung verfolgt, vertrieben, und falls die Mittel der Verfolgung, Inhaftierung und Folterung nicht wirksam genug seien, letztendlich getötet würde.
Mit dem Bescheid vom 16. September 1998 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie erhob die vom Bundesasylamt in dessen Bescheid wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner niederschriftlichen Vernehmung zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Nach Wiedergabe des Inhaltes der Berufung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen führte die belangte Behörde aus:
"Festgestellt wird, dass der Asylwerber keiner politischen Partei angehörte und auch nicht politisch tätig war. Am 5.3.1998 wurden im Zuge von Kampfhandlungen serbischer Einheiten 53 Bewohner des Dorfes Prekaz getötet. Unter diesen Opfern befanden sich jedenfalls auch 20 Familienmitglieder der Mutter des Asylwerbers. Am 6.3. begab sich der Asylwerber zu seiner Tante in das ca. 15 km von seinem Elternhaus in Skenderaj entfernt gelegene Dorf Shipol, wo er in der Folge bis zum 29.4.1998 aufhältig war. An diesem Tage wurde der Asylwerber von einem Onkel besucht und in Kenntnis gesetzt, dass die Polizei nach dem Aufenthaltsort des Asylwerbers gefragt habe. Angeblich hat die Polizei beim Angriff am 5.3.1998 auf das Dorf Prekaz in den Häusern der Onkel des Asylwerbers Videokassetten sichergestellt, auf welchen auch der Asylwerber aufgenommen worden war. Am 29.4.1998 verließ der Asylwerber sein Heimatland und gelangte am 30.4.1998 schlepperunterstützt ins Bundesgebiet.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen des Asylwerbers anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesasylamt vom 6.5.1998.
Nicht festgestellt werden konnte hingegen, dass der Angriff der serbischen Einheiten am 5.3.1998 zielgerichtet gegen die Verwandten des Asylwerbers durchgeführt wurde, da die übrigen Bewohner des Dorfes Prekaz in gleicher Weise von diesen Kampfhandlungen betroffen waren und sich die Angriffe nicht nur auf das Dorf Prekaz beschränkten, sondern sich vielmehr auf mehrere Dörfer erstreckten, wie sich aus internationaler Medienberichterstattung ergibt."
In rechtlicher Sicht führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer persönlich von den Angriffen auf das Dorf Prekaz nicht selbst unmittelbar betroffen gewesen sei, eine unmittelbare Verfolgung des Beschwerdeführers sei daraus nicht ableitbar. Auch seine Befürchtung, auf Grund des Verwandtschaftsverhältnisses zu mehreren Opfern in Prekaz ein gleiches Schicksal zu erleiden, sei objektiv betrachtet nicht nachvollziehbar, da sich die serbischen Angriffe nicht nur gegen Verwandte des Asylwerbers, sondern gegen eine Vielzahl von Personen gerichtet hätten. Eine bloße Nachfrage nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers vermöge seine Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen, dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass bei dem Angriff der serbischen Einheiten vom 5. März 1998 20 Familienangehörige der Mutter des Beschwerdeführers getötet worden seien. In der Folge setzte sich die belangte Behörde mit der allgemeinen Situation in seinem Heimatland und dem Berufungsvorbringen auseinander, dass eine gesamte ethnische Gruppe, nämlich die Kosovo-Albaner, von der jugoslawischen Regierung verfolgt, vertrieben und letztendlich getötet würden. Mangels "erforderlicher Verfolgungsdichte" der konkret gegen vorausbestimmte einzelne Kosovo-Albaner gerichteten Maßnahmen sei ein asylrechtlich erhebliches Verfolgungsprogramm des serbischen Staates nicht anzunehmen. Die im Zuge von kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgten Maßnahmen seien charakteristischerweise gegen die Verbände der UCK und nicht gegen individuell vorausbestimmte einzelne Personen der albanischen Zivilbevölkerung gerichtet. Die anonyme Masse der albanischen Bevölkerung werde nur mittelbar betroffen. Die gegenständliche mittelbare Betroffenheit stelle keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, weil darin bloß Aktivitäten zu erblicken seien, die die dort lebende Bevölkerung allgemein zu erdulden habe.
Dem Beschwerdeführer komme die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass die belangte Behörde in der Frage der asylrechtlich relevanten Verfolgung aller ethnischen Albaner im Kosovo unter dem Titel rechtliche Beurteilung Feststellungen getroffen hat, welche dem Vorbringen des Beschwerdeführers (insbesondere in seiner Berufung) "diametral" entgegenstünden. Die belangte Behörde zitiere im Zusammenhang mit diesen Ausführungen kein einziges Beweismittel, keine Pressemeldung, keinen Zeitungsartikel, es finde sich nicht einmal der Verweis auf Berichterstattungen oder andere Erkenntnisquellen. Diese Ansicht der belangten Behörde sei unter Verletzung des Parteiengehöres dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegt worden. Darüber hinaus habe die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Hätte sie die Verfahrensvorschriften eingehalten, hätte der Beschwerdeführer Zeugen - er zählt eine Zeugin als Beispiel auf - benennen können, welche ausgeführt hätten, dass den militärischen Maßnahmen der jugoslawischen Armee im Kosovo ebenso wie den früheren Maßnahmen in anderen ehemaligen Teilrepubliken des vormaligen Jugoslawiens ein politisches Konzept zum Ausbau der Vormachtstellung der serbischen Bevölkerungsgruppe und zur Dezimierung der jeweiligen dort ansässigen anderen Ethnien zugrunde liege.
Im Sinne des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308). Beim Berufungsvorbringen handelt es sich nicht - wie die belangte Behörde offenbar meint - um ein Vorbringen zur Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung des erstinstanzlichen Bescheides, sondern, insbesondere bei der Behauptung, es würde ohne jeden politischen Zusammenhang "eine Vielzahl" der albanischen Bevölkerung (auch Kinder und Jugendliche) ermordet, um ein Sachverhaltsvorbringen; diesem setzt die belangte Behörde ohne Nennung der Beweisquellen und Beweisinhalte im angefochtenen Bescheid eine konträre Sachverhaltsannahme (... Maßnahmen charakteristischerweise gegen Verbände der UCK gerichtet ...), entgegen, die sie zu Unrecht als rechtliche Beurteilung ansieht. Sie hat diese Sachverhaltsannahme ohne Wahrung des Parteiengehörs und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen, weshalb sich der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet erweist.
Darüber hinaus stützte sich die belangte Behörde betreffend die allgemeine Lage im Kosovo erkennbar nur auf den Vorfall vom 5. März 1998.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat, welche über den von der belangte Behörde berücksichtigten Vorfall vom 5. März 1998 weit hinausgingen. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstreckten, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenicadreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica erstreckten.
Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mwN). Bei einem ethnischen Albaner, der aus der oben genannten Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet kommt, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF
BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, Seite 96 wiedergegebene hg. Rechtsprechung zu § 45 Abs. 1 AVG). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte.
Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben aus einem Ort im Bereich des von den Vorgängen bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides betroffenen Gebietes. Die belangte Behörde hätte, wenn sie auf die genannten Vorfälle ab 28. Februar 1998 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht genommen hätte - und nicht nur den einen der Vorfälle, der vom Beschwerdeführer selbst zu Protokoll gegeben wurde (und der am 5. März 1998 zahlreiche Verwandte im Dorf Prekaz, welches in unmittelbarer Nähe zum Wohnhaus des Beschwerdeführers in Skenderaj (Entfernung 500 - 1000 m) liegt, das Leben kostete) - zu einem anderen Bescheid kommen können (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287, und die Zerstörung eines von Albanern bewohnten Dorfes betreffend vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566).
Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Juli 1999
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999010066.X00Im RIS seit
11.07.2001