Entscheidungsdatum
01.10.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Spruch
I412 2152909-1/13E
I412 2152908-1/12E
I412 2152906-1/12E
I412 2187814-1/10E
I412 2111123-3/7E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX StA Nigeria vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH Volkshilfe Flüchtlings - und MigrantInnenbetreuung GmbH p.A. ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe (BF 1 - 4) bzw. MigrantInnenverein St. Marx (BF 5) gegen die Bescheide des BFA, Regionaldirektion Steiermark (BAG) vom 22.03.2017, Zlen. XXXX und gegen den Bescheid vom 26.06.2018, Zl. XXXX (zu 5.) beschlossen:
A)
Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG iVm § 34 Abs. 4 stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist Mutter des Zweitbeschwerdeführers, geb. am XXXX (BF2), und der Dritt- sowie Viertbeschwerdeführerin (BF 3 und BF4), die am XXXX geboren wurden. Der Fünftbeschwerdeführer ist Vater der BF3 und BF4.
2. Die BF1 stellte am 03.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag befragt. Für den BF2 wurde ebenfalls am 03.06.2015 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht, für die BF3 mit Schreiben vom 30.11.2016 und für die BF 4 mit Schreiben vom 13.02.2018 im Wege ihrer Mutter als deren gesetzliche Vertretung.
3. Am 01.03.2017 fand eine Einvernahme der BF1 vor der belangten Behörde statt.
4. Am 22.03.2017 wurden (nahezu gleichlautende) Bescheide betreffend die BF1, BF2 und BF3 erlassen, mit denen die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt 1.) und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Nigeria abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass deren Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Als Frist für eine freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
5. Gegen diese Bescheide wurde mit Schreiben vom 07.04.2017 rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben und diese wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang angefochten.
6. Am 13.02.2018 wurde durch die Mutter als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz für die am 01.01.2018 geborene BF4 eingebracht, welcher am 14.02.2018 ohne neuerliche Einvernahme von der belangten Behörde in gleicher Weise wie jener der BF1 - BF3 entschieden wurde.
7. Gegen diesen Bescheid wurde ebenfalls rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben und unter anderem ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren moniert.
8. Mit Bescheid vom 26.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des BF 5 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.) Zugleich erteilte sie dem BF5 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde zudem ausgesprochen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VI.). und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.). Beweiswürdigend stellte die belangte Behörde fest, dass dem Beschwerdeführer geglaubt werde, dass er eine Freundin und zwei Kinder habe, jedoch keine Anzeichen eines intensiven Familienlebens festgestellt worden seien.
8. Gegen diesen Bescheid wurde vom BF5 mit Schreiben vom 26.07.2018 rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben.
8. Am 20.08.2018 bzw. 27.08.2018 (BF5) wurden sämtliche Verfahren der Gerichtsabteilung I412 neu zugeteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbis Viertbeschwerdeführer, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen wurden im Bundesgebiet geboren. Der Fünftbeschwerdeführer ist Vater der Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen.
Betreffend die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer wurden von der belangten Behörde keine Ermittlungen betreffend allfällige eigene Fluchtgründe vorgenommen.
Der Asylantrag des Fünftbeschwerdeführers wurde wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, während die Anträge der Erst- bis Viertbeschwerdeführerinnen nach den §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen wurde.
2. Beweiswürdigung:
Dass die Erstbeschwerdeführerin die Mutter der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer ist, ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und ist unstrittig. Dass es sich bei den Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen um die Töchter des Fünftbeschwerdeführers handelt, wird von der belangten Behörde ebenso nicht bezweifelt und ergibt sich aus den im Akt befindlichen Geburtsurkunden.
Auch die weiteren Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Akten der belangten Behörde.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchpunkt A) Aufhebung des bekämpften Bescheides:
3.1.1. Die hier anzuwenden Bestimmungen §§ 2 Abs. 1 Z. 22 und 34 AsylG sowie § 21 BFA-VG lauten auszugsweise wie folgt:
Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat;
dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;
Sonderbestimmungen für das Familienverfahren
Familienverfahren im Inland
§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
....
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
§ 21. (1) Zu Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht ist das Bundesamt zu laden; diesem kommt das Recht zu, Anträge und Fragen zu stellen.
(2) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen, mit denen ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, binnen acht Wochen, soweit der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde.
...
(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
...
3.1.2. Die belangte Behörde hat den Asylantrag des Fünftbeschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, während der Antrag der übrigen Beschwerdeführer inhaltlich geprüft und in der Folge abgewiesen wurde.
Die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, ist dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (VwGH vom 16.08.2016, Ra 2016/01/0039).
Diese Rechtsprechung erging zwar in Zusammenhang mit einem Dublin-Verfahren, jedoch kann bei einer Entscheidung, ob ein Verfahren gemäß § 68 ASVG zuzulassen ist, nichts anderes gelten.
Unter Zugrundelegung der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es der belangten Behörde letztlich verwehrt, angesichts der Sachentscheidung betreffend die Anträge der Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen die Anträge des Vaters im Familienverfahren wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG zurückzuweisen. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es wiederum verwehrt, über den Antrag des Fünftbeschwerdeführers selbst meritorisch zu entscheiden, zumal Sache des Beschwerdeverfahrens diesbezüglich die Zurückweisung der Anträge durch die Vorinstanz ist (vgl. VwGH 25.11.2009, Zl. 2007/01/1153).
Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357).
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den vorgelegten Akten nicht ergibt, dass die belangte Behörde Ermittlungen betreffend allfällige Fluchtgründe der BF2 - BF4 angestellt hätte bzw. deren Mutter als gesetzliche Vertreterin dazu befragt hätte.
Das Bundesamt wird daher entsprechende Ermittlungen nachzuholen und im Bescheid diesbezügliche Feststellungen zu treffen haben und in der Beweiswürdigung darzulegen haben, warum die Feststellungen getroffen wurden.
3.1.3. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von amtswegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn unter anderem bereits aufgrund der Aktenlage feststeht dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben.
Es war daher ohne mündliche Verhandlung den Beschwerden stattzugeben und die bekämpften Bescheide zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I412.2152908.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.02.2019