TE Bvwg Beschluss 2018/10/22 G314 2206450-1

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Veröffentlicht am 22.10.2018
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Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1

Spruch

G314 2206450-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, rumänischer Staatsangehöriger, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) hält sich seit 2014 mit Unterbrechungen immer wieder in Österreich auf, war hier aber nie erwerbstätig, sondern lebte ohne festen Wohnsitz als Bettler, häufig mit einer Gruppe anderer rumänischer Bettler, in XXXX. Zwischendurch kehrte er nach Rumänien zurück. Von 05.06.2018 bis 22.08.2018 verfügte er als Obdachloser über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG, suchte die angegebene Kontaktstelle (XXXX) aber nicht immer regelmäßig auf. Eine Anmeldebescheinigung wurde ihm nie ausgestellt.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten, wurde im Bundesgebiet aber mehrfach wegen Verwaltungsübertretungen bestraft. So wurden 2017/2018 vier Mal Geldstrafen (EUR 100, EUR 120, EUR 150 und EUR 250) wegen Störung der öffentlichen Ordnung (§ 81 Abs 1 SPG) und einmal eine Geldstrafe von EUR 100 wegen aufdringlichen und aggressiven Bettelns (§ 10 Abs 4 lit a iVm Abs 1 lit a, Abs 3 Tiroler Landes-Polizeigesetz) gegen ihn verhängt. Außerdem wurde eine Geldstrafe von EUR 100 wegen eines Verstoßes gegen das Tiroler Campinggesetz (§ 16 Abs 1 lit a) sowie eine Geldstrafe von EUR 50 wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung der XXXX zum Schutz der städtischen Parkanlagen (§ 11 IPO) verhängt. Es kann nicht festgestellt werden, welches konkrete Verhalten des BF zur Erlassung dieser Verwaltungsstrafen führte. Weitere gegen den BF erlassene Verwaltungsstrafen sind nicht aktenkundig.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30.05.2018 wurde der BF aufgefordert, sich zur insbesondere wegen der Übertretungen des SPG beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er erstattete am 04.06.2016 eine entsprechende Stellungnahme.

Mit dem oben genannten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein einjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit den Verstößen gegen § 81 SPG und gegen das Tiroler Landes-Polizeigesetz, dem Fehlen einer Krankenversicherung und der Mittellosigkeit des BF, der im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, sowie mit dem Fehlen familiärer und privater Bindungen in Österreich begründet.

Zwischen XXXX.2018 und XXXX.2018 verbüßte der BF eine Ersatzfreiheitsstrafe im Polizeianhaltezentrum XXXX. Am 03.09.2018 kehrte er freiwillig nach Rumänien zurück.

Gegen den Bescheid richtet sich die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Beschwerde des BF mit den Anträgen, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde unter anderem damit, dass im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen zu dem den Verwaltungsübertretungen zugrundeliegenden Verhalten getroffen worden seien. Die bloße Wiedergabe der übertretenen Verwaltungsvorschriften sei nicht ausreichend, zumal Verwaltungsübertretungen nicht schon für sich genommen eine solche Schwere aufwiesen, dass sie ohne weiteres die Gefährdung nach § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG indizierten.

Das BFA trug der für den BF einschreitenden ARGE Rechtsberatung die Vorlage der Originalvollmacht auf und legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor dem Ablauf der dafür gesetzten Frist unter Anschluss einer ausführlichen Stellungnahme dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo diese am 26.09.2018 einlangten.

Am 17.10.2018 legte der BF auftragsgemäß und fristgerecht die Vollmacht vor, die er der im Beschwerdeverfahren für ihn einschreitenden ARGE Rechtsberatung erteilt hatte.

Das BFA führte im Verwaltungsverfahren keine Erhebungen über das den Verwaltungsübertretungen zugrundeliegende Verhalten des BF durch. In den vorgelegten Akten befinden sich dazu lediglich eine Aufstellung der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen der Landespolizeidirektion Tirol und ein Verwaltungsstrafregisterauszug des XXXX sowie diverse Polizeiberichte und Meldungen, aus denen jedoch kein konkretes strafbares Verhalten des BF hervorgeht. Es liegen keine Beweismittel vor, aus denen hervorgeht, welche konkreten Taten des BF zu den Verwaltungsübertretungen führten, wann er die Taten beging, welche Strafzumessungsgründe vorlagen, ob und wann die Strafen vollzogen wurden und wie er sich seit der Tatbegehung bzw. nach der Bestrafung verhielt. Es sind auch keine Informationen über das Vorleben des BF in seinem Herkunftsstaat oder in anderen Staaten (insbesondere allfällige strafgerichtliche Verurteilungen oder schwerwiegende Verwaltungsübertretungen) aktenkundig.

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal gravierende Ermittlungslücken vorliegen. Im angefochtenen Bescheid wurde nicht dargelegt, auf Basis welcher Beweismittel und welcher beweiswürdigenden Überlegungen das BFA zu dem Schluss kam, dass vom BF auf Basis des anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs eine solche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht, dass ein einjähriges Aufenthaltsverbot erforderlich ist. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Das BFA stellte die dem BF zur Last liegenden und den Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbots bildenden Verwaltungsübertretungen nur dahin fest, dass die Aktenzeichen, die übertretenen Vorschriften und das Datum der Rechtskraft der Entscheidungen angeführt wurden. Das reicht nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose. Vielmehr wären konkrete Feststellungen zu den einzelnen, den Verwaltungsübertretungen zugrunde liegenden Taten des BF zu treffen gewesen (vgl VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0068). Ein Gesinnungswandel eines Straftäters, der die von ihm ausgehende Gefährdung aufheben oder maßgeblich mindern kann, grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem allfälligen Vollzug einer Strafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl zuletzt VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169). Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass Verwaltungsübertretungen nicht schon für sich genommen eine solche Schwere auf, dass sie die Gefährdungsprognose nach § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ohne weiteres indizieren würden, weil sie im Katalog des § 53 Abs 3 FPG nicht enthalten sind (VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0068).

Es sind daher jedenfalls Ermittlungen darüber durchzuführen, welches Verhalten den Verwaltungsübertretungen des BF zugrunde lag, wann er dieses jeweils setzte, welche Strafzumessungsgründe ausschlaggebend waren und wie sich der BF seither verhalten hat, um eine entsprechende Gefährdungsprognose erstellen zu können. Dabei sind auch allfällige Verurteilungen und schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen in Rumänien und in anderen Staaten einzubeziehen.

Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen und allenfalls auch die Kontaktaufnahme mit diversen Behörden notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal zu tragenden Sachverhaltselementen überhaupt keine Beweisergebnisse vorliegen.

Das BFA wird sich im fortgesetzten Verfahren insbesondere mit dem den Verwaltungsübertretungen zugrundeliegenden Fehlverhalten des BF, seinem Vorleben, seinem Verhalten seither und etwa der Frage, ob er rasch rückfällig wurde, auseinanderzusetzen haben und in diesem Zusammenhang die erforderlichen Ermittlungsschritte vorzunehmen haben, um anschließend auf dieser erweiterten Grundlage eine mangelfrei begründete Sachentscheidung zu treffen. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass § 67 FPG grundsätzlich (nur) Fälle schwerer Kriminalität erfasst und dem BFA bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ein entsprechender Begründungsaufwand zukommt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1). Zur Frage, inwieweit bei Verwaltungsübertretungen gemäß § 81 SPG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, wird insbesondere auf das Erkenntnis des VwGH vom 25.01.2018, Ra 2017/21/0237, und die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG vom 24.10.2017, G314 2169993-1, hingewiesen.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher - dem in der Beschwerde eventualiter gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C):

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung, Gefährdungsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2206450.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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