TE Bvwg Beschluss 2018/11/7 W234 1251058-4

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Veröffentlicht am 07.11.2018
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Entscheidungsdatum

07.11.2018

Norm

AsylG 2005 §57
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W234 1251058-4/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.07.2018, Zl. 279161102/180250338, den Beschluss:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist am 06.01.2004 illegal nach Österreich eingereist und stellte am selben Tag beim Bundesasylamt seinen ersten Antrag auf Asyl. Dabei gab er an, in Russland geboren worden, jedoch seit seinem siebten Lebensjahr bei seiner Mutter in Georgien aufgewachsen zu sein.

Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.06.2004 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen; unter einem wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien für zulässig erklärt und dieser gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

Gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer Berufung ein, die mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 28.05.2008 abgewiesen wurde; unter einem wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. Dieser Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erwuchs in Rechtskraft.

2. Der Beschwerdeführer brachte am 15.04.2011 beim Bundesasylamt einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz ein.

Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 04.06.2011 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück und den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Georgien Föderation" aus. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.06.2011 erfolgte eine Berichtigung dahingehend, dass die Ausweisung nach "Georgien" und nicht "Georgien Föderation" laute.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 28.06.2011 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.06.2011 gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen

Der in der Beschwerde enthaltene Antrag auf Beigebung eines Rechtsberaters wurde gemäß § 66 AsylG 2005 abgewiesen.

In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27.06.2012 das Erkenntnis des Asylgerichtshofes 28.06.2011 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufgehoben.

In der Folge wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 10.08.2012 der Beschwerde gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.06.2011 ersatzlos behoben.

3. Mit Bescheid vom 12.04.2013 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz für den Status des Asyl- wie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien aus.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 04.10.2013 als unbegründet ab. Dieses Erkenntnis des Asylgerichtshofes erwuchs in Rechtskraft.

4. Auf Grund von Anträgen des Beschwerdeführers vom 25.09.2014 und 25.01.2017 erhielt er eine Duldung mit Gültigkeit bis 09.08.2018.

5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 128 (1) Z 5, 129 (1) Z 1 u

(2) Z 1, 130 (1) 1. Fall u (2) 1. Fall u (3) StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Am 09.01.2018 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen, weil ihm gemäß § 39 SMG bis 02.12.2019 ein Strafaufschub unter der Auflage gewährt worden war, sich näher genannter Therapien zur Behandlung seiner Drogensucht zu unterziehen. Er wurde stationär im XXXX aufgenommen, um dort die Therapien und Behandlungen zu durchlaufen.

6. Mit Schreiben vom 14.03.2018 (zugestellt am 19.03.2018) wurde dem Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt und Parteiengehör gewährt. Darin erklärte die belangte Behörde im Wesentlichen, sie gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet weder familiäre noch soziale oder berufliche Bindungen habe. Wegen seines illegalen Aufenthaltes, der mittlerweile vorliegenden Zustimmung einer Rückübernahme durch die georgischen Behörden sowie seines neuerlichen Fehlverhaltens sei beabsichtigt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG iVm einem Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG zu erlassen und ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen. Der Beschwerdeführer erhalte die Möglichkeit, zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot innerhalb von 10 Tagen Stellung zu nehmen.

7. Am 23.03.2018 gab der Beschwerdeführer hierzu folgende Stellungnahme ab:

Er sei am 06.01.2004 über die Türkei mit einem Lkw (Schlepper) nach Österreich gekommen und habe in Traiskirchen einen Asylantrag gestellt. Seit 2004 habe er eine Asylkarte gehabt und seit August 2017 die Duldungskarte. In Georgien habe er die Volksschule, Hauptschule und eine Juwelierlehre absolviert. In Österreich würden seine Lebensgefährtin, seine beiden Kinder sowie seine Schwester leben. Derzeit befinde er sich zur Behandlung seiner Suchterkrankung gemäß § 39 SMG im XXXX und beziehe kein Einkommen. Er sei über die Grundversorgung krankenversichert und habe in den letzten Jahren über die Grundversorgung etwas Geld erhalten. Seine Lebensgefährtin habe immer gearbeitet und tue dies auch jetzt. Auch die Wohnung gehöre ihr, mangels Einkommen zahle der Beschwerdeführer keine Miete. Er werde nicht politisch oder strafrechtlich verfolgt. Seine Familie lebe in Österreich, er wolle bei ihr leben und ein Aufenthaltsrecht im Sinne der Familienzusammenführung in Österreich erlangen. Beigelegt wurden eine Therapiebestätigung sowie eine Kopie der Duldungskarte.

8. Am 04.04.2018 wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Diese gab im Wesentlichen an, mit dem Beschwerdeführer nicht verheiratet zu sein und mit ihm zwei gemeinsame Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei der leibliche Vater beider Kinder, weil es jedoch Probleme mit seinem Namen gegeben und er keine Papiere gehabt hätte, sei er beim zweiten Kind nicht als Vater behördlich vermerkt. Zu dieser Zeit hätten sie auch keinen Kontakt gehabt. Im Mietvertrag sei sie als alleinige Mieterin eingetragen. Dazu legte sie den Mietvertrag, Gehaltszettel, den Bescheid über die Mindestsicherung sowie eine Bestätigung über die Familienbeihilfe und die Geburtsurkunden der beiden Kinder vor. Sie erklärte, Mindestsicherung und Kindergeld zu erhalten und seit 2016 als geringfügig Beschäftigte zu arbeiten. Für beide Kinder habe sie das alleinige Sorgerecht, sei alleinerziehende Mutter, stehe auf eigenen Beinen und lebe ohne Unterstützung des Beschwerdeführers.

Sie und der Beschwerdeführer würden sich seit 2008 kennen, hätten bis 2013 zusammengelebt, seien jedoch nie verheiratet gewesen. Derzeit wären sie getrennt. Da der Beschwerdeführer am Wochenende Ausgang bekomme, schlafe er fast jeden Freitag bis Sonntag bei ihr. Der Beschwerdeführer verfüge über kein Einkommen und könne somit auch kein Geld bzw. Alimente beisteuern. Vor seiner Festnahme habe er Gartenarbeiten verrichtet. Genaueres wisse sie nicht. Zurzeit verdiene er kein Geld. Er kenne sich mit Autos aus und habe ab und zu solche repariert. Einer legalen Beschäftigung sei er in Österreich nicht nachgegangen.

Weiters würde eine Schwester des Beschwerdeführers in Wien leben, die geschieden sei und ein Kind habe. Wie oft der Beschwerdeführer zu dieser in Kontakt stehe, wisse die Zeugin nicht. Da diese nur eine Einzimmerwohnung habe, könne er nicht bei dieser nicht übernachten. Die Zeugin selbst verfüge über den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Österreich.

9. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 12.07.2018, zugestellt am 18.07.2018, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

10. Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 07.08.2018 beim Bundesamt einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich mit seiner Lebensgefährtin eine Familie gegründet habe. Sie hätten einen gemeinsamen Sohn und eine gemeinsame Tochter. Auch wenn er nicht an der Adresse seiner Lebensgefährtin gemeldet sei, verbringe er den Großteil seiner Zeit mit ihr und den Kindern. Zu seiner in Österreich lebenden Schwester habe der Beschwerdeführer üblicherweise einmal pro Woche Kontakt. Wegen seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spreche er schon sehr gut Deutsch. Der Beschwerdeführer sei mehrmals gerichtlich verurteilt worden, bei der letzten Verurteilung sei ihm jedoch Strafaufschub gemäß § 39 SMG gewährt worden. Seitdem befinde er sich in Behandlung wegen seiner Heroinabhängigkeit. Aus dem stationären Teil der Behandlung sei er entlassen worden, die weitere Behandlung erfolge nunmehr ambulant.

Es hätte keine Einvernahme des Beschwerdeführers stattgefunden, es sei lediglich mit Schreiben vom 14.03.2018 die Möglichkeit gewährt worden, zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots schriftlich Stellung zu nehmen. Hingegen sei seine Lebensgefährtin am 04.04.2018 mündlich einvernommen worden. Es obliege der belangten Behörde, sämtliche für die Begründung des Bescheides notwendigen Ermittlungen vorzunehmen, insbesondere den Beschwerdeführer zu der Sachlage zu befragen. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei festzuhalten, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowohl hinsichtlich der Gefährdungsprognose als auch der Abwägung nach Art. 8 EMRK besondere Bedeutung zukomme. Auf den persönlichen Eindruck könne nur verzichtet werden, wenn es sich um einen eindeutigen Fall handle. Im gegenständlichen Fall habe es jedoch noch nicht einmal eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde gegeben. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund absolut unverständlich, als die belangte Behörde es offensichtlich als geboten erachtet hätte, die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers persönlich einzuvernehmen, nicht hingegen den Beschwerdeführer selbst, der vom Bescheid unmittelbar betroffen sei. Die belangte Behörde stütze ihre Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung sowie in weiterer Folge die Gefährdungsprognose auf die Aktenlage. Es liege daher eine massive Verletzung des Parteiengehörs vor, dem gerade bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eine besondere Bedeutung zukomme. Der Bescheid werde daher aufzuheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen seien.

Dass der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin sich zum Zeitpunkt der Einvernahme gerade in getrenntem Zustand befunden hätten, vermöge nicht den gänzlichen Mangel einer Beziehung zu begründen, zumal die Lebensgefährtin auch angegeben hätte, der Beschwerdeführer schlafe dennoch fast jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag bei ihr. Dies sei zum Zeitpunkt seiner stationären Behandlung gewesen, wo er nur am Wochenende Ausgang gehabt hätte. Ein gänzliches Erlöschen des Familienlebens könne daher nicht angenommen werden. Auch sei die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Schwester im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Zum Einreiseverbot habe die belangte Behörde im Wesentlichen beweiswürdigend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer straffällig geworden sei. Nicht berücksichtigt habe sie dabei, dass er das Delikt offensichtlich im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln begangen habe, der Strafvollzug zur Durchführung einer gesundheitsbezogenen Maßnahme aufgeschoben worden sei und der Vollzug der Freiheitsstrafe im Hinblick auf die Gefährlichkeit des Täters nicht als geboten erschienen sei. Relevant sei in diesem Zusammenhang auch, dass sich der Beschwerdeführer der stationären Behandlung unterzogen hätte und nunmehr den ambulanten Teil der Behandlung gewissenhaft absolviere, um seine Sucht hinter sich zu lassen und auch seine Familie unterstützen zu können.

Die Beschwerde richtet sich gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheids des Bundesamts vom 12.07.2018. Es wird auch beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung zur Einvernahme des Beschwerdeführers sowie seiner Lebensgefährtin als Zeugin abzuhalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die Beschwerde rügt - im Ergebnis berechtigt -, dass es zur Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme und des Einreiseverbots einer Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt bedurft hätte, um der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung sowie der für die Erlassung eines Einreiseverbots notwendigen Gefährdungsprognose einen hinreichend ermittelten Sachverhalt zugrunde legen zu können.

Zunächst betont der VwGH, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks gerade bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; 17.11.2016, Ra 2016/21/0316).

Im hier vorliegenden Fall unterließ es das Bundesamt, den Beschwerdeführer einzuvernehmen und gewährte ihm lediglich ein schriftliches Parteiengehör. Zudem hat das Bundesamt ausschließlich die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers einvernommen, obwohl dieser in einer E-Mail vom 19.03.2018 mitgeteilt hatte, seine Situation gerne mündlich erörtern zu wollen (AS 863). Dazu kommt, dass die Lebensgefährtin in ihrer Einvernahme betonte, über wesentliche Teile des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich - insb zu dessen Beziehung zu seiner hier aufhältigen Schwester - keine Auskunft geben zu können, sodass sich das Bundesamt schon deshalb veranlasst hätte sehen müssen, auch den Beschwerdeführer einzuvernehmen. Auch sonst lässt sich der Aktenlage nicht entnehmen, dass das Bundesamt von einem eindeutigen Sachverhalt hätte ausgehen dürfen. Denn zur Frage, ob dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 zu gewähren gewesen wäre und wie fortgeschritten seine Deutschkenntnisse sind, haben letztlich gar keine Ermittlungen stattgefunden. Zudem hätten die lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, der Umstand, dass auch seine Lebensgefährtin keine Auskunft dazu erteilen konnte, wie intensiv sich seine Beziehung zu seiner im Bundesgebiet aufhältigen Schwester darstellt, dass unklar bleibt, wie intensiv sich das Familienleben des Beschwerdeführers insb zu seinen Kindern darstellt, und inwieweit dieses auch im Ausland fortgesetzt werden könnte, sowie die Notwendigkeit der Erstellung einer Gefährdungsprognose zum Erfordernis geführt, sich einen persönlichen Eindruck von ihm vor Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch eine Einvernahme zu verschaffen.

Das Bundesamt wird daher im fortgesetzten Verfahren den Beschwerdeführer zu den Voraussetzungen der allfälligen Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Erlassung des Einreiseverbotes persönlich einzuvernehmen und auf Basis des persönlichen Eindrucks eine Zukunfts- bzw. Gefährdungsprognose zu erstellen haben.

Daher leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers sowie zur erforderlichen Gefährdungsprognose unter Berücksichtigung der stationären und ambulanten Behandlung seiner Sucht. Für das Bundesverwaltungsgericht erweist sich der vorliegende Sachverhalt, auf den das Bundesamt die Nichtgewährung des Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, die Erlassung der Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot stützt, als so mangelhaft ermittelt, dass eine Einvernahme des Beschwerdeführers jedenfalls hätte erfolgen müssen.

Indem das Bundesamt die Einvernahme des Beschwerdeführers als zentralen und besonders naheliegenden Ermittlungsschritt unterließ, hat es im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Privat- und Familienleben, strafrechtliche
Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W234.1251058.4.00

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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