Entscheidungsdatum
07.11.2018Norm
AsylG 2005 §57Spruch
G314 2208132-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, serbischer Staatsangehöriger, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen Spruchpunkt IV. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Einreiseverbots:
A) Der Beschwerde wird im Anfechtungsumfang Folge gegeben,
Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids aufgehoben und die Angelegenheit insoweit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (BF) reiste mit seinem bis 21.12.2019 gültigen serbischen Reisepass zuletzt am 09.04.2018 in den Schengenraum und am folgenden Tag in das Bundesgebiet ein, wo er (ohne Wohnsitzmeldung) in einem Hotel in XXXX Unterkunft nahm. Zweck seines Aufenthalts war zunächst der Besuch bei seiner in XXXX lebenden Freundin, von der er sich mittlerweile getrennt hat. Davor hatte er in der serbischen Stadt XXXX gelebt, wo er über eine Wohnmöglichkeit im Haus seiner Eltern und eine Beschäftigung in deren Unternehmen verfügt.
Am XXXX.2018 wurde der BF im Bundesgebiet verhaftet und anschließend wegen des Verdachts des Suchtgifthandels in Untersuchungshaft genommen. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.07.2018 wurde er aufgefordert, sich zu der (im Fall seiner rechtskräftigen Verurteilung geplanten) Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu äußern. Der BF erstattete keine Stellungnahme.
Am 07.09.2018 informierte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA darüber, dass gegen den BF Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben wurde.
Nach der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht XXXX am XXXX.2018, in der der BF wegen Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs 3 erster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten (davon 11 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre) verurteilt worden war, wurde er aus der Justizanstalt XXXX entlassen und umgehend in Verwaltungsverwahrungshaft genommen. Es handelt sich um seine erste strafgerichtliche Verurteilung in Österreich.
Der BF wurde am 18.10.2018 vor dem BFA zur Abklärung seines Aufenthaltsstatus und zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots vernommen, dabei aber nicht konkret zu dem seiner Verurteilung zugrundeliegenden (Fehl-) Verhalten befragt.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde dem BF kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.) sowie gegen den BF gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein siebenjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Das Einreiseverbot wurde mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF begründet, wobei keine Feststellungen zu seinem konkreten Fehlverhalten getroffen wurden.
Am 19.10.2018 wurde der BF in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.
Ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt IV. des oben genannten Bescheids richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, die Spruchpunkte III. und IV. des Bescheids sowie das Einreiseverbot zu beheben, in eventu, die Dauer des Einreiseverbots zu verkürzen.
Das BFA legte die Verwaltungsakten und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.
Das BFA führte keine Erhebungen darüber durch, welche Tat(en) der Verurteilung des BF zugrunde lag(en). In den vorgelegten Akten befinden sich keine Beweisergebnisse für das konkrete Verhalten des BF, das zur strafgerichtlichen Verurteilung führte. Es liegen keine Informationen zu Tatzeit und zur Zahl der Angriffe, zu Art und Menge des Suchtgifts, mit dem er handelte, zu den näheren Tatumständen, zur (durch die Verurteilung nach § 28a Abs 3 erster Fall SMG indizierten) eigenen Suchtgiftabhängigkeit des BF und zu den Strafzumessungsgründen vor. Es wurde weder eine Urteilsausfertigung beigeschafft noch eine Ausfertigung der Anklageschrift oder ein die Taten des BF betreffender Polizeibericht. Es liegt weder eine Strafkarte vor noch ergibt sich die Verurteilung aus dem am 23.10.2018 eingeholten Strafregisterauszug. Die einzige konkrete aktenkundige Information zur Verurteilung des BF ist das E-Mail einer Richterin des Landesgerichts XXXX vom 18.10.2018, in der sie die strafsatzbestimmende Gesetzesstelle und die Strafe (die bereits rechtskräftig sein soll) bekannt gab. Es fehlen auch jegliche Ermittlungen zum Verhalten des BF nach der letzten Tat und zu seinem Vollzugsverhalten.
Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist. Gemäß § 28 Abs 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist auch in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss ausgegangen ist.
Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheides kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Gericht nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das BVwG die Prozessökonomie fördern. Es liegen vielmehr erhebliche Ermittlungslücken vor, die Erhebungen notwendig machen, die das BFA rascher und effizienter nachholen kann. Insbesondere sind Ermittlungen darüber durchzuführen, welche Straftaten der Verurteilung des BF zugrunde liegen, welche Strafzumessungsgründe für die verhängte Sanktion ausschlaggebend waren und wie er sich seither verhalten hat, um eine gesetzeskonforme Gefährdungsprognose erstellen zu können, die Grundlage dafür ist, ob ein Einreiseverbot zu erlassen ist und wenn ja, in welcher Dauer.
Da es das BFA unterlassen hat, den relevanten Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen und im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt wurde, auf Basis welcher Beweismittel und welcher beweiswürdigenden Überlegungen es zu dem Schluss kam, dass gegen den BF ein siebenjähriges Einreiseverbot zu erlassen ist, ist auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.
Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts allenfalls auch noch weitere Ermittlungen notwendig sein werden, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal zu den tragenden Sachverhaltselementen des auf § 53 Abs 3 Z 1 FPG gestützten Einreiseverbots noch überhaupt keine Beweisergebnisse vorliegen.
Das BFA wird sich im fortgesetzten Verfahren mit den konkreten Straftaten des BF auseinanderzusetzen und in diesem Zusammenhang die erforderlichen Ermittlungsschritte vorzunehmen haben, um anschließend auf dieser erweiterten Grundlage eine mangelfrei begründete Sachentscheidung zu treffen.
Der angefochtene Bescheid ist somit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2208132.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.02.2019