TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/12 I404 1432285-3

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Veröffentlicht am 12.11.2018
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Entscheidungsdatum

12.11.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I404 1432285-3/6E

I404 2200073-2/6E

I404 2204476-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX, geboren am XXXX, Sta. Nigeria, 2. XXXX alias XXXX alias XXXX, geboren am XXXX alias XXXX alias XXXX, Sta. Nigeria und 3. XXXX, geboren am XXXX, Sta. Nigeria, alle vertreten durch die DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost, vom 09.08.2018. Zl. 830002803/180157729, den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich vom 11.07.2018, Zl. 1130839704/180382234, und den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 11.07.2018, Zl. 1188421400/180382269, zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG iVm § 34 Abs. 4 AsylG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer stellte am 01.01.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 09.01.2013 wies das (seinerzeitige) Bundesasylamt den Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Des Weiteren wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2015 hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen. Der Spruchpunkt III. wurde behoben und das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20.04.2017 wurde gegen den Erstbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria für zulässig erklärt. Des Weiteren erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.11.2017 als unbegründet abgewiesen.

2. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 28.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.11.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen wurde. Des Weiteren erließ die belangte Behörde gegen die Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung. Dieser Bescheid erwuchs am 03.01.2018 in Rechtskraft.

3. Am 14.02.2018 stellte der Erstbeschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab er an, dass sein Leben in seiner Heimat nach wie vor in Gefahr sei. Letztes Jahr seien seine zwei Schwestern und seine Mutter von muslimischen Leuten attackiert worden. Bei dem Vorfall seien alle drei getötet worden. Seine Lebensgefährtin - die Zweitbeschwerdeführerin - erwarte ein Kind von ihm. Der Termin werde demnächst sein, sie befinde sich im achten Monat.

4. Am XXXX wurde die Drittbeschwerdeführerin als Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin geboren. Am 20.04.2018 stellte die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin der Drittbeschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz.

5. Ebenfalls am 20.04.2018 stellte die Zweitbeschwerdeführerin den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab die Beschwerdeführerin an, dass sie nicht nach Afrika zurückkehren wollen, wegen den Gründen, welche sie bereits im Rahmen ihrer ersten Antragstellung angegeben habe. Sie und ihr hier geborenes Baby seien hier in Sicherheit. Außerdem habe sie hier in Österreich einen anderen Asylwerber - den Erstbeschwerdeführer - kennengelernt. Er sei ihr Lebensgefährte und Vater der gemeinsamen Tochter. Für ihre hier geborene Tochter wünsche sie sich eine bessere Zukunft in Österreich. In Nigeria gebe es niemanden, der sie unterstützen werde.

In der Einvernahme vom 14.06.2018 führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass sie nicht möchte, dass die Drittbeschwerdeführerin der Gefahr einer Beschneidung ausgesetzt sei. Das sei ihre Kultur. Sie sei auch beschnitten und Opfer geworden.

6. Mit Bescheiden vom 11.07.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Drittbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Zweitbeschwerdeführerin sowie gegen die Drittbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren setzte die belangten Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

7. Mit Bescheid vom 09.08.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.).

8. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerde.

9. In der Folge wurden die Beschwerden dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen im Bundesgebiet geborenen Drittbeschwerdeführerin. Für die Drittbeschwerdeführerin wurden eigene Fluchtgründe (Gefahr der Beschneidung) geltend gemacht.

Der Asylantrag des Erstbeschwerdeführers wurde wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, während die Anträge der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Drittbeschwerdeführerin nach den §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen wurden.

2. Beweiswürdigung:

Dass der Erstbeschwerdeführer der Vater der Drittbeschwerdeführerin sowie die Zweitbeschwerdeführerin die Mutter der Drittbeschwerdeführerin ist, ergibt sich aus der im Akt befindlichen Geburtsurkunde.

Die Feststellungen zu den Anträgen der Beschwerdeführer und den dazu ergangenen Bescheiden ergibt sich aus den vorgelegten Akten der belangten Behörde.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A) Aufhebung des bekämpften Bescheides:

3.1.1. Die hier anzuwenden Bestimmungen §§ 2 Abs. 1 Z. 22 und 34 AsylG sowie § 21 BFA-VG lauten auszugsweise wie folgt:

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat;

dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

....

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).

Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

§ 21. (1) Zu Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht ist das Bundesamt zu laden; diesem kommt das Recht zu, Anträge und Fragen zu stellen.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen, mit denen ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, binnen acht Wochen, soweit der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde.

...

(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

...

3.1.2. Die belangte Behörde hat den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, während die Anträge der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin inhaltlich geprüft und in der Folge abgewiesen wurden. Die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, ist dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (VwGH vom 16.08.2016, Ra 2016/01/0039).

Zwar erging diese Rechtsprechung in Zusammenhang mit einem Dublin-Verfahren, jedoch kann bei einer Entscheidung, ob ein Verfahren zuzulassen ist, oder ein Antrag gemäß § 68 AVG zurückzuweisen ist, nichts Anderes gelten. Unter Zugrundelegung der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es der belangten Behörde letztlich verwehrt, angesichts der Sachentscheidung betreffend des Antrages der Drittbeschwerdeführerin den Antrag des Erstbeschwerdeführers im Familienverfahren wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG zurückzuweisen. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es wiederum verwehrt, über den Antrag des Erstbeschwerdeführers selbst meritorisch zu entscheiden, zumal Sache des Beschwerdeverfahrens diesbezüglich die Zurückweisung des Antrages durch die Vorinstanz ist (vgl. VwGH 25.11.2009, Zl. 2007/01/1153).

Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357).

3.1.3. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von amtswegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn unter anderem bereits aufgrund der Aktenlage feststeht dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben.

Es war daher ohne mündliche Verhandlung den Beschwerden stattzugeben und die bekämpften Bescheide zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung, Asylantragstellung, Asylverfahren, Aufenthaltstitel,
Behebung der Entscheidung, berücksichtigungswürdige Gründe,
Familienverfahren, Fluchtgründe, Folgeantrag, Rückkehrentscheidung,
subsidiärer Schutz, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I404.1432285.3.00

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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