TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/16 W128 2197272-1

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Veröffentlicht am 16.11.2018
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Entscheidungsdatum

16.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §33 Abs1
VwGVG §7 Abs4

Spruch

W128 2197272-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA.

AFGHANISTAN, vertreten durch: Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH

A)

I. gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 15.05.2018, Zl. 1078240410-150867368, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass der Spruch des bekämpfen Bescheides zu lauten hat:

"Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 08.05.2018 wird gemäß §33 Abs.1 VwGVG abgewiesen."

II. gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368, beschlossen:

Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 13.07.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er in das Bundesgebiet eingereist war.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG und 8 AsylG abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen.

Der Bescheid wurde am 23.03.2018 zugestellt.

3. Am 08.05.2018 stellte der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, beantragte weiter diesem Antrag die aufschiebende Wirkung zu erkennen, und erhob unter einem Beschwerde gegen den Bescheid vom 20.03.2018. Begründend wird ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer der Bescheid am 23.03.2018. Zugestellt worden sei. Die ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe sei dem Beschwerdeführer als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt worden. Der Beschwerdeführer habe sich umgehend mit der ARGE Rechtsberatung in Verbindung gesetzt und sei ein Beschwerdetermin für den 18.04.2018 vereinbart worden. Der Beschwerdeführer habe diesen Termin jedoch nicht wahrnehmen können, da er sich vom 17.04.2018 bis zum 24.04.2018 in der Justizanstalt Josefstadt und vom 24.04.2018 bis 25.04.2018 in Haft bei der LPD Wien befunden habe. Von einem Sozialarbeiter des Sozialen Dienstes sei ihm geraten worden, sich umgehend nach seiner Enthaftung an die ARGE Rechtsberatung zu wenden, was der Beschwerdeführer nach seiner Enthaftung auch getan habe. Der Beschwerdeführer habe vorher keine Möglichkeit gehabt seinen amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberater zu kontaktieren. Erst im Zuge eines Beratungsgesprächs am 03.05.2018 sei der Beschwerdeführer darüber aufgeklärt worden, dass die Beschwerdefrist bereits abgelaufen war und die Möglichkeit bestehe, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Die Frist zur Einbringung eines solchen Antrages sei somit gewahrt.

In der Sache selbst rügte der Beschwerdeführer die Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit.

4. Am 05.05.2018 erließ die belangte Behörde den nunmehr bekämpften Bescheid, mit dem sie dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Folge gab. In der Begründung wird zusammengefasst ausgeführt, dass kein Hindernisgrund für eine Kontaktaufnahme mit der rechtlichen Vertretung erkennbar sei. Es bestehe jedenfalls die Möglichkeit, auch in einer Justizanstalt mit der rechtlichen Vertretung in Kontakt zu treten. Es sei für die Behörde nicht erkennbar, welche Umstände den Beschwerdeführer davon abgehalten hätten, sofort mit der rechtlichen Vertretung in Kontakt zu treten. Der Umstand, dass er sich offensichtlich nicht rechtzeitig eingebracht habe, liege in seiner Verantwortung und stelle kein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis dar. Es sei vielmehr nachgewiesen, dass die Versäumung der Beschwerdeeinbringung in seinem Verschulden liege und somit kein Grund bestehe seinem Antrag Folge zu geben. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher "zurückzuweisen".

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde vom 28.05.2018. In der Begründung wird zusammengefasst ausgeführt, dass zum einen die 4-wöchige Beschwerdefrist am "20.03.2018" (gemeint wohl 20.04.2018) endete und nicht wie irrtümlich von der belangten Behörde angenommen der Bescheid mit 24.04.2018 in Rechtskraft erwachsen sei, wobei der Beschwerdeführer kurz vor seinem Beschwerdegespräch bei der Diakonie (18.04.2018) und kurz vor Ende der Rechtsmittelfrist in Haft genommen worden sei. Zum anderen habe die belangte Behörde die vorgelegten Beweise nicht gewürdigt, aus denen hervorgehe, dass sich der Beschwerdeführer auch vom 24.04.2018 bis 25.04.2018 in Haft bei der LPD Wien befunden habe. Der Beschwerdeführer habe in der Haft ein Gespräch mit einem Mitarbeiter des Sozialen Dienstes geführt. Nach diesem Gespräch und infolge von Missverständnissen habe der Beschwerdeführer angenommen, dass er nach Entlassung seine Beschwerde gegen den Bescheid, welcher ihm in der Haft nicht vorgelegen sei, mittels der im amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberatung erheben solle, was er nach seiner Enthaftung auch getan habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass er vormals ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling gewesen sei, er nur über mangelnde Sprach-und Rechtskenntnisse verfüge, und die notwendige Reife sowie die Fähigkeit die Komplexität der Sache und des Verfahrens zu verstehen, nicht gegeben seien. Aufgrund eines minderen Grades des Versehens sei die Voraussetzung für eine Wiederaufnahme gegeben. Ausdrücklich werde noch einmal beantragt, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die aufschiebende Wirkung zu zuerkennen. Im gegenständlichen Fall würde dem Beschwerdeführer durch die rechtskräftige und damit durchsetzbar gewordene Rückkehrentscheidung ein unverhältnismäßiger Nachteil drohen. Im Hinblick auf die Beurteilung der Asylrelevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers, werde auf die Beschwerde vom 08.05.2018 verwiesen.

6. Mit Schreiben vom 30.05.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dem bezughabenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG und 8 AsylG abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Der Spruch sowie die Rechtsmittelbelehrung wurden in der Sprache des Beschwerdeführers abgefasst.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 26.03.2018 (Beginn der Abholfrist) durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt. Eine Verständigung über die Hinterlegung wurde in die Abgabeeinrichtung eingelegt.

Der Beschwerdeführer holte in der Folge den Bescheid vom 20.03.2018 ab und vereinbarte mit seinem Rechtsberater einen Termin für den 18.04.2018.

Die vierwöchige Rechtsmittelfrist für die Erhebung einer Beschwerde endete mit Ablauf des 23.04.2018, womit der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 in Rechtskraft erwuchs.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 30.03.2018, 10:30 Uhr bis 01.04.2018 12:10 Uhr und vom 16.04.2018, 11:55 Uhr bis 24.04.2018, 13:45 Uhr in der JA Wien-Josefstadt in Haft. Vom 24.04.2018 14:20 Uhr bis zum 25.04.2018 16:20 Uhr war er im PAZ Roßauer Lände in Haft. Er wurde am 24.04.2018 rechtskräftig wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten verurteilt, wobei die Strafe unter Anrechnung der Vorhaft bedingt nachgesehen wurde. Die Probezeit wurde mit 3 Jahren festgesetzt.

Ein Hinderungsgrund, der bei Versäumung der verfahrensrechtlichen Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt, liegt nicht vor.

Die gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag am 08.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachte Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 ist verspätet.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Insbesondere war auch das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde zu würdigen.

Dem Zustellschein ist eindeutig und gut leserlich zu entnehmen, dass der Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 bereits am 26.03.2018 beim zuständigen Postamt zur Abholung bereitgehalten und sohin mit diesem Datum durch Hinterlegung zugestellt wurde.

Der Beschwerdeführer hatte demnach unbestritten Kenntnis vom Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368.

Ebenso wurde unstrittig zwischen dem Beschwerdeführer und seiner amtswegig beigestellten Rechtsberatung für den 18.04.2018 ein Termin vereinbart. Diesen Termin konnte der Beschwerdeführer zwar nicht wahrnehmen, da er sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befand, jedoch bestand kein Hinderungsgrund mit der Rechtsberatung Kontakt aufzunehmen, bzw. eine rechtzeitige Beschwerde einzubringen. Das Vorbringen, ein Sozialarbeiter habe ihm (missverständlich) geraten, sich (erst) nach seiner Entlassung an seine Rechtsberatung zu wenden kann dies auch nicht entkräften, da es eine auffallende Sorglosigkeit darstellt, einen solchen Termin, dessen Bedeutung, auch einem gerade erst volljährig gewordenen Asylwerber unter allen Umständen klar sein muss, nachrichtenlos nicht wahrzunehmen. Dies umso mehr, als die in der Sprache des Beschwerdeführers abgefasste Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich auf die vierwöchige Beschwerdefrist hinweist. Dass der Beschwerdeführer in der vom 16.04.2018, 11:55 Uhr bis 24.04.2018, 13:45 Uhr dauernden Haft in der JA Wien-Josefstadt keine Gelegenheit hatte, seine Rechtsberatung zu kontaktieren, widerspricht notorisch den Rechten und der tatsächlichen Wirklichkeit von in einer österreichischen Haftanstalt Inhaftierten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels einer anderslautenden Bestimmung Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

3.2. Zu A)

3.2.1. Spruchpunkt I

3.2.1.1. Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 leg.cit. ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Bei Versäumen der Beschwerdefrist ist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG 2014 die maßgebliche Bestimmung und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG 2014 geregelte Beschwerde handelt. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung auch bereits festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG 2014 übertragbar sind (vgl. VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0086, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann jegliches Geschehen, dh nicht nur tatsächliches, in der Außenwelt stattfindendes, sondern auch so genannte psychologische Vorgänge, wie Vergessen, Verschreiben, sich Irren usw., als "Ereignis" iSd § 42 Abs. 3 AVG gewertet werden (vgl. ua VwGH 27.09.2013, 2010/05/0202). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis "unabwendbar" ist, kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf objektive Umstände an; nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann (vgl. VwGH 24.01.1996, 94/12/0179; Hengstschläger/Leeb, AVG, § 71 Rz 39 mwN). Die Beurteilung, ob ein Ereignis "unvorhergesehen" ist, hängt demgegenüber nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, "wenn es die Partei tatsächlich nicht einberechnet hat und sein Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte, wobei das im Begriff der ‚Unvorhergesehenheit' gelegene Zumutbarkeitsmoment dahin zu verstehen ist, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit auch dann noch gewahrt ist, wenn der Partei ein nur ‚minderer Grad des Versehens' unterläuft" (vgl. VwGH 29.02.2008, 2008/04/0006).

Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt somit voraus, dass die Partei an der Versäumung der Frist oder der mündlichen Verhandlung kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Unter einem minderen Grad des Versehens ist nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, dh er darf die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 08.09.2015, Ra 2015/01/0125). Dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (ua VwGH 20.06.2013, 2013/06/0098 mwN; VwGH 02.09.2009, 2009/15/0096).

Die Tatsache, dass sich die Partei in Haft befindet, ist für sich allein genommen noch kein Hinderungsgrund, der bei Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt (vgl. VwGH vom 30.08.2011, 2011/21/0187).

3.2.1.2. Gegenständlich hielt der Beschwerdeführer den Bescheid der belangten Behörde vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 in Händen, der eine in seiner Sprache abgefasste Rechtsmittelbelehrung enthielt. Im Bewusstsein dessen vereinbarte der Beschwerdeführer mit der ihm amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberatung auch einen Termin am 18.04.2018 zur Einbringung einer Beschwerde.

Innerhalb der Rechtsmittelfrist wurde der Beschwerdeführer zweimal wegen Vergehen gegen das SMG in Haft genommen und deswegen in der Folge auch rechtskräftig verurteilt. Während seines zweiten Haftaufenthalts lief die Rechtmittelfrist ab.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ist eine Haft für sich allein genommen noch kein Hinderungsgrund, der bei Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt. Daneben konnte aber auch kein weiterer Hinderungsgrund festgestellt werden. Selbst wenn ein Sozialarbeiter dem Beschwerdeführer geraten hätte, sich nach der Haft an seine Rechtsberatung zu wenden, ändert dies dennoch nichts an der auffallenden Sorglosigkeit des Beschwerdeführers, seine Rechtsberatung nicht zu kontaktieren und mitzuteilen, dass er den bereits vereinbarten Termin auf Grund seiner Haft nicht wahrnehmen kann. Hätte er dies getan, hätte auch kein weiterer Grund bestanden, der ihn an der rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde (durch seine Rechtsberatung) gehindert hätte. Die Versäumung war somit voraussehbar und hätte durch ein dem Beschwerdeführer zumutbares Verhalten abgewendet werden können.

Da somit die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen, war die Entscheidung der belangten Behörde zu bestätigen. Aus der Begründung der belangten Behörde kann eindeutig und unmissverständlich entnommen werden, dass diese eine inhaltliche Entscheidung zu treffen gedachte. Bei der spruchgemäßen "Zurückweisung" hat sich die Behörde daher lediglich in der Wortwahl vergriffen. Der Spruch war daher dementsprechend zu korrigieren.

3.2.2. Spruchpunkt II

3.2.2.1. Gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG vier Wochen.

Gemäß § 14 Abs. 2 VwGVG hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, wenn sie von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen will.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag im letzten Monat, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

Gemäß § 33 Abs. 1 und 2 AVG werden Beginn und Lauf einer Frist durch Samstage, Sonntage oder gesetzliche Feiertage nicht behindert. Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen.

Gemäß § 17 Zustellgesetz (ZustG) ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

Gemäß § 17 Abs. 2 ZustG ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

Hinterlegte Dokumente gelten gemäß § 17 Abs. 3 ZustG mit dem ersten Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt. Der angefochtene Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 wurde bereits am 26.03.2018 - wie dem Zustellschein eindeutig zu entnehmen ist - beim zuständigen Postamt zur Abholung bereitgehalten und sohin mit diesem Datum durch Hinterlegung zugestellt.

3.2.2.2. Damit endete die vierwöchige Rechtsmittelfrist zur Erhebung einer Beschwerde mit Ablauf des 23.04.2018.

Der Beschwerdeführer räumte in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 08.05.2018 das Versäumen der Frist ein und machte geltend, dass er durch ein unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist gehindert war. Auch wenn der Beschwerdeführer - seinem Vorbringen nach - davon ausging, dass die Rechtsmittelfrist bereits mit dem Zustellversuch und nicht erst mit der Bereitstellung zur Abholung begann, waren das Verstreichen der Frist mit 23.04.2018 und die verspätete Einbringung der Beschwerde am 08.05.2018, unter Berücksichtigung seines Vorbringens zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zweifelsfrei festzustellen.

Mit der Vorlage des gegenständlichen Verwaltungsaktes ging die Entscheidungspflicht auf das Bundesverwaltungsgericht über. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 20.03.2018, Zl. 1078240410/150867368 vom 08.05.2018 war - da die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Spruchpunkt I nicht zu bewilligen war und gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung eingebrachte Beschwerde erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingebracht wurde - spruchgemäß als verspätet zurückzuweisen.

Durch die gegenständliche Entscheidung erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die aufschiebende Wirkung gemäß § 33 Abs. 4 letzter Satz VwGVG zuzuerkennen.

3.2.2.3. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs.1 iVm. Abs. 4 VwGVG entfallen.

3.3. Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - unter Punkt 3.2. dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fristversäumung, Haft, Rechtsmittelfrist, Sorgfaltspflicht,
Verspätung, Wiedereinsetzung, Wiedereinsetzungsantrag,
Zurückweisung, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W128.2197272.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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