TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/22 W125 2147052-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.11.2018
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Entscheidungsdatum

22.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch

W125 2147055-2/7E

W125 2147045-2/7E

W125 2147052-2/6E

W125 2147054-2/6E

W125 2147047-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX , 4. XXXX , geboren am XXXX und 5. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 68 Abs 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt III. bis VI. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 10 Abs 1 Z 3, § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 FPG und § 55 Abs 1a FPG als unbegründet abgewiesen.

III. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt VII. der angefochtenen Bescheide werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser, jeweils wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wird gegen Sie ein Einreiseverbot für die Dauer von zwölf Monaten erlassen."

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, gelangte am 14.1.2016 gemeinsam mit seiner Frau, der Zweitbeschwerdeführerin, und den gemeinsamen Kindern, den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen irregulär in das Bundesgebiet und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu dem er vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.1.2016 erstbefragt wurde.

Dabei erklärte der Erstbeschwerdeführer zu seinen familiären Verhältnissen befragt, dass seine ganze Familie in Europa verteilt sei. In Österreich lebe ein Cousin. Er sei mit seiner Familie über unbekannte Länder nach Österreich gekommen, bei dieser Reise mit privaten PKWs bis zur ukrainischen Grenze und von dort nach Österreich habe er keinen einzigen polizeilichen Kontakt wahrgenommen. Er habe die Russische Föderation verlassen, weil Lebensgefahr für ihn und seine Familie bestanden hätte, sie seien verfolgt worden, man hätte ihnen die Papiere abgenommen.

1.2. Auch die Zweitbeschwerdeführerin schilderte im Zuge ihrer Erstbefragung gleichlautend, dass sie auf unbekannten Wegen von Tschetschenien bis zur ukrainischen Grenze gebracht worden sei, von dort sei sie dann mit einem privaten PKW nach Österreich gefahren worden. Auch sie wisse nicht, durch welche Länder sie dabei gereist seien, sie hätten Österreich als Zielland gehabt, weil der Erstbeschwerdeführer hier einen Cousin habe. Auch sie befürchte, im Fall der Rückkehr getötet zu werden, die Familie werde verfolgt.

Nach einer vorgelegten Heiratsurkunde haben die beiden erwachsenen Beschwerdeführer im Jahre 2003 in Inguschetien die Ehe geschlossen.

1.3. Am 23.9.2016 wurden die erwachsenen Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen.

1.3.1. Der Erstbeschwerdeführer schilderte, in keinerlei ärztlicher Behandlung oder sonst in Therapie zu stehen, er nehme auch keine Medikamente ein, es gehe ihm gesundheitlich gut. Er sei russischer Staatsbürger, Tschetschene, habe zuletzt mit der Familie in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny gelebt. Der Vater sei 2015 verstorben, jetzt lebe nur mehr die Mutter dort. Weder er noch die Zweitbeschwerdeführerin hätten einen Reisepass gehabt, sie hätten nur die Dokumente besessen, die er gerade übergeben habe, nämlich erneut die Heiratsurkunde und einen Führerschein. Er habe in den 90er Jahren einen Reisepass besessen, mit diesem sei er aber nicht ausgereist. Der russische Inlandspass sei gemeinsam mit anderen Dokumenten "von bestimmten Personen" mitgenommen worden. Er selbst habe bis zuletzt als privater Taxilenker gearbeitet, in seinem eigenen Beruf habe es keine Arbeit gegeben. Sonst habe er auf die Kinder aufgepasst, da die Zweitbeschwerdeführerin gearbeitet habe. Die Mutter sei Pensionistin und lebe jetzt im Haus in Grosny. Sie seien in der Familie fünf Brüder und eine Schwester gewesen, zwei Brüder seien schon tot, einer sei im Jahr 2002 vom Militär mitgenommen worden, seitdem fehle von ihm jede Spur. Ein Bruder lebe in Frankreich, die Schwester lebe in einem namentlich genannten Ort nahe Grosny. Im Jahr 2002 sei ein Bruder getötet worden, 2002 sein anderer Bruder mitgenommen worden. Der jüngere Bruder sei deshalb im Jahr 2003 nach Frankreich gereist und habe dort 2005 auch einen positiven Asylbescheid bekommen. Ein anderer Bruder sei nach St. Petersburg gezogen, dort sei er verhaftet und in das Gefängnis gesteckt worden. Dieser Bruder sei am 21.4.2016 verstorben. Er sei im Jahr 2009 mit seiner Familie von Inguschetien nach Grosny gezogen, er selbst habe nie gegen den Kadyrow-Clan gekämpft, er sei der ältere Bruder. Der Vater habe ihn darum gebeten, es nicht zu tun, aber seine Brüder und viele Verwandten hätten gekämpft und er habe diese unterstützt. Diese Verwandten hätten im ersten und zweiten Krieg gegen die russische Armee gekämpft. Einige hätten direkt gekämpft, andere hätten unterstützt.

Der Erstbeschwerdeführer habe niemals direkten Kontakt mit dem jetzigen Präsidenten in Tschetschenien gehabt, er habe auch niemals irgendeinen Kontakt mit Clan-Mitgliedern von Kadyrow gehabt, er habe mit solchen Leuten nichts zu tun und habe immer versucht, solche Kontakte zu vermeiden.

Er sei einmal in Moskau inhaftiert gewesen. Er sei einmal mitgenommen worden, dann sei er geflohen.

Der Erstbeschwerdeführer schilderte nunmehr, dass er "Mitglied einer Menschenrechtsorganisation namens Memorial" gewesen sei. Die Filiale befinde sich in Inguschetien in der dortigen Hauptstadt. Dafür würde es auch Beweismittel geben, diese seien ihm aber abgenommen und beschlagnahmt worden. Er werde versuchen, etwas später Beweismittel vorzulegen. Er werde probieren, Mitarbeiter dieser Organisation in Inguschetien zu erreichen.

Für Memorial sei er beim Informationsaustausch tätig gewesen, so habe er bei verhafteten Personen geholfen, einen Rechtsbeistand zu besorgen. Er habe versucht, Informationen zu erhalten, wo diese Person festgehalten wird, damit die Verwandten informiert werden können.

Auf die Aufforderung, die konkreten Gründe für die Ausreise zu schildern, führte der Erstbeschwerdeführer aus wie folgt: Am 8.1.2016 sei sein Bruder, der inzwischen am 21.4.2016 verstorben sei, zu ihnen in das Elternhaus gekommen. Im Haus seien der Bruder und die Mutter sowie die Kinder des Erstbeschwerdeführers geblieben. Er selbst sei mit der Zweitbeschwerdeführerin in das Geschäft gegangen, ein Verwandter der Mutter habe angerufen und gesagt, dass sie nicht nach Hause gehen sollen. Er sei dann zu diesem Verwandten der Mutter gefahren und habe erfahren, dass zum Familienhaus die Militärs mit zwei Fahrzeugen gekommen seien. Der Bruder sei mitgenommen worden und gefragt worden, wo sich der Erstbeschwerdeführer aufhalte. Die Militärs hätten eigentlich nach dem Erstbeschwerdeführer gesucht. Sie hätten das Haus durchsucht und die Tasche mit Dokumenten und Fotos mitgenommen. Die Militärs hätten dem Bruder zwei bis drei Tage Zeit gegeben, damit der Erstbeschwerdeführer sich bei ihnen stelle. Er habe dann erfahren, dass am 24.12.2015 eine Demonstration gegen den Präsidenten Kadyrow in Wien und in anderen europäischen Städten stattgefunden hätte. Daraufhin habe Kadyrow gesagt, dass alle, die Verwandte in Europa haben, zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Er selbst sei dann nicht zur Behörde gegangen, sein Bruder sei dort nicht mehr lebend herausgekommen. Am 11.1.2016 habe ein Verwandter der Mutter die Ausreise organisiert und am 14.1.2016 seien sie schon hier in Österreich gewesen.

Zur eigenen Verhaftung in Moskau befragt, vermeinte der Erstbeschwerdeführer, dass das schon im Jahr 1999 gewesen sei. Er und der inzwischen verstorbene Bruder XXXX seien damals in Moskau gewesen. Gegen sie sei damals im Jahr 1999 ein Verfahren fabriziert worden und sie hätten eine einjährige Haftstrafe bekommen. Viele Tschetschenen seien damals unschuldig ins Gefängnis gekommen. Seine Brüder und viele Verwandten hätten gekämpft, es habe immer die Gefahr bestanden, mitgenommen zu werden. Er sei zuhause geblieben, weil er der älteste der Brüder gewesen sei und bei den Eltern habe bleiben müssen. Die Mutter sei jetzt ganz allein, die Schwester besuche sie hin und wieder. Nach allgemeinen Erzählungen über die Haft im Jahr 1999 und über das Wesen von Memorial wurde der Erstbeschwerdeführer gefragt, wo sich eigentlich das Büro in der Hauptstadt von Inguschetien befunden habe. Die Antwort lautete, dass sich dieses Büro mitten in Nasran, in einer zentralen Straße befinde, man müsse vom Bahnhof rauf, in der Nähe des Krankenhauses.

Auf die Frage, aus welchem Grund und wann der Bruder XXXX in St. Petersburg verhaftet worden sei und wie lange dieser inhaftiert gewesen sei, führte der Erstbeschwerdeführer aus wie folgt: "Zuerst wurde er 2012 oder 2013 von Skinheads zusammengeschlagen. Als er halbwegs wieder zu sich kam, da lag er auf der Straße, ein Polizeiauto kam vorbei. Die Polizisten haben ihn ebenfalls zusammengeschlagen. Die Passanten brachten ihn in das Krankenhaus. Er wurde operiert. Ihm wurde die Milz entfernt.... Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hat er versucht, die Leute zu finden, die ihn zusammengeschlagen haben. Es stellte sich heraus, dass die Skinheads gemeinsam mit den Polizisten waren. Sie verbreiteten Angst und Schrecken gegen alle Nichtrussen. Die Polizei sicherte sie nur ab. Als mein Bruder schon fast am Ziel war und es herausgefunden hat, wurde er von der Polizei mitgenommen. Er wurde beschuldigt für etwas, was er nicht gemacht hat und wurde 2013 in eine Untersuchungshaft gesteckt. Unsere Verwandten haben sich dann eingeschaltet und so kam mein Bruder wieder frei. Es kam zu keiner Gerichtsverhandlung, aber er hat mehr als ein Jahr in U-Haft verbracht. Er war nach seiner Haftentlassung gesundheitlich angeschlagen. Er versuchte, Dokumente zu erhalten. Bei seiner Flucht nach Europa musste er umkehren und kam nach Tschetschenien zurück."

1.3.2. Die Zweitbeschwerdeführerin wiederum schilderte im Zuge ihrer Einvernahme, dass von ihr nur eine Kopie des Inlandspasses vorgelegt werden könne, das Original sei zuhause weggenommen worden. Sie habe im Jahr 1995 ein Studium abgeschlossen, habe dann jedoch ein Herrenbekleidungsgeschäft betrieben, sie hätte schnell ausreisen müssen und hätte deshalb schnell das Geschäft zum halben Preise verkauft. Nicht sie selbst habe das Geschäft verkauft, die Mutter des Erstbeschwerdeführer habe das Geschäft verkauft, als sie schon in Österreich waren. Auf die Frage, ob sie jemals direkten Kontakt mit Clan-Mitgliedern von Kadyrow gehabt habe, schilderte die Zweitbeschwerdeführerin, dass dies niemals der Fall gewesen sei. Auch sonst habe sie keinerlei Probleme gehabt, sie sei nur ausgereist, weil der Erstbeschwerdeführer Probleme gehabt habe. Wenn der Erstbeschwerdeführer mitgenommen worden wäre, dann wäre er nicht mehr am Leben. Deshalb seien sie ausgereist. Aus Sicherheitsgründen für sich und die Familie seien sie ausgereist.

Zum Vorfall Anfang 2016 befragt, schilderte auch die Zweitbeschwerdeführerin, dass an diesem Tag der genannte Bruder des Erstbeschwerdeführer bei ihnen zu Besuch gewesen sei. Sie selbst und der Erstbeschwerdeführer seien in ein Geschäft gegangen, um für die Kinder etwas zu kaufen. Sie seien dann angerufen worden, die Mutter des Erstbeschwerdeführer habe diesen angerufen und habe gesagt, dass dieser gesucht werde und dass der andere Bruder mitgenommen worden sei. Sie seien dann zu Verwandten in ein Dorf gefahren, etwas später seien die Kinder dorthin gebracht worden. Sie habe schon bemerkt, dass sich der Erstbeschwerdeführer um verhaftete Personen gekümmert hätte, er habe ihr aber nichts davon erzählt. Der Ehemann erzähle der Ehefrau nicht alles. Der Erstbeschwerdeführer habe etwas von Memorial gesprochen, so glaube sie.

1.4. Der Erstbeschwerdeführer wurde am 13.12.2016 nochmals zu seiner Tätigkeit für Memorial einvernommen. Er führte aus, von Österreich aus keinen Kontakt mehr zu dieser Organisation zu haben. Es gebe nur einen Mitarbeiter, mit dem er zusammengearbeitet habe, es sei ihm nicht gelungen, diesen zu finden. Er wisse nicht, wo sich dieser Mitarbeiter von Memorial nun befinde. Er habe in Tschetschenien Informationen gesammelt und dann nach Inguschetien zu Memorial weitergeleitet. Auf die Frage, ob er nach Beendigung der Tätigkeit für Memorial ab dem Jahr 2010 deshalb mit den Behörden in Tschetschenien noch Probleme gehabt habe, vermeinte der Erstbeschwerdeführer, dass er deshalb keine Probleme mehr gehabt habe. Er sei mit dem genannten Mitarbeiter von Memorial in Inguschetien aber weiterhin in Kontakt gestanden, davon habe aber keiner gewusst. Seine Mutter sei zuhause gewesen, als der andere Bruder mitgenommen worden sei und habe ihm die Mutter erzählt, dass bei dieser Hausdurchsuchung eine Tasche mit Dokumenten und Fotos mitgenommen worden sei. In dieser Tasche hätten sich sein Studentenausweis, Familienfotos, sein Wehrdienstbuch, aber auch eine Bestätigung über seine Tätigkeit von Memorial befunden. Er habe diese Bestätigung damals bis zum Jahr 2009 gebraucht. Wenn er sich inoffiziell an einen Polizisten gewandt habe, habe er ihm diese Bestätigung gezeigt, dass er tatsächlich für Memorial arbeite. Er habe die Bestätigung aus Angst aber nie bei sich getragen. Die Militärs seien also im Jänner gekommen, aber nicht, weil er für Memorial tätig war, sondern weil die Verwandten im Ausland leben und die Brüder gegen die Behörden gekämpft haben. Das müsse jemand den Behörden gesagt haben.

1.5. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 22.11.2016 übermittelte der Erstbeschwerdeführer die Kopie eines belgischen Personalausweises betreffend seinen Bruder und führte er aus, dass der andere Bruder XXXX am XXXX ermordet worden sei. Eine andere Schwester lebe noch in der Nähe von Grosny, zu dieser habe er jedoch keinen Kontakt, da sie möglicherweise überwacht werde und die Gefahr bestehe, dass sie ebenfalls entführt oder getötet werde. Vorgelegt wurden diverse Ausweise, die die genannten Familienmitglieder in XXXX und deren Erhalt von Personalausweisen dokumentieren sollen.

1.6. Mit Bescheiden vom 29.12.2016 wurde jeweils der Antrag auf internationalen Schutz vom 14.1.2016 gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Den Beschwerdeführern wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und wurde gegen diese eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und nach allgemeinen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation führte die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung zum Erstbeschwerdeführer aus, dass sich aus Länderberichten ergebe, dass nicht alle Tschetschenen, die Familienangehörige oder Verwandte in Europa haben, zur Rechenschaft gezogen werden sollen, sondern nur diejenigen Familienangehörige, deren Angehörige im Ausland in Europa demonstriert hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe aber nicht angegeben, dass nahe Familienangehörige von ihm bei Demonstrationen dabei gewesen seien und dass deshalb die Behörden auf ihn aufmerksam geworden wären. Die belangte Behörde ging grundsätzlich davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer in den Jahren 2000 bis 2009 in Inguschetien für die Menschenrechtsorganisation Memorial Hilfsdienste erbracht hätte, es sei jedoch verwunderlich, dass es dem Erstbeschwerdeführer nicht gelungen sei, in so vielen Monaten die Kontaktdaten von einer bekannten Persönlichkeit, wie dem namentlich genannten Mitarbeiter von Memorial in Inguschetien zu finden. Die Ereignisse im Jänner 2016, als das Militär zum Haus des Erstbeschwerdeführers gekommen sei und nach ihm gesucht habe, seien jedoch nicht glaubwürdig. Insofern nahen Angehörigen im Jahr 2005 der Asylstatus eingeräumt worden sei, sei dies für das gegenständliche Verfahren nicht relevant, da die Situation in Tschetschenien im Jahr 2016 gänzlich anders sei als zum Zeitpunkt der Ausreise des Bruders, habe sich doch zum Zeitpunkt der Ausreise der zweite Tschetschenienkrieg gerade in seiner "heißen Phase" befunden. Die angebliche Verhaftung in Moskau im Jahr 1999 habe keinen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise im Jahr 2016.

1.7. Gegen diese Bescheide haben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und dabei im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt, nämlich dass am 8.1.2016 Militärs den Erstbeschwerdeführer zuhause aufgesucht hätten, er sei mit der Zweitbeschwerdeführerin jedoch nicht anwesend gewesen. Er habe einen Zusammenhang mit den zuvor in Europa stattgefundenen Demonstrationen hergestellt und habe sofort die Flucht aus Tschetschenien organisiert. Bei der Hausdurchsuchung hätten die Militärs auch seinen Memorial - Ausweis gefunden und habe ein anderer Bruder seine Mitnahme nicht überlebt und sei am XXXX verstorben.

1.8. Die Beschwerdeführer wurden am 19.9.2017 durch das erkennende Gericht im Rahmen einer Beschwerdeverhandlung nochmals zu den Ausreisegründen einvernommen, der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter erstattete am 3.10.2017 eine abschließende Stellungnahme. In der Verhandlung ergänzte die Zweitbeschwerdeführerin ihr Vorbringen dahingehend, dass ein Günstling und ein Onkel von Kadyrow Waren in ihrem Geschäft mitgenommen hatte, ohne sie zu bezahlen; als sie den Kaufpreis verlangen wollte, wäre sie bedroht worden. Zum Gesundheitszustand befragt, führte sie aus, selbst großen Stress zu haben. Die mittlere Tochter verliere ihre Haare, das müsse mit den Nerven zu tun haben. Sie wäre mit ihr schon in Tschetschenien bei Ärzten gewesen, keiner hätte eine Diagnose stellen können, auch in Österreich wäre das bisher nicht gelungen.

Der Erstbeschwerdeführer führte unter anderem aus, Familienmitglieder von ihm nähmen auch im Ausland an Demonstrationen gegen Kadyrov teil. Auf die Frage warum am Erstbeschwerdeführer eigentlich ein größeres Interesse bestünde als an seinem ums Leben gekommenen Bruder XXXX , antwortete jener, er hätte zwar nie an Kampfhandlungen teilgenommen, aber immer Kämpfer unterstützt. Seine Tätigkeit für die Menschenrechtsorganisation "Memorial" sei geheim gewesen, aber offensichtlich hätte es irgendwelche Informanten gegeben.

1.9. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 wurden die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2.1.2017 gemäß § 3, § 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs 2 Z 2 FPG, § 52 Abs 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 Abs 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Beschwerdeführer aus asylfremden Motiven, wohl aus wirtschaftlichen Gründen, ihr Heimatland verlassen hätten. Das Vorbringen bezüglich der Bedrohung und versuchten Festnahme des Erstbeschwerdeführers sei, ebenso wie die Ausführungen bettreffend einen angeblichen Bruder, der in der Haft getötet worden sei, völlig unglaubwürdig. Hervorgehoben wurde der lange Verbleib in Tschetschenien trotz der angegebenen Probleme. Zu den Problemen im Zusammenhang mit dem getöteten Bruder XXXX wurde auf völliges Abweichen der Aussagen des Erstbeschwerdeführers von jenen der Zweitbeschwerdeführerin hingewiesen. Dass wegen Demonstrationsteilnahmen von Verwandten im Ausland Probleme entstehen sollten, sei nicht plausibel. Das Vorbringen hinsichtlich des Günstlings von Kadyrov, der Kleidung aus dem Geschäft der Zweitbeschwerdeführerin entwendet hätte, sei erst in der Beschwerdeverhandlung und niemals zuvor getätigt worden (sohin vom Neuerungsverbot umfasst) und habe sich zudem als vage und widersprüchlich erwiesen.

Beweise wären über das gesamte Verfahren hinweg nie vorgelegt worden.

1.10. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 4.1.2018, E 4457-4461/2017, wurde die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden abgelehnt.

1.11. Die gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 erhobenen Revisionen wurden mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3.5.2018, Ra 2018/19/0181 bis 0185 zurückgewiesen.

Begründend wurde darin insbesondere festgehalten, dass das Bundesverwaltungsgericht mit umfassender Begründung das Fluchtvorbringen der Revisionswerber, insbesondere zur behaupteten oppositionellen Gesinnung des Erstrevisionswerbers und der damit einhergehenden Verfolgung durch das tschetschenische Militär unter Präsident Kadyrow, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unglaubwürdig erachtet habe und die Ausführungen in der Revision nicht aufzeigen würden, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes einer Schlüssigkeitskontrolle nicht standhalten würde. Auch betreffend die Interessenabwägung im Kontext der Rückkehrentscheidung sei eine vertretbare Gewichtung der widerstreitenden Interessen erfolgt.

2. Am 10.6.2018 stellten die Beschwerdeführer erneut, die nunmehr verfahrensgegenständlichen, Anträge auf internationalen Schutz beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

2.1. Im Rahmen der Erstbefragung an demselben Tag brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er persönlich keinen Bezug mehr zu seinem Heimatland habe. Seine Frau habe im Dezember 2017 eine Strafanzeige erhalten, diese sei ihrer Schwester in Tschetschenien zugestellt worden. Der Strafanzeige sei zu entnehmen, dass sich seine Ehefrau dort bei einer ihr unbekannten Behörde melden und die Strafe persönlich bezahlen müsse. Seine Familie würde in Tschetschenien gesucht werden; die tschetschenischen Behörden würden nicht wissen, dass sie sich in Österreich aufhielten. Durch den Brief würden sie diese unter Druck setzen wollen. Im Jänner 2018 sei der Onkel des Beschwerdeführers, ein alter Mann, festgenommen und für ungefähr 14 Tage einvernommen worden. Die Polizei habe von diesem auch wissen wollen, wo sich der Erstbeschwerdeführer verstecke. Im März 2018 sei das Landhaus der Beschwerdeführer verwüstet worden, sodass sie dort nicht mehr leben könnten. Dabei habe es sich um das Geburtshaus der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers gehandelt und sei dies auch die Meldeadresse der Familie gewesen. In Russland würden sie auf der Fahndungsliste stehen und hätten Angst um ihr Leben. Sie könnten weder nach Tschetschenien noch nach Russland zurück.

2.2. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Rahmen der Erstbefragung am 10.6.2018 vor, dass ihre Schwester ihr von einer Strafanzeige erzählt habe, die an ihre tschetschenische Adresse zugestellt worden sei. Diese Strafanzeige habe sie, ebenso wie Fotos, als Beweis mit. In ihrem Geburtshaus sei alles verwüstet worden, man könne dort nicht mehr wohnen und auch die Mieterin hätte Angst bekommen, weshalb sie ausgezogen sei. Konkret habe die Mieterin auf einmal vermummte schwarz gekleidete Männer gesehen, die nach der Zweitbeschwerdeführerin und ihren Kindern gefragt hätten. Weil sie nunmehr alle gesucht würden, hätte die Zweitbeschwerdeführerin sehr große Angst, ebenfalls verhaftet zu werden. Sie hätten bereits eine Zusammenfassung geschrieben und diese der Polizei übergeben. Die Änderungen des Fluchtvorbringens seien der Zweitbeschwerdeführerin seit Dezember 2017 bekannt, damals sei die Strafanzeige gekommen. Anschließend sei auch der Onkel ihres Mannes verhaftet und das Haus verwüstet worden, dies alles habe sie in ihrer Zusammenfassung genau beschrieben.

2.2.1. Die erwähnte "Strafanzeige" und die schriftliche Zusammenfassung des Geschehens finden sich im Akt der Viertbeschwerdeführerin. Darin ist auch erwähnt, dass die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin, als sie die "Anzeige" abholen hätte wollen, von der Mieterin im Haus der Beschwerdeführer erfahren hätte, dass das Obergeschoss in der Nacht vom 24. auf den 25.3.2018 unter ungeklärten Umständen zerstört worden sei. Zuvor hätten Maskierte nach den Beschwerdeführern gesucht. Eine (undatierte) Fotografie zeigt Schäden, die zum Beispiel auf Zerstörungen oder Abbruchmaßnahmen zurückführbar sein können, an einem einstöckigen Gebäude.

2.3. Auch die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wurde am 10.6.2018 erstbefragt und brachte dabei, zu den Gründen für die neuerliche Antragstellung befragt, im Wesentlichen vor, dass man früher nur ihren Vater in Tschetschenien gesucht habe, sie nunmehr aber erfahren hätten, dass auch ihre Mutter gesucht würde. Im Ferienhaus in Tschetschenien sei eingebrochen und sei dieses dabei verwüstet worden, sodass sie dort nicht mehr wohnen könnten. Des Weiteren habe sie auch Angst um ihre Zukunft, da es in Tschetschenien üblich sei, als Mädchen mit älteren Männern zwangsverheiratet zu werden. Außerdem würden die Jungen dort mit Pistolen zur Schule gehen und sei auf sie auch schon einmal mit einer Pistole gezielt worden. Insgesamt habe sie Angst, dort ihre Zukunft zu verbringen.

2.4. Am 11.6.2018 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Ambulanzbefund des psychiatrischen Ambulanzzentrums der XXXX vom 5.4.2018 von der Flüchtlingshilfe Caritas in XXXX übermittelt, betreffend die Zweitbeschwerdeführerin; als Fragestellung ist vermerkt "Schlafstörungen, depressive Stimmungslage"; als Diagnose "Verdacht auf PTSD"; in der aktuellen Situation wird auf einen negativen Asylbescheid aus Dezember 2017 verwiesen. In weiterer Folge befindet sich im Akt (vor Bescheiderlassung) ein Folgebefund vom 13.6.2018, in dem als Diagnose nun angeführt ist "PTSD" und "schwere depressive Episode mit latenter Suizidalität". Beschrieben sind unter "aktuelle Situation" insbesondere Panikattacken und massive Angstzustände wegen der im Heimatland stattgefundenen Ereignisse und wegen Angst um die Töchter, deren Verschleppung und Misshandlung sie im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien befürchte. Mit 3.7.2018 findet sich ein weiterer Befund mit derselben Diagnose. Hier berichtet die Zweitbeschwerdeführerin von einer kürzlich erfolgten telefonischen Bedrohung (siehe unter 2.12.)

Betreffend der Viertbeschwerdeführerin findet sich im Akt ferner ein Ambulanzbefund vom 15.6.2018, wobei als Diagnose insbesondere "Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt" angeführt ist; Suizidversuche und Selbstverletzungsdruck wurden verneint.

2.5. Am 20.6.2018 langte eine Vollmachtsbekanntgabe des gewillkürten Vertreters bei der Behörde ein.

2.6. Am 21.6.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer zu dem Folgeantrag im Beisein seines rechtlichen Vertreters und einer Vertrauensperson vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Zunächst auf seinen Gesundheitszustand angesprochen, führte der Erstbeschwerdeführer aus, gesund zu sein und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen.

Auf Nachfrage brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass sich seit der Rechtskraft des letzten Verfahrens weder eine Änderung der familiären Verhältnisse noch des Privatlebens ergeben habe. Seitdem der Erstbeschwerdeführer hier in Österreich sei, habe er keine Kontakte mehr nach Tschetschenien; nur seine Ehefrau stehe noch in Kontakt mit ihrer Schwester in Strawropol.

Die Familie bestreite ihren Lebensunterhalt derzeit von der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer habe im Heimatland als Taxifahrer gearbeitet, seine Ehefrau habe zwei Geschäfte geführt.

Nach den Gründen für den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz befragt, gab der Erstbeschwerdeführer an, es gebe neue Fluchtgründe. Damals sei er gesucht worden, nunmehr, weil er nicht mehr im Land sei, würden seine Frau und seine Kinder gesucht werden. Konkret habe seine Ehefrau von deren Schwester erfahren, dass auf ihren Namen ein Strafzettel gekommen sei, mit der Aufforderung eine Geldstrafe zu bezahlen. Der Brief sei in das Elternhaus seiner Ehefrau gekommen, in dem sie immer die Ferien und Urlaube verbracht hätten. Eine Mieterin, die in diesem Haus lebe, habe der Schwester der Frau des Erstbeschwerdeführers erzählt, dass maskierte Personen dorthin gekommen seien und nach seiner Ehefrau und den Kindern gefragt hätten. Offenbar seien sie dann auch nochmals zurückgekommen, Einzelheiten kenne er aber nicht. Anschließend sei das Haus zerstört und verwüstet worden. Die maskierten Personen würden mit beschrifteten Autos fahren und aus dem Umfeld von Kadyrow stammen, weshalb vor ihnen jeder Angst habe. Der Erstbeschwerdeführer habe zu Hause nunmehr nur noch seine Mutter; im April 2016 nach seiner Ausreise sei sein Bruder mitgenommen und misshandelt worden. Im Zuge der Misshandlungen sei er dann auch ums Leben gekommen.

Auf die Frage, ob es noch weitere Gründe für die gegenständliche Antragstellung gebe, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dies seien die neuen Fakten; die alten Probleme seien nach wie vor aufrecht.

Nachgefragt, bei welcher Behörde sich die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers der Strafanzeige zufolge hätte melden sollen, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass eine Adresse angegeben gewesen sei; es habe sich um ein Schreiben ohne Stempel gehandelt.

Auf Nachfrage, weshalb die Familie des Erstbeschwerdeführers nunmehr, seit dem letzten rechtskräftigen Verfahren, in Tschetschenien gesucht würde, brachte dieser vor, dass seine ganze Familie am ersten und zweiten Tschetschenienkrieg beteiligt gewesen sei. Ein Bruder sei bei diesen Kriegshandlungen ums Leben gekommen und hätten auch viele seiner Cousins gekämpft. Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers sei seit 2002 spurlos verschwunden; er sei mit einem Panzer mitgenommen worden und gelte seither als vermisst. Der Erstbeschwerdeführer selbst habe zwar nie an Kriegshandlungen teilgenommen, habe aber mit allen möglichen Mitteln seinen Landsleuten geholfen.

Die Frage, ob es seiner Meinung nach einen Zusammenhang zwischen der Festnahme des Onkels und seinen Fluchtgründen aus dem Jahr 2016 gebe, bejahte der Erstbeschwerdeführer. Die Männer von Kadyrow würden versuchen über die Familie jene Personen zu finden, die sie brauchen.

Nachgefragt, ob er zu den aktuellen Länderfeststellungen eine Stellungnahme abgeben wolle, brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, in Russland gebe es keine Gesetze, es gebe keine Gerechtigkeit und die armen Menschen würden vom Staat nicht geschützt werden. Insbesondere die Tschetschenen hätten in Russland praktisch keine Rechte.

Über Nachfrage des Rechtsvertreters führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass sein Onkel im Jänner 2018 mitgenommen worden sei. Er selbst habe im März davon erfahren. Anfang März hätten sie auch von dem Brief Kenntnis erlangt. Das Haus sei dann in der Nacht von 24. auf 25. März zerstört worden. Der Beschwerdeführer habe Ende März davon erfahren, als dies seine Frau von ihrer Schwester gehört habe.

Nachgefragt, ob er das Haus beschreiben könne, gab der Erstbeschwerdeführer an, es handle sich um ein altes zweistöckiges Gebäude, welches aus Ziegeln gebaut sei. Rundherum seien Berge. Die Farbe des Hauses könne er nicht angeben, es sei ein Ziegelhaus und die Wände innen seien weiß.

2.7. Am 21.6.2018 wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin zum Folgeantrag im Beisein ihres rechtlichen Vertreters und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen.

Eingangs auf ihren Gesundheitszustand angesprochen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, in XXXX bei einem Psychologen seit April diesen Jahres in Behandlung zu sein und bei Bedarf auch Beruhigungsmittel zu bekommen. Sie habe diesbezüglich auch ärztliche Unterlagen mitgenommen.

Auf den Gesundheitszustand ihrer Kinder angesprochen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass eine ihrer Töchter unter Haarausfall leide, wenn diese Stress habe.

Die Fragen, ob sich seit der Rechtskraft des letzten Verfahrens eine Änderung der familiären Verhältnisse oder des Privatlebens ergeben habe, verneinte die Zweitbeschwerdeführerin.

Auf entsprechende Nachfrage gab die Zweitbeschwerdeführerin an, ihren Lebensunterhalt von der Grundversorgung zu finanzieren. Im Heimatland habe sie gearbeitet.

Zu den Gründen für die neuerliche Antragstellung befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass sie und ihre Kinder im Heimatland nunmehr gesucht würden und sie Angst hätten, nach Tschetschenien zurückzukehren. Auch ihre Schwester habe aus Angst bereits ihren Namen ändern lassen.

Nachgefragt, ob die Zweitbeschwerdeführerin noch weitere Gründe für die gegenständliche Antragstellung geltend machen wolle, führte sie aus, dass sie glaube, dass ihr dieser Brief geschickt worden sei, um sie ausfindig zu machen. Im Jänner 2018 sei der Onkel ihres Mannes mitgenommen und befragt worden und hätten sie auch schon von diesem wissen wollen, wo sich ihr Ehemann aufhalte. Zurzeit wüssten sie nicht, wo sich der Onkel befinde.

Nachgefragt, wer die Personen seien, von denen sie spreche, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, es handle sich um einen Freund von Kadyrow und seine Männer. Diese würden sie suchen.

Damit konfrontiert, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin bereits seit Anfang 2016 in Österreich aufhalte und erst nunmehr gesucht werde, brachte diese vor, dass sie vermutlich auch schon früher gesucht worden seien.

Auf die Frage, was der Erstbeschwerdeführer angestellt habe, brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass ein Bruder von ihm umgebracht worden sei und der andere seit 16 Jahren verschollen sei. Scheinbar sei der Erstbeschwerdeführer gegen Kadyrow und dies sei unverzeihlich.

Über weiteres Befragen gab die Zweitbeschwerdeführerin an, von der Zerstörung des Hauses ungefähr Anfang März erfahren zu haben. Am 25.3.2018 sei sie von ihrer Schwester per WhatsApp darüber informiert worden, dass das Haus vernichtet worden sei.

2.8. Am 21.6.2018 wurde außerdem die minderjährige Drittbeschwerdeführerin im Beisein ihrer Mutter, einer Vertrauensperson und eines rechtlichen Vertreters vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab diese eingangs auf ihren psychischen und physischen Zustand angesprochen an, dass es ihr "normal" gehe und sie sich dazu in der Lage fühle, die an sie gestellten Fragen zu beantworten. Sie sei während ihres Aufenthaltes in Österreich bislang einmal bei einem Zahnarzt aufgrund von Zahnschmerzen, einmal wegen einer Allergie in einem Krankenhaus und darüber hinaus aufgrund von Ohrenschmerzen bei einem Allgemeinmediziner in Behandlung gewesen. Derzeit habe sie keine Beschwerden.

Auf die Frage, ob sich seit der Rechtskraft im letzten Verfahren eine Änderung ihrer familiären Verhältnisse ergeben habe, führte die minderjährige Drittbeschwerdeführerin aus, ihre Mutter habe "einen Strafzettel" aus Tschetschenien erhalten. Dies habe sie von ihrer Schwester erfahren. Darüber hinaus sei ihr Haus vernichtet und zerstört worden. Anfang des Frühlings habe ihrer Schwester aufgrund der Stresssituation wieder Haarausfall bekommen. Ihre Eltern würden psychologisch betreut.

Hinsichtlich ihres Privatlebens gab sie an, noch mehr Freunde in der Schule gefunden zu haben. Sie habe hier sehr gute und enge freundschaftliche Beziehungen und sei auch auf Projektwoche im XXXX gewesen.

Nach den Gründen für die neuerliche Antragstellung befragt, gab die minderjährige Drittbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass Frauen in Tschetschenien praktisch ohne Rechte seien und sehr benachteiligt und schlecht behandelt würden. Sie habe Angst, dass sie Opfer dieser unmenschlichen Behandlung von Frauen werden. Man könne sie auch ohne Einverständnis ihrer Eltern und gegen ihren Willen zwangsverheiraten. Darüber hinaus habe sie Angst um ihre Zukunft.

Näher zu der Zerstörung des Hauses befragt, brachte die minderjährige Drittbeschwerdeführerin vor, alles von ihrer Mutter erfahren zu haben. Sie habe gar nicht mehr wissen wollen, um sich nicht zu stressen. Dass der Brief gekommen ist, habe sie Anfang März erfahren; über die Zerstörung sei sie Ende März informiert worden. Es habe sich um ein großes Haus auf einem Berg gehandelt; an die Farbe könne sie sich nicht mehr erinnern; sie glaube, es handle sich um ein hellblaues Haus. Ihre Mutter und ihre Schwestern seien dort gemeldet gewesen; früher hätten dort ihre Großeltern mütterlicherseits gelebt.

2.9. Am 29.6.2018 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführer verfasste Stellungnahme zur Einvernahme vom 21.6.2018 ein. Im Hinblick auf die psychische Erkrankung wurde vorgetragen, dass die Abschiebung nach Tschetschenien die Gefahr einer Art 3 EMRK-widrigen Traumatisierung "verbunden mit Suizidalität" mit sich bringe. Jedenfalls sei (auch hinsichtlich der Gefahr der Zwangsverheiratung der Töchter) ein neues Vorbringen erstattet worden. Sollten Zweifel an der faktischen Richtigkeit des neuen Vorbringens bestehen, wurden (nicht weiter substantiiert) "Erhebungen vor Ort" und die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens beantragt.

Gleichzeitig wurden eine Kursbesuchsbestätigung für einen Deutschkurs für Asylwerber auf dem Niveau B1, Teil 2 von XXXX . Dezember 2017 bis XXXX . Jänner 2018, ein Zertifikat des ÖSD vom XXXX , wonach der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin die Deutschprüfung auf dem Niveau B1 nicht bestanden haben, sowie ein Befund des psychiatrischen Ambulanzzentrums des XXXX vom 25.6.2018, betreffend den Erstbeschwerdeführer, in Vorlage gebracht. In dem Befund wird als Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" und "schwere depressive Episode mit Suizidalität" gestellt. Unter aktuelle Situation ist unter anderem erwähnt, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers voraussichtlich abgelehnt werde und wird inhaltlich auf das Asylvorbringen rekurriert. Erwähnt ist auch, dass die Viertbeschwerdeführerin angekündigt habe, sich im Falle einer Rückkehr töten zu wollen.

2.10. Am 5.7.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwesenheit von Rechtsberatern niederschriftlich einvernommen.

Auf die Frage, ob er bezüglich der zuletzt stattgefundenen Einvernahme Korrekturen oder Ergänzungen vorbringen wolle, führte der Erstbeschwerdeführer aus, noch angeben zu wollen, dass er einen Psychologen besucht habe, der ihm Tabletten verschrieben habe. Wenn er diese einnehme, fühle er sich gut. Er habe bereits alle ärztlichen Unterlagen in Vorlage gebracht.

Darüber hinaus wolle er erwähnen, dass sie vor einer Woche eine Sprachnachricht erhalten hätten. An den genauen Tag könne er sich nicht erinnern, es sei aber letzte Woche am Donnerstag oder Freitag gewesen. Sie hätten dann ihre Vertrauensperson gebeten, diese an den Anwalt weiterzuleiten und seien die Zweitbeschwerdeführerin und die Tochter dann auch zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten. Heute um 13 Uhr solle der Erstbeschwerdeführer bei der Polizei Angaben dazu machen. Von wem die Nachricht stamme, wisse er nicht. Der unbekannte Mann habe gesagt, dass er alles über den Erstbeschwerdeführer wisse und schon auf seine Rückkehr warte. In Österreich fühle er sich in Sicherheit.

2.11. Am 5.7.2018 wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwesenheit von Rechtsberatern niederschriftlich einvernommen.

Sie brachte eingangs vor, bei ihren bisherigen Angaben zu bleiben und keine Korrekturen vornehmen zu wollen.

Auf ihren Gesundheitszustand angesprochen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, in XXXX bei einem Psychologen gewesen zu sein. Sie nehme nunmehr Tabletten ein, die ihr vom Arzt verschrieben worden seien.

Damit konfrontiert, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG zurückzuweisen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, mittlerweile eine Sprachnachricht erhalten zu haben. Diese sei an ihren Mann gerichtet gewesen, aber auf ihr Telefon geschickt worden. Diese Person habe russisch gesprochen, ihre Tochter habe diese dann ins Deutsche übersetzt. Ihre Tochter und ihr Mann müssten heute noch zur Polizei, um Aussagen zu machen.

Zu ihrer Tätigkeit im Heimatland befragt, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, zunächst in Inguschetien und dann in Tschetschenien Geschäfte geführt zu haben. Es habe sich dabei um hochwertige Herrenbekleidungsgeschäfte gehandelt. Dort sei sie wie eine tschetschenische Frau gekleidet gewesen, weil man sich dort nicht anders anziehen könne. Sie habe ein Kopftuch getragen und auch ihre Kinder seien, als sie zur Schule gegangen seien, dazu gezwungen worden, ein Kopftuch zu tragen. Nachgefragt, ob die Probleme mit dem Kopftuch bereits vor ihrer Ausreise bestanden hätten, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass dies damals auch schon so gewesen sei, nunmehr jedoch strenger geworden sei. Es gebe Fälle, in denen ein beispielsweise 60-jähriger Mann, der Kadyrow persönlich kenne, zu diesem sage, dass ihm ein etwa 13- bis 15-jähriges Mädchen gefalle und werde dieses Mädchen dann ohne Zustimmung ihrer Eltern einfach mitgenommen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, diese Informationen zu haben, da sie selbst dort gelebt und persönlich davon gehört habe. Bislang habe sie im Verfahren dazu keine Angaben gemacht, da sie nicht dazu befragt worden sei.

Über Nachfrage des Rechtsvertreters gab die Zweitbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass eine Frau in Tschetschenien gar keine Rechte habe. Sie rauche nunmehr, was in Tschetschenien als großes Verbrechen angesehen werde. In Tschetschenien dürften Frauen keine Meinung äußern und hätten dort keine Rechte.

2.12. Am 5.7.2018 wurde auch die minderjährige Drittbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Eingangs dazu befragt, ob sie Korrekturen oder Ergänzungen vornehmen wolle, führte sie aus, dass das zerstörte Haus von außen ein Ziegelhaus und innen hellblau sei.

Gesundheitlich gehe es ihr gut, sie sei seit dem letzten Termin einmal beim Arzt gewesen, da sie aufgrund eines Sturzes Probleme mit ihrem Fuß gehabt habe; nunmehr passe aber alles und bestünden keine gesundheitlichen Probleme.

Die Frage der Rechtsberaterin, ob sie immer so gekleidet sei, wie heute, bejahte die minderjährige Drittbeschwerdeführerin; sie trage hier, anders als in Tschetschenien, westliche Kleidung.

Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien würde ihr nichts Gutes passieren, wenn sie so gekleidet sei. Dort müssten sie ein Kopftuch und lange Kleider tragen und auch beten. Dies wäre nicht überall in Russland, sondern nur im Kaukasus der Fall.

Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin brachte weiters vor, dass vor einigen Tagen auf das Telefon ihrer Mutter eine Sprachnachricht geschickt worden sei, in der die ganze Familie bedroht worden sei. Sie seien gestern zur Polizei gegangen und hätten den Inhalt ins Deutsche übersetzt. Heute um 13 Uhr müsse ihr Vater bei der Polizei erscheinen.

Darüber hinaus wolle sie erwähnen, dass in letzter Zeit ihre Eltern und ihre Schwester XXXX an Panikattacken leiden würden und viele Tabletten einnehmen würden.

Ergänzend wolle sie noch, wie schon beim letzten Mal, anführen, dass ihre Schwestern und sie im Falle einer Rückkehr eine Zwangsverheiratung erwarte und ihre Eltern entweder eingesperrt oder getötet würden.

Auf die Frage, ob diese Probleme in ganz Russland bestünden, gab die minderjährige Drittbeschwerdeführerin an, dass diese Probleme nur im Kaukasus gegeben seien. In anderen Teilen Russlands müsse man auch kein Kopftuch tragen.

2.13. Am 6.7.2018 wurden vom Rechtsberater der Beschwerdeführer eine Kopie der Zeugenvernehmung des Erstbeschwerdeführers vom 5.7.2018 vor der LPD XXXX sowie diverse Fotos (diese zeigen die Zweitbeschwerdeführerin in westllicher Kleidung in ihrem Geschäft in Tschetschenien) an die Behörde übermittelt. Bei der Zeugeneinvernahme wegen des Verdachts der gefährlichen Drohung wurde seitens des Erstbeschwerdeführers vorgetragen, dass seine Frau vor kurzem eine Sprachnachricht erhalten habe, wonach die gesamte Familie bedroht werde (Übersetzung As. 147). Er vermute, dass die Bedrohung von Leuten von Kadyrov ausgehe und wiederholte inhaltlich Teil des im Asylverfahren erstatteten Vorbringens.

2.14. Am 17.7.2018 wurde ein Brief der XXXX adressiert an den Bundespräsidenten an das Bundesamt übermittelt.

2.15. Mit Verfahrensanordnung vom 17.9.2018 wurde den Beschwerdeführern ein Rechtsberater gemäß § 52 AVG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

2.16. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 17.9.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 10.6.2018 hinsichtlich des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Den Beschwerdeführern wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 55 Abs 1 FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wurde gegen die Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass sich die Ausführungen der Beschwerdeführer auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen beziehungsweise die gegenwärtigen Angaben auf ein solches aufbauen. Darüber hinaus enthalte das Vorbringen keinen glaubhaften Kern und seien Widersprüche der Beschwerdeführer aufgetreten.

Zum Privatleben wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer nunmehr seit Jänner 2016 in Österreich aufhielten und familiäre oder andere besonderes enge Anknüpfungspunkte in Österreich nicht bestünden.

Betreffend das verhängte Einreiseverbot wurde argumentiert, dass die Beschwerdeführer ihrer Ausreise- beziehungsweise Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen seien und daher unter den Anwendungsbereich des Art 11 der Rückführungsrichtlinie fielen. Abgesehen davon würden sie seit ihrer Einreise im Jänner 2016 ausschließlich aus Mitteln der öffentlichen Hand leben, sodass auch § 53 Abs 2 Z 6 FPG erfüllt sei.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde die folgenden Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation:

"1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

-

CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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