Entscheidungsdatum
26.11.2018Norm
AVG §38Spruch
W230 2141390-2/8Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , den Beschluss:
A)
Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38 AVG iVm. § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-720/17 ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und - unstrittiger - Sachverhalt:
1. Dem Beschwerdeführer wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.01.2017, W123 2141390-1, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. In seiner Begründung ging das Gericht davon aus, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz, wo er auch Familienangehörige habe, aus Sicherheitsgründen nicht zumutbar sei. Konkret führte das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung aus:
"Beim Beschwerdeführer handelt es sich zwar um einen arbeitsfähigen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es muss aber maßgeblich berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie in den Iran gezogen ist und dort sein gesamtes Lebern verbracht hat. Seine gesamte Kernfamilie befindet sich nunmehr in Griechenland. Zwar leben Verwandte des Beschwerdeführers in der Provinz Kunduz. Diesbezüglich ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Provinz Kunduz - wie bereits das BFA richtigerweise festgehalten hat - zu den volatilen Provinzen Afghanistans zu zählen ist (vgl. Staatendokumentation).
Im vorliegenden Fall muss daher mit für gegenständliche Entscheidung maßgebender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich und zumutbar ist, von der Hauptstadt Kabul aus in seinen Heimatort in der Provinz Kunduz zu gelangen. So ist die Sicherheitslage in der Provinz Kunduz als dermaßen unsicher zu beurteilen, dass die Anreise des Beschwerdeführers gleichsam mit hoher Wahrscheinlichkeit ein verstärktes Risiko für seine Unversehrtheit mit sich bringen würde."
Die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative prüfte das Gericht dabei hinsichtlich der Stadt Kabul, kam jedoch zum Ergebnis, dass "einer Neuansiedelung des Beschwerdeführers in der Stadt Kabul - neben seiner familiären Situation - insbesondere seine fehlende Kenntnis der dortigen örtlichen Gegebenheiten" entgegenstehen würde, da sich der Beschwerdeführer (beinahe) sein gesamtes Leben lang im Iran aufgehalten hat. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte daher zu dem Schluss:
"Die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan erscheint daher derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in seinen durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten verletzt zu werden."
2. Mit dem angefochtenen Bescheid sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) aus, dass der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 24.01.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 9 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005" von Amts wegen aberkannt wird (Spruchpunkt I.). Weiters entzog die belangte behörde dem Beschwerdeführer "gemäß § 9 Abs. 4 AsylG" die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.), versagte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gewährte eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen (Spruchpunkt VI.).
Zur Begründung des Spruchpunktes I. führte die belangte Behörde in den Feststellungen aus, dass in Bezug auf die "unmittelbare Herkunftsprovinz" des Beschwerdeführers "eine relevante Gefahrenlage" vorliege, dass er aber über eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul verfüge. Der Beschwerdeführer könne bei einer Rückkehr Unterstützung durch vor Ort tätige Organisationen und Vereine bekommen und würde daher nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage geraten. Zudem verfüge der Beschwerdeführer über ein soziales Netzwerk (Verwandte in Kunduz), auf das er bei einer Rückkehr zurückgreifen könne. Aufgrund seiner Berufserfahrungen im Bau- und Reinigungsgewerbe und des Umstandes, dass sich seine Großeltern noch in Afghanistan befinden, sei der Beschwerdeführer wirtschaftlich genügend abgesichert und könne grundsätzlich für seinen Unterhalt sorgen. Zur Lage in Afghanistan traf die belangte Behörde Feststellungen durch wörtliche Wiedergabe relevanter Passagen des Länderinformationsblattes der BFA-Staatendokumentation vom 02.03.2017 (Stand: letzte eingefügte Kurzinformation vom 30.01.2018). In der Beweiswürdigung begründete die belangte Behörde ihre Annahme unter anderem damit, dass dem Beschwerdeführer als mobilen, jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann ohne erkennbare familiäre Verpflichtungen mit der Stadt Kabul jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen würde. Zudem habe sich die Erreichbarkeit der Stadt Kunduz (wo Verwandte des Beschwerdeführers leben) im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan (von Kabul aus) als infrastrukturell problemlos erwiesen. Weiters verweist der angefochtene Bescheid - wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Würdigung (S 109 des Bescheides) - auf Informationen aus einem Erkenntnis des BVwG vom 20.01.2018, wonach (gemeint wohl: in Kabul) "ein arbeitsfähiger Mann auch ohne nennenswerten Anschluss eine Existenz gründen kann".
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Aussetzung des Verfahrens
1. Mit Beschluss vom 14.12.2017, Ra 2016/20/0038, hat der Verwaltungsgerichtshof folgende Frage der Auslegung von Unionsrecht an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet:
"Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Statusrichtlinie) einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaates betreffend die Möglichkeit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren?"
2. Für die Frage der Rechtmäßigkeit des vorliegenden Aberkennungsbescheides ist relevant, ob die vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 24.01.2017, W123 2141390-1, als unzumutbar qualifizierte innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer nun tatsächlich existiert (zumutbar ist) oder nicht. Die belangte Behörde begründet ihren Bescheid in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen damit, dass sich die Gewährung von subsidiären Schutz rein auf das wirtschaftliche Auskommen des Beschwerdeführers im Zuge seiner Rückkehr nach Afghanistan bezogen habe. Da sich "die Erkenntnislage seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Afghanistan geändert" habe und "Rückkehrentscheidungen durch höchstgerichtliche Instanzen auch in volatile Provinzen getroffen werden" (so eine Passage auf S 113 des Bescheides), war dem Beschwerdeführer der Status gemäß § 9 Abs. 1 AsylG abzuerkennen. Dabei zog die belangte Behörde als wesentliches Begründungselement tatsächlich auch neue Informationsquellen heran, die nicht auf eine Änderung der Umstände hinweisen, sondern eher darauf hindeuten, dass die Behörde (auch) über bereits am 24.01.2017 vorhandene Umstände ihren Wissensstand erweitert hat und aufgrund dieser Basis nunmehr zu einer geänderten Einschätzung der Lage gelangt sein dürfte.
3. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (...) getroffen werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).
4. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die von der belangten Behörde angenommenen Umstände zur Frage der Arbeits- und Niederlassungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in Afghanistan, insbesondere in der Stadt Kabul, im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbeurteilung nur gesamthaft beurteilt werden können. Im vorliegenden Fall stützte sich die belangte Behörde nicht nur auf eine Änderung der Rechtsprechung, aufgrund derer eine Rückkehrentscheidung "auch in volatile Provinzen getroffen werden" könne (Anm: eine bloße Judikaturänderung reicht freilich als Grund für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht aus), sondern vor allem auf eine Berichtslage jüngeren Datums (insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, wobei die letzte Kurzinformation am 30.01.2018 eingefügt wurde) und auf Sachverhaltsinformationen, die die Behörde offenbar aus jüngeren BVwG-Erkenntnissen entnimmt. Damit wird für den Beschwerdefall die vom Verwaltungsgerichtshof im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage relevant, ob eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtlinienkonform nur auf eine Änderung der Umstände oder aber auch darauf gestützt werden darf, dass "der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat".
5. § 38 AVG ist gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar und hat folgenden Wortlaut:
"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
Der VwGH sieht sowohl die Verwaltungsbehörden (VwGH 19.09.2001, 2001/16/0439; 31.01.2003, 2002/02/0158; 19. 12. 2000, 99/12/0286) als auch sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gemäß § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende Frage auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens - etwa des VwGH selbst - in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 18 [Stand 1.7.2005, rdb.at]). Gleiches gilt gemäß § 17 VwGVG für die Verwaltungsgerichte (zB VwGH 20.05.2015, Ra 2015/10/0023).
6. Die im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage ist - wie dargelegt - für das vorliegende Verfahren präjudiziell. Ein Zuwarten bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH liegt im vorliegenden Beschwerdeverfahren im Interesse der Prozessökonomie, weil die Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit einen frustrierten Aufwand bedeuten würde, wenn der EuGH die gestellte Frage im verneinenden Sinn beantwortet. Dazu kommt die vom Verwaltungsgericht zu beachtende Entscheidungsfrist. Diese Aspekte lassen es dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Ermessensübung angezeigt erscheinen, das vorliegende Verfahren förmlich auszusetzen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die in Pkt. II.5. zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aussetzung, EuGHEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2141390.2.00Zuletzt aktualisiert am
04.02.2019