TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/27 G308 2137461-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2018
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Entscheidungsdatum

27.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G308 2137461-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2018, Zahl XXXX, über die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, kurdischer Abstammung und moslemisch sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2016, Zahl: XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2016, Zahl L507 2137461-1/4E, als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen kein weiteres Rechtsmittel. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2016 erwuchs in Rechtskraft.

4. Der Beschwerdeführer verließ am 13.02.2017 unangemeldet seine Unterkunft, tauchte unter und reiste in weiterer Folge unrechtmäßig von Österreich nach Deutschland aus. Der Beschwerdeführer wurde in Deutschland festgenommen und im Rahmen eines Dublin-Verfahrens am 19.12.2017 nach Österreich rücküberstellt.

5. Am 20.12.2017 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

6. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 30.01.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 28.02.2018, beim Bundesamt am 01.03.2018 einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen, zur Ergänzung des mangelhaften Ermittlungsverfahrens eine mündliche Verhandlung anberaumen, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkennen und jedenfalls das für die Dauer von zwei Jahren befristete Einreiseverbot beheben; in eventu die Dauer des Einreiseverbotes herabsetzen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt vollkommen außer Acht gelassen habe, das nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens am 12.01.2017 sich die Sicherheitslage in der Heimatstadt des Beschwerdeführers, XXXX, die Sicherheitslage massiv verschlechtert habe und es insbesondere im Oktober 2017 - somit weit nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens - zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, Zerstörungen und Vertreibungen der Einwohner gekommen sei, sodass inzwischen auch die Familie des Beschwerdeführers die Heimat hätten verlassen müssen und ebenfalls auf der Flucht seien. Dazu wurden aktuelle Berichte (UNAMI, Amnesty International, derstandard.at, thedefensepost.com) vorgelegt. Diese Ereignisse seien im ersten Asylverfahren noch nicht berücksichtigt worden, sodass gegenständlich ein neuer Sachverhalt vorliege. Die belangte Behörde hätte daher den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zulassen, inhaltlich prüfen und dem Beschwerdeführer zumindest den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.

Die gegenständlichen Beschwerden und Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 05.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer, dessen Identität bereits im ersten Asylverfahren aufgrund der von ihm vorgelegten Dokumente festgestellt wurde und somit auch in diesem Verfahren feststeht, ist Staatsangehöriger des Irak und Zugehöriger der kurdischen Volksgruppe moslemisch-sunnitischen Glaubens. Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt "XXXX" (im Folgenden: T.) im irakischen Distrikt "SALAH AD-DIN". Er verließ den Irak im Jahr 2015, reiste am 14.07.2015 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 15.07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz (vgl Angaben Erstbefragung am 14.07.2015 und vorgelegte Dokumente, AS 1 ff Verwaltungsakt Teil I; Feststellungen im Bescheid des Bundesamtes vom 30.09.2016, AS 87 ff Verwaltungsakt Teil I; Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2016, Verwaltungsakt Teil I).

1.2. Der erste Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.09.2016 als unbegründet abgewiesen (vgl AS 87 ff Verwaltungsakt Teil I) und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Erkenntnis vom 16.12.2016, Zahl L507 2137461-1/4E, ebenfalls als unbegründet abgewiesen (vgl aktenkundiges Erkenntnis vom 16.12.2016, Verwaltungsakt Teil I).

Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich sowohl hinsichtlich der Feststellungen des Sachverhalts als auch der Beweiswürdigung des Bundesamtes vollinhaltlich an, welches zusammengefasst ausführte, dass der Beschwerdeführer vorgebracht habe, die Lage in T. wäre katastrophal und es gäbe keine Sicherheit wegen der Kampfhandlungen zwischen schiitischen Milizen und den kurdischen Peschmerga. Die Zivilbevölkerung würde freiwillig gegen die Milizen kämpfen. Der Beschwerdeführer persönlich sei nie einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen, die Lage sei für ihn in T. jedoch zu gefährlich geworden. Es sei von einem vorbeifahrenden Motorrad aus auf das Elektrogeschäft des Beschwerdeführers geschossen worden. Er vermute dahinter schiitische Milizen. Von staatlicher Seite habe der Beschwerdeführer nichts zu befürchten gehabt. Das Bundesamt führte weiters aus, der Beschwerdeführer habe selbst mehrfach vorgebracht, aufgrund der allgemeinen Lage den Irak verlassen zu haben und keiner persönlichen Verfolgung und Bedrohung ausgesetzt gewesen zu sein. Daher könne die später vorgebrachte Verfolgung aus religiösen Gründen (Schuss auf sein Geschäft wegen seiner Zugehörigkeit zu den Sunniten) wegen des unbewiesenen Vorfalls und des gesteigerten Vorbringens nicht als religiöse Verfolgung gewertet werden. Dem Beschwerdeführer stünde als Kurde die innerstaatliche Fluchtalternative nach Kurdistan offen. Insgesamt würden sich aus dem Fluchtvorbringen weder direkt noch indirekt Konventionsgründe ableiten lassen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer mehrere sichere Länder durchreist, ohne einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, was die Glaubwürdigkeit seines Antrages zusätzlich verringere. Auch wenn es sich im Irak um ein partielles Krisengebiet handle, würden unter Berücksichtigung des verbleibenden Sachverhalts keine derartigen Verhältnisse herrschen, die den Beschwerdeführer dem realen Risiko einer Verletzung seiner nach Art. 2 und Art. 3 EMRK garantierten Rechte aussetzen würden.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erwuchs in Rechtskraft.

1.3. Der Beschwerdeführer verließ am 13.02.2017 unangemeldet seine Unterkunft, tauchte unter und reiste in weiterer Folge unrechtmäßig von Österreich nach Deutschland aus. Der Beschwerdeführer wurde in Deutschland festgenommen und im Rahmen eines Dublin-Verfahrens am 19.12.2017 nach Österreich rücküberstellt (vgl Überstellungsdokumente, AS 43 ff Verwaltungsakt Teil II).

1.4. Am 20.12.2017 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 30.01.2018 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen vor, dass sich diese zwar nicht verändert hätten, jedoch noch etwas hinzugekommen sei. Er legte dazu einen Bericht über die aktuelle Lage in seinem Heimatort T. sowie ein YouTube-Video mit entsprechender Berichterstattung vor, wonach die irakische Armee sowie schiitische Milizen am 16.10.2017 die Stadt gegen die kurdischen Peschmerga erobert hätten und in weiterer Folge weitreichende Bombenanschläge, Brandschatzungen und Zerstörungen stattgefunden hätten. Seine Familie habe inzwischen die Heimatstadt T. ebenfalls verlassen müssen, lebe unter schlechten Umständen und verhungere fast (vgl Einvernahmen des Beschwerdeführers am 09.01.2018, AS 61 ff Verwaltungsakt Teil II; und am 16.01.2018, AS 83 ff Verwaltungsakt Teil II).

Dem angefochtenen Bescheid legte das Bundesamt das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 24.08.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017) zugrunde (vgl AS 69 Verwaltungsakt Teil II). Diesen ist in Bezug auf die Lage im Heimatort des Beschwerdeführers im Wesentlichen zu entnehmen:

"[...]

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie XXXX (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 09.11.2017).

[...]

Quellen:

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[...]

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AI - Amnesty International (24.10.2017): Titel?"

https://www.amnesty.org/en/latest/news/2017/10/iraq-fresh-evidence-that-tens-of-thousands-forced-to-flee-XXXX-amid-indiscriminate-attacks-lootings-and-arson/, Zugriff 22.11.2017

-

Bas - Basnews (14.11.2017): Over 1,500 Civilian Properties Damaged by Hashd al-Shaabi in XXXXFeatured, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/392677, Zugriff 22.11.2017

-

[...]

-

HRW - Human Rights Watch (20.10.2017): Iraq: Fighting in Disputed Territories Kills Civilians,

https://www.hrw.org/news/2017/10/20/iraq-fighting-disputed-territories-kills-civilians, Zugriff 22.11.2017

-

Reuters (9.11.2017): Kurds displaced by Iraq advance fear reprisals if they return,

https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-kurds-displaced/kurds-displaced-by-iraq-advance-fear-reprisals-if-they-return-idUSKBN1D91XL, Zugriff 22.11.2017

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Rudaw (18.11.2017): UN: Over 181k people from Kirkuk, XXXX still displaced , http://www.rudaw.net/english/kurdistan/181120171, Zugriff 22.11.2017

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[...]

[...]

KI vom 25.10.2017: Kämpfe zwischen Peschmerga und Regierungskräften in Folge des Referendums, weitere Informationen zur Sicherheitslage

Relevant für die Abschnitte Politische Lage, Sicherheitslage und Menschenrechtslage

Irakische Regierungskräfte haben als Reaktion auf das Kurdenreferendum beinahe alle Gebiete eingenommen, die zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" zählen, einschließlich Kirkuk und die dort befindlichen Ölquellen. Auch die jesidische Stadt Sinjar werde Berichten zufolge nun von Popular Mobilization Forces (PMF) kontrolliert (NYTimes 22.10.2017; Rudaw 17.10.2017). Unter anderem kam es dabei am 20. Oktober 2017 zu schweren Gefechten zwischen irakischen Truppen und kurdischen Peschmerga-Kämpfern. Iraks gemeinsames Operationskommando teilte am Freitag mit, Kräfte von Armee, Polizei und schiitischen Milizen hätten den Ort Altun Kopri/Pirde in der umstrittenen Provinz Kirkuk eingenommen. Nach offiziellen kurdischen Angaben kamen bei den Gefechten etwa 30 Peschmerga-Kämpfer ums Leben. Auch die arabischen Kämpfer der Regierungskräfte sollen hohe Verluste gehabt haben. Von ihrer Seite hieß es, die Kurden hätten das von Deutschland für den Kampf gegen den IS gelieferte MIlan-Panzerabwehrsystem eingesetzt. Die Kurden ihrerseits beklagen, dass sie mit US-Waffen bekämpft werden. Es gab zwar vereinzelt Gefechte, meist zogen sich die Peschmerga zurück (Standard 20.10.2017). Die Anti-IS-Koalition zerfällt nicht nur entlang ethnischer Linien, sondern auch die innere Spaltung der irakischen Kurden tritt wieder stärker zutage. Die irakischen Kurden sind in sich tief gespalten. Die von Barzani geführte KDP (Kurdistan Democratic Party) beschuldigt ihren innerkurdischen Hauptrivalen PUK (Patriotic Union of Kurdistan), schuld am Verlust der Stadt Kirkuk zu sein, da diese mit der Zentralregierung in Bagdad einen Deal abgeschlossen und einige ihrer Peschmerga-Einheiten angewiesen habe, sich von ihren Positionen zurückzuziehen. Die beiden kurdischen Parteien haben unterschiedliche Interessen: Der Barzani-Clan (KDP) strebt die Unabhängigkeit von Bagdad an, der Talabani-Clan (PUK) eher die Unabhängigkeit vom Barzani-Clan - durchaus auch im Einvernehmen mit Bagdad. Ein Deal zwischen Bagdad und den Talabanis über einen kurdischen Rückzug aus Kirkuk war die Konsequenz dieser Konstellation. Verlierer sind indes beide kurdischen Parteien. Im Hintergrund stehen radikalere Fraktionen wie die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) oder die Salafisten bereit, um das kurdische Vakuum im Irak zu füllen (TDB 16.10.2017; Presse 18.10.2017).

Die VN (Vereinten Nationen) drängen die irakische Regierung, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass alle Zivilisten geschützt sind und dass jene, die die Zivilbevölkerung bedrohen, zwangsvertreiben, oder dieser gegenüber Gewaltverbrechen begehen, gestoppt werden (Rudaw 20.10.2017). Es liegen Berichte vor, denen zufolge in der Stadt XXXX 150 kurdische Häuser (laut Amnesty International "hunderte Häuser") von (auch mit der Regierung verbündeten) bewaffneten Gruppen niedergebrannt wurden. Nachdem sich die Peschmerga-Kämpfer aus diesen Gebieten zurückgezogen hatten, gelangte die Stadt unter die Kontrolle von schiitisch-turkmenischen Kämpfern, die den PMF angehören. Laut VN sind mit Stand 22.10.2017 mehr als 30.000 Zivilisten aus XXXX geflohen. Bei Zusammenstößen zwischen Regierungskräften (einschließlich PMF-Milizen) und den kurdischen Peschmerga in XXXX wurden zumindest 11 Zivilisten getötet. Es schien sich dabei um einen gezielten Angriff auf überwiegend kurdische Gebiete zu handeln. Insgesamt sind laut VN 100.000 Zivilisten aus den umstrittenen Gebieten geflohen, einschließlich Zehntausender aus der Stadt Kirkuk, einige davon sind danach wieder zurückgekehrt. Den meisten jener, die geflohen sind, wird nachgesagt, dass sie Anhänger Mas'ud Barzani's seien (NYTimes 22.10.2017; AI 24.10.2017). Für den 24.10.2017 wurde ein Vorfall dokumentiert, bei dem die irakische Armee und PMF-Milizen auch einen Peschmerga-Checkpoint östlich des von den Kurden gehaltenen Dorfs Mahmud angriffen, nach schweren Gefechten scheiterten und sich ergaben, wobei zumindest 15 Menschen starben (NA 24.10.2017).

Die USA drängen darauf, dass die Regierung von Premierminister Haidar al-Abadi die Offensive stoppt, denn es scheint längst nicht mehr nur um Gebiete zu gehen, auf die die Kurden ihre Verwaltung 2014, als die irakische Armee vor dem IS floh, ausgedehnt hatten. Die Einheiten der PMF würden die Kurden gerne noch weiter zurückdrängen. US-Außenminister Rex Tillerson fordert die "iranischen Milizen" auf, das Land zu verlassen. Von einer Auflösung der Milizen ist der Irak aber weit entfernt. Umgekehrt fordert der mächtige Anführer der PMF-Miliz Asaib Ahl al-Haq, dass die Amerikaner unverzüglich abziehen sollten (Harrer 24.10.2017).

In Anbetracht der militärischen Gewalt von Seiten der irakischen Armee und der PMF boten kurdische politische Führer am 25.10.2017 an, die Unabhängigkeitsbestrebungen auszusetzen. Ein Sprecher des irakischen Militärs antwortete zunächst, dass die Offensive dennoch weitergeführt werde, eine Reaktion des Premierministers steht noch aus (Reuters 25.10.2017).

Die Organisation IS ("Islamischer Staat") wurde zwar massiv zurückgedrängt (s. Länderinformationsblatt inkl. bisherige Kurzinformationen), befindet sich aber weiterhin in Teilen der Provinzen Ninewa, Salah Al-Din und Anbar. Es muss dort weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und den irakischen Sicherheitskräften, regional-kurdischen Peschmerga, Milizen und auch mit US-Luftschlägen gerechnet werden. In der Provinz Ta'mim kommt es regelmäßig zu Kämpfen zwischen terroristischen Gruppen und kurdischen Peschmerga (AA 24.10.2017). Veröffentlichungen von Audiobotschaften des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zielen darauf ab, die Gerüchte rund um seinen Tod zu entkräften und die IS-Kämpfer in Syrien und Irak zur Standhaftigkeit aufzurufen. In Mosul etwa wurde der IS zwar vor drei Monaten besiegt, die Organisation stellt dort jedoch noch immer eine Bedrohung dar. Alleine im Zeitraum 19.9.2017 bis 13.10.2017 wurden dort zwölf Selbstmordattentäter getötet. In der Provinz Anbar versuchte der IS Ende September 2017 die Kontrolle über Teile der Stadt Ramadi wiederzuerlangen. Kurzzeitig konnten einige IS-Truppen tatsächlich Teile der Stadt besetzen, letztlich scheiterte der Versuch jedoch. Anbar war stets eine Hochburg von sunnitischen Aufständischen (IFK 13.10.2017).

Neben den militärischen Maßnahmen fasste die Zentralregierung in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum eine Reihe weiterer Maßnahmen, darunter: Die Sanktionierung kurdischer Banken, das Einfrieren von Fremdwährungstransfers, sowie das Einstellen von Flugverbindungen und mobilen Kommunikationsnetzen (IFK 13.10.2017).

Der für den 1. November 2017 festgelegte Wahltermin für Präsidial- und Parlamentswahlen in Irakisch Kurdistan wurde verschoben (Reuters 23.10.2017).

Betreffend die nächsten Parlamentswahlen auf nationaler Ebene hat die irakische Wahlkommission den 12. Mai 2018 als Wahltermin festgelegt, der Termin muss noch vom irakischen Parlament bestätigt werden (Rudaw 22.10.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.10.2017):

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/IrakSicherheit.html?nn=332636, Zugriff 24.10.2017

-

AI - Amnesty International (24.10.2017): Iraq: Kurdish homes targeted in wave of attacks by government-backed militias, https://www.amnesty.org.uk/press-releases/iraq-kurdish-homes-targeted-wave-attacks-government-backed-militias, Zugriff 24.10.2017

-

Al-Jazeera (20.9.2017): Iraq war map: Who controls what, http://www.aljazeera.com/indepth/interactive/2016/08/iraq-war-map-controls-160830115440480.html, Zugriff 27.9.2017

-

Harrer, Gudrun in Der Standard (24.10.2017): USA sitzen im Irak zwischen den Stühlen,

http://derstandard.at/2000066619739/Die-USA-sitzen-im-Irak-zwischen-zwei-Stuehlen, Zugriff 25.10.2017

-

IFK - Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (13.10.2017): Fact Sheet Syrien & Irak, Nr. 65, per Email am 23.10.2017

-

NA - The New Arab (24.10.2017): Exclusive: Iraqi troops surrender after attacking Kurdish village, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2017/10/24/exclusive-iraqis-surrender-at-makhmur-kurdistan, Zugriff 25.102.2017

-

NYTimes - New York Times (22.10.2017): Iraqi Forces Overpower Kurds, but Public Relations Battle Rages, https://www.nytimes.com/2017/10/22/world/middleeast/iraq-kurds.html, Zugriff 24.10.2017

-

Presse (18.10.2017): Der Nahe Osten nach dem Ende des IS, http://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5305255/Der-Nahe-Osten-nach-dem-Ende-des-IS?from=suche.intern.portal, Zugriff 25.10.2017

-

Reuters (23.10.2017): Iraq's Kurdistan region delays elections, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-kurds-election/iraqs-kurdistan-region-delays-elections-idUSKBN1CS0T0?il=0

-

Reuters (25.10.2017): Kurds offer to suspend independence drive, seek talks with Baghdad,

https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-kurds-referendum/kurds-offer-to-suspend-independence-drive-seek-talks-with-baghdad-idUSKBN1CT37M?il=0, Zugriff 25.10.2017

-

Rudaw (17.10.2017): Iraqi forces, Shiite militia control series of Peshmerga-held areas,

http://www.rudaw.net/english/kurdistan/17102017, Zugriff 24.10.2017

-

Rudaw (20.10.2017): US, UN express concern over mounting violence in Kirkuk, http://www.rudaw.net/english/kurdistan/201020171, Zugriff 24.10.2017

-

Rudaw (22.10.2017): Iraq's parliamentary elections set for May 12, 2018, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/22102017, Zugriff 24.10.2017

-

Standard - Der Standard (20.10.2017): Viele Tote: Irakische Armee erobert letztes Kurdengebiet in Kirkuk, www.derstandard.at/2000066379819/Kaempfe-bei-Kirkuk-Irakische-Armee-erobert-letztes-Gebiet-zurueck, Zugriff 24.10.2017

-

TDB - The Daily Beast (16.10.2017): With the Battle for Kirkuk, A New Iraq Civil War May Just Be Beginning, https://www.thedailybeast.com/with-the-battle-for-kirkuk-a-new-iraq-civil-war-may-be-just-beginning, Zugriff 24.10.2017

[...]"

Beweiswürdigend führte das Bundesamt zu den vorgebrachten Fluchtgründen des Beschwerdeführers auszugsweise aus (vgl AS 258 f Verwaltungsakt Teil II) [Fehler im Original, Anm.]:

"Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für Ihren neuen Antrag auf internationalen Schutz:

Der festgestellte Sachverhalt hinsichtlich des chronologischen Verfahrensherganges steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest.

Sie gaben im gegenständlichen Verfahren dieselben Ausreisegründe - Sie hätten den IRAK verlassen, weil Sie dort aufgrund Ihres CD-Handels verfolgt und bedroht worden seien - an, die Sie bereits in den beiden Vorverfahren angegeben haben.

Damit deckt sich Ihr Parteibegehren im zweiten - gegenständlichen - Antrag mit jenem in den vorhergegangenen Verfahren.

Da Sie Ihr Vorbringen im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen, kann kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf Basis dieses unglaubwürdigen bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaut, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten ist und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existiert.

Auch die im gegenständlichen Folgeverfahren vorgelegten Beweismittel betreffend der Plünderung und Zerstörung Ihres Heimatortes T. sind nicht dazu geeignet an der Unglaubwürdigkeit Ihres Vorbringens etwas zu ändern. Auch wenn Sie vorbringen, dass Ihre Familie aufgrund dieser Vorkommnisse den bisherigen Wohnort verlassen habe und in die nur 50 km entfernte Stadt K. gezogen sei, konnten Sie ausdrücklich dazu befragt, nicht angegeben, warum es Ihnen nicht möglich sei ebenso in K. bzw. einem anderen Teil des IRAKs zurückzukehren. Die Unmöglichkeit einer Rückkehr begründeten Sie neuerlich einzig damit, dass Sie vor Ihrer Ausreise ein CD-Geschäft geführt hätten und daher noch immer Probleme mit den Islamisten zu haben. Neue, nach Rechtskraft des ersten Asylverfahrens hinzugekommene Gründe, führten Sie hierfür nicht an.

In diesem Zusammenhang muss neuerlich darauf hingewiesen werden, dass Ihr Vorbringen aus dem ersten Asylverfahren sich bereits als unglaubwürdig herausgestellt hat und Ihre aktuellen Ausführungen ebenso wie die vorgelegten Beweismittel daher nicht in der Lage sind an diesem bereits im ersten Verfahren festgestellten Sachverhalt etwas zu ändern.

Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass es Ihnen auch im Folgeverfahren nicht gelungen ist, glaubhaft machen zu können, dass Ihnen in Ihrem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohte und es hier mangels glaubhaftem Kern des neuen Vorbringens auch zu keiner entscheidungsrelevanten und zu berücksichtigenden Sachverhaltsänderung gekommen ist.

[...]

Betreffend die Feststellungen zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

[...]

Die von Ihnen vorgebrachten Plünderungen und Zerstörungen in Ihrer Herkunftsstadt T. sind auch den aktuellen Länderinformationen die der Behörde vorliegen zu entnehmen und sind daher unstrittig.

Jedoch konnten Sie keine Gründe dafür anführen, warum Ihnen nicht ebenso wie Ihrer im IRAK verbliebenen Familie ein Leben außerhalb der umstrittenen Region um T. bzw. in einer der größeren Städte im Kurdengebiet möglich sein sollte.

Besonders Hervorhebens Wert erscheint in diesem Zusammenhang, dass Ihre Familie sich lediglich ca. 50 km vom ursprünglichen Wohnort entfernt in der Stadt K. niedergelassen hat und, wie Sie selbst ausführten, beabsichtigt ehestmöglich nach T. zurückzukehren."

1.5. Im gegenständlichen Fall ergibt sich eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer und seinen Antrag auf internationalen Schutz betreffende und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person und dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen des Bundesamtes und des Bundesverwaltungsgerichtes im Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz und den dort vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumenten (vgl Angaben Erstbefragung am 14.07.2015 und vorgelegte Dokumente, AS 1 ff Verwaltungsakt Teil I; Feststellungen im Bescheid des Bundesamtes vom 30.09.2016, AS 87 ff Verwaltungsakt Teil I; Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2016, Verwaltungsakt Teil I).

Nachdem die Identität des Beschwerdeführers bereits im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz feststand, war gegenständlich - entgegen der diesbezüglichen Feststellung der belangten Behörde im nunmehr angefochtenen Bescheid - festzustellen, dass die Identität des Beschwerdeführers feststeht.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das zentrale Melderegister und holte einen Grundversorgungsauzug ein.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers sowie den aktenkundigen Beweismitteln, Bescheiden und Erkenntnissen, welche jeweils in Klammer zitiert und zu keiner Zeit bestritten wurden.

Entgegen der Ansicht des Bundesamtes wurde das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz nicht als per se unglaubwürdig, sondern vielmehr als nicht asylrelevant beurteilt. Darüber hinaus ergibt sich sowohl aus den seitens der belangten Behörde in das Verfahren eingeführten Länderberichten zum Herkunftsland Irak als auch den vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismitteln, dass es gegen Ende des Jahres 2017, insbesondere im Oktober bzw. November 2017, zu erheblichen bewaffneten Auseinandersetzungen, Plünderungen, Brandschatzungen und Vertreibungen von tausenden Menschen in der Heimatstadt des Beschwerdeführers gekommen ist. Dies wurde seitens der belangten Behörde auch außer Streit gestellt. Es war daher festzustellen, dass eine maßgebliche Änderung der Lage im Herkunftsstaat im Vergleich zum ersten Asylverfahren vorliegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A): Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; 30.5.1995, 93/08/0207; 9.9.1999, 97/21/0913; 7.6.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266).

Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen durfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit der Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhaltes nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können in der Berufung (Beschwerde) nicht neu geltend gemacht werden (VwGH 06.10.1961, VwSlg. 5642 A; 28.11.1968, 0571/68; 30.06.1992, 89/07/0200; 20.04.1995, 93/09/0341; 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens siehe VwSlg. 12.799 A). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, die in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400;

07.06.2000, 99/01/0321). Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Rechtsprechung Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127;

23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A; VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen, von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Entscheidungsrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 24.02.2000, 99/20/0173; grundlegend VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der neuerliche Antrag zulässig oder wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist, mit der Glaubhaftigkeit des neuen Vorbringens betreffend die Änderung des Sachverhaltes "beweiswürdigend" (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556) auseinander zu setzen (VwGH 15.03.2006, 2006/17/0020).

Auf Grund des Umfanges des Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ist in der gegenständlichen Rechtssache der Umstand relevant, ob vor der belangten Behörde neue, mit einem glaubhaften Kern versehene Tatsachen vorgebracht wurden, die eine andere Entscheidung sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten indizieren können.

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.10.1991, 91/09/0069; 30.05.1995, 93/08/0207).

Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist Gegenstand ("Sache") daher ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht zurückgewiesen hat (vgl. VfGH 11.06.2015, Zl. E 1286/2014).

3.2. Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der belangten Behörde ist gegenständlich zwar grundsätzlich zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer sich auch im nunmehr zu führenden Verfahren über seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz auf die gleichen Fluchtgründe stützte, als im Verfahren über seinen ersten Antrag. Der Beschwerdeführer machte jedoch bezogen auf die in seiner Heimatstadt knapp ein Jahr nach rechtskräftiger abweisender Entscheidung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz herrschende allgemeine Situation eine maßgebliche - sogar von der belangten Behörde außer Streit gestellte - Veränderung in Bezug auf den dort herrschenden massiven Konflikt zwischen den irakischen Streitkräften und schiitischen Milizen gegen die kurdischen Peschmerga geltend, der in dieser Form und Schwere zum Zeitpunkt der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz sowie die gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung sowie Zulässigkeit seiner Abschiebung in dieser Form und Schwere jedenfalls nicht vorlagen.

Das erkennende Gericht greift einer Beurteilung der Asylrelevanz dieser massiv geänderten Umstände im Herkunftsland bzw. in der Heimatstadt des Beschwerdeführers im Vergleich zum Erstverfahren nicht vor, weist jedoch darauf hin, dass eine - wie von der belangten Behörde auf Basis der Lage während des ersten Asylverfahrens angenommene, ihrer Ansicht nach weiterhin bestehende innerstaatliche Fluchtalternative inhaltlich in einem Asylverfahren aufgrund dieser geänderten Sachlage zu prüfen ist.

Weiters richtet sich ein Antrag auf internationalen Schutz auch auf die Zuerkennung von subsidiären Schutz. Das Bundesamt stellt die massiven Konflikte, Plünderungen, Zerstörungen und aktuellen Vertreibungen von tausenden Menschen, wobei insbesondere auch Angehörige der Kurden und Sunniten betroffen sind (wie der Beschwerdeführer), im Heimatort des Beschwerdeführers sogar außer Streit.

Es liegen daher neue Umstände und Tatsachen vor, welche über das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers hinausgehen und seitens der belangten Behörde außer Streit gestellt wurden, sodass nicht nur von einem glaubhaften Kern des Vorbringens, sondern von einer Tatsache auszugehen ist.

Es liegen somit mehr als nur Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen vor, die von der belangten Behörde von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären. Das bedeutet nicht, dass die neue Sachentscheidung zu einem von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen muss, doch kommt diesem geänderten Sachverhalt grundsätzlich Entscheidungsrelevanz zu (vgl etwa VwGH vom 31.08.2017, Ra 2016/21/0296).

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die belangte Behörde im gegenständlich angefochtenen Bescheid zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Behandlung des neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht, weshalb der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben war. Die belangte Behörde hat sich inhaltlich mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten neuen Sachverhalt ausführlich auseinanderzusetzen.

Das Verfahren ist damit gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG zugelassen.

Hinsichtlich des vom Bundesamt gegen den Beschwerdeführer erlassenen Einreiseverbotes, welches infolge der Stattgebung der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG und dem Wegfall der zugleich ausgesprochenen Rückkehrentscheidung die Rechtsgrundlage entzogen ist, erfolgt seitens des erkennenden Gerichtes noch folgender Hinweis:

Anders als nach der früheren Rechtslage (vgl. VwGH 21.12.2004, 2004/21/0083) ist es nunmehr im Fall eines Antrages auf internationalen Schutz geradezu Voraussetzung für die Zulässigkeit der Erlassung eines Einreiseverbotes, dass dem Antrag auf internationalen Schutz keine Folge gegeben (und infolgedessen eine Rückkehrentscheidung erlassen) wird. Die Behörde bzw. im Rahmen des Beschwerdeverfahrens das BVwG hat sohin - gleich wie in jenem Fall, in dem das Verfahren über eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu einer Zeit begonnen wird, in dem das Asylverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist - jene Umstände festzustellen, auf die im Rahmen der Ermessensübung Bedacht zu nehmen ist, ohne dass davon auszugehen wäre, allein der Umstand, dass ein Fremder während des Asylverfahrens Leistungen aus der Grundversorgung beziehe, stehe im Rahmen der Ermessensübung der Erlassung eines auf § 53 Abs. 2 Z 6 FrPolG 2005 gestützten Einreiseverbotes entgegen. Schon daraus erhellt aber, dass es andererseits nicht rechtens wäre, im Fall eines Asylwerbers, der Anspruch auf Grundversorgung hat und dessen Antrag auf internationalen Schutz keine Folge gegeben sowie gegen den eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, ein allein auf § 53 Abs. 2 Z 6 FrPolG 2005 gegründetes Einreiseverbot zu erlassen, ohne die dafür notwendige Einzelfallprüfung vorzunehmen (was im Übrigen nicht nur für die hier angesprochene Frage der Ermessensübung, sondern insbesondere auch für die Beurteilung gilt, ob aufgrund des bisherigen (Fehl-)Verhaltens des Drittstaatsangehörigen davon auszugehen ist, dass durch seinen weiteren Aufenthalt eine maßgebliche Störung der in § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 genannten öffentlichen Interessen zu gewärtigen ist) (vgl VwGH vom 20.09.2018, Ra 2018/20/0349).

Im Falle einer allenfalls noch einmal beabsichtigten Erlassung eines Einreiseverbotes nach inhaltlicher Prüfung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hat daher eine entsprechend der dargestellten Judikatur bezogen auf den Bezug einer Grundversorgungsleistung durch den Beschwerdeführer eine entsprechende Einzelfallprüfung zu erfolgen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben [...] ist.

Im gegenständlichen Fall stand bereits aufgrund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Eine mündliche Verhandlung konnte daher unterbleiben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere zu Fragen des Asyls, der Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG und zu Fragen des Art. 8 EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes, des Europäischen Gerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese - soweit erforderlich - auch zitiert.

Schlagworte

geänderte Verhältnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G308.2137461.2.00

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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