TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/7 96/18/0470

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Veröffentlicht am 07.07.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/18/0471

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des Y M, (geb. 6.11.1963), vertreten durch Dr. Brigitte Wieninger, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Mariahilfer Straße 196, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, jeweils vom 13. Mai 1996, jeweils Zl. SD 587/95, betreffend

1. Ausweisung (hg. Zl. 96/18/0471) und 2. Feststellung gemäß § 54 des Fremdengesetzes (hg. Zl. 96/18/0470), zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den Ausweisungsbescheid richtet, als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von

S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Der Bescheid betreffend die Feststellung gemäß § 54 des Fremdengesetzes wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. Mai 1996 wurde der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 13. September 1993 über Slowenien und Ungarn, also Staaten, in denen er vor Verfolgung sicher gewesen sei, in das Bundesgebiet eingereist und habe am 16. September 1993 beim Bundesasylamt Wien einen Antrag auf Asylgewährung gestellt. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Jänner 1996, rechtswirksam erlassen am 5. Februar 1996, sei die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer, der zu keiner Zeit eine behördliche Bewilligung für seinen Aufenthalt in Österreich besessen habe, habe auch nie über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt, da er nicht direkt aus Pakistan (§ 6 Abs. 1 des Asylgesetzes), sondern über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sei jedenfalls derzeit nicht rechtmäßig. In einem solchen Fall sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 FrG entgegenstehe.

Was die Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 19 leg. cit. betreffe, so sei mit der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme kein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers gegeben, da er über keinerlei familiäre Bindungen in Österreich verfüge. Auch mangle es an einem relevanten Eingriff in sein Privatleben im Sinne des § 19 FrG, da sein Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur Ausweisung nur eineinhalb Jahre gedauert habe. Abgesehen davon sei aber der Eingriff zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit also zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, dringend geboten. Einem geordneten Fremdenwesen komme ein hoher Stellenwert zu. Die Tolerierung eines weiteren rechtswidrigen Aufenthaltes bis zur allfälligen Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung erscheine nicht länger vertretbar. Der Beschwerdeführer werde daher das Bundesgebiet verlassen müssen. Einer legalen Einreise, d.h. nach Erlangung der für den Aufenthalt bzw. den Wohnsitz erforderlichen Aufenthaltsbewilligung, stehe nichts im Wege.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen weiteren Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. Mai 1996 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er in Pakistan gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines Antrages ausgeführt, dass er seine Heimat wegen politischer Probleme verlassen hätte. Er sei Generalsekretär der

"MQM (Muhajer Quami Movement)" und für seine Partei von 1990 bis 1992 in Karachi tätig gewesen. Ende 1992 wäre er von seiner Partei beauftragt worden, in Sialkot eine Teilorganisation zu gründen. Die Regierung wäre gegen "seine Betätigung" gewesen. Am 21. Juli 1993 wären er und fünf andere Personen in seinem Büro in Sialkot von sieben Personen (bewaffnete Mitglieder der Muslim Liga) überfallen worden. Der Parteisekretär wäre bei diesem Vorfall getötet worden. Der Beschwerdeführer wäre durch einen Streifschuss in der linken Schulter und mit einer Eisenstange am Knie verletzt worden. Er selbst hätte der Behörde keine Meldung gemacht, er hätte sich nicht einmal in ein Krankenhaus begeben, da er Angst gehabt hätte. Von der Polizei wäre der Vorfall anders geschildert worden, nämlich, dass er und seine Leute die Angreifer gewesen wären. In der Nacht vom 30. April auf 1. Mai 1993 wäre der Parteiführer in Karachi getötet worden. Zu diesem Zeitpunkt hätte sich der Beschwerdeführer wegen seiner politischen Tätigkeit in Karachi aufgehalten. Am 2. Mai 1993 hätte der Beschwerdeführer an einer Protestkundgebung gegen die Ermordung des Parteiführers teilgenommen. Es wäre eine sehr große Demonstration gewesen und die Polizei wäre eingeschritten. Im Zuge der Auseinandersetzungen wären drei oder vier seiner Parteifreunde getötet, zwanzig Personen verletzt und siebzig Personen von der Polizei wegen Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demostrationsrecht bzw. wegen "Terrorismus" angezeigt worden.

Seine Tätigkeit für die MQM wäre der Polizei seit Juli 1991 bekannt. Damals wäre ein massives Vorgehen der Armee gegen die Partei erfolgt und wäre sein Name "notiert worden". Er wäre von der Polizei angezeigt worden, und 25 seiner Parteifreunde würden sich seither in Haft befinden. Die Polizei hätte nach ihm gesucht, es wäre seine Adresse in Karachi bekannt gewesen. Er hätte sich wieder nach Sialkot zurückbegeben. Da seine Partei verboten wäre, hätte er ständig im Untergrund arbeiten müssen. Der Polizei in Karachi wäre seine Adresse in Sialkot nicht bekannt gewesen und es würden außerdem keine Verbindungen zwischen der Polizei beider Städte bestehen.

Wegen des Vorfalles vom 21. Juli 1993 wäre er von der Polizei gesucht worden und es wäre eine falsche Anzeige von Mitgliedern der Muslimliga erstattet worden. Am 15. August 1993 hätte er dann seine Heimat verlassen.

In seiner Berufung vom 25. Jänner 1996 behaupte der Beschwerdeführer, dass im Fall seiner Zurückschiebung nach Pakistan als leitendes Mitglied einer verbotenen Partei Inhaftierung, Misshandlung und Verurteilung wegen Tätigkeit für die MQM in einem Verfahren, welches in keiner Weise rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen würde, weiters langjährige Haft und im äußersten Fall die Ermordung durch die pakistanische Polizei drohen würden.

Was den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Übergriff von Anhängern der Muslimliga betreffe, sei auszuführen, dass derartige Übergriffe selbstständige Handlungen von Einzelpersonen darstellten, welche sich nicht als vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen erwiesen. Der Beschwerdeführer habe nichts vorbringen können, was den Schluss zuließe, dass diese Übergriffe von den staatlichen Behörden geduldet oder gebilligt worden wären oder dass ihm staatlicher Schutz a priori verweigert worden wäre. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal den Versuch unternommen, Schutz bei den Behörden zu suchen, da er keine Anzeige erstattet hätte. In keinem Staat sei es möglich, jeden denkbaren Übergriff präventiv zu verhindern, was sich daraus erkennen lasse, dass überall Institutionen zur Strafrechtspflege eingerichtet seien, die andernfalls überflüssig wären. Es könne von keinem Staat verlangt werden, dass er jeden Staatsbürger jederzeit umfassend schütze.

Bezüglich der Demonstration am 2. Mai 1993 sei zu bemerken, dass die Polizei nicht wegen der politischen Ansichten der Teilnehmer, sondern wegen der - von wem auch immer verursachten - Ausschreitungen, bei denen auch Verletzte und Tote zu beklagen gewesen seien, eingeschritten sei. Die erforderliche Verfolgungsmotivation sei nicht gegeben, wenn die behördlichen Maßnahmen rechtsstaatlich legitimen Zwecken, wie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung im Rahmen der versammlungspolizeilichen Agenden, dienten. In dem Einschreiten der Polizei bei derartigen Demonstrationen und dabei entstehenden gewalttätigen Auseinandersetzungen sowie daran anschließenden Maßnahmen, um der beteiligten Personen habhaft zu werden, könne daher kein illegitimes Staatshandeln erblickt werden. Als Teilnehmer an dieser Demonstration sei auch der Beschwerdeführer einer Beteiligung an den damaligen Ausschreitungen und somit einer allgemeinen Straftat verdächtig. Allfällige gegen ihn gerichtete polizeiliche Verfolgungsmaßnahmen würden daher lediglich unter allgemeinen strafrechtlichen Gesichtspunkten erfolgen. Auch ergebe sich daraus keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung, vielmehr seien seinen Angaben zufolge insgesamt 70 Personen wegen Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demonstrationsrecht angezeigt worden.

Es liege daher auf der Hand, dass einerseits in einem solchen Fall der Beschwerdeführer als Teilnehmer an einer Demonstration von der Polizei gesucht werde und dass er sich andererseits, auch wenn er "von der Gegenseite" (den Mitgliedern der Muslim Liga), wenn auch fälschlicherweise, als Verantwortlicher für den Vorfall vom 21. Juli 1993 angezeigt werde (wobei es der Beschwerdeführer unterlassen habe, auszuführen, wegen welcher konkreten Delikte er überhaupt angezeigt worden sei), auch "in anderen demokratischen Staaten zu rechtfertigen und sich einer behördlichen Untersuchung zu unterziehen" habe.

Davon, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers "aus den in der Konvention genannten Gründen im Sinn des § 37 Abs. 2" FrG bedroht wäre, könne jedenfalls keine Rede sein. Aber auch für die Annahme, dass im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer unmenschliche Behandlung durch die Polizei drohte, lägen keine stichhaltigen Gründe vor. Selbst wenn der Beschwerdeführer tatsächlich von einem Polizisten misshandelt worden sei, sei dies als Übergriff einer Einzelperson und daher der Beschwerdeführer keinesfalls "als Opfer von genereller Polizeiwillkür" zu betrachten. Die belangte Behörde sei daher der Auffassung, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG vorlägen.

3. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, sie wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zum Ausweisungsbescheid:

1. Die Beschwerde lässt die Auffassung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhalte und daher in seinem Fall die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG gegeben sei, unbekämpft. Auf dem Boden der unbestrittenen Feststellungen hegt der Gerichtshof gegen diese Auffassung keinen Einwand.

2. Die Beschwerde hält indes die Ausweisung im Grunde des § 19 FrG für unzulässig. Die belangte Behörde habe sich im angefochtenen Bescheid auf den Standpunkt zurückgezogen, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens dringend geboten wäre; nähere Ausführungen fehlten aber "hier zur Gänze". Mangels der persönlichen Einvernahme des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass er sich seit September 1993 - sohin drei Jahre - im Bundesgebiet aufhalte und im April 1995 eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht habe; weiters habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer in geordneten Wohn- und Wirtschaftsverhältnissen befinde. Die Behörde habe sich im Rahmen der nach § 19 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung auch nicht mit der Tatsache auseinander gesetzt, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen hätte, dass er Generalsekretär bzw. Mitglied einer in Pakistan verbotenen, von den staatlichen Organen bekämpften Partei wäre. Sollte er nach Pakistan ausreisen müssen, drohten ihm "jedenfalls Inhaftierung und Verfolgung durch staatliche Stellen". Schließlich hätte die vorliegende Ausweisung gemäß § 20 Abs. 1 FrG nicht erlassen werden dürfen.

2.2. Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Zunächst ist festzuhalten, dass das Vorbringen betreffend die - nach Ausweis des Aktes am 4. April 1995 erfolgte (vgl. den nicht paginierten Akt der Bezirkshauptmannschaft Oberwart) - Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin nicht im Verwaltungsverfahren, sondern erstmals in der Beschwerde erstattet wurde und daher eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung darstellt (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG). Im Übrigen ist die belangte Behörde unter der - in Anbetracht der Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich zutreffenden - Annahme, dass mit der vorliegenden Ausweisung ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden sei, zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers im Grunde des § 19 FrG dringend geboten ist, hat doch dieser durch seinen unberechtigten Aufenthalt in der Dauer von mehr als zweieinhalb Jahren das öffentliche Interesse an der Einhaltung der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen, dem aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 4. September 1997, Zl. 97/18/0373, mwH), gravierend verletzt. Demgegenüber treten die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich in den Hintergrund, zumal der bisherige Aufenthalt keine Dauer erreicht hat, die einer darauf fußenden Integration ein entscheidendes Gewicht verleihen könnte.

Mit seinem Vorbringen betreffend sein Heimatland verkennt der Beschwerdeführer, dass mit einer Ausweisung nicht darüber abgesprochen wird, dass der davon betroffene Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde. Schließlich bezieht sich die von der Beschwerde ins Treffen geführte Bestimmung des § 20 Abs. 1 FrG von ihrem Wortlaut her ausschließlich auf die Erlassung von Aufenthaltsverboten, weshalb für die Beschwerde mit einem Hinweis auf diese Bestimmung nichts gewonnen ist.

B. Zum Bescheid betreffend die Feststellung gemäß § 54 FrG:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. März 1999, Zl. 97/18/0643, mwH).

2. Die Beschwerde führt gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer durch seine Stellung als Generalsekretär der MQM eine Person sei, die "Repressalien durch die staatlichen Organe" ausgesetzt sei. Der Beschwerdeführer sei "Mitglied bzw. Generalsekretär" gerade jener Partei, die seit ihrer Gründung "von den staatlichen Stellen" seines Heimatlandes verfolgt werde. Mitglieder der - nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid der Partei des Beschwerdeführers gegenüberstehenden - Muslim Liga, die im Jahr 1993 (im Jahr seiner Flucht) im Heimatland des Beschwerdeführers die "staatstragende Partei" gewesen sei, seien gerade auch Angehörige der Polizei und anderer staatlicher Stellen. Entgegen dem angefochtenen Bescheid handle es sich bei den vom Beschwerdeführer befürchteten Repressalien "nicht um selbständige Handlungen von Einzelpersonen"; vielmehr seien die - da die Muslim Liga 1993 die Regierungspartei gewesen sei - gegen die Opposition gerichteten Handlungen "vom Staat initiiert bzw. geduldet" worden.

Dieses im Wesentlichen schon im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen (vgl. etwa die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Erstbescheid vom 25. Jänner 1996) führt die Beschwerde - im Ergebnis - zum Erfolg.

3.1. Die Auffassung der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Übergriffe von Angehörigen der Muslim Liga stellten "selbstständige Handlungen von Einzelpersonen" dar, die sich nicht als vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen erwiesen, kann sich auf keine Verfahrensergebnisse stützen und ist daher nicht nachvollziehbar. Die Argumentation der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe nicht einmal den Versuch unternommen, Schutz bei der Behörde zu suchen, da er keine Anzeige erstattet habe, ist ebenfalls nicht schlüssig, lässt sie doch damit das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren (vgl. die Berufung vom 25. Jänner 1996, insb. S. 3) außer Acht, mit dem zum Ausdruck gebracht wurde, dass er Angst gehabt habe, vor den Übergriffen Schutz bei den Behörden zu suchen. Die in diesem Zusammenhang im angefochtenen Bescheid angeführten (oben unter I.2. wiedergebenen) Überlegungen, es sei keinem Staat möglich, jeden denkbaren Übergriff präventiv zu verhindern bzw. es könne von keinem Staat verlangt werden, dass er jeden Staatsbürger jederzeit umfassend schütze, können derartige Verfahrensergebnisse nicht ersetzen. An dieser Beurteilung kann der Hinweis der Behörde, der Beschwerdeführer habe nichts vorgebracht, was den Schluss zuließe, dass diese Übergriffe von Angehörigen der Muslim Liga durch staatliche Behörden geduldet oder gebilligt worden wären oder dass dem Beschwerdeführer staatlicher Schutz a priori verweigert worden wäre, nichts ändern; dieser Frage hätte die Behörde angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers schon in seinem Antrag (Aktenblatt 23 ff), dass er (gemeinsam mit anderen Personen) von Mitgliedern der Muslim Liga überfallen und von der Polizei verfolgt worden sei, sowie im Hinblick auf den Umstand, dass der Behörde nach ihren Feststellungen das Verhältnis der "MQM" zur Muslim Liga bekannt war, was darauf schließen lässt, dass ihr auch die Beteiligung die Muslim Liga im Jahr 1993 an dem die Regierung stellenden Parteibündnis in Pakistan bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (vgl Der Fischer Weltalmanach 1993, Sp 505 f, Der Fischer Weltalmanach 1994, Sp 145 f), im Ermittlungsverfahren nachzugehen gehabt.

Weiters ist auch nicht ersichtlich, auf welche Verfahrensergebnisse sich die Feststellung der Behörde, die Polizei sei bei der Demonstration am 2. Mai 1993 nicht wegen der politischen Ansichten der Teilnehmer, sondern wegen der - von wem auch immer - verursachten Ausschreitungen eingeschritten, stützen kann. Die Überlegung im angefochtenen Bescheid, dass "die erforderliche Verfolgungsmotivation" nicht gegeben sei, wenn die behördlichen Maßnahmen "rechtsstaatlich legitimen Zwecken, wie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung im Rahmen der versammlungspolizeilichen Agenden" dienten und daher an solchen polizeilichen Maßnahmen "kein illegitimes Staatshandeln erblickt" werden könnte, vermag derartige - anhand eines aus dem Verwaltungsakt ersichtlichen Ermittlungsverfahrens nachvollziehbare - Verfahrensergebnisse nicht zu ersetzen.

Im Übrigen entbehrt auch die Auffassung der belangten Behörde, dass selbst dann, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich von einem Polizisten misshandelt worden sei, dies als ein Übergriff einer Einzelperson zu werten und der Beschwerdeführer keinesfalls "als Opfer von genereller Polizeiwillkür" zu betrachten sei, der sachverhaltsmäßigen Grundlage.

Von daher ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig und die Begründung des angefochtenen Bescheides in relevantem Ausmass mangelhaft geblieben, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei einem Unterbleiben der besagten Verfahrensfehler hinsichtlich der Beurteilung des tatsächlichen Bestehens einer für den Beschwerdeführer gegebenen aktuellen Bedrohung der in Rede stehenden Art zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

3.2. Mit ihren Ausführungen, der Beschwerdeführer sei als Teilnehmer an der mehrfach genannten Demonstration einer Beteiligung an den damaligen Ausschreitungen und somit einer klaren "allgemeinen Straftat" verdächtig, weswegen "allfällige gegen ihn gerichtete polizeiliche Verfolgungsmaßnahmen ... lediglich unter allgemeinen strafrechtlichen Gesichtspunkten" erfolgt seien, verkennt die Behörde schliesslich, dass nach der hg. Rechtsprechung Strafverfahren wegen absolut politischer Delikte, aber auch solche wegen relativ politischer Delikte - d.h. anderer als politische Delikte, die aus politischen Motiven und politischen Zwecken begangen werden - eine Bedrohung der Freiheit des Fremden aus Gründen seiner politischen Ansichten im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG darstellen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 1998, Zl. 95/18/1299).

Von daher hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

C. Nach dem Gesagten war einerseits die Beschwerde, soweit sie sich gegen den Ausweisungsbescheid richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen und andererseits der auf § 54 FrG gegründete Feststellungsbescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit - dieser Aufhebungsgrund drängt den der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in den Hintergrund - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

D. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 52 Abs. 1 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. Juli 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996180470.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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