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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §19;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des D B, (geb. 14.8.1949), vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Dezember 1996, Zl. SD 981/96, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Dezember 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 4. Dezember 1995 auf Aufhebung des gegen ihn mit - in Rechtskraft erwachsenem - Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. Februar 1984 erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 26 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen.
Grundlage für das besagte Aufenthaltsverbot seien zahlreiche rechtskräftige Verurteilungen wegen Delikte gegen Leib und Leben bzw. gegen fremdes Vermögen gewesen. Nach Gewährung eines Vollstreckungsaufschubes bis 28. Juli 1984 habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlassen, um kurze Zeit später, nämlich am 27. August 1985, trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes neuerlich einzureisen. Mit Straferkenntnis vom 28. Oktober 1985 sei der Beschwerdeführer wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes bzw. des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden. Zwar habe der Beschwerdeführer in weiterer Folge mehrmals Vollstreckungsaufschub - zuletzt bis Jänner 1992 - erteilt erhalten, er sei in diesem Zeitraum jedoch insgesamt viermal wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtskräftig bestraft worden.
Nachdem ein von ihm am 24. Juni 1993 eingebrachter Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden sei, sei der Beschwerdeführer neuerlich unerlaubt in das Bundesgebiet zurückgekehrt und mit Straferkenntnis vom 9. September 1994 neuerlich von der Erstbehörde rechtskräftig bestraft und in weiterer Folge in sein Heimatland abgeschoben worden. Wenige Tage später, nämlich am 19. September 1994, habe der Beschwerdeführer wieder einen Antrag gemäß § 26 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, gestellt, der wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei.
Mit dem vorliegenden Antrag vom 14. (richtig: 4.) Dezember 1995 begehre der Beschwerdeführer neuerlich die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes und begründe dies zunächst damit, dass die dem erlassenen Aufenthaltsverbot zu Grunde liegenden Strafen als geringfügig anzusehen wären, wobei, ausgehend von der nunmehrigen Praxis "mit Sicherheit kein unbefristetes Aufenthaltsverbot" verhängt worden wäre. Darüber hinaus halte der Beschwerdeführer fest, dass gegen ihn derzeit ein Strafverfahren beim Bezirksgericht Hernals anhängig wäre.
Gemäß § 26 FrG sei ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen zu beheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt hätten, weggefallen seien. Entscheidend sei nach dieser Bestimmung, dass sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die für seine Erlassung maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert hätten. Davon könne "wohl bei einem anhängigen Gerichtsverfahren keine Rede sein".
Auch das Berufungsvorbringen, dass nach der derzeitigen Praxis kein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen worden wäre, erweise sich als nicht zielführend. Abgesehen davon, dass dies eine rein spekulative Annahme darstelle, sei der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nicht dazu diene, die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotsbescheides zu bekämpfen. Selbst unter der Annahme, der Beschwerdeführer wolle mit diesem Vorbringen zum Ausdruck bringen, dass die gerichtlichen Verurteilungen schon lange zurücklägen, könne für ihn damit nichts gewonnen werden. Die der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zu Grunde liegenden gerichtlichen Verurteilungen seien noch nicht getilgt und könnten daher noch immer unter § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG subsumiert werden. Im Übrigen würde selbst eine inzwischen eingetretene Tilgung einer Berücksichtigung der den Verurteilungen zu Grunde liegenden Taten im Rahmen der Berurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens gemäß § 18 Abs. 1 FrG nicht entgegenstehen. Aus dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer über einen relativ langen Zeitraum der Aufschub der Vollstreckung des Aufenthaltsverbotes bewilligt worden sei, könne nicht abgeleitet werden, dass das für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche öffentliche Interesse weggefallen wäre. Dies umso weniger, als der Beschwerdeführer - wie dargestellt - auch nach Erlassung der gegen ihn gesetzten Maßnahme bereits mehrmals wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes bzw. des FrG rechtskräftig bestraft worden sei. Dieses Verhalten wiege insofern schwer, als es sehr deutlich zum Ausdruck bringe, dass der Beschwerdeführer keinerlei Bedenken habe, sich über die für ihn maßgebenden fremdenpolizeilichen Vorschriften hinwegzusetzen. Die für den Fortbestand des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen hätten sich im Hinblick darauf, dass gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zukomme, noch erhöht. Die Aufrechterhaltung der Maßnahme erscheine daher jedenfalls weiterhin dringend geboten. Die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung habe allein schon deshalb zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausschlagen müssen, weil seine engsten familiären Bindungen "(Ehegattin und fünf Kinder)" bereits bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Berücksichtigung gefunden hätten. Diesbezüglich habe sich keine Änderung für den Beschwerdeführer ergeben, zumal sämtliche Kinder des Beschwerdeführers mittlerweile erwachsen seien.
Auch der in der Berufung vorgebrachte Umstand, dass der Beschwerdeführer im Juni 1993 nach einem Verkehrsunfall in seiner Heimat in Österreich habe behandelt werden müssen und er nunmehr Invalide sei, würden an der Zulässigkeit des Fortbestandes des Aufenthaltsverbotes nichts zu ändern vermögen. Der Beschwerdeführer bringe lediglich vor, dass in seiner Heimatstadt "keinerlei Bedingungen für medizinische Hilfe" wären, ohne dies näher auszuführen. Abgesehen davon behauptet der Beschwerdeführer nicht einmal, dass seine beim Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen ausschließlich in Österreich zielführend würden behandelt werden können. Die belangte Behörde sei daher zur Auffassung gelangt, dass die nachteiligen Folgen der Beseitigung des Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wögen als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 26 FrG ist das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Nach dieser Bestimmung, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit den §§ 18 bis 20 FrG gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinander zu setzen, ob ein relevanter Eingriff i.S. des § 19 FrG vorliegt und
- gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist und - bejahendenfalls - ferner, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen andererseits maßgebend sind, zu Gunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen. Entscheidend ist demnach, dass sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes dient somit nicht dazu, die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, zu bekämpfen. Bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes kann die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 4. April 1997, Zl. 97/18/0122, mwH.).
2. Wenn der Beschwerdeführer meint, dass auf dem Boden des FrG (mit Blick auf § 21 Abs. 1 leg. cit.) gegen ihn ein Aufenthaltsverbot nicht mit unbefristeter Geltungsdauer hätte erlassen werden dürfen, ist ihm zunächst zu entgegnen, dass - zum einen - (wie unter II.1. erwähnt) die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, im Verfahren über die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nach § 26 FrG nicht mehr überprüft werden kann, und - zum anderen - mit diesem Vorbringen auch kein Umstand geltend gemacht wird, aus dem sich im Sinn des § 26 FrG ableiten ließe, dass die Gründe, die zur Erlassung des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes geführt haben, weggefallen seien.
3.1. Die Beschwerde vertritt weiters die Auffassung, dass der überwiegende Teil der Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, weggefallen seien. Die belangte Behörde habe übersehen, dass die im Bescheid der Erstbehörde aus dem Jahr 1993, mit dem der in diesem Jahr gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden sei (Aktenblatt 223 f), als Grund für die Verhängung des Aufenthaltsverbots im Jahr 1984 angeführten "Verwaltungsstrafen vom 14.4.1981 und eine Reihe weiterer Polizeistrafen" bereits getilgt worden seien.
3.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Mit dem Hinweis auf die Tilgung der im angefochtenen Bescheid nicht näher genannten, im Aufenthaltsverbotsbescheid aus dem Jahr 1984 pauschal angesprochenen zehn rechtskräftigen Bestrafungen wegen Übertretung der StVO 1960 und des KFG 1967 (vgl. Aktenblatt 80 verso) ist für den Beschwerdeführer schon deshalb nichts gewonnen, weil für das besagte Aufenthaltsverbot (in erster Linie) fünf rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers (aus den Jahren 1973 bis 1980) - unter anderem wegen Betrugs, Körperverletzung und (zwei Mal) wegen Diebstahls - ausschlaggebend waren. In Ansehung dieser - unbestrittenen - strafgerichtlichen Verurteilungen (die im Übrigen auch in dem von der Beschwerde angesprochenen Bescheid aus dem Jahr 1993 genannt werden) ist am Gewicht der nach § 18 Abs. 1 FrG für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen keine relevante Änderung zu Gunsten des Beschwerdeführers eingetreten, zumal nach der hg. Rechtsprechung selbst eine inzwischen eingetretene Tilgung dieser Verurteilungen einer Berücksichtigung der ihnen zugrundeliegenden Straftaten im Rahmen der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens gemäß § 18 Abs. 1 FrG nicht entgegensteht. Dazu kommt, dass bei der Gewichtung der in Rede stehenden öffentlichen Interessen - worauf die belangte Behörde zu Recht hinweist - auch die im angefochtenen Bescheid genannte mehrmalige rechtskräftigen Bestrafung wegen unerlaubten (weil durch Vollstreckungsaufschübe nicht gedeckten) Aufenthaltes zu Lasten des Beschwerdeführers zu Buche schlägt.
4.1. Mit Blick auf § 19 FrG macht der Beschwerdeführer (u.a.) geltend, dass er durch die Folgen seiner "schweren Verletzung und die damit verbundene Arbeitsunfähigkeit sowie Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit" auf die Unterstützung und Hilfe seiner nahen Angehörigen, insbesondere seiner Frau und seiner Kinder, angewiesen sei, und es (erkennbar) von daher auch auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer "irgendwelche Straftaten begehen kann oder begehen werde". So gesehen seien "ganz maßgebende Umstände" zu Gunsten des Beschwerdeführers eingetreten, die die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigten. Ein mit diesen Ausführungen im Wesentlichen übereinstimmendes Vorbringen hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren (Antrag, vgl. Aktenblatt 272 ff; Berufung samt Beilage, Aktenblatt 291 ff) erstattet.
4.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Die belangte Behörde hat den vom Beschwerdeführer geltend gemachten persönlichen Interessen - langjähriger Aufenthalt seiner Ehefrau und seiner fünf Kinder in Österreich sowie seine besondere Pflegebedürftigkeit auf Grund seines Unfalles - nicht das ihnen gebührende Gewicht beigemessen, zumal nach Ausweis der Akten die Ehefrau und eines der Kinder (nach den Beschwerdeangaben schon vier der fünf Kinder) die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und überdies - laut den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren - drei von ihnen in Österreich geboren sind. Dem öffentlichen Interesse kommt aus den im angefochtenen Bescheid genannten Gründen zwar ein beachtliches, aber wegen der vorliegend besonders gravierenden privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers letztlich doch kein ausschlaggebendes Gewicht zu.
5. Da die Auffassung der belangten Behörde, die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sei im Grunde des § 19 FrG dringend geboten, auf einer Verkennung der Rechtslage beruht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 450,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 90,--) erforderlich waren.
Wien, am 7. Juli 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996180483.X00Im RIS seit
20.11.2000