TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/2 W111 2150759-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2018
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Entscheidungsdatum

02.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W111 2150759-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2017, Zahl 15-1066731008-150445510, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger solmalischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 30.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.05.2015 gab der Beschwerdeführer insbesondere zu Protokoll, er stamme aus XXXX , gehöre der Volkgruppe der XXXX sowie dem moslemischen Glauben an und habe 12 Jahre lang die Schule sowie vier Jahre lang eine Universität in XXXX besucht. Im Herkunftsstaat oder einem Drittstaat hielten sich unverändert seine Eltern, fünf Schwestern, zwei Brüder sowie seine Ehefrau auf. Der Beschwerdeführer habe XXXX im Jänner 2015 illegal auf dem Luftweg verlassen, die Reisekosten in der Höhe von USD 4.500,- seien von seiner Familie beglichen worden. Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer aus, die Terroristengruppe Al Shabaab habe in rekrutieren wollen; junge Männer würden immer rekrutiert werden. Der Beschwerdeführer habe jedoch arbeiten wollen, da er auf der Universität studiert hätte. Er habe nicht kämpfen wollen, weshalb er auch ein paar Mal im Gefängnis gewesen wäre.

Am 09.12.2016 wurde durch den gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG eingebracht.

Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 02.03.2017 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (zum detaillierten Verlauf der Einvernahme, vgl. Verwaltungsakt, Seiten 139 bis 154). Der Beschwerdeführer gab eingangs an, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen, er habe bislang wahrheitsgemäße und vollständige Angaben getätigt, es hätte jedoch keine Rückübersetzung stattgefunden. Er sei gesund, stünde nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente ein. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der XXXX an, sei verwitwet und hätte zuletzt in einem näher bezeichneten Bezirk in XXXX gelebt. Seine Eltern und Geschwister hätten nach seiner Ausreise Probleme bekommen und seien in ein Dorf an der Grenze zu Kenia übersiedelt. Die Familie des Beschwerdeführers habe in XXXX in ärmlichen Verhältnissen in einer Tonhütte seines Onkels gelebt. Die Ausbildung des Beschwerdeführers sei durch seinen Onkel sowie ein Stipendium für sein landwirtschaftliches Studium in Ägypten finanziert worden. In Ägypten habe der Beschwerdeführer seine Frau kennengelernt, nach ihrer Rückkehr nach XXXX hätten sie keinen Platz für ein gemeinsames Leben gehabt, der Beschwerdeführer habe trotz seines Studiums keine Arbeit gefunden.

Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer nie Probleme mit den dortigen Behörden gehabt, sei keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen und hätte sich nicht politisch betätigt. Zu seinem Fluchtgrund schilderte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, Mitte Oktober 2014 wären um Mitternacht maskierte Männer in die Tonhütte seiner Familie gekommen, welche nach dem Beschwerdeführer gesucht und seine Mutter angeschossen hätten. Dem Beschwerdeführer seien die Augen verbunden worden und man habe ihn mit dem Auto zu einem Stützpunkt in XXXX entführt. Dort hätten die Männer ihm mitgeteilt, dass sie Al Shabaab angehören und der Beschwerdeführer aufgrund seiner Arbeit für die Behörde getötet werden würde. Nach seiner Ankunft sei der Beschwerdeführer mit dem Gewehr geschlagen, ausgepeitscht und mit den Füßen getreten worden, habe dabei jedoch keine schweren oder sichtbaren Verletzungen davongetragen. Der Beschwerdeführer habe die Männer in der Folge überzeugen können, dass er nicht bei der Behörde arbeite, woraufhin man ihm gesagt hätte, er solle als Assistent für Al Shabaab arbeiten, um nicht getötet zu werden. Der Beschwerdeführer habe zugesagt und Al Shabaab in der Folge ungefähr vier bis sechs Wochen als Dolmetscher für die Sprache Arabisch unterstützt. Im November sei ihm im Zuge einer kämpferischen Auseinandersetzung die Flucht gelungen. Nach seiner Ankunft in XXXX sei ihm von seinem Onkel mitgeteilt worden, dass ein Bruder des Beschwerdeführers während dessen Abwesenheit einen näher genannten Mann getötet hätte und ihre gesamte Familie nunmehr durch den Clan jenes Mannes verfolgt werden würde. Der Onkel habe daraufhin die Ausreise des Beschwerdeführers organisiert, Ende Dezember 2014 sei dieser Onkel vom Clan des getöteten Mannes - einem Unterclan der XXXX - getötet worden.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, er arbeite unter der Woche in einem Altersheim, besuche Deutschkurse und beziehe Grundversorgung. Der Beschwerdeführer legte diverse Unterlagen über in Österreich gesetzte Integrationsbemühungen sowie Unterlagen zu seiner in Somalia und Ägypten absolvierten Ausbildung vor.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit, nicht jedoch die präzise Identität des Beschwerdeführers fest. Nicht festgestellt werden habe können, dass der aus XXXX stammende Beschwerdeführer von staatlicher Seite verfolgt worden wäre. Auch eine persönliche Bedrohung durch Mitglieder der Al Shabaab sowie des Clans der Habar Gidir habe nicht festgestellt werden können. Die von ihm angegebenen Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes erwiesen sich aus näher dargestellten Erwägungen (vgl. die Seiten 83 bis 90 des angefochtenen Bescheides) als unglaubwürdig und hätten nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Desweitern habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seinen Heimatstaat in seinem Recht auf Leben gefährdet oder der realen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wäre. Ebensowenig habe festgestellt werden können, dass diesem im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre oder dass dieser bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt würde. Der Beschwerdeführer leide an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, verfüge über Schulbildung, eine Ausbildung zum Landwirt sowie familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Aufgrund seiner persönlichen Umstände sei ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in XXXX , welches gegenwärtig einen ökonomischen Aufschwung verzeichnen würde, und eigenständige Bestreitung seines Lebensunterhalts möglich. Dabei werde nicht verkannt, dass die wirtschaftliche Situation in Somalia mit jener in Europa keinesfalls vergleichbar wäre und in Somalia zudem eine hohe Arbeitslosenrate bestünde. Jedoch könne davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer zumindest die Möglichkeit zur Durchführung von Hilfsarbeiten und Gelegenheitsjobs zur Sicherung des überlebensnotwendigen Einkommens offen stünde. Die aktuelle Sicherheitslage in Somalia stelle sich nicht als derart prekär dar, als dass jeder Zurückkehrende einer realen Gefahr einer Menschenrechtsverletzung ausgesetzt wäre und habe der Beschwerdeführer nicht darlegen können, inwiefern gerade er von einer solchen Gefährdung betroffen sein sollte.

Da der Beschwerdeführer, welcher im Bundesgebiet keine familiären Bindungen aufweisen würde, angesichts der kurzen Dauer seines Aufenthaltes keine schützenswerten privaten Anknüpfungspunkte begründet habe, würden keine Hinderungsgründe gegen eine Rückkehrentscheidung vorliegen.

3. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seinen gewillkürten Vertreter mit Schriftsatz vom 20.03.2017 fristgerecht Beschwerde ein. In dieser wurde den beweiswürdigenden Argumenten der Behörde in Bezug auf die angenommene Unglaubwürdigkeit des geschilderten Fluchtgrundes unter näherer Begründung entgegengetreten (vgl. Verwaltungsakt, Seiten 343 bis 351). Aufgrund seiner Bildung und nunmehr auch aufgrund seines Aufenthalts im Westen wäre der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr jedenfalls in Gefahr, zumal Al Shabaab entgegen der Ansicht der Behörde in XXXX aktuell immer noch präsent wäre, wozu auf einen näher zitierten Nachrichtenbericht verwiesen wurde. Überdies wurde auf Berichte zur mangelnden Schutzfähigkeit der somalischen Polizei verwiesen, welche sich im Falle des Beschwerdeführers angesichts dessen Zugehörigkeit zur Minderheit der XXXX als zusätzlich vermindert erweisen würde. Aufgrund der anhaltenden Dürrekatastrophe wäre dem Beschwerdeführer jedoch zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen.

Mit Eingabe vom 15.03.2018 übermittelte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Unterlagen zum Beleg seiner Integrationsbemühungen, darunter ein A2-Zertifikat sowie Bestätigungen über dessen gemeinnützige und ehrenamtliche Tätigkeit.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 22.03.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Am 07.06.2018 fand zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der Beschwerdeführer, dessen rechtsfreundlicher Vertreter sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Somalisch teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war ordnungsgemäß geladen worden, verzichtete jedoch auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

Die Verhandlung vernahm in ihren gegenständlich relevanten Teilen den folgenden Verlauf:

"(...) R: Haben Sie Ihrem bisherigen Vorbringen etwas hinzuzufügen oder zu korrigieren bzw. wurden Sie im erstinstanzlichen Verfahren korrekt behandelt?

BF: Bei der polizeilichen Einvernahme gab es ein Problem. Beim BFA in XXXX haben sie mich korrekt behandelt.

R: Was für ein Problem gab es bei der Polizei?

BF: Mein Vorname wurde falsch geschrieben. Das ist aber zwischenzeitlich geändert worden. Die Dolmetscherin hat zu uns gesagt, es gibt viele Leute und ich kann nicht alles jetzt gleich übersetzen. Sie erzählen Ihre Probleme bei der zweiten Verhandlung. Da konnte ich nicht meine Fluchtgründe erzählen. Sie hat sehr schnell Somalisch gesprochen, ich habe sie nicht gut verstanden. Sie war Somalierin, aber ihr Dialekt war zu schwer.

R: Sie haben aber bei der Einvernahme vom 01.05.2015 sehr wohl Ihre Fluchtgründe angegeben bzw. wurden sie protokolliert.

BF: Diese Dolmetscherin kommt aus Tansania. Sie hat Somalier in der Familie.

R: Sie hat auch den ganzen Reiseweg wiedergegeben. Die Übersetzung erfolgte schon detailliert. Auffällig ist, dass gerade jener Teil der Fluchtgeschichte nicht einmal ansatzweise erwähnt wurde, der dann in der Einvernahme vom 02.03.2017 erstmalig vorgebracht wurde.

Waren Ihre Angaben ansonsten vollständig und richtig, abgesehen von diesem Problem bei der Ersteinvernahme?

BF: Nein.

Nachgefragt gebe ich an: Auf Seite 6 der ggst. Einvernahme vom

01.05.2015 wird in der ersten Zeile angeführt "....... ich will hier

arbeiten." Diese Wortfolge habe ich nicht gesagt.

R: Bitte schildern Sie mir in kurzen Worten den Lebenslauf?

BF: Ich heiße XXXX . Ich bin in XXXX geboren im Jahr XXXX . Ich bin in XXXX zur Volks- und Mittelschule gegangen und in das Gymnasium. Ich habe dort sieben Geschwister, meine Mutter und meinen Vater. Mein Vater war schwer krank, er hatte eine körperliche Behinderung und meine Mutter war Hausfrau. Ich und meine zwei anderen Geschwister konnten zur Schule gehen. Als ich das Gymnasium abgeschlossen habe, nach 2 Jahren habe ich ein Stipendium für Ägypten bekommen. Ich habe dort studiert. Zwischen Matura und Studium habe ich nicht gearbeitet. Mein Onkel hat mich unterstützt. Er hatte genügend. Er hatte nicht viele Kinder. Er hat nur einen Sohn. Wir waren arm.

Wenn ich nachgefragt werde, wie ein Gymnasialbesuch und eine anschließende zweijährige Erwerbslosigkeit mit anschließendem Studium in Ägypten mit meiner Angabe, dass meine Familie arm gewesen sei, vereinbar ist, gebe ich an: Mein Wunsch war, dass ich ein ausgebildeter Mensch werde und die Universität in XXXX konnte ich mir nicht leisten. Deswegen habe ich mir ein Stipendium ausgesucht. Normalerweise bietet die XXXX ein Stipendium an. Die Länder, die Mitglieder der XXXX sind, bieten solche Stipendien an und ich habe diese Chance bekommen.

R: Wo haben Sie Ihren Antrag gestellt?

BF: Ich war in meiner Schule und sie haben die Leute, die ein höheres Niveau haben, ausgesucht. Als ich das Gymnasium abgeschlossen habe, haben wir diese Chance bekommen. Ich habe einen Antrag gestellt. Ich war nicht alleine. Es gab auch andere Studenten. Wir haben zwei Jahre lang gewartet.

R: Wie hoch war das Stipendium?

BF: 900 Ägyptische Pfund.

R: Wie viel sind 900 Ägyptische Pfund in Euro?

BF: Ca. 150 Dollar.

R: Davon kann man in Ägypten nicht leben, oder?

BF: Meinen Sie jetzt oder damals?

R: Damals natürlich.

BF: Die Wohnung war kostenlos und wir haben das Essen gratis bekommen.

R: Wie lange waren Sie in Ägypten?

BF: Vom 15. September 2009 bis 10. September 2014. In dieser Zeit habe ich nur studiert.

R: Laut den vorgelegten Unterlagen haben Sie Ihr Studium im Jänner 2014 abgeschlossen. Was haben Sie dann zwischen Jänner und September gemacht?

BF: Ja. Das stimmt. Während dieser Zeit haben wir mehrere Seminare bekommen.

BF verweist auf die im Akt einliegende Zertifikate (AS 119 f).

R: Warum sind Sie bzw. unter welchen Umständen sind Sie nach Somalia zurückgekehrt?

BF: Ich bin in mein Heimatland zurückgekehrt, weil ich dort arbeiten wollte. Ich habe dort mit meinen Eltern gelebt. Ich und fünf Geschwister. Zwei Schwestern waren verheiratet. Sie waren außer Haus.

R: Wovon hat Ihre Familie gelebt?

BF: Von meinem Onkel.

R: Wie viel hat Ihnen der gegeben?

BF: Mein Bruder hat auch mit meinem Onkel gearbeitet. Sie haben eine KFZ-Werkstätte betrieben.

R: Wie ist es dann weitergegangen?

BF: Mein Wunsch war, dass ich eine Arbeit bekomme. In der Früh habe ich versucht, Arbeit zu suchen. Ich habe mehrere Lebensläufe geschrieben und geschickt. Aber ich habe ein Problem gehabt, Arbeit zu finden. Ich habe die Lebensläufe nicht geschickt. Ich bin persönlich hingegangen. Ich war beim Landwirtschaftsministerium und die Organisationen, die für die Landwirtschaft zuständig sind. Drei Bewerbungen waren das. Aber ich habe die Arbeit nicht bekommen. Sie haben immer gesagt, ich soll wieder kommen, dorthin bin ich mehrere Male gegangen. Ich habe immer weiter versucht, Arbeit zu finden. Ich habe dann diese Probleme bekommen.

R: Bitte schildern Sie mir detailliert und chronologisch richtig, weswegen Sie Ihre Heimat verlassen haben.

BF: Es war in der Nacht. Es war um Mitternacht. Wir haben alle geschlafen. Ich kann nur schätzen, dass es 10-15. Oktober 2014 war. Es kamen viele Männer in unsere Wohnung. Sie waren alle vermummt. Ich glaube, dass sie 6 oder 7 Männer waren. Sie wollten mich entführen. Sie haben mich nicht gefunden. Sie haben versucht mich hinauszubringen, aber meine Mutter hat versucht mich zu schützen. Sie hat mich umarmt, aber die Männer haben meine Mutter angeschossen, sie ist verletzt worden. Sie ist auf den Boden gefallen und die Männer haben mich entführt. Sie haben meine Augen verbunden und mich in das Auto gestoßen. Sie sind weggefahren und wir fuhren ca. eine Stunde bis eineinhalb Stunden. Sie haben mich nach XXXX gebracht. Sie haben mich in ein Haus gebracht und schwer geschlagen. Sie hofften, dass ich mit der Regierung arbeite. Sie haben gesagt, dass sie mich dort gesehen haben. Sie sagten, dass mein Leben zu Ende sei und dass sie mich töten. Sie haben meine Hände und Beine gebunden und haben gesagt, ich soll heute Nacht hierbleiben. In der Früh kamen fünf Männer zu mir. Einer von ihnen hat mich angesprochen. Er hatte einen langen Bart und sagte, dass sie wissen, dass ich mit der Regierung zusammenarbeite. Er hat gesagt, heute ist der letzte Tag, ich soll sterben. Ich habe aber gesagt, dass ich nicht mit der Regierung arbeite, sondern ein Student bin. Ich hätte damals gerade mein Studium abgeschlossen und bin gerade nach Somalia zurückgekehrt. Sie sagten, wie kann ich das beweisen? Sie sagten, sie seien die Al-Shabaab und ich soll keine Angst haben. Wenn sie mich töten, verzeiht mir Gott alles, was ich gemacht habe. Nach einer gewissen Zeit habe ich wieder gesagt:

"Welche Beweise brauchen Sie von mir"? Sie fragten, ob ich die arabische Sprache kann. Ich habe ja gesagt. Einer von diesen Männern kommt aus einem arabischen Land. Sie sagten, ich soll mit ihnen sprechen, ob er mich gut verstehen kann. Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat herausgefunden, dass ich den ägyptischen Dialekt spreche. Nach dem sagten sie, ich soll eine Entscheidung treffen, ob ich mit der Al-Shabaab arbeiten will, oder sie töten mich. Ich habe ein bisschen überlegt. Dann habe ich mich entschieden, dass ich mit der Al-Shabaab zusammenarbeiten werde. Ich wollte nicht sterben. Es gab dort viele arabische Männer, die nur Arabisch sprechen und die Al-Shabaab-Männer sagten, dass ich als Dolmetscher dort arbeite. Ich habe die anderen Leute immer begleitet und dort übersetzt. Ich habe eine Gruppe der Al-Shabaab einmal zum Gericht begleitet.

R: Zu welchem Gericht?

BF: Sie haben ein eigenes Gericht. Es liegt dort, wo wir gewohnt haben. Nachgefragt, warum man mich dort gebraucht hat: Ich war dort als Dolmetscher. Die Angeklagte war eine somalische Frau.

R: Wie lange waren Sie dort?

BF: Vier bis sechs Wochen. Eines Tages habe ich eine Gruppe begleitet. Wir waren in einem Haus. Diese Gruppe, die ich begleitet habe, das waren 15 Männer. Der Krieg begann kurz vor Sonnenuntergang. Alle Männer waren bewaffnet. Sie sind zum Kampf gegangen. Ich habe mir überlegt, ob ich flüchte. Ich habe eine Chance bekommen zu flüchten und bin hinausgegangen. Nach gewisser Zeit habe ich an einer Stelle übernachtet, wo es mehrere Gärten gibt. In der Früh habe ich wieder angefangen wegzulaufen. Ich habe einen alten Mann getroffen. Er hat in einem Garten gearbeitet. Ich habe ihn gebeten, dass er mir zeigt, wo XXXX ist. Er hat gesagt, er will nach XXXX fahren. Ich soll ihm helfen, damit wir zusammen nach XXXX fahren. Ich habe ihm geholfen. Ich habe mich in seinem Auto versteckt. Wir sind nach XXXX gefahren. Ich habe mir überlegt, wenn ich nach Hause gehe, dass die Al-Shabaab wieder kommt. Ich bin zu meinem Onkel gegangen. Mein Onkel fragte, wann ich geflüchtet bin. Ich habe gesagt, dass ich jetzt gerade angekommen bin.

R: Wie heißt der Richter, für den Sie gedolmetscht haben?

BF: XXXX .

R: Wie ist die Verhandlung ausgegangen?

BF: Die Beschuldigte war eine Frau. Ihr Mann hat sie beschuldigt, dass sie mit einem anderen Mann geschlafen hat.

R: Was war das Resultat?

BF: Sie haben sie zum Tod verurteilt.

R: Sind Sie Ihnen noch andere Beteiligte dieses Verfahrens namentlich bekannt?

BF: Ja. Zum Beispiel XXXX .

R: Wer war das?

BF: Er war ein Araber.

R: Welche Rolle hat er in dem Verfahren eingenommen?

BF: Ich weiß es nicht genau. Aber er war Al-Shabaab-Mitglied.

R: Hat Ihre Familie eine Anzeige erstattet wegen Ihrer Entführung?

BF: Der Älteste unseres Clans hat die Anzeige erstattet. Aber es hat nichts gebracht. Die somalische Regierung hat nicht genug Durchsetzungsvermögen.

R: Wie hieß der Clanälteste?

BF: XXXX .

R: Was taten Sie, nachdem Sie zu Ihrem Onkel gingen bzw. was passierte?

BF: Mein Onkel hat mir erzählt, dass mein Bruder mit einem Mitarbeiter namens XXXX gestritten hat. Mein Bruder hat XXXX verletzt. XXXX ist im Spital gestorben. Mein Bruder ist geflüchtet. XXXX Clan wollte unsere Familie vernichten. Mein Onkel hat gesagt, ich soll zu Hause bleiben. Dann hat er gemeint, ich soll einen Schlepper suchen, weil ich in Gefahr bin. Er hatte große Angst, dass mich die Al-Shabaab wieder entführt.

R: Können Sie mir die erste Nacht auf dem Militärstützpunkt der Al-Shabaab beschreiben?

BF: Wie gesagt: Als sie mich zu ihrem Stützpunkt gebracht haben, haben sie mich geschlagen. Sie haben mich beschuldigt, dass ich mit der Regierung arbeite und dass sie mich töten.

R: Wie haben sie Sie geschlagen?

BF: Sie haben mich gepeitscht. Sie haben meine Beine gefesselt.

R: Sie wurden an den Beinen gefesselt, gepeitscht und sonst nicht weiter misshandelt?

BF: Nein. Ich wurde lediglich gefesselt und gepeitscht.

R: In der Einvernahme vom 02.03.2017 haben Sie angegeben, dass Sie auch mit dem Gewehr geschlagen wurden und des Weiteren mit den Füßen getreten worden wären. Warum haben Sie das heute nicht angegeben?

BF: Als sie mich dorthin gebracht haben, jeder hat mich geschlagen, egal, ob mit den Füßen oder mit dem Gewehr oder mit der Peitsche.

R: Ich habe Sie eben ausdrücklich gefragt, ob Sie auch mit anderen Mitteln misshandelt worden wären, als mit Peitsche und Fußfessel. Sie haben das verneint.

BF: Ich bin ein Mensch. Es kann sein, dass ich das vergessen habe. Ich habe diese Probleme erlebt.

R: Beschreiben Sie das Gebäude, in dem Sie festgehalten wurden.

BF: Es war eine Hütte. Aber es gab 10 andere Hütten.

R: Wie viele Menschen haben dort gewohnt?

BF: Ich weiß es nicht genau. Ich kann nur schätzen, 50-100 Leute.

R: Wie viele Menschen wohnten in Ihrer Hütte?

BF: Meinen Sie den ersten Tag?

R: Grundsätzlich am ersten Tag: Wie viele waren da einquartiert?

BF: Ich war in der Hütte ganz allein.

R: Und in den anderen Hütten?

BF: Ich kann es nicht genau sagen. Dort war die Al-Shabaab.

R: Sie werden wissen, wie viele Personen in solchen Hütten gewohnt haben? Waren in diesen Hütten auch nur jeweils eine Person oder waren das Massenquartiere?

BF: Wie gesagt, die erste Nacht war ich ganz allein in der Hütte. Aber als ich mit der Al-Shabaab-Arbeit begonnen habe, waren wir 15. Die andere Gruppe weiß ich nicht.

R: Sie werden ungefähr gewusst haben, ob in diesen Hütten 2 oder 20 Menschen waren?

BF: Das kann ich nicht sagen. Es waren alle vermummt. Ich konnte ihre Gesichter nicht sehen.

R: Es ist unglaubwürdig, wenn Sie nicht angeben können, wie viele Menschen ungefähr jeweils pro Hütte gelebt haben.

BF: Ich kann nicht schätzen, wie viele Menschen pro Hütte einquartiert waren.

R: Nicht einmal, ob das zwei oder 20 waren?

BF: Ich kann nicht schätzen.

R unterbricht um 16:09 Uhr die Verhandlung.

Fortsetzung: 16:14 Uhr.

R: Wann haben Sie Somalia verlassen?

BF: Am 01.01.2015.

R: Wie lange waren Sie bei Ihrem Onkel nach Ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft?

BF: Am Vormittag bin ich angekommen. Ende November 2014.

R: Wo haben Sie die Nacht vom 31.12.2014 auf 01.01.2015 verbracht?

BF: Mit dem Schlepper.

R: Wann haben Sie das Haus Ihres Onkels verlassen?

BF: Ich weiß es nicht genau. Das war Ende November 2014.

R: Wo verbrachten Sie den Dezember 2014?

BF: Ich war bei dem Schlepper.

R: Wo?

BF: In XXXX , im Bezirk, wo er gewohnt hat.

R: Schildern Sie den zweiten Grund, weswegen Sie nicht in Ihre Heimat zurückkehren können?

BF: Ich kann nicht in mein Heimatland zurückkehren: Erstens: Wegen der Al-Shabaab. Zweitens wegen der Rache.

R: Ist die Blutrache nicht mit dem Tod des Onkels beendet?

BF: Es gibt kein Recht in Somalia, sie werden mich töten.

R: Welche Verwandten von Ihnen leben in Somalia?

BF: Momentan niemand.

R: Wo ist Ihre Familie hingezogen?

BF: In ein Dorf XXXX . Es liegt zwischen Somalia und Kenia an der Grenze.

R: Wo lebt der Sohn Ihres Onkels?

BF: Ich weiß es nicht.

R: Wo ist das Dorf XXXX ? In Somalia?

BF: Es liegt auf beiden Seiten.

R: Woran ist Ihre Ehefrau gestorben?

BF: In einer Cafeteria hat sie gearbeitet, wo viele Polizisten tätig waren. Die Al-Shabaab haben dort bombardiert.

R: Wann hatten Sie letztmalig Kontakt mit Ihrer Familie?

BF: Mitte November 2016.

R: Woher wissen Sie, dass Ihre Frau im Dezember 2016 verstorben ist?

BF: Ihre Tante hat mich angerufen und mich informiert.

R: Was hat die Tante sonst noch gesagt?

BF: Sie hat nur gesagt, dass meine Frau verstorben ist und sonst nichts.

R: In der Einvernahme vom 02.03.2017 haben Sie mehrfach angeführt, dass Sie Verwandte in Somalia hätten. Heute gaben Sie an, dass Sie in Somalia "momentan niemanden" hätten. Wie kann ich diesen Widerspruch verstehen, zumal Sie seit November 2016 keinen Kontakt mehr zu Ihrer Familie haben?

BF: Ich habe auch damals gesagt, dass meine Familie in XXXX lebt.

R: Damals haben Sie aber eindeutig erklärt, dass die Familie in Somalia wäre (in XXXX , einem Dorf an der Grenze zu Kenia in Somalia). Heute haben Sie erklärt, dass Sie in Somalia niemanden mehr hätten. Sind die Leute nun in Somalia oder nicht?

BF: Ja. an der Grenze in Somalia.

Warum haben Sie gesagt, dass Sie in Somalia keine Familie mehr haben?

BF: Ich habe gemeint XXXX .

R: Am Beginn Ihrer Einvernahme vom 02.03.2017 haben Sie detaillierte Korrekturen vorgenommen, aber mit keinem Wort erwähnt, dass es zwei konkrete Gründe gegeben hat, weswegen Sie Somalia verlassen haben. In der Ersteinvernahme haben Sie nur allgemeine Gründe vorgebracht. Warum haben Sie diese konkreten Gründe nicht bereits in der Ersteinvernahme erwähnt bzw. im Fall eines Protokollierungsfehlers diesen am 02.03.2017 zur Sprache gebracht?

BF: Ich habe das auch damals gesagt.

R zitiert aus dem Protokoll AS 141 über die Ersteinvernahme: "Ja,

ich kann mich noch daran erinnern......Das wurde auch nicht

vermerkt." Von einer Entführung durch Al-Shabaab bzw. einer Blutrachegeschichte erwähnen Sie zu diesem Zeitpunkt nichts. Vielmehr bringen Sie das erst in der folgenden Einvernahme vor.

BF: Ja. Das stimmt. Erst bei der ersten Einvernahme sagten sie, dass ich unterschreiben muss. Ich habe unterschrieben. Ich konnte auch nicht Deutsch.

R: Wenn Sie solche Details korrigieren, wieso haben Sie nicht die großen, die wichtigen Punkte korrigiert?

BF: Ich habe bei der zweiten Einvernahme auch erwähnt, dass die erste Befragung kurz war und die Dolmetscherin hat zu mir gesagt, ich soll nur kurz erzählen. Alle anderen weiteren Geschichten soll ich beim BFA erzählen.

R: Sie hätten diese beiden Vorfälle zumindest kurz erwähnen können?

BF: Es gab auch ein großes Missverständnis. Ich habe nicht verstanden, was die Dolmetscherin mich gefragt hat. Es war in der 1. Einvernahme. Sie hat gesagt, dass sie in Tansania geboren ist und dort aufgewachsen ist.

R: Warum haben Sie das nicht korrigiert?

BF: Ich habe keine Rückübersetzung bekommen, wie kann ich das korrigieren?

R: Am 02.03.2017 haben Sie zwar ein kleines Detail korrigiert, aber nicht das Unerwähntbleiben zweier wesentlicher Vorfälle.

BF: Bei der 2. Einvernahme habe ich erwähnt, dass ich 2 große Probleme habe.

R: Aber nicht im Rahmen der Korrektur.

R: Gesetzt den Fall, Sie würden heute nach XXXX zurückkehren.

Angesichts folgender Tatsachen, erstens: die geänderte militärische

Lage, zweitens: Ihre nicht bedeutende Position, drittens: Der Ablauf von mehr als 2 Jahren seit den Vorfällen. Glauben Sie, dass Sie heute noch einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären?

BF: Ja. Erstens: Es gibt kein Recht. Zweitens: Die Al-Shabaab sind immer noch dort. Sie töten wen sie wollen.

R: Wären Sie durch die Al-Shabaab gefährdet?

BF: Doch. Sie beschuldigen mich, dass ich ein Spion bin. Ich war schon einmal beim Stützpunkt.

R: Gibt es sonst noch Gründe, warum Sie heute verfolgt werden würden?

BF: Ja. Der Grund ist die Blutrache.

R: Wieso kann dann Ihre Familie in Somalia leben?

BF: Meine Familie lebt nicht in XXXX , sondern in Somalia.

R: Wenn man Blutrache nehmen will, wird man von XXXX nach XXXX reisen können.

R unterbricht um 16:59 Uhr die Verhandlung.

Der BFV ersucht um eine Besprechung mit seinem Klienten.

Fortsetzung: 17:19 Uhr.

R: Wo lebt Ihre Familie?

BF: Jetzt habe ich keinen Kontakt mit ihnen.

BFV: Wie heißt der nächste Ort?

BF: XXXX . Sie sind geflüchtet wegen der Blutrache.

R: Gesetzt den Fall, Sie müssten nach Somalia zurückkehren, welche Lebensumstände würden Sie erwarten?

BFV: Könnten Sie Arbeit finden, Essen kaufen und überleben?

BF: Das kann sein, dass ich Arbeit finde. Es gibt dort keinen Frieden.

R: Sind Sie arbeitsfähig?

BF: In Somalia?

R: Man ist grundsätzlich entweder arbeitsfähig oder nicht.

BF: Ich bin arbeitsfähig. Ich arbeite auch hier als Freiwilliger beim XXXX und im Altersheim.

R: Wie ist die finanzielle Lage Ihrer Familie?

BF: Jetzt weiß ich es nicht. Damals waren sie arm.

R: Aus welchen Mitgliedern in XXXX setzt sich Ihre Familie zusammen?

BF: Meine sechs Geschwister und meine Eltern. Zwei Brüder und vier Schwestern habe ich.

R: Wovon leben die?

BF: Mein jüngerer Bruder hat in XXXX in einer Landwirtschaft gearbeitet.

R: Und der ältere Bruder?

BF: Ich weiß nicht, wo er ist.

R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?

BF: Nein.

R: Warum sind Ihre Eltern von XXXX nach XXXX gezogen?

BF: Weil sie große Angst vor XXXX hatten.

R: Warum sollten sie in XXXX sicher sein?

BF: Diese Clans wussten nicht, wo sich meine Familie versteckt hatte.

R: Dann könnten Sie ja nach XXXX zurückkehren?

BF: Ich habe große Angst vor der Al-Shabaab, weil sie überall sind.

R: Die Al-Shabaab aus XXXX kennt Sie auch nicht. Jene AS-Mitglieder aus XXXX sind andere, als jene aus XXXX .

BF: Sie sind gut vernetzt.

R: Halten Sie sich für so bedeutend?

BF: Wenn jemand schon mit der Al-Shabaab gearbeitet hat, vergessen sie das nie.

Festgehalten wird, dass ein Konvolut an Integrationsunterlagen vorgelegt wurde, welches in Kopie zum Akt genommen wird.

R: Leben Sie in einer Lebensgemeinschaft in Österreich?

BF: Nein.

R: Gehen Sie einer legalen Beschäftigung in Österreich nach?

BF: Ja.

R: Und welcher?

BF: Koch und Abwäscher (auf Deutsch).

BF verweist auf die Bestätigung der XXXX vom 30. Mai 2018 und erklärt, dass er bei solchen Tätigkeiten 3 Euro die Stunde bekommen würde.

R: Bekommen Sie Mittel aus der öffentlichen Hand?

BF: Ja. ich bekomme 250 Euro.

R: Wie viel verdienen Sie selbst?

BF: Manchmal 240 Euro, manchmal 250 Euro.

R: Wo wohnen Sie? In welchem Quartier?

BF: Ich wohne in einem Flüchtlingsheim.

Übergeben wird das LIB der Staatendokumentation betreffend Somalia vom 12.01.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 03.05.2018). Zur Stellungnahme wird eine Frist von einer Woche eingeräumt. Ein Exemplar wird dem BFV ausgehändigt.

R: Möchten Sie noch etwas sagen?

BF: Ich habe nur eine Bitte, dass Sie mir Asyl oder subsidiären Schutz geben. Ich habe mein Heimatland nicht wegen der wirtschaftlichen Situation verlassen. Ich habe eine Ausbildung. Mir wäre lieber, dass ich in meiner Heimat bleibe und eine Arbeit finde, aber dort gibt es kein Recht und keine Gleichberechtigung. (...)"

Der Beschwerdeführer legte die folgenden Unterlagen vor:

* Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeit des Beschwerdeführers im Ausmaß von 20 Wochenstunden vom 09.03.2018 und vom 30.05.2018 sowie Referenzschreiben/Unterschriftenliste vom 21.02.2017

* Teilnahmebestätigung an einer Ausbildung zum ehrenamtlichen Energie- und Klimacoach vom 05.05.2018

* Bestätigung über die freiwillige Mitarbeit des Beschwerdeführers bei einem Projekt des XXXX vom 13.05.2018 inklusive einer Teilnahmebestätigung vom 12.12.2017

* ÖSD-Zertifikat A2 vom 22.09.2017

Mit Eingabe vom 15.06.2018 erstattete der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme zu den ihm anlässlich der Beschwerdeverhandlung ausgehändigten Länderinformationen, im Rahmen derer im Wesentlichen festgehalten wurde, dass von keiner Verbesserung der Lage im Herkunftsstaat auszugehen wäre; zufolge einer im Länderinformationsblatt ersichtlichen Grafik würden aktuell 41 bis 50 % der Bevölkerung XXXX an Nahrungsmittelunterversorgung leiden, Lebensmittelpreise würden auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau liegen und Überflutungen drohen. Die Jugendarbeitslosigkeit in XXXX liege bei 67%. Offene Stellen wie auch Ausbildungsmöglichkeiten würden in Somalia vielfach qualifikationsunabhängig über entsprechende Netzwerke (Familie, Clan) vergeben werden. Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer in XXXX niemanden mehr haben würde, der ihm helfen könnte, Arbeit zu finden sowie aufgrund der nunmehr durch die Überschwemmungen verschärften Ernährungslage, sei davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr aus Gründen des Artikels 3 EMRK nicht zumutbar wäre, wiewohl ihm schon aufgrund der ihm drohenden Blutrache Asyl zuzuerkennen wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, gehört der Volksgruppe der XXXX an und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest. Er stammt aus XXXX , wo er zuletzt gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt hat. Er hat in seinem Herkunftsstaat zwölf Jahre lang die Schule besucht und im Anschluss ein landwirtschaftliches Studium in Ägypten absolviert. Anfang 2014 kehrte er nach XXXX zurück, wo er sich bis Jahresende aufhielt. Der Beschwerdeführer reiste im April 2015 illegal ins Bundesgebiet ein, wo er am 30.04.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers halten sich unverändert an einem nicht näher feststellbaren Ort innerhalb Somalias auf.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in XXXX einer gezielten Bedrohung durch die Al Shabaab unterliegen würde respektive von Blutrache durch Angehörige des Clans der Habar Gidir bedroht wäre. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach XXXX aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, bei einer Rückkehr nach XXXX Verfolgung durch staatliche Behörden befürchten zu müssen, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung seiner Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen und als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu sein. Bei einer Rückkehr nach XXXX , besteht für den Beschwerdeführer als alleinstehenden gesunden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine Bedrohungssituation und liefe der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im April 2015 durchgehend auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und bestreitet den Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 absolviert, leistet gemeinnützige Tätigkeiten im Ausmaß von 20 Wochenstunden und ist ehrenamtlich bei einem Projekt des XXXX beschäftigt. Er hat im Bundesgebiet Bekanntschaften geknüpft, verfügt jedoch über keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bindungen in Österreich.

Es besteht in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK.

1.2. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird auf die dem Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung zur Kenntnis gebrachten Länderberichte verwiesen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia, Stand 03.05.2018), aus welchen sich die verfahrensgegenständlich relevante Lage ergibt. Diese stellt sich auszugsweise wie folgt dar:

...

KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).

Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).

Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):

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(FEWS 3.2018)

Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).

Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).

Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).

In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).

Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:

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(FEWS 4.2018b)

Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).

Untenstehend findet sich die detaillierte Prognosekarte der Agentur FSNAU der FAO für die Monate 2-6/2018:

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(FAO 2018)

Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).

Quellen:

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia

-

Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook-update/april-2018, Zugriff 2.5.2018

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia

-

Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia

-

Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018

-

FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018

-

FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,

https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff 2.5.2018

-

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavy-rains-2-may-201

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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