Entscheidungsdatum
01.08.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L523 2158474-1/12E
L523 2158478-1/12E
L523 2158482-1/8E
L523 2158467-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Tanja Danninger-Simader als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX, geb. XXXX (BF1), XXXX, geb. XXXX (BF2), XXXX, geb. XXXX (BF3) und XXXX, geb. XXXX (BF4), StA. Armenien, BF3-4 gesetzlich vertreten durch den Kindesvater XXXX (BF1), alle vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 18.04.2017, Zlen. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2018, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführer 1-4 (BF1-4), armenische Staatsbürger, stellten am 29.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hiezu wurden die volljährigen BF1-2 am 01.05.2014 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.
Im Wesentlichen führten die BF1-2 aus, dass sie aus Angst vor dem Krieg in Syrien und um das ungeborene Kind aus Syrien geflüchtet seien. Sie seien von Arabern, Terroristen und Muslimen attackiert worden.
2. Am 08.09.2014 wurden die BF1-2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Die BF1-2 brachten dabei zusammengefasst vor, dass sie Jeziden seien und ihr Heimatdorf von muslimischen Arabern überfallen worden sei. Sie seien aufgefordert worden, Moslems zu werden. Zudem seien einige Leute getötet und Schafe gestohlen worden. Der Vater und Bruder des BF1 hätten immer Schwierigkeiten bei den Kontrollstellen gehabt, weil sie Jeziden seien. Zudem seien sie wegen dem ungeborenen Kind ausgereist. Schließlich wurden dem BF1 die Feststellungen zu Syrien ausgehändigt und die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen eingeräumt. Der BF2 wurden die Länderfeststellungen nicht ausgehändigt, zumal der BF1 diese erhalten hat. Die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme wurde auch der BF2 mitgeteilt.
3. Am XXXX kam der gemeinsame Sohn (BF3) der BF1-2 in Österreich zur Welt.
4. Mit Schriftsatz vom 22.09.2014 wurde seitens der BF1-2 eine Stellungnahme zu den am 08.09.2014 ausgehändigten Länderfeststellungen abgegeben. Darin wurde moniert, dass keine Berichte zur Situation von Jeziden im Zusammenhang mit der Bedrohung durch die Islamisten enthalten seien. Die Massaker an Angehörigen dieser religiösen Minderheit würden aber als amtsbekannt vorausgesetzt werden. Eine asylrelevante Verfolgung liege daher vor.
5. Am 25.09.2014 wurde durch den BF1 ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3 gestellt. Eigene Fluchtgründe wurden für den BF3 nicht vorgebracht.
6. Am 09.10.2014 erging an ein Sprachanalyseinstitut das Ersuchen bei den BF1-2 eine Sprachanalyse durchzuführen. Der Bericht des Sprachinstitutes langte am 20.10.2014 beim BFA ein.
7. Am 15.12.2014 erfolgte vor dem BFA erneut eine niederschriftliche Einvernahme der BF1-2. Im Zuge dessen wurden den BF1-2 das Ergebnis der Sprachanalyse mitgeteilt und diese zu ihrer Herkunft sowie den Lebensumständen vor der Ausreise befragt. Der BF2 wurden die Länderfeststellungen zu Armenien ausgehändigt, zumal entsprechend dem Ergebnis der Sprachanalyse davon ausgegangen wurde, dass die BF1-2 aus Armenien stammen.
8. Am XXXX wurde ein weiterer Sohn (BF4) der BF1-2 in Österreich geboren und stellte der BF1 als gesetzlicher Vertreter für diesen am 06.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Eigene Fluchtgründe würden für den BF4 nicht vorgebracht.
9. Mit Schreiben vom 19.01.2017 wurden den BF1-2 die Länderberichte zu Armenien übermittelt und diese aufgefordert, innerhalb einer Woche eine Stellungnahme dazu abzugeben.
10. Mit Schriftsatz vom 06.02.2017 erstatteten die BF1-2 eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Armenien. Darin wurde zunächst bekräftigt, dass die BF1-2 aus dem Dorf XXXX in der Nähe der Stadt XXXX in Syrien stammen würden. Die Lebensgeschichten der BF1-2 seien größtenteils deckungsgleich. Beide würden nicht arabisch sprechen, weil in ihrem Heimatdorf nur Jeziden leben würden. Es gebe nur im Nachbardorf eine Schule und werde an dieser lediglich in arabischer Sprache unterrichtet. Die Eltern der BF1-2 hätten nicht gewollt, dass die BF1-2 den Koran in der Schule lesen und seien sie deshalb nie zur Schule gegangen bzw. hätten nicht Arabisch gelernt. Folglich seien die BF1-2 auch nirgends registriert worden und besäßen keine Identifikationsbestätigungen. Es könne sein, dass sie im Geburtenbuch stehen. Dies sei aber nicht sicher. Im Heimatdorf der BF1-2 spreche man nur Kurmandschi, eine der kurdischen Sprachen, welche in Syrien, in der Türkei, im Irak, Iran, Libanon, in Armenien sowie in einigen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gesprochen werde. Dies sei notorisch bekannt. Zudem besäße die jezidische Bevölkerung kein eigenes Land. Die Jeziden seien auf viele Teile der genannten Länder verstreut, sprächen aber dieselbe Sprache. Aus diesem Grund sei die genaue Zuordnung des Heimatstaates - insbesondere durch eine telefonische Sprachanalyse im Jahr 2014 - nicht möglich.
11. Die Anträge auf internationalen Schutz der BF1-4 wurden mit Bescheiden des BFA vom 18.04.2017, Zlen. XXXX, gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF1-4 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Das BFA begründete seine abweisenden Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass die BF1-2 hinsichtlich ihrer Herkunft unglaubwürdige Angaben getätigt und die darauf aufbauenden dargelegten Verfolgungshandlungen auch Widersprüche enthalten hätten, weshalb dem Fluchtvorbringen die Glaubwürdigkeit zu versagen war.
Zudem wurde festgestellt, dass den BF1-4 auch keine Gefahr drohe, die eine Gewährung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Des Weiteren traf das BFA umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Armenien. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen.
12. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 21.04.2017 wurde gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG den BF1-4 amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und gemäß § 52a Abs 2 BFA-VG die Verpflichtung mitgeteilt, bis zum 02.05.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
13. Die Bescheide wurden den BF1-4 am 24.04.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 02.05.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.
Eingangs wurde ausgeführt, dass die BF1-4 syrische Staatsangehörige seien und die BF1-2 in Syrien aufgrund ihres jezidischen Glaubens von islamistischen Gruppen und Arabern verfolgt worden seien. Die Behauptung des BFA, wonach die BF1-2 aus Armenien stammen würden, entspreche nicht den Tatsachen. Im Weiteren wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und dazu angemerkt, dass die BF1-2 genau beschreiben hätten können, woher sie kommen. Eine derart genaue Beschreibung könne von Analphabeten nicht einstudiert sein und seien die aufgezählten Dörfer sowie die Stadt XXXX tatsächlich auf der Karte (Google-Maps) zu sehen. Die BF1-2 seien in XXXX geboren, dort aber nicht registriert worden, was in Syrien keine Seltenheit sei. Minderheiten - wie jezidische Kurden - seien in Syrien nicht anerkannt und bekämen keine staatlichen Dokumente. Die Schulpflicht werde in Syrien - vor allem in Dörfern, wo der Staat Jeziden als Volksgruppe nicht anerkenne - nicht kontrolliert. Zu den vom BFA aufgezeigten Widersprüchen hinsichtlich des Tagesablaufes und der Angaben zum Telefonnetz im Heimatdorf des BF1 wurde dargelegt, dass die vom BF1 dargelegten Autofahrten darauf hindeuten würden, dass der BF1 sehr wohl einkaufen gewesen sei und er lediglich ausgeführt habe, die Telefonnummer seiner Eltern nicht zu kennen. Entsprechend den Länderfeststellungen zu Syrien seien Minderheiten - wie kurdische Jeziden - direkt angegriffen worden bzw. sei ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt worden. Die BF1-2 seien immer daran interessiert gewesen, am Verfahren mitzuwirken, weshalb die im angefochtenen Bescheid aufgelisteten Grundanforderungen an die Glaubwürdigkeitsprüfung erfüllt seien. Entgegen der Ansicht des BFA sei den BF1-4 daher Asyl zu gewähren. Im Weiteren folgen allgemeine rechtliche Ausführungen zur Gewährung des Status eines Asylberechtigten.
Die BF1-4 würden sich zudem um einen legalen Aufenthalt in Österreich bemühen und hätten stets mit den österreichischen Behörden kooperiert. Sie stünden zu den westlichen und demokratischen Werten, hätten soziale Kontakte zu Österreichern geknüpft sowie familienähnliche Bindungen aufgebraut. Die BF1-2 würden Deutschkurse besuchen und hätten bereits große Fortschritte gemacht. Die BF1-2 seien auch arbeitsfähig und -willig, weshalb sie im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Belastung für den Staat darstellen würden. Zahlreiche Kriterien für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien daher erfüllt.
Damit sei das Vorbringen aus der Sicht der BF1-4 detailliert, genügend substantiiert, in sich schlüssig sowie mit den Tatsachen und den allgemeinen Verhältnissen im Irak (gemeint wohl: Syrien) vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen vereinbar und somit plausibel.
14. Am 27.03.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der BF1-4 eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde den BF1-2 die Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie auch ihre Lebensumstände in Österreich genau zu erläutern. Ihnen wurde auch die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten aktuellen Länderfeststellungen zu Armenien eingeräumt. Die BF1-2 gaben dazu keine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt:
1.1. Feststellungen zur Person
Die Identität der BF1-4 steht nicht fest. Sie sind Staatsangehörige von Armenien und Angehörige der jezidischen Glaubensgemeinschaft. Sie sprechen muttersprachlich Kurmanci und gehören zur Volksgruppe der Kurden.
Zu den BF1-2:
Die BF1-2 haben in Armenien keine Schule besucht und auch keine Berufsausbildung absolviert. Der BF1 hat in der elterlichen Landwirtschaft (Olivenbäume) und Viehzucht (Schafe) mitgeholfen und war überwiegend als Schafhirte tätig. Neben den familieneigenen Schafen hat der BF1 auch Schafe von anderen Dorfbewohnern gehütet. Die BF2 war vor ihrer Ausreise nicht berufstätig und hat ihrer Mutter im Haushalt geholfen bis sie im Jahr 2013 nach traditionellem Ritual den BF1 geheiratet hat. Nach der traditionellen Eheschließung lebten die BF1-2 im Elternhaus des BF1.
In Armenien leben nach wie vor Eltern und Geschwister der BF1-2. Die BF1-2 leiden an keinen lebensbedrohenden Erkrankungen und leben in Österreich von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber. Die B1-4 haben einen gemeinsamen Wohnsitz in Österreich und verfügen in Österreich über soziale und freundschaftliche Kontakte auch zu Österreichern. Der BF1 hat einen Alphabetisierungskurs sowie mehrere Deutschqualifizierungsmaßnahmen besucht und kann sich in der deutschen Sprache grundlegend verständigen. Die BF2 hat bisher keinen Deutschkurs besucht und spricht auf einfachem Niveau die deutsche Sprache. Die BF1-2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Zu den BF3-4:
Die BF3-4 wurden in Österreich geboren und besucht der BF3 seit September 2017 eine heilpädagogisch-therapeutische Kindergartengruppe. Für die BF3-4 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
Der BF4 leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.
Der BF3 leidet an XXXX. Zudem leidet der BF3 an XXXX. Der BF3 nimmt XXXX als Dauermedikation und erhielt für den Zeitraum von 01.07.2015 bis 30.06.2018 dreimal wöchentlich eine konduktive Mehrfachtherapie. Zudem sind regelmäßige orthopädische Kontrollen sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln XXXX notwendig. Einmal wöchentlich erhält der BF3 eine Sehfrühförderung und ist eine logopädische Diagnostik geplant. Der BF3 besucht seit September 2017 eine heilpädagogisch-therapeutische Kindergartengruppe mit konduktiv mehrfachtherapeutischem Schwerpunkt, wo er Förder- und Therapieangebote erhält. Seit Juni 2016 erhält der BF3 eine Förderung der visuellen Wahrnehmung.
1.2. Länderfeststellungen
Hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien, legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung die aktuelle Version der Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Armenien - datiert mit 05.05.2017, zuletzt aktualisiert im Dezember 2017 - zu Grunde. Jene Länderfeststellungen wurden auch in Wahrung des Parteiengehörs den BF1-2 gemeinsame mit der Ladung zu mündlichen Verhandlung übermittelt und ihnen in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Von dieser Möglichkeit machten die BF1-2 keinen Gebrauch.
Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:
"Sicherheitslage
Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach sowie die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg (1992-94) um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach, halten armenische Verbände etwa 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt. Im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen mussten ca. eine Million Menschen ihre angestammte Heimat verlassen, überwiegend Aserbaidschaner, aber auch bis zu 200.000 Armenier. An der Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Trotz der seit 1994 laufenden Vermittlungsbemühungen der Ko-Vorsitzstaaten (USA, Russland, Frankreich) der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und regelmäßiger Treffen der Außenminister Armeniens und Aserbaidschans bzw. der beiden Staatspräsidenten ist eine Lösung des Konflikts um Nagorny Karabach weiterhin nicht in Sicht (AA 3.2017a).
Bei heftigen Gefechten vom 2.4 bis 5.4.2016, den schwersten seit 22 Jahren zwischen den Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan an der Frontlinie zu Nagorny Karabach, kam es zu Opfern unter den militärischen Einheiten. Laut aserbaidschanischen Angaben starben auch Zivilisten (Standard 3.4.2016, RFL/RL 4.4.2016). Das Verteidigungsministerium der de facto Republik Nagorny Karabach berichtete ebenfalls von zivilen Opfern (CN 2.4.2016). Am 5.4.2016 vereinbarten Aserbaidschan und Nagorny Karabach einen Waffenstillstand. Im Zuge der viertägigen Kampfhandlungen starben mehr als 64 Menschen (Standard 5.4.2016).
Am 25.2.2017 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen armenischen und Truppen von Nagorny Karabach einerseits und der aserbaidschanischen Armee andererseits, bei denen mindestens fünf aserbaidschanische Armeeangehörige den Tod fanden. Am 1.3.2017 wurde bei einem aserbaidschanischen Artillerieangriff u.a. eine armenische Kaserne zerstört und tagsdrauf griff Armenien aserbaidschanische Stellungen an (EurasiaNet 10.3.2017).
Mitglieder der außerparlamentarischen Oppositionsgruppe "Gründungsparlament" besetzten am 17.7.2016 in Jerewan eine Polizeistation und nahmen zeitweise mehrere Geiseln. Ein Polizist starb dabei (RFE/RL 17.7.2016). Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von Schirajr Sefiljan, eines inhaftierten Oppositionsführers, und den Rücktritt des Staatspräsidenten. Kriegsveteran Sefiljan kritisierte vor allem das Verhalten der Regierung im Konflikt um die Region Nagorny Karabach (DW 17.7.2016). In der darauf folgenden Woche kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Demonstranten verlangten eine Versorgung der Geiselnehmer mit Lebensmitteln, was die Polizei jedoch ablehnte. Nach offiziellen Angaben wurden 51 Personen verletzt und 136 verhaftet (NZZ 21.7.2016). Bei erneuten Zusammenstößen am 29.7.2016 zwischen Sympathisanten der Besetzer der Polizeistation und Sicherheitskräften wurden 75 Personen verletzt und 20 verhaftet (RFE/RL 30.7.2016). Nach zwei Wochen endete der Konflikt um die besetzte Polizeistation mit der Kapitulation der bewaffneten Gruppe (RFE/RL 1.8.2016, vgl. Spiegel online 31.7.2016).
[...]
Rechtsschutz / Justizwesen
Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte: die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wird weiterhin durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert, auch wenn durch Gesetzesänderungen im Rahmen der "Judicial Reforms Strategy 2012-2016" gewisse Fortschritte, insbesondere bei der richterlichen Unabhängigkeit, zu verzeichnen sind. Die neue Verfassung hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Es ist bekannt, dass einige Beamte in leitenden Funktionen der Justiz keine juristische Ausbildung haben. Verfahrensgrundrechte wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - soll in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet sein. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es hingegen insoweit Fortschritte, als die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 22.3.2016).Die Gerichte hören weiterhin zu den Institutionen, denen seitens der Bevölkerung ein geringes Vertrauen entgegengebracht wird. Die Verfassungsreform sieht die Schaffung des Obersten Justizrates vor, um die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter zu gewährleisten. 2016 gab es jedoch keine Entwürfe oder Konzepte im Justizbereich, die mit der Öffentlichkeit geteilt oder diskutiert wurden. Positiv war 2016 die Reform des Bewährungssystems, das einen alternativen Strafvollzug vorsah, was angesichts der oft inadäquaten Verhältnisse in den Haftanstalten wichtig ist (FH 29.3.2017).
Die Gerichtsbarkeit zeigt keine umfassende Unabhängigkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Berichten zufolge nimmt das Kassationsgericht eine dominante Stellung ein. Es diktiert den Ausgang aller wichtigen Fälle der niederen Gerichtsbarkeit. Diese Kontrolle seitens des Kassationsgerichts bleibt das dominante Problem, das die Unabhängigkeit der Justiz beeinflusst. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt in einem Urteil vom 27.10.2016 fest, dass es dem Vorsitzenden des Kassationsgerichts an der notwendigen Distanz gemäß des richterlichen Neutralitätsgebotes mangelte (USDOS 3.3.2017).Richter unterliegen weiterhin des politischen Drucks von allen Ebenen der Exekutive, speziell seitens der Rechtsvollzugsorgane sowie der Hierarchie innerhalb der Justiz. Richter haben keine lebenslange Amtszeit, wodurch sie der Kündigung ausgesetzt sind und keine wirksamen Rechtsmittel besitzen, falls die Exekutive, die Legislative oder hochrangige Vertreter der Gerichtsbarkeit entscheiden, sie zu bestrafen. Vormalige Entlassungen von Richtern wegen ihrer unabhängigen Entscheidungen haben immer noch eine einschüchternde Wirkung auf die Justiz als Ganzes (USDOS 3.3.2017).
[...]
Sicherheitsbehörden
Die Polizei ist, ebenso wie der Nationale Sicherheitsdienst (NSD), direkt der Regierung unterstellt. Allein der Präsident hat die Befugnis, die Leiter beider Behörden zu ernennen. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz ist der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch
Verhaftungen durchführen dürfen. . Der Polizeichef füllt in
Personalunion die Funktion des Innenministers aus. Ein Innenministerium gibt es nicht mehr. Das Fehlen der politischen Instanz wird damit begründet, dass damit eine "Politisierung" der Sicherheitsorgane verhindert werden soll (AA 22.3.2016).
Straffreiheit ist ein Problem und es gibt keine unabhängige Institution, die ausschließlich Polizeiübergriffe untersucht. Laut NGOs sehen sich die Gesetzesvollzugsorgane eher als Verteidiger der Autorität denn als Diener des Gesetzes und der Öffentlichkeit. Der Verteidigungsminister bemüht sich, die Disziplin auch durch den Einsatz von Lehroffizieren für Menschenrechte zu verbessern, wozu auch die Bereitstellung sozialer, psychologischer und Rechtskurse im Rahmen des Wehrdienstes dienen sollen. Im November 2015 wurde seitens des Verteidigungsministeriums das Zentrum für Menschenrechte und Integritätsbildung errichtet, mit dem Mandat, u.a. die Menschenrechte zu schützen, Ethik zu fördern und eine Anti-Korruptions-Politik einzuführen (USDOS 3.3.2017).Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 muss die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei während der Arrestzeit überprüfen (USDOS 3.3.2017).Am 17.7.2016 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der bewaffneten Gruppe "Sasna Tsrer", die eine Polizeistation besetzte, und Sicherheitsorganen. In jenen Tagen kam es zu Versammlungen von Demonstranten am Freiheitsplatz in Jerewan, welche laut der "Foundation Against the Violation of Law" (FAVL) unrechtmäßig verhaftet wurden. Zahlreiche Berichte zeigten, dass die Protestierenden Schlägen, Erniedrigungen und grausamen Behandlungen in Gewahrsam der Polizei ausgesetzt waren. Den Rechtsanwälten wurde der Zugang zu den verhafteten Demonstranten für mehrere Stunden verwehrt. Demonstranten wurden bis zu 32 Stunden statt der vorgesehenen maximal drei Stunden festgehalten und zwar ohne Wasser und Nahrung (FAVL 7.2016).
[...]
Religionsfreiheit
Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetz und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Nach Art. 17 der Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5 % aus. Die Armenische Apostolische Kirche hat quasi den Status einer Staatskirche und nimmt eine faktisch privilegierte Stellung ein. Vertreter religiöser Minderheiten beklagen, dass sie kaum Zugang zu den meist staatlich kontrollierten Medien erhalten, weshalb sie kaum eine Chance haben, gegen weit verbreitete Vorurteile und gelegentliche Hetzkampagnen durch private Organisationen anzugehen (AA 22.3.2016).
Die Verfassung schreibt die Trennung von Kirche und Staat vor. Es ist beispielsweise Polizisten, Armeeangehörigen und Personen anderer Gesetzesvollzugsorganen verboten, Mitglied einer religiösen Organisation zu sein. Die "Mitgliedschaft" ist allerdings nicht näher definiert. Personen der genannten Organe, aber auch Staatsanwälten, ist es verboten ihre Stellung zum Vorteil religiöser Vereinigungen zu nutzen oder in deren Sinne zu predigen. Trotz der Trennung von Kirche und Staat wird die exklusive Rolle der Armenischen Apostolischen Kirche als Nationalkirche im spirituellen Leben, in der Entwicklung der Nationalkultur sowie im Erhalt der nationalen Identität des armenischen Volkes anerkannt. Die Verfassung verbietet die Anstiftung zum religiösen Hass und erlaubt es Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen einen alternativen Zivildienst abzuleisten (USDOS 10.8.2016).
[...]
Religiöse Gruppen
Ungefähr 93% der Bevölkerung gehören der Armenisch-Apostolischen Kirche an. Die größte religiöse Minderheit sind die Jesiden. Als gleichzeitig ethnische Gruppe zählte die Gemeinschaft laut dem Zensus von 2011 35.300 Personen. Allerdings scheinen sich nicht mehr alle Jesiden über ihre Religion als solche zu definieren, sodass deren Anzahl in der Religionsstatistik geringer ausfällt als bei der Aufschlüsselung der Ethnien. Nebst den rund 29.000 evangelischen Christen (ca. 1%) und rund 14.000 Katholiken gibt es eine Vielzahl kleinerer Religionsgemeinschaften, unter anderem Zeugen Jehovas (8.700) und Orthodoxe Christen (7.500). Über 110.000 haben kein Religionsbekenntnis bzw. gaben keines an (NSS-RA 2013).
Die Jesiden leben vor allem in landwirtschaftlichen Gebieten rund um den Berg Aragats, nordwestlich von Jerewan. Armenische Katholiken leben vorwiegend im Norden, die meisten Juden, Mormonen und orthodoxen Christen leben in Jerewan, ebenso wie kleine Gemeinden von überwiegend schiitischen Muslimen (USDOS 10.8.2016).
Religiöse Minderheiten sind mit Hindernissen konfrontiert, wenn es um Baugenehmigungen für Religionsstätten geht. Ihnen widerfahren auch Diskriminierungen im Erziehungssystem, der Armee, dem Rechtsvollzug und bei der Beschäftigung im öffentlichen Sektor. Vertreter von religiösen Minderheiten, die gleichzeitig auch mit ethnischen Minderheiten in Verbindungen stehen, berichten von einem besseren Verhältnis zu Regierungsstellen, als ethnische Armenier, die einer religiösen Minderheit angehören. Laut mehreren Vertretern von religiösen Minderheiten und NGOs sind die Medien weniger kritisch gegenüber religiösen Minderheiten als in den Jahren zuvor (USDOS 10.8.2016).
Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände mieten, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Das Gesetz verbietet zwar Bekehrungen durch religiöse Minderheiten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Die wenigen Muslime leben vor allem in Jerewan. Sie können ihren Glauben frei ausüben (AA 22.3.2016).
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Ethnische Minderheiten
Es gibt keine rassisch diskriminierende Gesetzgebung. Die Bevölkerung setzt sich aus ca. 96 % armenischen Volkszugehörigen und ca. 4% Angehörigen von Minderheiten (vor allem Jesiden, aber auch Russen, Kurden, Griechen, Juden, Georgier, Ukrainer, Assyrer sowie einige wenige Deutsche) zusammen. Die Volkszugehörigkeit wird in armenischen Reisepässen nur eingetragen, wenn der Passinhaber dies beantragt. Die Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie u.a. studieren und veröffentlichen dürfen. Zugleich verpflichtet ein Gesetz alle Kinder zu einer Schulausbildung in armenischer Sprache (AA 22.3.2016).
Die Raten bei Anmeldung und beim Schulbesuch als solchen sind unter Kindern von ethnischen Minderheiten, besonders bei Jesiden, Kurden und Molokanen deutlich unter dem Durchschnitt, ebenso die Drop-Out-Rate nach der achten Schulstufe (USDOS 3.3.2017).
Seit den Parlamentswahlen Anfang April 2017 gibt es erstmals vier reservierte Sitze für die größten nationalen Minderheiten, nämlich für die Jesiden, Russen, Assyrer und Kurden (OSCE 3.4.2017).
Nach gewaltsamen Ausschreitungen gegen Armenier in Aserbaidschan im zeitlichen Zusammenhang mit dem Bergkarabach-Konflikt und dem Zerfall der Sowjetunion, flüchtete bis Ende 1988 der überwiegende Teil der in Armenien lebenden Aserbaidschaner. Heute leben nur wenige aserbaidschanische Volkszugehörige in Armenien, meist Ehepartner von Armeniern oder Abkömmlinge gemischter Ehen. Diese besitzen die armenische Staatsangehörigkeit, die Mehrzahl hat auch armenische Familiennamen angenommen. Glaubhafte Berichte über staatliche Repressionen liegen nicht vor (AA 22.3.2016).
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Grundversorgung
Die Wirtschaft hat sich immer noch nicht zur Gänze von der tiefen Rezession, die durch die globale Wirtschaftskrise 2008 ausgelöst wurde, erholt. Damals fiel das Bruttonationalprodukt um 14,1%. Armenien hat zu wenig für die Bekämpfung der Armut und gegen die sich ausweitenden Wohlstands- und Einkommensgefälle unternommen. Rund 1,2 Millionen Armenier leben von circa 3 Euro pro Tag. Die sozioökonomische Kluft hat zudem einen regionalen Aspekt. Durch die überproportionale Wirtschaftsaktivität in den urbanen Zentren hat sich die Einkommensschere zwischen Stadt und Land verstärkt. Der Zugang etwa zum Gesundheitswesen und zur Bildung sowie deren Qualität divergiert stark zwischen urbanen und ländlichen Regionen. Zu den strukturellen Defiziten gehört nebst den abnehmenden Investitionen auch eine übermäßige Abhängigkeit von Überweisungen aus dem Ausland (BS 2016).
Rücküberweisungen, Direktinvestitionen und private Kapitalzuflüsse sind ein bedeutender Faktor für die Wirtschaft: Die armenische Diaspora in Russland umfasst etwa 2 Millionen Menschen, darunter viele Arbeitsmigranten, die Geld an ihre Familien in Armenien überweisen. Nach Angaben der Zentralbank gingen die Geldtransfers der armenischen Diaspora im Jahr 2016 weiter auf 1,5 Mrd. USD zurück (2015: ca. 1,6 Mrd. USD). Die Arbeitslosenquote lag im Jahr 2015 offiziell bei 18,5%. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit ist jedoch erheblich höher. Sehr viele Menschen sind im informellen Sektor tätig. Einkommen werden oft nicht versteuert (AA 3.2017c).
Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Angaben des nationalen Statistikamtes für das Jahr 2014 zufolge leben 32,3 % der Armenier unterhalb der Armutsgrenze (2008: 29,2 %). Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt: 2015 wurde laut armenischer Zentralbank ein Betrag von etwa 1,209 Mrd. USD nach Armenien überwiesen, ein Rückgang von 30,1 % zum Vorjahr und das zweite Jahr in Folge. Davon flossen etwa 76 % aus der Russischen Föderation nach Armenien. Der starke Rückgang ist der wirtschaftlichen Lage, insbesondere der starken Abwertung des russischen Rubels geschuldet. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. 60.000 armenische Dram (derzeit ca. 116 Euro) im Monat, der offizielle Mindestlohn 55.000 AMD (ca. 105 Euro). Das durchschnittliche Familieneinkommen ist dagegen mangels zuverlässiger Daten nur schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach. Die wirtschaftliche Lage führt nach wie vor dazu, dass der Migrationsdruck anhält. In den ersten drei Quartalen 2014 haben, wie sich aus den Zu- und Ausreisestatistiken ergibt, 105.000 Menschen Armenien dauerhaft verlassen. Die wenigsten davon dürften nicht-armenische Ausländer sein. Unter den Auswanderern sind auch viele Hochqualifizierte, wie etwa Ärzte oder IT-Spezialisten (AA 22.3.2016).
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Sozialbeihilfen
Das Sozialsystem in Armenien umfasst derzeit: das staatliche Sozialhilfe-Programm, wie Unterstützung von Familien, einmaliger Geburtenzuschuss und Kindergeld bis zum Alter von zwei Jahren; das Sozialhilfeprogramme für Personen mit Handicap, Veteranen, Kinder, insbesondere medizinische und soziale Rehabilitationshilfe, Altersheime, Waisenhäuser, Internate sowie das staatliches Sozialversicherungsprogramm, bestehend aus Alters- und Behindertenrente, sowie Zuschüssen bei vorübergehender Behinderung und Schwangerschaft (IOM 8.2015).
Familienbeihilfen
Die monatliche Familienbeihilfe beträgt 17.000 Dram (Basiswert) plus
5.500 Dram bis 8.000 Dram monatlich für jedes Kind unter 18, abhängig von der Familiensituation, dem Familieneinkommen sowie der örtlichen Lage. Am ersten Schultag gibt es eine Einmalzahlung von 25.000 Dram (SSA 2016).
Einmalige Beihilfen
Diese können Familien gewährt werden, deren Bedürftigkeitspunktzahl unter dem Mindestschwellenwert von 34,00 (jedoch über 0) liegt. Die Entscheidung über die Bedürftigkeit einer Familie obliegt dem Sozialrat. Des Weiteren wird Familien verstorbener Soldaten eine Beihilfe in Höhe der Familiensozialhilfe gewährt. Die Anerkennung des Anspruchs der einmaligen Beihilfe wird alle drei Monate geprüft (IOM 8.2014).
Mutterschaftsgeld
Derzeit bestehen in Armenien drei Arten von Beihilfen in Verbindung mit Kindesgeburten. Einerseits die einmalige Mutterschaftsbeihilfe von 50.000 Dram. Darüber hinaus gibt es eine monatliche Zahlung von ca. 18.000 Dram im Monat an alle erwerbstätigen Elternteile, die ein Kind (bis zum 2. Lebensjahr) versorgen und sich in einem teilweise bezahlten Mutterschaftsurlaub befinden. Für das dritte und vierte Kind stehen je 1 Million Dram zu und zusätzlich 500.000 Dram auf ein Spezialkonto für das Kind, von dem vor dem 18. Lebensjahr nur für bestimmte Zwecke wie etwa für Schulgebühren Geld abgehoben werden darf. Ab dem fünften Kind wird der einmalige Geldbetrag bis auf 1,5 Millionen Dram erhöht plus einer halben Million auf das Spezialkonto. Außerdem haben Mütter das Recht auf einen Mutterschutzurlaub von 70 Tagen vor und 70 Tagen nach der Geburt. Dieser Zeitraum wird bei schwierigen auf 155 oder Mehrlingsgeburten auf 180 Tage erhöht. In diesem Zeitraum wird das Gehalt zu 100% weiter bezahlt. Es können bis zu drei Jahre unbezahlte Karenz in Anspruch genommen werden, ohne das es zum Verlust des Arbeitsplatzes kommt (Repat Armenia 2016).
Ab dem 1.1.2016 erhalten auch Frauen, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, die Geburtenbeihilfe in der Höhe von 50.000 Dram für das erste und zweite, bzw. eine Million für das dritte und vierte und 1,5 Millionen ab dem fünften Kind. Die monatliche Beihilfe von 18.000 Dram bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes sollte jedoch nach Aussagen des Arbeits- und Sozialministers weiterhin nur Frauen zukommen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen (ARKA 11.11.2015).
Senioren und Behinderte
Die sozialen Unterstützungsprogramme für Senioren und Behinderte basieren auf den Anforderungen des Gesetzes über die soziale Absicherung behinderter Personen in Armenien. Hierzu zählen die Vorbeugung von Behinderungen, die medizinische und soziale Rehabilitation und Prothesen sowie insbesondere prothetische und orthopädische Unterstützung behinderter Personen, die Bereitstellung von Rehabilitationsmitteln und soziale Dienste für Senioren und Behinderte. Bereits personalisierte Pensionisten können einen Preisnachlass von den öffentlichen Versorgungseinrichtungen (einschließlich Preisnachlässe für Gas und Strom) fordern. Alleinstehende Pensionisten über 70 Jahre und alleinstehende behinderte Erwachsene können Pflegeleistungen beim "In-house Social Service Center for lonely old and disabled persons" beantragen (IOM 8.2014).
Pensionen
Der Pensionsanspruch gilt ab einem Alter von 63 mit mindestens 25 Jahren abgeschlossener Beschäftigung; ab einem Alter von 59 mit mindestens 25 Jahren Beschäftigung, wobei mindestens 20 Jahre erschwerte oder gefährlicher Arbeit vor dem 1. Januar 2014 oder mindestens 10 Jahre derartiger Arbeit nach dem 1. Januar 2014 verrichtet wurde; oder ab einem Alter von 55 mit mindestens 25 Jahren Beschäftigung, einschließlich mindestens 15 Jahre in Schwerst- oder gefährlicher Arbeit vor dem 1. Januar 2014 bzw. mindestens 7,5 Jahre in einer solchen nach dem 1. Januar 2014. Eine verringerte Pension steht nach mindestens zehnjähriger Anstellung, jedoch erst ab 65 zu. Bei Invalidität im Rahmen der Sozialversicherung sind zwischen zwei und zehn Jahre Anstellung Grundvoraussetzung, abhängig vom Alter des Versicherten beim Auftreten der Invalidität. Die Invaliditätspension hängt vom Grade der Invalidität ab. Unterhalb der erforderlichen Zeiten für eine Invaliditätspension besteht die Möglichkeit einer Sozialrente für Invalide in Form einer Sozialhilfe. Zur Pensionsberechnung werden die Studienjahre, die Wehrdienstzeit, die Zeit der Kinderbetreuung und die Arbeitslosenzeiten herangezogen. Die Alterspension im Rahmen der Sozialversicherung beträgt 100% der Basispension von 16.000 Dram monatlich zuzüglich eines variablen Bonus. Die Bonuspension macht 500 Dram monatlich für jedes Kalenderjahr ab dem elften Beschäftigungsjahr multipliziert mit einem personenspezifischen Koeffizienten, basierend auf der Länge der Dienstzeit (SSA 2016).
Arbeitslosenunterstützung
2015 wurde die Arbeitslosenunterstützung zugunsten einer Einstellungsförderung eingestellt. Zu dieser Förderung gehört auch die monetäre Unterstützung für Personen die am regulären Arbeitsmarkt nicht wettbewerbsfähig sind. Das Arbeitsgesetz von 2004 sieht ein Abfertigungssystem seitens der Arbeitgeber vor. Bei Betriebsauflösung oder Stellenabbau beträgt die Abfertigung ein durchschnittliches Monatssalär, bei anderen Gründen hängt die Entschädigung von der Dienstzeit ab, jedoch maximal 44 Tage im Falle von 15 Anstellungsjahren (SSA 2016).
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Medizinische Versorgung
Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Die Leistungen werden in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist. Die primäre medizinische Versorgung ist wie früher grundsätzlich kostenfrei. Allerdings gilt dies nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre medizinische Versorgung.
Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem.
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die überbordende Korruption auf allen Ebenen, ein weiteres Problem die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals. Dies führt dazu, dass die Qualität der medizinischen Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens in weiten Bereichen unzureichend ist. Denn hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen - meist Privatkliniken - stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung. Insulinabgabe und Dialysebehandlung erfolgen grundsätzlich kostenlos: Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist zwar beschränkt, aber gegen Zahlung ist eine Behandlung jederzeit möglich. Die Dialysebehandlung kostet ca. 50 USD pro Sitzung. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Jerewan möglich, auch in den Städten Vanadzor und Gyumri sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet.
Die größeren Krankenhäuser sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos. Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten: Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und zu einem Bruchteil der in Deutschland üblichen Preise verkauft werden. Importierte Medikamente sind dagegen überall erhältlich und ebenfalls billiger als in Deutschland. Für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich (AA 22.3.2016).
Die öffentlichen Sozialpflegedienste in Armenien sind sehr begrenzt. Der private Sektor ist an der Erbringung dieser Leistungen nicht beteiligt. Es gibt nur ein einziges Krankenhaus für geistig und körperlich behinderte Menschen und keine Pflegeheime für Patienten, die eine dauerhafte, langfristige Betreuung benötigen. Es gibt keine Vorkehrungen für eine langfristige Aufnahme von Patienten mit chronischen Erkrankungen und keine Tagespflegeeinrichtungen für Patientengruppen mit speziellen Bedürfnissen und ebenfalls kein Sozialarbeiternetzwerk. Es gibt sieben regionale psychiatrische Kliniken, die lediglich eine langfristige Aufnahme von Patienten mit chronischen Erkrankungen bei nur geringer medizinischer Versorgung bieten (IOM 8.2014).
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Rückkehr
Rückkehrer werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 22.3.2016).
Das offizielle Internet-Informationsportal "Tundarc" bietet potentiellen armenischen Rückkehrern, auch Doppelstaatsbürgern, wichtigen Informationen zu den zu beachtenden Formalitäten bei einer Rückkehr sowie den wichtigsten Themenbereichen, wie Gesundheitsfürsorge, Pension, Bildung oder Militärdienst an. Überdies findet sich eine Orientierung zu bestehenden Hilfsprogrammen (Tundarc o.D.).
Die Europäische Union startete am 31.1.2017 ein neues Projekt zur Unterstützung der Reintegration von armenischen Rückkehrern. Im Rahmen des Projekts sollen auch die Kapazitäten der Regierung und der NGOs im Bereich der Wiedereingliederung gestärkt werden. Das Projekt mit einem Budget von 493.000 Euro wird vollständig aus der Europäischen Union im Mobilität Partnership Facility-Programm finanziert, das vom Internationale Center for Migration Policy Development (ICMPD) implementiert wird (AN 31.1.2017).
Die Armenische Caritas implementiert das Projekt: "Migration and Development III", das bis Ende Februar 2019 läuft. Eine der Zielgruppen sind RückkehrerInnen aus der EU, der Schweiz und Liechtenstein. Jährlich soll zwischen 70 und 80 RückkehrerInnen bei ihrer Reintegration durch die Bereitstellung von Unterkunft, Beratung und Bildungsmaßnahmen sowie durch die Schaffung eines Unterstützungssystems bei Gründung eines Betriebes geholfen werden (AC 2017).
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Weiters geht aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 10.04.2017 hervor, dass sowohl das Medikament XXXX als auch eine Alternativmedikation sowie stationäre, ambulante Behandlungen und zum Teil auch Folgebehandlungen durch Kinderärzte, Kinderneurologen, Neurologen, Kinderrehabilitationsspezialisten, Kinderphysiotherapeuten und Physiotherapeuten in Armenien verfügbar sind. Auch gibt es in Armenien Unterstützungsprogramme für Behinderte, welche auf den Anforderungen des Gesetzes über die soziale Absicherung behinderter Personen in Armenien basieren, und zählen hierzu unter anderem auch prothetische und orthopädische Unterstützung, die Bereitstellung von Rehabilitationsmitteln und soziale Dienste für Behinderte.
1.3. Feststellungen zum Vorbringen der BF1-4
Es konnte insbesondere nicht festgestellt werden, dass die BF1-2 aus Syrien stammen.
Weites konnte nicht festgestellt werden, dass die BF1-2 vor ihrer Ausreise aufgrund der Zugehörigkeit zur jezidischen Glaubensgemeinschaft einer individuellen Verfolgung durch Mitglieder des Islamischen Staates aufgrund der Weigerung zum Islam zu konvertierten ausgesetzt waren, oder dass die BF1-4 im Falle einer Rückkehr nach Armenien einer Bedrohungs- oder Gefährdungslage ausgesetzt wären.
Es konnte zudem keine anderweitig gegenständlich rechtlich relevanten Gründe festgestellt werden, welche einer Rückkehr der BF1-4 in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
2. Beweiswürdigung
Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, den Akt des BVwG, die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems sowie insbesondere auch durch die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Aufgrund der vorliegenden, unbedenklichen und von den Verfahrensparteien nicht beanstandeten Aktenlage ist das Bundesverwaltungsgericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
2.1. Zum Verfahrensgang
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.
2.2. Zur Person der BF1-4:
Zur Identität der BF1-4 ist anzuführen, dass mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments oder sonstigen Bescheinigungsmittels diese nicht feststeht. Soweit den BF1-4 im Asylverfahren ein Name zugeschrieben wird, dient dies daher als Zuordnung einer Verfahrensidentität, nicht jedoch als Identitätsfeststellung für den allgemeinen Rechtsverkehr.
Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der BF1-4 beruhen auf den sprachanalytischen Gutachten vom 18.10.2014. Diese haben ergeben, dass der sprachliche Hintergrund der BF1-2 mit sehr hoher Sicherheit in Armenien und mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit in Syrien liegt. Dabei berücksichtigen die Gutachten nicht nur die Einschätzung des Sprachgebrauches, sondern auch die Morphologie und Syntax der BF1-2 und kommen daher nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass der sprachliche Hintergrund der BF1-2 in Armenien liegt.
Zur Beweiskraft der Sprachanalysen von Sprakab wird darüber hinaus auf die Arbeitsweise des Instituts hingewiesen. Um eine Herkunftsanalyse durchzuführen, wird vom Experten oder einem speziell ausgebildeten Interviewer ein Gespräch mit dem Probanden geführt, welches aufgezeichnet wird. So können die für den Experten relevanten Fragen gestellt werden, sowohl was die Landeskunde als auch was die vom Probanden angegebenen Sprache(n) betrifft. Das Gespräch wird außerhalb des Kontexts der Asylbefragung geführt, und es wird auch nicht auf Asylgründe eingegangen. Der Experte bzw. der Interviewer unterhält sich mit dem Probanden in allen von ihm angegebenen Sprachen (falls möglich) und steht genügend vom Probanden gesprochenes Material zur Verfügung.
Während des Gesprächs und in der darauffolgenden Analyse muss sich der Experte immer auf die Angaben des Probanden und auf sein Profil stützen und dementsprechend seine Sprechweisen und Aussagen bewerten. Gewisse Angaben zum Profil des Probanden werden zu Beginn jedes Interviews genau abgeklärt. Dazu gehören nicht nur Herkunftsregion und gesprochene Sprachen, sondern auch ethnische Zugehörigkeit, Herkunft der Familie, Ausbildung und ausgeübter Beruf. Das bedeutet, dass auch die Themen des Gesprächs dem Bildungsniveau und sozialen Hintergrund des Probanden angepasst und seine Kenntnisse und Sprachkompetenz eben im Hinblick auf seine Biographie evaluiert werden müssen. Es ist wichtig, dass das Gespräch in einer möglichst natürlichen und spontanen Weise geführt werden kann, so dass gerade auf der linguistischen Ebene die bestmögliche Datensammlung erreicht werden kann. Dies ist nicht immer leicht angesichts der Umstände, unter denen die Gespräche stattfinden. Der Experte tritt via Telefon in Kommunikation mit dem Probanden in Kontakt und wird das Gespräch aufgezeichnet. Diese Aufnahme stellt die Grundlage für die Analyse dar. Der Experte kann sich so das Gespräch so oft wie nötig anhören, um die Analyse zu vervollständigen. Bei Bedarf kann die Aufnahme weiteren Experten zur Bearbeitung geschickt werden. Letzteres erlaubt es, Sprach- oder Länderkenntnisse verschiedener Experten zu kombinieren und somit auch komplexere Fälle adäquat zu behandeln.
(http://www.sprakab.se/Language_analysis.html; ho. Erk. Des AsylGH
v. 20.1.2010, GZ. E10 250407-0/2008 mwN).
Gegen eine Herkunft aus Syrien spricht aber auch der Umstand, dass die BF1-2 keine Grundkenntnisse der arabischen Sprache beherrschen. Selbst wenn ihr Kontakt zu Arabern - wie dargestellt - sehr eingeschränkt gewesen wäre, ist es aus der Sicht der erkennenden Richterin undenkbar, dass die BF1-2 nicht einmal über die elementarsten Kenntnisse der Staatssprache ihres Herkunftsstaates verfügen, indem sie etwa einfache Formeln und Phrasen für den Alltag beherrschen. Diesbezüglich wird auch auf die entsprechenden Ausführungen in der Sprachanalyse von Sprakab verwiesen, wonach davon auszugehen sei, dass kurdischsprachige Personen aus Syrien ein bestimmtes Arabischniveau beherrschen würden.
Hinzu tritt, dass die dargelegten Ortskenntnisse der BF1-2 typischerweise solche sind, welche man sich aus öffentlichen Quellen (zB google-maps) im Rahmen der Vorbereitung auf das Asylverfahren aneignen kann und spiegeln bei weitem nicht jene wider, welche von einer Person, welche den Lebensmittelpunkt in der genannten Region haben will, erwartet werden kann. Die ist selbst dann der Fall, wenn es sich um Analphabeten handeln sollte, welche wenig herumgekommen sind.
Angesichts obiger Ausführungen wird den Ergebnissen der eingeholten Sprachanalysen hoher
Beweiswert beigemessen und kommt das erkennende Gericht in einer Zusammenschau sämtlicher Beweismittel zum Schluss, dass die BF1-2 aus Armenien stammen und mangels Hinweise auf das Gegenteil davon auszugehen ist, dass sie die armenische Staatsbürgerschaft besitzen, zumal aus der Berichtslage auch nicht hervorgeht, dass der armenische Staat Angehörigen der jezidischen Minderheit die Staatsbürgerschaft vorenthält.
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den familiären und privaten Verhältnissen der BF1-4 gründen sich auf die in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben der BF1-2 im Asylverfahren. Die Geburt der BF3-4 in Österreich geht aus den vorgelegten Geburtsurkunden hervor XXXX.
Der Besuch von Alphabetisierungs- sowie Deutschkursen des BF1 und die Deutschkenntnisse der BF1-2 beruhen auf den vorgelegten Kursbesuchsbestätigungen sowie auf der persönlichen Wahrnehmung der Richterin in der mündlichen Verhandlung.
Der gemeinsame Wohnsitz der BF1-4 geht aus der Einsicht in das Österreichische zentrale Melderegister hervor.
Der Gesundheitszustand des BF3 sowie die Feststellung, dass die BF1-2 und 4 an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden, geht aus den in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen hinsichtlich des BF3 bzw. der diesbezüglich gleichlautenden Angaben hinsichtlich der BF1-2 hervor. Der Besuch von Therapien sowie die Medikation des BF3 ist den Schreiben des XXXX zu entnehmen. Dass beim BF3 regelmäßige orthopädische Kontrollen sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln notwendig sind, geht ebenfalls aus dem Schreiben des XXXX hervor. Dass der BF3 seit September 2017 eine konduktiv mehrfachtherapeutische Kindergartengruppe besucht, wo er die notwendigen Therapien erhält, ist dem Bericht des Kinderkompetenzzentrums - XXXX zu entnehmen. Dass der BF3 eine Förderung der visuellen Wahrnehmung seit Juni 2016 erhält, geht aus dem Schreiben von XXXX hervor.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF1-2 geht aus der Einsicht in das österreichische Strafregister des Bundesministeriums für Inneres hervor.
Der Bezug von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber ist dem Betreuungsinformationssystem zu entnehmen.
Dass die BF3-4 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht haben geht aus den diesbezüglich gleichlautenden und widerspruchsfreien Angaben der BF1-2 hervor.
Der Kindergartenbesuch des BF3 ist dem Sozialbericht der Caritas vom 02.05.2017 sowie den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der BF1-2 zu entnehmen.
2.3. Zum Fluchtvorbringen der BF1-2
Als Ausreisegrund gaben die BF1-2 an, dass ihr Heimatdorf in Syrien mehrmals von arabisch-muslimischen Gruppen bzw. von Mitgliedern des Islamischen Staates überfallen worden sei und die Bewohner (überwiegend Jeziden) aufgefordert worden seien, zum Islam zu konvertieren.
Es konnte - wie oben näher ausgeführt - aber nicht festgestellt werden, dass die BF1-2 tatsächlich aus Syrien stammen, was deutlich die Intention der BF1-2 nach einer geeigneten sozialen Absicherung und nicht unbedingt nach Schutz vor Verfolgung aufzeigt und ist allein daraus ihre persönliche Glaubwürdigkeit bereits schwer erschüttert.
Eine relevante Gefährdungslage in Bezug auf Armenien wurde seitens der BF1-2 nicht vorgebracht und kann eine solche aus der Berichtslage auch nicht abgeleitet werden.
Insbesondere kann in Bezug auf die Angehörigkeit zur jezidischen Minderheit nicht von der Gefahr einer Gruppenverfolgung in Armenien ausgegangen werden.
Aus den herangezogenen Länderberichten ergibt sich nicht, dass Angehörige der jezidischen Minderheit in Armenien generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Religionsgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die armenischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der Person der BF1-4 Beschwerdeführers haben sollten, wurden von diesen nicht vorgebracht. Bestünde für die BF1-4 in Armenien eine relevante Gefahr, wäre davon auszugehen, dass diese von den BF1-2 auch vorgebracht worden wäre.
Hinzu kommt, dass sich die BF1-2 in Bezug auf die vermeintlichen Verfolgungshandlungen in Syrien in mehrere Widersprüche und Ungereimtheiten verstrickten, welche den grundsätzlichen Eindruck der Unglaubwürdigkeit der BF1-2 bestätigen.