TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/28 W105 2181174-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2018
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Entscheidungsdatum

28.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W105 2181174-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2017, Zahl: 1099372410-152013179/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung am 23.07.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 16.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antragsteller wurde am 17.12.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab der Beschwerdeführer auf die Frage nach seinen Fluchtgründen an, er sei wegen der Taliban geflohen. Sein dort sei von würden sie die Bevölkerung nicht in Ruhe leben lassen. Daher keine Familie habe, habe sich sein Onkel entschieden, dass er das Land verlassen solle.

Mitbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Steiermark wurde ein Bericht an die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen XXXX erstattet, wohin zentral ausgeführt wird, dass der Antragsteller bei Gespräch mit einer Betreuerin angegeben haben möge, ein aktiver Taliban gewesen zu sein, den Kampfhandlungen verwickelt gewesen sei. Darüber hinaus habe er auch unter anderem angegeben in der Lage zu sein, Menschen zu töten, da dies bereits während seiner Zeit bei den Taliban getan habe. Er sei von den Taliban gezwungen worden, eine Ausbildung zu machen und habe ihn niemand vor den Taliban schützen können. Mit Schreiben vom 20.11.2017 benachrichtigte die Staatsanwaltschaft XXXX die Sicherheitsbehörde von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Z1 StPO.

Der Beschwerdeführer wurde am 03.11.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Gesundheitszustandes an, an keinerlei Erkrankungen zu leiden und keine Medikamente zu nehmen.

Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder und habe nur einen Onkel väterlicherseits sowie dessen Familie. Sein Vater sei verstorben und habe er seine Mutter nie kennengelernt.

Im Weiteren gab der Antragsteller auf Befragen, wegen seiner Volks-oder Religionszugehörigkeit im Herkunftsstaat keine ernsthaften persönlichen Probleme gehabt zu haben, ebenso wenig werde er von der Regierung verfolgt oder habe er Afghanistan aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

"VP: Unser Dorf ist ein sehr unsicheres Dorf. Das Dorf hat mit Gewalt, Krieg, Rekrutierung und Antiregierungspropaganda zu tun. Es wurde bei uns rekrutiert und gesagt, wie schlimm die Regierungsleute und die Ungläubigen sind. Es war nicht möglich, in die Schule zu gehen, wegen den Taliban. Ein freies Leben war wegen den Taliban nicht möglich. Sie haben uns mitgenommen und haben versucht uns zu trainieren und uns Waffentechnik beizubringen und uns auf ein Selbstmordattentat vorzubereiten. Sie haben die normalen Schulen zu Koranschulen gemacht. Die Lehrer wurden geschlagen, die normalen Bücher wurden verbrannt und die Lehrer wurden aufgefordert den Schülern nur den Koran zu lehren. Uns war ein freies Leben nicht möglich, wir mussten das tun, was die Taliban vorgeschrieben haben. Die Taliban haben uns Jugendliche, zu ihrer Basis Ihrer Trainingscamps mitgebracht, dort haben Sie uns das Waffentraining gegeben, und wie man mit einer Bombe umgeht und anderen Waffenarten. Die Eltern wurden mit Gewalt dazu gezwungen, ihre Kinder zur Verfügung zu stellen. Normalerweise wollen keine Eltern, dass die Kinder versterben in Einsätze für die Terroristen, aber viele waren dazu gezwungen, die Kinder mit den Taliban zu schicken. Es war praktisch nicht mehr möglich, dort zu leben. Man hat allmählich gemerkt, dass das Leben bitter wird. Die normalen Lehrer hatten Angst und waren nicht mehr im Stande um bei uns im Dorf zu unterrichten, allmählich haben die Schüler zwei Mullahs unterrichtet. Die Taliban waren ständig anwesend. Wir wurden mit verbundenen Augen in Datsun (Anmk. des Dolmetschers, dabei handelt es sich um einen bestimmten Autotyp) zu den Trainingscamps befördert und dort haben wir Waffentraining bekommen. In dieser Basis haben sie uns nach Alter verteilt, in zwei Gruppen. Die 11-13 Jährigen haben Trainings mit kleinen Waffen bekommen und wir haben Trainings mit Bomben und Sprengstoffwesten bekommen. Ich habe insgesamt circa 6 Monate in diesem Camp verbracht, als eines Tages die Regierungstruppen unter Führung der Nationalpolizei kamen und diese Basis angegriffen hat. Es gab einen Krieg, alle sind in irgendwelche Richtungen geflüchtet. Ich bin dann hinauf auf den Berg gegangen und konnte so wegkommen. Die Taliban haben selber geschrien, dass alle flüchten müssen. Meine Gruppe und ich, haben auf diesem Berg übernachtet, am nächsten Tag, am späten Nachmittag sind wir wieder runter gegangen und haben eine Moschee erreicht. Als wir dann dem Mullah die Geschichte erzählt haben, war er bereit uns auf dem Fahrrad in unser Dorf zurück zu bringen. Der Mullah hat uns geglaubt, dass wir aus diesem Dorf sind. Mein Vater hat sich sehr gefreut mich zu sehen. Er hat mich in die Wohnung gebracht und hat für mich das Essen gemacht und hat mich später aus Angst vor den Taliban zu meinem Onkel geschickt, damit ich dort bei ihm übernachte. Mein Vater wurde von den Taliban aufgefordert mich ihnen auszuliefern. Als er das nicht tat, wurde er von ihnen geschlagen. Er wollte nicht, dass ich ein Selbstmordattentat begehe, er wollte dass ich lerne und ein gutes Leben habe. Mein Vater wurde schon mehrmals von den Taliban bedroht und dazu aufgefordert mich auszuliefern, aber er hat immer gesagt, dass er nicht weiß wo ich mich befinde und hat zu meinem Onkel gesagt, dass mein Onkel mich nicht raus lassen darf. Mein Vater hat aufgrund eines Arbeitsunfalles, eine Krankheit. Er hat Diabetes und ist kurz darauf verstorben und ich war bei meinem Onkel. Mein Onkel hat mich quasi übernommen, weil ich niemanden mehr hatte und ich habe dort normal gelebt. Als unsere Nachbarn draufgekommen sind, dass ich mich jetzt bei meinem Onkel befinde, haben sie den Taliban gesagt, dass ihre Kinder weggenommen werden, ich aber eben nicht und das dies nicht gerecht ist. Mein Onkel hat dadurch Probleme bekommen und hat sich dazu entschieden mich wegzuschicken und hat dann einen Schlepper organisiert und so konnte ich das Dorf verlassen und weggehen.

LA: In welchem Jahr fingen die Vorfälle mit den Taliban genau an?

VP: Ich weiß es nicht welches Jahr das war.

LA: Wie alt waren Sie, als die Taliban Sie das erste Mal mit in eines Ihrer Lager mitnahm?

VP: Ich war circa 13 Jahre alt.

LA: Wie oft kam es vor, dass die Taliban Sie in deren Lager mitnahmen?

VP: Mehrmals. Genaue Zahl kann ich nicht nennen, weil es manchmal auch spontan war, dass sie mich mitgenommen haben.

LA: Dabei handelt es sich um ein einschneidendes Erlebnis, wie oft haben Sie die Taliban nun mitgenommen?

VP: Ich bin nicht jemand, der solche Sachen registriert. Ich kann Ihnen auch jetzt nicht sagen, wie oft ich zum Deutschkurs gehe. Ich registriere solche Sachen nicht. Unter diesen Umständen, wie man bei uns im Dorf lebt, ist es auch nicht möglich alles zu wissen und zu registrieren.

LA: Wo genau befand sich das Lager der Taliban?

VP: Ein paar Autominuten von unserem Dorf entfernt.

LA: Wie lange würde man zu Fuß von Ihrem Dorf dorthin gehen?

VP: Ich bin dort nicht zu Fuß hin, deswegen kann ich Ihnen nicht sagen, wie lange das brauchen würde.

LA: Wie viele Buben mussten diese Ausbildung machen?

VP: 17 bis 20 Jugendliche waren dabei.

LA: Das wissen Sie genau, aber Sie wissen nicht die Zahl wie oft sie die Taliban mitgenommen haben?

VP: Das waren Jugendliche, die mit mir in einer Gruppe waren, aber wie oft mich die Taliban mitgenommen haben, kann ich Ihnen nicht sagen.

LA: Wie lange brauchten Sie vom Berg runter zur Moschee?

VP: Ich kann keine Uhrzeit nennen, weil ich keine Uhr mithatte und nicht gezählt habe, wie viel Stunden es dauerte. Es war am Nachmittag als wir bei der Moschee waren.

LA: Wann sind Sie vom Berg runter? Stand die Sonne hoch oder tief? Zeichnen Sie mir den Berg auf und wo in etwa die Sonne gestanden hat, als Sie Richtung Moschee aufbrachen:

(Anmk: VP zeichnet die Situation am Berg auf)

VP: Man musste den Berg runter und dann über einen Bachverlauf, dann links, wieder hinauf und dann kam man zur Moschee.

LA: Gibt es über den Bach eine Brücke?

VP: Nein, es gibt keine Brücke, aber große Steine wo man rüber kommt. Dort wo es keine Steine gibt, ist es nicht so tief, vielleicht einen Meter.

LA: In welchem Dorf lag die Moschee?

VP: Das weiß ich nicht.

LA: Wo würden Sie auf der Zeichnung Ihr Dorf einzeichnen?

Anmk. VP zeichnet Dorf ein. (Zeichnung liegt dem Akt bei)

LA: Wie lange hat es gedauert, bis Sie von der Moschee in Ihrem Heimatdorf waren?

VP: Am späten Nachmittag haben wir uns auf den Weg gemacht, via Fahrrad und wir konnten in der Zeit zum letzten Gebet das Heimatdorf erreichen. Es war schon spät abends.

LA: Gab es auch Jungen, die freiwillig diese Ausbildung machten?

VP: Nein, so was macht niemand freiwillig.

LA: Waren Sie selbst, jemals an Kampfhandlungen beteiligt, wo Sie z. B. Dörfer überfallen haben?

VP: Wie gesagt es wurde bei diesem Angriff gekämpft, die Taliban haben geschossen und die Polizei auch. Es war die einzige Situation die ich beobachtet habe, ich habe aber selbst nicht geschossen.

LA: Können Sie ein Maschinengewehr betätigen?

VP: Ja.

LA: Mit welcher Art von Maschinengewehr wurde Ihnen der Umgang beigebracht?

VP: Mit einer Kalaschnikow, kleinen Pistolen und vor allem Sprengstoffwesten.

LA: Haben Sie im Zuge Ihrer Ausbildung bei den Taliban jemals auf Menschen geschossen?

VP: Ich habe niemanden getötet. Ich habe im Zuge des Trainings mehrmals geschossen, aber ich habe niemanden umgebracht. Die Taliban wollten, dass wir uns am Krieg beteiligen, aber wir waren noch nicht so weit.

LA: Wann genau war der Vorfall mit den Polizisten, wie lange waren Sie da schon im Camp?

VP: Ich glaube ich war drei bis vier Tage dort, als die Polizei kam, und dann waren wir mit den Gruppen bei den Übungen. Ich glaube nicht, dass ich länger als drei oder vier Tage dort war.

LA: Das heißt, der Vorfall hat sich zu Beginn Ihrer Ausbildung ereignet, ist das korrekt?

VP: Ja das war zu Beginn unserer Trainingszeit.

LA: Man hat Sie vom Dorf mitgenommen und nach drei Tagen hat sich dieser Vorfall ereignet, ist das korrekt?

VP: Ja das war am späten Nachmittag, jemand hat sie informiert, wo sich das Trainingscamp befindet.

LA: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie sich 6 Monate in dem Camp befunden haben, wie ergibt das Sinn?

VP: ich habe gesagt, dass ich nicht 6 Monate im Trainingscamp war, sondern dass ich sechs Monate bei den Taliban war.

LA: Wie viele Taliban waren bei diesem Vorfall involviert?

VP: viele Taliban, eine ganze Gruppe.

LA: Aus wie vielen Leuten besteht so eine Gruppe?

VP: Die Taliban haben verschiedene Gruppe, ich wurde auch bei meiner Erstbefragung dazu befragt, aber ich habe auch dort keine genauen Angaben machen können.

LA: Wann genau schickte Sie Ihr Vater zum Onkel?

VP: Als ich nach dem Vorfall zurückkam, war ich ein paar Tage bei meinem Vater und wurde später zu meinem Onkel geschickt.

LA: Wie lange blieben Sie bei Ihrem Onkel, bevor Sie geflohen sind?

VP: Ich war lange bei ihm.

LA: Ich brauche genaue Angaben.

VP: Wenn ich jetzt was Konkretes sage, dann würde ich lügen, wenn man nicht die Zeiten gelernt hat und zu rechnen, dann tut man das auch nicht.

LA: Das ist ein Widerspruch, sie haben auch angeben können, dass Sie 6 Monate bei den Taliban waren:

VP: Erstens, ich habe damals und heute angegeben, dass ich circa 6 Monate bei den Taliban war und nicht volle sechs Monate. Bei der Erstbefragung war die Dolmetscherin Dari-sprachig und er oder sie hat das dann den Beamten auch gesagt.

LA: Sie haben heute bei mir jedoch die gleiche Aussage getätigt.

VP: Aber auch mit den Präfix circa.

LA: Wann fassten Sie den Entschluss, Afghanistan endgültig zu verlassen?

VP: Es war nicht meine Entscheidung, mein Onkel hat mich mitternachts aufgeweckt und gemeint, dass ich aufstehen solle weil ein Auto draußen stand und ich habe das Dorf mit diesem Auto verlassen.

LA: Wie alt waren Sie zu diesem Zeitpunkt?

VP: Ich habe vorher schon gesagt, dass mein Geburtsdatum erst vorher festgestellt worden ist, von den Ärzten. Ich weiß nicht, wie alt ich damals war.

LA: Wie alt waren die Buben die mit den Sprengstoffwesten instruiert wurden?

VP: Ich habe vorher auch schon gesagt, dass die 11-13 Jährigen mit kleinen Waffen instruiert wurden. Nachgefragt gebe ich an, dass ich in der Gruppe der 13- und Älterjährigen war.

LA: Wie viel hat die Schleppung gekostet?

VP: Circa 5000 US Dollar.

LA: Woher hatten Sie das Geld?

VP: Ich hatte kein Geld, das Geld hatte mein Onkel bezahlt.

LA: Mussten die Kinder Ihres Onkels ebenso zu den Taliban?

VP: Zum damaligen Zeitpunkt waren sie noch klein, jetzt habe ich keinen Kontakt zu ihnen, vielleicht haben sie damit jetzt auch ein Problem.

LA: Wissen Sie wie der Berg geheißen hat, wo Sie waren?

VP: Ich bin nicht so lang in die Schule gegangen um die Namen von Bergen zu wissen.

LA: Wissen Sie den Namen der Bergkette, die durch Ihre Provinz durchzieht?

VP: Bei uns gibt es so eine Kette nicht, wir sind ziemlich platt. Es gibt bei uns einen Fluss.

LA: Wissen Sie den Flussnamen?

VP: Alle nennen ihn, den Fluss von Laghman.

LA: Was befürchten Sie nun im Fall einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat?

VP: Wie kann man wieder zurückkehren, wenn man weiß, dass das Leben dort nicht gut ist und dass man in Gefahr ist.

LA: Mit mir werden nun die Feststellungen zur Situation in meinem Herkunftsland erörtert. Möchten Sie dazu etwas angeben?

VP: Es ist mir klar, dass Sie über die Lage Bescheid wissen, die ganze Welt weiß, wie die Lage ist. Auch ich. Nachgefragt, gebe ich an das Afghanistan sehr unsicher ist, ich verfolge die Lage über Facebook. Auch Kabul ist beinahe täglich von Angriffen betroffen auch die anderen Provinzen sind unsicher.

LA: Wollen Sie noch weitere asylrelevante Gründe nennen?

VP: Ich habe meine Fluchtgründe genannt, ich möchte gerne in diesem Land bleiben, ich will mich weiterentwickeln und nicht zurück. Meine Hoffnung ist, dass ich mir hier in Österreich ein schönes, erfolgreiches Leben aufbauen kann. Ich bin sozial gut integriert, ich habe viele Beziehungen, wie zu meinen Lehrern und zu Mitarbeitern meiner Unterkunft. Ich habe sogar eine Freundin und bin sozial integriert. Wenn ich die früheren Lebensumstände mit den jetzigen vergleiche, kann ich nur sagen, dass ich sehr glücklich bin und entlastet.

Fragen zur Situation der VP in Österreich:

LA: Sie sind seit knapp 2 Jahren in Österreich, wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

VP: Ich bekomme soziale Hilfe.

LA: Haben Sie Verwandte in Österreich?

VP: Nein.

LA: Sind Sie in Österreich Mitglied in einem Verein, einer Moschee oder einer anderen Organisation?

VP: Ich bin Taekwondo- Spieler. Ich konnte leider keine Bestätigung vorlegen, weil sich mein Meister im Ausland befindet.

LA: Besuchen Sie derzeit eine Schule oder einen Kurs?

VP: Ich besuche das Stiftsgymnasium der Benediktiner in XXXX . Ich habe auch noch einen hausinternen Deutschkurs mit XXXX , wo ich am Vormittag A2, und am Nachmittag B1 Programm folge. Nachgefragt gebe ich an, dass wir von der Schulmaßnahme einen Hausinternen Deutschkurs machen müssen und dann wird die Schule fortgesetzt.

LA: Ich beende jetzt die inhaltliche Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

VP: Das war jetzt das dritte Mal dass ich über mein Vorbringen befragt wurde. Ich habe alles sagen können.

LA: Ich möchte Sie nochmals an das Neuerungsverbot (Anm.: Der Begriff wird der VP erklärt) erinnern. Sind Sie über die damit verbundenen Rechten und Pflichten bewusst?

VP: Ja es ist mir bewusst.

LA: Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

VP: Ja."

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Das BFA tätigte desweiteren umfangreiche Feststellungen zur allgemeinen Lageentwicklung in Afghanistan.

Im Weiteren wurden folgende Feststellungen getroffen:

Zu Ihrer Person:

Ihre Identität konnte aufgrund fehlender Personaldokumente nicht festgestellt werden. Sie gaben an, den Namen XXXX zu führen und nach medizinischem Gutachten festgstelltem Datum, spätestens am XXXX in der Provinz Laghman, im Bezirk XXXX , im Dorf XXXX geboren zu sein. Soweit Sie in diesem Bescheid von der Ihnen angegebenen Identität bezeichnet werden, dient dies lediglich der erforderlichen Individualisierung als Verfahrenspartei. Sie sind Staatsangehöriger von Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Paschtunen an und sind sunnitischer Moslem. Sie sind ledig und haben keine Kinder. Ihre Muttersprache ist Paschtu. Sie haben Afghanistan im Jahr 2015 illegal verlassen und sind dann über den Iran, durch die Türkei nach Europa gereist. Im Dezember 2015 sind Sie illegal nach Österreich eingereist. Sie waren nie im Gefängnis, gehörten nie einer politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an, und hatten ebenfalls nie Probleme mit den Behörden Ihres Heimatstaates. In Österreich gelten Sie als unbescholten. Sie leiden an keinen schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankungen oder sonstigen Beeinträchtigungen.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie Afghanistan aufgrund einer bestehenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen Ihrer politischen Ansichten verlassen haben.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie nach Rückkehr in Ihrem Heimatland in eine bedrohliche Situation geraten werden.

Die allgemeine Sicherheitslage in Ihrem Herkunftsland ist nicht so schlecht, dass eine Rückkehr dorthin generell als unmöglich einzustufen wäre. Die Versorgung mit den Dingen des täglichen Bedarfs ist ebenfalls gegeben.

Eine Rückkehr nach Kabul via Flugzeug ist problemlos möglich und Ihnen zumutbar.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hält eine Rückkehr mit dem Flugzeug nach Kabul für möglich (vgl. BVwG W218 2122255-IJ1OE vom 06.10.2016).

Sie erhalten finanzielle Unterstützung für die Rückkehr.

Sie sind jung, lern- und arbeitsfähig, und können nach der Rückkehr eine Arbeit annehmen. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass Sie nach der Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten könnten.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie sind ledig und haben keine Kinder. Ihr Vater ist bereits verstorben und Ihre Mutter lernten Sie laut eigenen Angaben nie kennen. Sie haben einen Onkel väterlicherseits der in der Provinz Laghman mit seiner Ehefrau und den vier Kindern lebt. Sie haben weder verwandtschaftliche Bindungen noch soziale Kontakte die Sie an Österreich binden. Sie leben in Österreich in der Grundversorgung und werden vom Staat unterstützt. Sie üben in Österreich keine berufliche Tätigkeit aus und besuchen jedoch eine Schule. Sie sprechen ein wenig Deutsch. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung Ihrer Person in Österreich besteht.

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und zentral ins Treffen geführt, dass Personen, welchen von den Taliban eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde, Verfolgung befürchten müssten. Im angefochtenen Bescheid seien Länderfeststellungen getroffen worden, die nur allgemeiner Natur seien. Im Weiteren würden Berichte vorgelegt zu relevanten Themenkreisen wie zur Frage der Zwangsrekrutierung durch Taliban, zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan, zur Schutzfähigkeit der afghanischen Behörden sowie zu den Möglichkeiten der Taliban, individuelle Person zu verfolgen und weitere Berichte zur Lage in Kabul sowie zur innerstaatlichen Fluchtalternative.

So bezog sich der Beschwerdeführer - seiner Darstellung nach zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan - auf den Bericht seitens UNHCR vom Dezember 2016 sowie auf einen Bericht seitens ACCORD vom August 2017.

Gleichzeitig nahm der Beschwerdeführer Bezug auf die immensen Wanderungsbewegungen von intern vertriebenen und Rückkehrern in die afghanischen Großstädte und die damit zusammenhängende humanitäre Katastrophe. So würden über 73 % der städtischen Bevölkerung ins Lärms Leben und sei Wohnraum schwer leistbar. Gemäß einem vorliegenden Bericht benötige man soziale Netzwerke als auch außergewöhnliche finanzielle Ressourcen um eine winterfeste Unterkunft zu erreichen. Durch innerstaatliche Vertreibungen habe sich die soziale Situation neuerlich verschlechtert. Eine sogenannte inländische Fluchtalternative sei nur schwer erreichbar sowie bestehe tatsächlichen Risikopotenzial, von den Taliban zwangsrekrutiert zu werden. Die Behörde erster Instanz habe diesbezüglich nur mangelhafte Feststellungen getroffen. Für den Beschwerdeführer könne sohin nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden. Er würde bereits nach wenigen Tagen von seinen Verfolgern in Kabul gefunden werden. Er könne sich daher nicht in Kabul niederlassen. Gemäß der herrschenden Rechtsprechung sei Zwangsrekrutierung jedenfalls Asyl Relevanz zuzumessen. Im Weiteren sei die Zumutbarkeit für eine inländische Fluchtalternative im konkreten Fall nicht gegeben. Dem Antragsteller drohe daher bestehe für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan das reale Risiko einer Verletzung von Art zwei und drei EMRK.

3. In der Folge wurde für den 23.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung abgeführt.

Das Beschwerderechtsgespräch gestaltete sich wie folgt:

"Eröffnung der Verhandlung

RI: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: Ich bin in der Provinz Laghman, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren und aufgewachsen.

RI: Über welche Schulbildung verfügen Sie?

BF: 5 Jahre Grundschule.

RI: Wer hat Ihre Reise nach Europa bezahlt?

BF: Mein Onkel väterlicherseits.

RI: Wissen Sie, wie viel die Reise gekostet hat?

BF: Nein, das weiß ich nicht, mein Onkel hat alles organisiert.

RI: Sie wissen also tatsächlich, wie viel die Schleppung gekostet hat?!

BF: Nein, mein Onkel väterlicherseits hat mir nichts darüber gesagt.

RI: Vor dem BFA haben Sie angegeben, dass die Schleppung ca. 5.000 US-Dollar gekostet hätte (AS 3.02)?

BF: Meine Dolmetscherin bei der Erstbefragung war eine Farsi-sprechende, sie konnte nicht gut Paschtu. Sie hat auch meine Reiseroute falsch übersetzt. Das wurde von der Dolmetscherin so übersetzt, ich habe das nicht so angegeben. Ich bin über Bulgarien z. B. gereist, protokolliert wurde Griechenland. Diese Fehler habe ich auch beim BFA bekanntgegeben.

RI: Wie war die Verständigung bei der Einvernahme vor dem BFA?

BF: Beim BFA war alles in Ordnung.

RI: Aber genau im Rahmen dieser Einvernahme haben Sie angegeben, dass die Schleppung 5.000 US-Dollar gekostet hat?

BF: Nein, bei meiner Einvernahme vor dem BFA wurde ich überhaupt nicht nach meinen Reisekosten gefragt. Ich habe in meiner Niederschrift nichts darüber gefunden.

RI legt dem BF die Aktenseite 302 vor und verweist ihn auch auf seine diesbezügliche Unterschrift.

RI: Was sagen Sie dazu?

BF: Ich verstehe Deutsch nicht vollständig, Deutsch ist ja nicht meine Muttersprache.

RI: Sie haben das damals offensichtlich auf Paschtu gesagt?

BF: Nein, im BFA wurde ich nicht nach den Reisekosten befragt.

RI: Es stellt sich jetzt die Frage, ob ich den Inhalt des Protokolls vom 03.11.2017 vor dem BFA gänzlich ernst nehmen kann bzw. inwieweit der Text Ihrer damaligen Aussage entspricht. Was sagen Sie dazu?

BF: Sonst ist alles richtig. Beim BFA wurde mir Vertrauen geschenkt, was meinen Fluchtgrund angeht. Es war glaubwürdig.

RI: Über welche verwandtschaftlichen Bindungen verfügen Sie noch in Afghanistan? Ich verweise auf den Onkel?

BF: Als ich noch in Afghanistan war, lebten dort mein Onkel väterlicherseits, dessen Frau und Kinder und auch ein Onkel mütterlicherseits von mir. Jetzt habe ich keinen Kontakt mehr und weiß nicht, wo sich diese Verwandten aufhalten.

RI: Ihr Vater ist ja leider verstorben. Es gibt aber noch die Mutter und Geschwister in Afghanistan, stimmt das so?

BF: Ich habe meine Mutter nie gesehen und auch die Geschwister nicht. Ich habe keine Geschwister.

RI: Was bedeutet, Sie haben Ihre Mutter nie gesehen? Können Sie das bitte erklären?

BF: Ich bin bei meinem Onkel väterlicherseits aufgewachsen, also die Ehefrau meines Onkels hat mich aufgezogen.

RI: Wie viele Kinder hat dieser Onkel?

BF: Als ich noch dort war, waren es vier.

RI: Können Sie nun etwas über Ihre Kindheit oder Ihr Leben in den letzten Jahren vor der Ausreise berichten?

BF: Ich habe meinem Vater in der Landwirtschaft oder im Haushalt geholfen.

RI: "Dem Vater"?

BF: Ja, ich habe meinen Vater gemeint. Mein Vater und mein Onkel lebten in einem Haus. Die Ehefrau meines Onkels hat mich als Baby übernommen, sie hat mich sogar gestillt und großgezogen.

RI: Sie sind Angehöriger der paschtunischen Bevölkerungsgruppe, stimmt das?

BF: Ja.

RI: Wie war die wirtschaftliche Situation Ihrer Familie, wo Sie gewohnt haben?

BF: Gut, normal. Wir hatten ein gutes Leben.

RI: Können Sie in ein, zwei Sätzen sagen, warum Sie Afghanistan verlassen haben?

BF: Afghanistan habe ich aus Angst vor den Taliban verlassen.

RI: Können Sie das konkretisieren?

BF: In unserem Distrikt und Dorf gibt es viele Taliban. Sie kamen immer zu uns ins Dorf und nahmen Jugendliche mit und brachten diese ins Trainingscamp, um sie dort für die Zukunft ausbilden zu lassen.

RI: Können Sie über Ihre Person jetzt bitte sprechen?

BF: Sie wollten auch mich mitnehmen. Ich wollte aber nicht mitnehmen, ich wollte eine bessere Zukunft haben. Mein Leben wurde dort schwer, deshalb verließ ich Afghanistan.

RI: Man wollte Sie auch mitnehmen haben Sie gesagt? Können Sie dies jetzt konkretisieren, auch zeitlich eingrenzen?

BF: Wie zuvor erzählt, die Taliban kamen zu uns ins Dorf und nahmen alle Jugendlichen aus dem Dorf mit. Also Jungs im Alter von 11 bis 12 Jahren oder über 13 Jahre. Und brachten diese dann ins Trainingscamp und gaben ihnen eine Militärausbildung.

RI: Bitte sprechen Sie über sich selbst.

BF: Auch ich wurde mit anderen Jugendlichen gemeinsam in dieses Camp gebracht. Dort haben sie uns beigebracht, wie man mit Waffen umgeht, z. B. Kalaschnikow und solchen Sachen.

RI: Bitte berichten Sie im Detail, wann man Sie auf welche Weise mitgenommen hat?

BF: Ich war in der Schule (School), damit meine ich aber nicht die Schule, sondern die Moschee. Dort habe ich gelernt. Da kamen immer wieder die Taliban auf Motorrädern und beobachteten die Jugendlichen und nahmen sie dann nach Altersgruppen mit. Mich haben sie mit anderen Jugendlichen, die in meinem Alter waren, mitgenommen, also über 13.

RI: Wann war das?

BF: Vor wie vielen Jahren das war, weiß ich nicht.

R: Vor wie vielen Jahren sind Sie nach Österreich gekommen?

BF: Ich bin am 17.12.2015 in Österreich angekommen.

BF: Wie lange vorher hat sich das zugetragen, dass man Sie mitgenommen hat?

BF: Das kann ich nicht sagen. Ich habe mir das Datum nicht gemerkt.

RI: Wie lange sind Sie denn gereist?

BF: Ca. zwei Monate glaube ich.

RI: Wie lange haben Sie sich im Iran aufgehalten?

BF: Ca. zwei Wochen glaube ich.

RI: Wie lange in der Türkei?

BF: Ca. einen Monat.

RI: Gut, dann müssen Sie auch ungefähr angeben können, wann Sie mitgenommen wurden?

BF: Das Leben in unserem Dorf war nicht hier wie in Europa, wo man alles nach Datum ordnet. Ich habe mir die Daten dort nicht gemerkt, aber hier mache ich das schon.

RI: Als man Sie dort weggeholt hat, war das sehr nahe zu dem Zeitpunkt Ihres Verlassens Afghanistans?

BF: Also ich kann Ihnen diesbezüglich kein Datum nehmen. Ich kann Sie nicht anlügen, ich weiß es nicht.

RI: Man hat Sie in einer Gruppe von Altersgenossen mitgenommen haben Sie gesagt, habe ich Sie richtig verstanden?

BF: Ja.

RI: Wie lange haben Sie sich etwa in diesen Trainingscamps aufgehalten?

BF: Das kann ich Ihnen auch nur ungefähr sagen, also ca. sechs Monate.

RI: Wie alt waren Sie damals etwa, als man Sie mitgenommen hat?

BF: Mein genaues Alter weiß ich nicht, aber ich war ca. 13 Jahre alt.

RI: Haben Sie Afghanistan unmittelbar nach dem Verlassen dieses Camps verlassen?

BF: Nein. Danach war ich eine Weile bei meinem Vater. Also mein Vater hat meinen Onkel gebeten, dass er mich eine Zeitlang bei sich im Hause versteckt. Mein Vater und mein Onkel, wir lebten eigentlich in einem Haus. Da mein Vater als Landarbeiter für andere Leute tätig war, wohnte er manchmal auch dort, wo er gearbeitet hat.

RI: Nach Ihrem Entkommen aus diesem Taliban-Camp, waren Sie dann noch Tage, Monate oder Jahre in Afghanistan aufhältig?

BF: Genau kann ich das nicht sagen, aber eine Weile war ich schon in Afghanistan.

RI: Das muss ich Ihnen jetzt schon zumuten, dass Sie mir das genauer zeitlich eingrenzen?

BF: Ich kann Sie nicht anlügen.

RI: Wie oft haben Sie Ramadan gefeiert, bis Sie ausgereist sind?

BF: Ich kann Ihnen nur sagen, nach einer Weile, nach einiger Zeit, habe ich Afghanistan verlassen.

RI: Sie können also nicht angeben, ob Sie nach dem Entkommen aus diesem Camp, ob Sie sich noch Monate oder gar Jahre beim Onkel aufgehalten haben?

BF: Ich haben Ihnen auch das zuvor gesagt, bei uns im Dorf merkt man sich die Daten, Uhrzeit und so nicht merkt, wie man das in Europa tut.

RI: Also konkret: Waren Sie noch weniger als ein Jahr aufhältig, oder länger?

BF: Weniger als ein Jahr.

RI: Ich versuche zu rechnen. Ich gehe davon aus, dass Sie im Jahr 2011 dreizehn Jahre alt gewesen sind. Sie wurden dann offensichtlich, Ihrer Aussage gemäß, als ca. 13-jähriger rekrutiert. Dann waren Sie ca. 6 Monate in dem Camp.

BFV: Er hat gesagt, er war in einer Gruppe von 13 plus Jährigen?!

D: Ja, aber jetzt hat er gesagt, dass er etwa 13 war.

RI: Dann waren Sie noch kürzer als ein Jahr in Afghanistan aufhältig und haben Afghanistan verlassen.

BF: Ja.

RI: Und sind Sie erst im Dezember 2015 nach Österreich gekommen. Ihre Angaben sind chronologisch unschlüssig, was sagen Sie dazu?

BFV: Das ist zu relativieren, er weiß ja selber nicht genau, wie alt er genau gewesen ist.

RI: Beschreiben Sie Ihr Leben in diesem Camp.

BF: Dort wurden wir mit Waffen vertraut gemacht, also wie man mit einer Kalaschnikow umgeht, wie man mit einer Handgranate umgeht und uns wurde beigebracht, wie man eine Sprengstoffweste benützt?

RI: Könnten Sie eine Kalaschnikow auf ein Blatt Papier aufzeichnen?

BF zeichnet auf Beilage A und wird gebeten, das Magazin der Kalaschnikow größer auszuführen.

BF: Es gibt verschiedene Arten von Kalaschnikows, es gibt eine Art von 39 Patronen und es gibt aber auch andere Arten. Es gibt eine amerikanische Kalaschnikow, die sind etwas kleiner und die Russischen, die sind normal groß.

RI: Können Sie einen durchschnittlichen Tagesablauf im Camp schildern?

BF: In der Früh haben wir Schießübungen gemacht, je nach Altersgruppe. Gegen Mittag haben wir dann das Essen bekommen. Und am Nachmittag wurde uns dann beigebracht, wie man eine Bombe oder Miene platziert.

RI: Wie sind Sie dann aus diesem Lager entkommen?

BF: Das Camp wurde von jemandem an die Polizei verraten. Die Polizei hat dann das Camp angegriffen. Als die Taliban erfuhren, dass die Polizisten dorthin unterwegs sind, riefen sie, dass wir alle flüchten sollen. Dann ist jeder in eine Richtung gelaufen. Ich und ein anderer Jugendlicher, wir sind ins Tal nach oben gelaufen. Die Polizei hat auf die Taliban geschossen und die Taliban auf die Polizei. Die Nacht haben wir dann auf diesem Berg oben verbracht. Am nächsten Tag in der Früh sind wir wieder heruntergegangen, also auf der anderen Seite des Berges nach unten gegangen. Dann haben wir einen Fluss mit niedrigem Wasser überquert, dann in ein Dorf.

RI: Sind Sie dann zu Ihrem Onkel bzw. Vater zurückgekehrt?

BF: In diesem Dorf sind wir in eine Moschee gegangen. Der Mullah hat uns dann auf einem Fahrrad ins Dorf gebracht, da habe ich den Vater wiedergesehen.

RI: Wie ist es dann weitergegangen?

BF: Als mein Vater mich gesehen hat, hat er sich sehr gefreut, er hat mich ganz fest umarmt. Es war gegen Abend, er bat meinen Onkel, dass dieser mich im Haus versteckt.

RI: Wie kam es dann dazu, dass der Onkel Sie weggeschickt hat?

BF: Die Taliban schlugen dann meinen Vater ein paarmal und sie haben nach mir gefragt. Mein Vater sagte ihnen, dass er nicht weiß, wo ich bin. Er sagte den Taliban, sie haben ihn mitgenommen. Mein Vater hatte am Fuß eine Entzündung. Sein Fuß ist irgendwie geschwollen und dann ist das Entzündete rausgekommen. Er hatte Tetanus. Er ist dann daran gestorben.

RI: Noch einmal: Wie langen waren Sie in diesem Trainingscamp der Taliban?

BF: Ca. sechs Monate, genau kann ich es nicht sagen.

RI: Sie haben vor dem BFA zum Sachverhalt angegeben, dass Sie zu dem Zeitpunkt als die Polizei das Camp angegriffen hat, etwa erst drei bis vier Tage dort gewesen wären. Was sagen Sie dazu?

BF: Als ich von dieser Moschee mit anderen von den Taliban mitgenommen wurde und in das Camp gebracht wurde, da war ich dann drei vier Tage dort, als das Camp von der Polizei angegriffen wurde.

RI: Wo sind dann diese sechs Monate?

BF: Ich wurde ein paarmal von den Taliban mitgenommen. Das letzte Mal war ich drei bis vier Tage dort.

RI: Sie wurden also mehrfach von den Taliban von Ihrem Elternhaus oder von der Moschee weg mitgenommen?

BF: Ja, mehrmals. Das habe ich auch beim BFA so angegeben.

RI: Können Sie angeben, wie oft Sie da mitgenommen worden sind?

BF: Ein paar Mal, wie oft kann ich nicht angeben.

RI: Und konnten Sie da jedes Mal aus Eigenem, wieder zu Ihrer Familie zurückkehren?

BF: Ein paarmal bin ich mit einigen Jungs geflohen und einige Male haben uns die Taliban auch wieder einfach weggehen lassen.

RI: Waren Sie selbst jemals an Kampfhandlungen beteiligt?

BF: Nein, aber sie haben mich und die anderen darauf vorbereitet.

RI: Sie sind also ausgebildet Schusswaffen zu benützen und Sprengstoff einzusetzen?

BF: Ja. Niemand will ein schlechtes Leben haben, jeder wünscht sich ein besseres Leben.

RI: Können Sie mir jetzt erklären, wenn Sie mehrfach schon mitgenommen hatte, was letztlich den Ausschlag gab, dass Sie weggegangen sind?

BF: Ich wollte nicht bei ihnen bleiben. Wenn ich dortgeblieben wäre und noch erwachsener geworden wäre, hätten sie mich als Selbstmordattentäter wohin geschickt.

Der BFV wird Raum geboten.

Keine Stellungnahme.

RI: Möchten Sie noch etwas ergänzen, zu Ihren bisherigen Ausführungen?

BF: Nein, ich habe schon alles über meine Fluchtgründe erzählt. Aber wenn Sie über mein Leben und meine Aktivitäten in Österreich wissen wollen, kann ich Ihnen etwas erzählen.

RI nimmt Einsicht in den Akt mit Bedacht auf die Empfehlungsschreiben und Integrationsbemühungen.

RI: Was möchten Sie zum Stand Ihrer Integration vorbringen?

BF auf Deutsch: Ich habe letztes Jahr Übergangsklasse gegangen. Ich habe ein Zeugnis. Ich habe auch einen Deutschkurs gemacht. Ich kenne viele Lehrer und Österreicher. Ich habe auch eine Freundin. Sie ist österreichische Staatsbürgerin. Ich habe das A1 Zertifikat und ich will für A2 eine Prüfung machen, aber es ist sehr teuer.

RI: Was konkret befürchten Sie für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan?

BF: Ich möchte auf keinen Fall nach Afghanistan zurückkehren und ich kann auch nicht wie früher dort so leben. Mir droht wieder eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban. Ich fühle mich hier sehr wohl.

RI: Warum könnten Sie als junger Mann und insbesondere als Angehöriger der Mehrheitsbevölkerung der Paschtunen dort nicht leben, insbesondere an einem Ort, wo die Taliban nicht das Sagen haben?

BF: Die Taliban sind in Afghanistan überall miteinander verbunden, man wird überall gefunden. Ich wurde ja mitgenommen, ich bin dann wieder geflohen, deshalb werden sie mich überall verfolgen und finden.

RI: Ich verweise Sie den Inhalt des aktuellen LIB der Staatendokumentation und können Sie innerhalb einer Frist von zwei Wochen schriftlich Stellung nehmen und lese ich zentral heraus, dass Sie etwa in einer der großen Städte sich niederlassen können, ohne dass Ihnen eine maßgeblich wahrscheinliche Verfolgung durch die Taliban droht. Was sagen Sie konkret dazu?

BF: In Afghanistan sind jetzt überall die Taliban. Ich möchte auch gerne eine Lehre machen, da ich aber keinen Aufenthaltstitel habe, bekomme ich keine Stelle. Ich habe auch viele Bewerbungen abgeschickt.

RI: Können Sie mir plausibel erklären, warum Sie bei der vorliegenden Bedrohungssituation nicht zumindest versucht haben, sich an einen anderen Ort in Afghanistan niederzulassen, sondern gleich den teuren und beschwerlichen Weg auf sich nehmen und nach Europa kommen? Ich persönlich würde bei einer Verfolgung in Wien, würde zuerst in den Westen Österreichs ausweichen, um in meiner Sprachgruppe, bei meinem Staatsvolk oder bei meinen Leuten zu bleiben.

BF: Es gibt einen riesen Unterscheid zwischen Afghanistan und Österreich. In Afghanistan ist die Sicherheitslage überall schlecht, es wird Tag für Tag noch schlimmer und schlechter, während Österreich noch Fortschritte macht.

RI: Für die Sicherheitslage sind ja die Einwohner Afghanistans verantwortlich. Was sagen Sie dazu?

BF: Was sollen wir machen, die Politiker sind dafür verantwortlich.

RI: Wenn Sie nichts Weiteres zu ergänzen haben, möchte ich die Beweisaufnahme schließen.

BF: Ja.

BFV: Ja.

RI: Wie bereits erwähnt, können Sie nun binnen einer Frist zweier Wochen zum Länderinformationsblatt Stellung nehmen, sowie auch weiters allfällige grobe Fehler im aufgenommenen Protokoll schriftlich rügen.

Die Beweisaufnahme wird geschlossen.

Schluss der Verhandlung "

Im Gefolge der am 23.07.2018 abgeführten Beschwerdeverhandlung erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in welcher er im Wesentlichen vorbrachte er sei Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, da ihm in ganz Afghanistan aktuell Verfolgung drohe wegen der zumindest unterstellten politischen Gesinnung seitens der Taliban, aufgrund der Weigerung mit diesen zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang verwies der Antragsteller auf die definierten Risikogruppen durch UNHCR-Richtlinien sowie führte er im Weiteren aus, dass er sich ursprünglich und jetzt im richtigen Alter für eine Rekrutierung seitens der Taliban befinde. Er sei gesund und jung und somit ein interessantes "Opfer" für eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban. In seinen Richtlinien habe UNHCR veröffentlich, dass unter die Risikoprofile unter anderem Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger von Zwangsrekrutierung betroffen sein können. Aufgrund dieses besonderen Profils sei der Antragsteller mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung oder bzw. aufgrund der ihm zumindest unterstellten politischen Gesinnung ausgesetzt. Im aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation werde der Themenkomplex Zwangsrekrutierung bzw. Rekrutierung von Kindern nahezu gar nicht mehr behandelt. Es werde zwar festhalten, dass die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke benutzen würden, was indiziere, dass die Taliban Kinder rekrutieren. Im aktuellen Länderinformationsblatt würden sich keinerlei Informationen dazu finden, in welchem Ausmaß die Taliban Kinder rekrutieren würden, bzw. in welchen Provinzen oder Distrikten dies vermehrt vorkomme. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führe in einem Update zur Sicherheitslage zu diesem Themenkomplex unter anderem aus, dass Zwangsrekrutierungen von Kindern und deren Einsatz im Kampf gemäß vorliegenden Berichten von allen Konfliktsparteien landesweit begangen würden und zugenommen hätten. In diesem Zusammenhang verwies der Beschwerdeführer auf Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, bei denen in ähnlich gelagerten Sachverhalten der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde. Aufgrund aktueller Berichte seien die Taliban in der Lage den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet ausfindig zu machen. Es sei in urbanen Gebieten für die Taliban schwieriger Personen aufzufinden, aber selbst dort hätten sie Spione. Desweiteren sei es unter Afghanen nahezu unmöglich seine Identität zu verschleiern. In der Heimatprovinz des Beschwerdeführers hätten die Taliban zudem eine hohe Präsenz. Für den Antragsteller bestehe überdies keine innerstaatliche Fluchtalternative, weil er in anderen Landesteilen über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Im Weiteren nahm der Antragsteller Bezug auf die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und herrsche landesweit ein unberechenbarer bewaffneter Konflikt. Die Gefahr allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, bestehe im gesamten Staatsgebiet. Weiterhin wurde auf das Vorliegen willkürlicher Gewalt im gesamten Staatsgebiet verwiesen. Auch sei die Sicherheitslage Ende des Jahres 2017 in der Stadt Kabul äußerst prekär gewesen. Der Beschwerdeführer wäre bei Rückkehr nach Kabul von unzumutbaren Härten betroffen; keinerlei Zugang zu grundlegender Infrastruktur, Fehlen jeglichen sozialen Netzwerkes etc.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und stammt aus der Provinz Laghman. Er beantragte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 16.12.2015 die Gewährung internationalen Schutzes. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (im Endstadium) leidet, die zudem in Afghanistan nicht behandelbar ist. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan fünf Jahre die Grundschule besucht.

Die vom Antragsteller im Rahmen des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibend geschilderten Sachverhaltselemente einer Zwangsrekrutierung und Ausbildung in einem Talibanlager werden der Entscheidung als hinlänglich gesicherter Sachverhalt zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er länger inhaftiert.

Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig. Er ist gesund, nimmt keine Medikamente und ist auch nicht in medizinischer Behandlung.

Zudem kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer allfälligen Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen im Sinne der Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt. Der Beschwerdeführer lebt seit Antragstellung am auf der Grundlage einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz in Österreich. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer unbescholten. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner beruflichen Tätigkeit nach und verfügt auch nicht über eine Einstellungszusage. Er hat einen Deutschkurs besucht und ist in keinem Verein aktiv. Der Beschwerdeführer verfügt im Herkunftsstaat noch über familiäre Anknüpfungspunkte insofern, als jedenfalls sein leiblicher Onkel mit dessen Familie noch in Afghanistan lebt. Es können keine nennenswerten Anknüpfungspunkte sozialer oder wirtschaftlicher Natur zu Österreich festgestellt werden.

Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden zugrunde gelegt:

Länderbericht über die Lage/Sicherheitslage in Afghanistan, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformati

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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