TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/29 I403 2203563-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2203563-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Irak, vertreten durch die "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH", gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.07.2018, Zl. 1088744709/151428885, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 25.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, er habe aufgrund des Krieges sein Heimatland verlassen. Es seien täglich Menschen in seiner Nachbarschaft umgebracht sowie entführt worden. Auch sei der Beschwerdeführer beinahe umgebracht worden. Als Sunnit sei er einer Bedrohung durch Milizen und den Islamischen Staat (IS) ausgesetzt, er habe Angst um sein Leben und jenes seines Bruders gehabt.

Am 29.05.2018 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er nunmehr an, er sei in seiner Heimatstadt Bagdad Bedrohungen sowie Übergriffen durch einen Angehörigen der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq mit dem Namen XXXX ausgesetzt gewesen. XXXX habe die Cousine des Beschwerdeführers, XXXX, heiraten wollen, was diese jedoch abgelehnt habe. Die Familie des Beschwerdeführers sei in weiterer Folge bedroht worden, als die Mutter von XXXX gegenüber der Mutter des Beschwerdeführers geäußert habe, dass XXXX das Heiratsangebot besser annehme, ansonsten "könne XXXX außer Kontrolle geraten". Der Beschwerdeführer habe sich Hilfe suchend an "angesehene, ältere Personen" in seiner Gegend gewandt und diesen den Sachverhalt geschildert. Diese hätten gesagt, sie würden mit XXXX reden. Im Juli 2015 sei der Beschwerdeführer eines Mittags von der Arbeit nach Hause gekommen, als XXXX vor seiner Haustüre auf ihn gewartet habe, den Beschwerdeführer am Hals gepackt und diesen angeschrien hätte. In weiterer Folge habe XXXX den Beschwerdeführer mit einem Messer an der linken Schulter sowie am Bein verletzt und angedroht, dass er ihn das nächste Mal "schlachten werde". Zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem XXXX aus dem Irak zu ihrem Onkel in die Türkei geflohen sei und XXXX dies erfahren habe, hätte dieser mit einer Waffe vor dem Haus der Mutter des Beschwerdeführers in die Luft geschossen, um diese zu terrorisieren. Überdies hätte er geäußert, den Beschwerdeführer zu töten, sobald er ihn sehe, und habe er die Mutter des Beschwerdeführers körperlich attackiert und am Fuß verletzt. Der Beschwerdeführer habe sich in weiterer Folge mit seiner Mutter und seinem Bruder bis zur gemeinsamen Ausreise bei einem Freund versteckt gehalten. Später habe der Beschwerdeführer von einem Freund noch ein Video übermittelt bekommen, in welchem das brennende Haus der Familie des Beschwerdeführers zu sehen sei.

Am 12.06.2018 übermittelte der Beschwerdeführer ergänzend eine schriftliche Stellungnahme an das BFA. Hierbei wiederholte der Beschwerdeführer sinngemäß sein Fluchtvorbringen aus seiner Einvernahme vom 29.05.2018, gab jedoch überdies explizit an, aus Gründen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit durch die schiitische Miliz Asa¿ib Ahl al-Haqq verfolgt zu werden. Überdies zitierte der Beschwerdeführer Länderberichte über die Verfolgung von Sunniten sowie die allgemeine Sicherheitslage in Bagdad.

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 11.07.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht mit Schreiben vom 09.08.2018 in vollem Umfang Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben. Es wurde unter Anderem moniert, die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid mangelhafte Länderfeststellungen herangezogen und dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu Unrecht die Glaubhaftigkeit versagt. Überdies wurden Länderberichte hinsichtlich schiitischer Milizen sowie zur Sicherheitslage im Irak zitiert. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und dem Beschwerdeführer Asyl gewähren; in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverweisen; feststellen, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak zukommt; feststellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) vorliegen und ihm daher eine solche von Amts wegen zu erteilen ist; jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchführen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.08.2018 vorgelegt und der Gerichtsabteilung L504 der Kammer L zugewiesen. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 der Kammer I neu zugewiesen und dieser am 04.10.2018 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ohne entsprechenden Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit September 2015 in Österreich auf. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist in Bagdad geboren und aufgewachsen. Er hat 9 Jahre durchgehend die Schule besucht und mehrjährige Berufserfahrung als Mechaniker sowie als Schweißer. Er leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung und ist erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte. Die Mutter des Beschwerdeführers, welche mit diesem aus dem Irak ausgereist war, hält sich in der Türkei auf. Sein Bruder, welcher ebenfalls mit dem Beschwerdeführer aus dem Irak ausgereist war und in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, ist freiwillig am 05.01.2016 in den Irak zurückgekehrt (IFA-Zahl: XXXX).

Die Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher sowie kultureller Hinsicht auf. Er hat in Österreich diverse Kurse besucht ("Polizei & Sicherheit", "Bildung", "Arbeitsmarkt Integration") und sich ehrenamtlich bei einer Hilfsorganisation betätigt. Überdies hat er einige soziale Kontakte geschlossen und führt er eine Beziehung mit einer Österreicherin, mit der allerdings kein gemeinsamer Wohnsitz besteht.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und bestreitet seinen Lebensunterhalt über die Grundversorgung.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers konnte nicht festgestellt werden, dass dieser im Irak der Gefahr einer Verfolgung durch eine Privatperson namens XXXX ausgesetzt ist, welcher die Cousine des Beschwerdeführers habe heiraten wollen. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass er aufgrund seines sunnitischen Glaubens der konkreten Gefahr einer Verfolgung durch die Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq ausgesetzt ist.

Es sind keine Gründe ersichtlich, warum es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar wäre, in seine Heimatstadt Bagdad zurückzukehren. Er ist in einem erwerbsfähigen Alter, leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung und hat zudem mehrjährige Berufserfahrung als Mechaniker sowie als Schweißer.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3. Zur Situation im Irak:

1.3.1. Zur allgemeinen Lage

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, z.B. den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite geprägt. Der IS versuchte durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Südirak und im Zentralirak seine - wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte - Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren.

Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider AL-ABADI die Stadt Mossul für vom IS befreit, im Dezember 2017 gab er bekannt, dass der IS besiegt sei.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad ist im Wesentlichen nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu dienen solle, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte zu richten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Offiziell ist nach wie vor das ca. 70.000 Mitglieder umfassende und sich aus Soldaten aus der regulären Armee, der Militärpolizei, der normalen Polizei und den Geheimdiensten zusammensetzende "Baghdad Operations Command" (BOC) für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Seitdem der IS im Juli 2017 zurückgedrängt wurde, nahmen die auf Bagdad gerichteten Anschläge kontinuierlich ab. Dennoch kommt es immer wieder zu Selbstmordanschlägen, vor allem in schiitisch dominierten Viertel, wie Sadr City, Shula und Hay Al-Amel als auch an Checkpoints und bei militärischen Einrichtungen. Bagdad erlebte im Jahr 2017 einen Rückgang der Gewalt. Diese Entwicklung wird vor allem der Boc zugeschrieben.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat generell eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür sind der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren.

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich.

Berichten zufolge setzen schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten ein. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinterstehen. Milizen haben z. B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendenziell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen.

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren.

Die Fälle von Entführungen haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten.

Schießereien mit Handfeuerwaffen sind in und rund um die Provinz Bagdad verbreitet, wobei dabei insbesondere die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya und dabei insbesondere auch Zivilisten betroffen sind. Hingegen betreffen Vorfälle mit Handfeuerwaffen im ‚Bagdad Belt' üblicherweise Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen.

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Entgegen der Erwartungen hat die Ausbreitung des IS ab 2014 zu einem geringeren Ausmaß an Gewalt geführt als während des konfessionellen Krieges 2006-2007. Terrorattacken des IS in Bagdad führen zu Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten.

Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen.

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich in einer Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet.

Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig.

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt.

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:

über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

1.3.2. Sicherheitslage in Bagdad hinsichtlich dort operierender Milizen (Popular Mobilization Forces - PMF) und Gewalt gegen Sunniten in Bagdad:

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt.

Im Folgenden werden einige Beispiele der wichtigsten PMF-Milizen aufgezählt, die in Bagdad operieren: Badr-Organisation, Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Salam, Saraya al-Khorasani, Kataib Hizbullah.

Durch die staatliche Akzeptanz, teilweise Führung und Bezahlung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität durchsetzen. Insgesamt konnten zivile Behörden nicht immer die Kontrolle über alle Sicherheitskräfte bewahren. Dies betrifft neben den PMF auch die regulären bewaffneten Kräfte, sowie heimische Sicherheitsdienste.

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. In Bagdad wurde gemeldet, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt wurden, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen. Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads kamen laut dem Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdad vor. Zum Teil würde es dabei weniger um konfessionell motivierten Hass gehen, sondern darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können. Laut Berichten begehen die PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnappings und Morde an der sunnitischen Bevölkerung (die nicht untersucht werden), oder sie sprechen Drohungen dieser gegenüber aus. Laut dem Parlamentsmitglied Abdul Karim Abtan langen bezüglich der Welle von konfessionell motivierten Entführungen und Morden fast täglich Berichte ein; er beschuldigt die Polizei, die Vorfälle zu ignorieren und den Milizen zu erlauben, straffrei zu agieren. Viele Familien waren in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und sie siedelten sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder an. Somit sind separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Bagdad ist weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten.

Dies steht in Einklang mit dem in der Beschwerde vorgelegten Bericht des UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), wonach die Iraqi Security Forces und alliierte Gruppen wie schiitische Milizen im Kampf gegen den IS etwa Checkpoints benützen, um Sunniten zu bedrohen und bedrängen. Die meisten willkürlichen Verhaftungen nach dem Anti-Terrorismusgesetz aus 2005 würden Sunniten betreffen; ihnen würde unterstellt, den IS zu unterstützen. Nach diesem Gesetz Inhaftierte haben besonders unter Misshandlungen und schlechten Haftbedingungen zu leiden. Staatlichen Schutz, etwa gegen Folter, könne man nicht erwarten.

1.3.3. Zu den schiitischen Milizen:

Genese und Entwicklung seit 2014

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr.

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe.

Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen.

Führung und Rechtsstellung der PMF

Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz'ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata'ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata'ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert.

In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind.

Konfessionelle Zusammensetzung der PMF

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen.

Schiitische Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak.

Die Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) hat seitdem die US-Truppen den Irak im Dezember 2011 verlassen haben, ihre politischen Aktivitäten ausgeweitet und laut Angaben der Washington Post eine Reihe von politischen Büros in Bagdad, Basra, Nadschaf, Hilla, al-Chalis und Tal Afar eröffnet habe. Darüber hinaus habe die Organisation politische Vertreter in die südlichen Provinzen Dhi Qar, al-Muthanna und Maysan gesandt, um Vertreter von Minderheiten und Stammesführer zu treffen. Der politische Arm von AAH nenne sich al-Sadiqoun (Die Ehrlichen) und habe in einer Allianz mit der Partei des damaligen Premierministers al-Maliki an den Parlamentswahlen vom April 2014 teilgenommen. Trotz Berichten über religiös motivierte Verbrechen und Kriegsverbrechen seien AAH und weitere Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (PMF), darunter auch die Badr-Miliz und Kata'ib Hezbollah, im November 2016 formell vom irakischen Parlament anerkannt worden.

Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW), das sich selbst als überparteiliche Forschungsorganisation im Bereich Militärangelegenheiten bezeichnet, veröffentlicht im Dezember 2012 einen Bericht über das Wiedererstarken der Gruppe Asa'ib Ahl al-Haqq nach dem Abzug der US-Truppen 2003, sowohl als militärische, als auch als politische und religiöse Organisation. Laut dem Bericht habe AAH seit 2010 in Bagdad eine große politische Präsenz aufgebaut. Derzeit unterhalte die Organisation zwei politische Büros in der Hauptstadt, eines in Kadhimiya und eines in Rusafa. AAH habe eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen organisiert, an denen die zentralen Führungspersönlichkeiten der Organisation sowie Vertreter der irakischen Regierung teilgenommen hätten. AAH nutze die politischen Aktivitäten in Bagdad, um ihr neues öffentliches Erscheinungsbild einer nationalistischen, islamischen Widerstandsgruppe zu fördern.

Außerhalb Bagdads habe AAH Büros in Basra, Nadschaf, Hilla, al-Chalis und Tal Afar eröffnet. Darüber hinaus seien politische Delegationen zu Treffen mit Anführen von Stämmen und Minderheiten in die Provinzen Dhi Qar, Muthanna und Maysan entsandt worden. Die politische Expansion der Organisation in ganz Irak verdeutliche die Fähigkeit von AAH, in Gebiete, in der die Sadr-Bewegung [eine rivalisierende, schiitische, paramilitärische Organisation und politische Bewegung] Rückhalt habe, vorzudringen.

In Hinblick auf den bewaffneten Arm der Organisation erwähnt der Bericht, dass die AAH-Miliz wahrscheinlich von Hassan Salem angeführt werde, der auch als "dschihadistischer Anführer" bezeichnet werde und 2009 aus US-Haft entlassen worden sei. Es sei bekannt, dass AAH während des Irakkriegs [gegen die USA] die Miliz in Bataillone eingeteilt habe, von denen jedes einer bestimmten Region zugeteilt worden sei, das Imam Askari-Bataillon in Samarra, das Musa al-Kazim-Battaillon in Bagdad, das Imam Ali-Bataillon in Nadschaf und das Abu Fadl Abbas-Bataillon in Maysan. Im Dezember 2011 habe sich Qais al-Khazali (der als Anführer von AAH wahrgenommen wird) mit den mutmaßlichen Anführern der Kata'ib Hezbollah (KH), der am besten ausgebildeten und geheimsten der vom Iran unterstützen Milizen, getroffen.

Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern.

Trotz der Verschwiegenheit der AAH-Miliz würden die Verbindungen zwischen führenden Mitgliedern von AAH und KH darauf hindeuten, dass die Organisation AAH ihren bewaffneten Arm neu geordnet und ihre Macht als Schirmorganisation für schiitische Milizen im Irak gefestigt habe.

Das britische Innenministerium (UK Home Office) gibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 Informationen von Jane-s, einem in den USA ansässigen Unternehmen, das unter anderem Analysen zum Thema Sicherheit erstellt, wieder, denen zufolge AAH eine schiitische Milizgruppe sei, die sich 2006 von der Mahdi-Armee abgespalten habe. AAH sei an einer Reihe von Angriffen auf die US-Truppen bis zu deren Abzug 2011 beteiligt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe AAH ihre Absicht bekannt gegeben, dem politischen Prozess beizutreten. AAH unterhalte mehrere politische Büros im Land, sei aber auch bewaffnet und werde verdächtigt, an mehreren Angriffen mit selbstgebauten Spreng- und Brandvorrichtungen und gezielten Tötungen von Sunniten beteiligt zu sein. Militärische Ausbildung erfolge durch die libanesische Hisbollah und die iranische Quds-Einheit, was AAH zu einer de facto-Stellvertretermiliz des Iran im Irak mache. Kämpfer der AAH hätten die irakische Armee in der Provinz al-Anbar beim Kampf gegen den IS unterstützt. Im Jänner 2014 habe AAH die Tötung eines eigenen ranghohen Kommandanten in al-Anbar bekanntgegeben, der zuvor in Syrien gekämpft habe.

Das an der Stanford University angesiedelte Mapping Militants Project, das die Herausbildung militanter Organisationen und deren Zusammenspiel in Konfliktzonen beobachtet und visuell darstellt, schreibt in einem zuletzt im Jänner 2017 aktualisierten Überblick zur Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH), dass es 2013 Berichte gegeben habe, laut denen die Regierung unter Premierminister al-Maliki statt der irakischen Polizei Kämpfer von AAH in der Provinz al-Anbar und als Bereitschaftspolizei in Bagdad eingesetzt habe.

CEDOCA, die Herkunftsländerinformationsstelle des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose (Commissariat Général aux Réfugiés et aux Apatrides, CGRA) schreibt in einem Bericht zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala vom Juli 2015, dass Berichten zufolge Mitglieder von AAH Angriffe auf die Dörfer Bulour, Matar, Aruba, Hurriya, Sudur und Harouniya im Distrikt Muqdadiya durchgeführt hätten, wo ungefähr tausend sunnitische Familien leben würden. Ein Bewohner habe HRW erzählt, dass AAH im Winter bis zu 50 Häuser niedergebrannt und weitere Wohnhäuser mit Mörsern und Raketen beschossen habe. Die lokale Bevölkerung, mit der HRW gesprochen habe, habe berichtet, dass Kämpfer der AAH-Miliz zusammen mit freiwilligen schiitischen Milizkämpfern und irakischen Antiterror-Einheiten begonnen hätten, im Juni [2014] die Einwohner von Dörfern nahe Muqdadiya zu schikanieren. Im Oktober [2014] hätten die geflohenen Dorfbewohner gehört, dass die Milizen die Gegend verlassen hätten und seien daraufhin zurückgekehrt. Jedoch hätten sich kurz darauf die Milizen wieder gezeigt und damit begonnen, Personen zu entführen, in den Straßen um sich zu schießen und auf Wohnhäuser zu zielen. In einigen Fällen seien Personen hingerichtet worden.

Reuters berichtet in einem weiteren Artikel vom Jänner 2016, dass laut Angaben von HRW die in diesem Monat vorgefallenen Entführungen und Tötungen zahlreicher sunnitischer Zivilisten im Osten des Irak, sowie Angriffe auf deren Besitztümer durch vom Iran gestützte Milizen Menschenrechtsverletzungen darstellen könnten. Schiitische Milizkämpfer seien diesen Monat nach Muqdadiya [Provinz Diyala] entsandt worden, nachdem zwei Bombenexplosionen nahe einem Café, in dem sich oft Milizen aufgehalten hätten, 23 Menschen getötet hätten. Zu dem Anschlag habe sich der IS bekannt und erklärt, dass Schiiten das Ziel gewesen seien. Laut HRW hätten daher Mitglieder der Milizorganisationen Badr und AAH Vergeltungsangriffe durchgeführt, die HRW selbst als "schwere Verstöße gegen internationales humanitäres Recht" beschreibt.

Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv.

Die International Crisis Group (ICG), eine unabhängige, nicht profitorientierte Nicht-Regierungsorganisation, die mittels Informationen und Analysen gewaltsame Konflikte verhindern und lösen will, erwähnt in einer Fußnote zu einem Bericht über die konfessionell gespaltene, junge irakische Generation und deren Mobilisierung für Milizen, die Aussage eines AAH-Mitglieds in Basra aus einem Interview im September 2015 zu den Zielen der Organisation. Das Mitglied erläutert, dass AAH nicht bloß eine militärische Organisation sei. Sie habe das Ziel, einen Staat aufzubauen. Man plane, die staatlichen Institutionen zu reformieren und die Volksmobilisierungseinheiten [al-Haschd al-Schaabi, die von der Regierung gestützten Milizen, Anm. ACCORD] in eine zivile Organisation umzuformen. Die Regierungsführung politischer Parteien sei in Basra und im gesamten Irak gescheitert. AAH habe militärische Siege errungen und in Demonstrationen für Veränderungen eingetreten, nun sei die Organisation bereit, ein Teil der politischen Führung der Provinz und des gesamten Staates zu werden.

HRW berichtet im November 2016, dass Mitglieder einer Miliz der von der Regierung gestützten Volksmobilisierungseinheiten in einem Dorf nahe der Stadt Mossul Hirten, darunter einen Jungen, festgenommen und geprügelt hätten, da man ihnen unterstellt habe, Verbindungen zum IS zu haben. Opfer und Zeugen hätten berichtet, dass es Mitglieder von AAH gewesen seien, die zehn Hirten festgehalten und mindestens fünf von ihnen, darunter auch den Jungen verprügelt hätten. Die Hirten, die aus dem Dorf Aadaya geflohen seien, seien festgenommen und mehrere Stunden lang festgehalten worden. Die Milizkämpfer hätten sie schließlich freigelassen, aber 300 Schafe gestohlen.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) schreibt in einem Bericht zur Verbreitung von Waffen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten und deren Menschenrechtsverletzungen vom Jänner 2017, dass es in der Provinz Diyala weiterhin verbreitet zu Vorfällen von Verschwindenlassen, Entführungen, Folter und Tötungen komme, die mit Straflosigkeit auf sunnitische Männer und Jungen abzielen würden. In Diyala würden die von der Regierung gestützten Milizen, darunter insbesondere die Badr-Organisation und AAH, eine strenge Kontrolle ausüben, es gebe konfessionelle Spannungen und sunnitische Binnenvertriebene würden daran gehindert, in ihre angestammten Gebiete zurückzukehren. Der Bruder eines jungen Mannes, der im Jänner 2016 in Muqdadiya von Milizkämpfern entführt und tot auf der Straße aufgefunden worden sei, habe gegenüber AI erwähnt, dass die AAH-Miliz, die in Muqdadiya aktiv sei, alle Sunniten als Unterstützer des ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein ansehe, und viele Sunniten auf der Straße oder in ihren Häusern aufgegriffen und getötet worden seien. In den ersten Wochen dieser Vorfälle seien Milizen mit Lautsprechern herumgefahren und hätten Sunniten dazu aufgefordert, aus ihren Häusern zu kommen. Am 13. Jänner 2016 seien mehr als hundert Männer entführt worden, deren Verbleib seither unbekannt sei.

Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten.

PMF-Milizen und organisierte Kriminalität

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem Ölschmuggel im großen Stil, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker waren. So lassen sich politische Streitigkeiten innerhalb der schiitischen Milizen ebenso gut als Allokations- und Revierkämpfe von Mafiabanden interpretieren, die sich auch auf parlamentarischer Ebene wiederfinden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Lebensumstände, des Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit, der Herkunft, der Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 29.05.2018).

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels der Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente im Original nicht fest.

Die seitens des Beschwerdeführers absolvierten Kursmodule ergeben sich aufgrund von vorgelegten Teilnahmebestätigungen. Das ehrenamtliche Engagement des Beschwerdeführers bei der Hilfsorganisation "XXXX" ergibt sich aus einem vorgelegten Bestätigungsschreiben der Organisation vom 24.05.2018.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in seiner Zeit in Österreich diverse soziale Kontakte geknüpft hat, ergibt sich aus zwei vorgelegten Empfehlungsschreiben von Privatpersonen vom 25. sowie vom 28.05.2018.

Der Beschwerdeführer erklärte im Beschwerdeschriftsatz, er würde eine Beziehung zu einer (namentlich nicht genannten) Österreicherin führen. Auch in der Einvernahme durch das BFA am 29.05.2018 wurde von ihm erwähnt, dass er eine Freundin namens XXXX habe, bei der er manchmal übernachten und mit der er seine Freizeit verbringen würde. Ein gemeinsamer Wohnsitz besteht laut ZMR nicht und wurde dies von ihm auch nicht behauptet.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 25.10.2018.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte in seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.09.2015 zunächst vorgebracht, den Irak aufgrund des Krieges sowie seiner Gefährdung als Sunnit durch die Milizen und den IS verlassen zu haben. Er sei "fast umgebracht worden" (Protokoll vom 25.09.2015).

Im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 29.05.2018 brachte der Beschwerdeführer hingegen eine Gefährdung durch eine konkrete Person mit dem Namen XXXX als Grund für seine Ausreise vor. Dieser sei zwar Angehöriger der schiitischen Miliz Asaib Ahl al-Haqq, zu einer Gefährdung der Familie des Beschwerdeführers sei es jedoch deshalb gekommen, da XXXX erfolglos um die Hand der Cousine des Beschwerdeführers,

XXXX</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person>, anhalten habe. Nachdem der Beschwerdeführer "angesehene ältere Personen in seiner Gegend" um Rat gefragt habe, hätte ihm XXXX eines Mittags im Juli 2015 vor seiner Haustüre aufgelauert, ihn gepackt und angeschrien. Darüber hinaus habe er den Beschwerdeführer mit einem Messer an der linken Schulter und am Bein verletzt, ehe er gedroht habe, ihn das nächste Mal "zu schlachten" und von ihm abgelassen habe. Nachdem XXXX mit Unterstützung der Familie des Beschwerdeführers den Irak verlassen und in die Türkei ausgereist sei, habe XXXX ein weiteres Mal das Haus der Familie des Beschwerdeführers aufgesucht, vor dem Haus mit einer Waffe in die Luft geschossen und im Anschluss die Mutter des Beschwerdeführers körperlich attackiert und am Fuß verletzt. Bei diesem Vorfall sei der Beschwerdeführer nicht anwesend gewesen. In weiterer Folge sei der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinem Bruder in die Türkei ausgereist. Hier habe ihm ein Freund noch ein Video vom brennenden Haus seiner Familie übermittelt (Protokoll vom 29.05.2018).

In einer an das BFA übermittelten schriftlichen Stellungnahme vom 12.06.2018 führte der Beschwerdeführer wiederum an, dass er aufgrund seiner Religionszugehörigkeit von der schiitischen Miliz Asaib Ahl al-Haqq verfolgt worden wäre, ehe er neuerlich auf das Fluchtvorbringen rund um die Person des XXXX verwies (Stellungnahme vom 12.06.2018).

Im angefochtenen Bescheid kam das BFA zum Schluss, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei; das Bundesverwaltungsgericht muss sich dieser Feststellung aus den folgenden Erwägungen anschließen: Zunächst einmal findet sich in den Angaben in der Erstbefragung des Beschwerdeführers keinerlei Bezug auf das später getätigte Fluchtvorbringen hinsichtlich seiner Verfolgung durch die Person des XXXX. Gänzlich unglaubhaft gestaltet sich das Vorbringen dahingehend, als sich der angebliche körperliche Übergriff auf den Beschwerdeführer, im Zuge dessen dieser durch XXXX mit einem Messer an der Schulter sowie am Bein verletzt worden sei, laut dem Vorbringen in der Einvernahme vor der belangten Behörde lediglich zwei Monate (im Juli 2015) vor seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im September 2015 ereignet habe, der Beschwerdeführer diesen jedoch gänzlich unerwähnt ließ. Es ist auch auf dem Boden des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben einzubeziehen (VwGH, Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0090 oder auch Beschluss vom 10. November 2015, Ra 2015/19/0189 bzw. Beschluss vom 02.01.2017, Ra 2016/18/0323 und zuletzt VwGH, Beschluss vom 17. Mai 2018, Ra 2018/20/0168). Der Verweis auf etwaige Verständigungsprobleme mit dem Dolmetscher (siehe Protokoll vom 29.05.2018, S 3; Beschwerdeschriftsatz, S 10) erscheint hierbei wenig plausibel. Am Ende der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer explizit zu Protokoll, dass es keine Verständigungsprobleme gegeben habe (siehe Protokoll vom 25.09.2015, S 6). Diesen seitens der belangten Behörde getätigten, beweiswürdigenden Erwägungen widerspricht auch nicht das im Beschwerdeschriftsatz zitierte Erkenntnis des VfGH aus dem Jahr 2012 (VfGH 27.06.2012, U98/12), wonach Asylwerber im Zuge der Erstbefragung "gar nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden dürfen".

Abgesehen davon, dass zu erwarten gewesen wäre, dass das Vorbringen hinsichtlich des einzig konkreten, gegen die Person des Beschwerdeführers gerichteten körperlichen Übergriffs seinen Niederschlag in der Erstbefragung findet, ergeben sich noch diverse anderweitige Widersprüche. So hatte der Bruder des Beschwerdeführers (IFA-Zahl: XXXX), welcher mit diesem gemeinsam aus dem Irak ausgereist war, ebenfalls in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt; er stellte jedoch lediglich drei Monate nach seiner Einreise wiederum einen Antrag auf seine freiwillige Rückkehr in den Irak und reiste am 06.01.2016 wieder aus. Auch erwähnte der Bruder des Beschwerdeführers in seinem gesamten Verfahren mit keinem Wort die seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Fluchtgeschichte rund um die Gefahr einer Verfolgung durch die Person des XXXX, obwohl dieser doch nach den Angaben des Beschwerdeführers der Grund für die Ausreise der gesamten Familie gewesen wäre. Allerdings hatte der Beschwerdeführer selbst XXXX ja auch erstmals im Jahr 2018 und damit zwei Jahre nach der freiwilligen Ausreise seines Bruders vor den Behörden erwähnt. Sofern der Beschwerdeführer vorbringt, dass sein Bruder psychisch labil sei und nicht für sich selbst handeln könne, ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass in dessen gesamten Verfahren keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigung vorgebracht wurde und auch vor seiner freiwilligen Rückkehr ein ausführliches Rückkehrberatungsgespräch stattgefunden hatte, in welchem keine augenscheinlichen, psychischen Beeinträchtigungen wahrgenommen werden konnten. Überdies gab der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung zu Protokoll, sein Bruder habe die Ausreise durch den Schlepper organisiert sowie alleine die Kommunikation mit diesem geführt (Protokoll vom 25.09.2015, S 5), was eindeutig für dessen Handlungsfähigkeit spricht. Auch diesen Widerspruch führte der Beschwerdeführer auf die angeblich schlechte Verständigung mit dem Dolmetscher zurück (Protokoll vom 29.05.2018, S 4), was aus den bereits zuvor skizzierten Erwägungen nicht glaubhaft erscheint.

Weitere Widersprüche hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers ergeben sich, wenn man dessen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 29.05.2018 mit jenen aus seiner schriftlichen Stellungnahme an diese vom 12.06.2018 abgleicht. Erstmalig bringt der Beschwerdeführer in besagter Stellungnahme vor, XXXX hätte den Beschwerdeführer selbst (sowie dessen Mutter) um Erlaubnis gefragt, seine Cousine heiraten zu dürfen, während der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme noch davon sprach, dass XXXXs Mutter die Mutter des Beschwerdeführers um Erlaubnis gefragt hätte. Auch ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass es, abgesehen von den Widersprüchen, auch keineswegs nachvollziehbar ist, warum man den Beschwerdeführer als jungen Mann sowie Cousin der Braut hinsichtlich einer Hochzeit um Erlaubnis fragen würde. Auch bringt der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 12.06.2018 erstmalig vor, dass man ihn aus Gründen seiner Religionszugehörigkeit seitens der Miliz verfolgt hätte. Dieses Vorbringen wird jedoch inhaltlich zu keinem Zeitpunkt untermauert, vielmehr weist die Fluchtgeschichte rund um die Verfolgung durch die Person namens XXXX keinerlei Bezug zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers oder jener des angeblichen Verfolgers auf. Vielmehr würde der Umstand, dass es sich bei der Cousine des Beschwerdeführers ebenfalls um eine Sunnitin handelt und ein Mitglied der Miliz Asaib Ahl al-Haqq diese heiraten habe wollen, eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch diese aufgrund seines sunnitischen Glaubens gänzlich ad absurdum führen.

Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung stünde es dem Beschwerdeführer offen, sich einer etwaigen Verfolgung durch die Privatperson XXXX durch einen Umzug in eine andere Region des Irak oder lediglich einen anderen, vorwiegend von Sunniten bewohnten Stadtteil Bagdads zu entziehen. Es stünde ihm daher jedenfalls auch eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Gegenständlich wurden insbesondere die folgenden Quellen heranzgezogen:

BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN

UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) in Baghdad for Sunni Arabs from ISIS-Held Areas, vom Mai 2016 (http://www.refworld.org/docid/575537dd4.html)

Beide Berichte fassen eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs zusammen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen im angefochtenen Bescheid um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Hinsichtlich der im Beschwerdeschriftsatz zitierten Länderberichte von Amnesty International sowie der UNHCR bezüglich schiitischer Milizen im Irak, deren Übergriffe auf sunnitische Zivilisten sowie die allgemeine Lage von Rückkehrern in den Irak ist festzuhalten, dass diese veraltet sind und nicht die Aktualität der seitens der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte aufweisen. Die im Beschwerdeschriftsatz angeführten Länderberichte stammen allesamt aus den Jahren 2014 bis 2016, während die seitens der belangten Behörde herangezogenen Länderinformationen durchgängig aus den Jahren 2017 sowie 2018 stammen und somit die derzeit zu berücksichtigende Lage im Irak abbilden. Insbesondere wird mit diesen Berichten den Feststellungen im angefochtenen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten