Entscheidungsdatum
27.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W153 2198922-1/6E
W153 2198831-1/6E
W153 2198926-1/6E
W153 2198921-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle StA. aus Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zlen 1.) 1105455105-160230634, 2.) 1105447909-160230485, 3.) 1105444406-160230515, 4.) 1105444602-160230499, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide
behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, die minderjährige Drittbeschwerdeführerin und der minderjährige Viertbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder. Am 13.02.2016 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und ihre Kinder die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich und wurden am 14.02.2016 hierzu erstbefragt. Hierbei gaben sie übereinstimmend an, dass der Erstbeschwerdeführer in Afghanistan von den Taliban bedroht worden sei, weshalb sie ihre Heimat verlassen hätten.
Am 09.08.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unterzogen.
Hierbei gab der Erstbeschwerdeführer an, aus der Provinz Parwan zu stammen und dort bis zur Ausreise in seinem Elternhaus gelebt zu haben. Abgesehen von seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern hätten dort - zumindest bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise - auch noch seine Eltern, seine zwei Schwestern und seine zwei Brüder gelebt. Seit seiner Ausreise habe der Erstbeschwerdeführer jedoch keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und wisse nicht, ob diese noch zu Hause leben würde. Der Erstbeschwerdeführer sei Hazara und gehöre der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er habe fünf Jahre lang die Grundschule besucht, dann als Hilfsfahrer und ab 2008/2009 bis 2014 bei einer afghanischen Firma gearbeitet und diese habe diverse Transporttätigkeiten für die Amerikaner erledigt. Der Familie des Erstbeschwerdeführers sei es finanziell gut gegangen. Aufgrund ihrer guten finanziellen Situation seien die Leute vermutlich aus Neid und schließlich auch die Taliban auf die Beschwerdeführer aufmerksam geworden. Wenn man für die Amerikaner oder für die Polizei arbeite, sei man ein Feind der Taliban. Der Erstbeschwerdeführer sei zwar selbst noch nicht von den Taliban bedroht worden, jedoch sei ihm bewusst gewesen, dass die Taliban über seine Arbeit für die Amerikaner Bescheid gewusst hätten, weshalb er Angst um sein Leben gehabt und schließlich beschlossen habe, Afghanistan zu verlassen. Er wolle in Österreich weiter Deutsch lernen und arbeiten. Er helfe seiner Frau mit den Kindern. Seine Tochter gehe bereits in den Kindergarten, wo es ihr sehr gut gefalle.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge der Einvernahme an, Bein- und Halsschmerzen zu haben, ihre Kinder seien an sich gesund. Bei ihrer Tochter müssten aber die Polypen operiert werden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei in Parwan geboren und aufgewachsen, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie habe keine Schule besucht, da es ihre Brüder nicht zugelassen hätten und als Teppichknüpferin zu Hause gearbeitet. Ihr Vater habe bestimmt, dass sie bald heiraten müsse. Nach der Hochzeit sei sie zu ihrem Mann gezogen, der gut zu ihr sei. Seine Eltern hätten die Zweitbeschwerdeführerin allerdings geschlagen und ihr nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihren Mann nur einmal im Monat gesehen, weil er immer gearbeitet habe. Er sei Fahrer für Ausländer und dadurch immer lange unterwegs gewesen. Mehr darüber wisse sie allerdings nicht. Er habe ihr erzählt, dass ihn die Taliban wegen der Arbeit hätten umbringen wollen. Ihr Mann habe dann entschieden, Afghanistan zu verlassen. Sie wolle nicht mehr dorthin zurück, andernfalls ihr Mann getötet werden würde und sie wieder bei seiner Familie leben müsste. Weder zu seiner noch zu ihrer Familie bestünde Kontakt. Die Zweitbeschwerdeführerin wolle in Österreich die Schule besuchen und arbeiten gehen. Ihre Tochter besuche bereits den Kindergarten und ihr Sohn werde ab September in den Kindergarten gehen.
Am 04.04.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin erneut vor dem BFA einvernommen.
Der Erstbeschwerdeführer gab an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und führte aus, er habe für die NATO gearbeitet, wodurch sein Leben in Afghanistan in Gefahr geraten sei. Dazu befragt, ob er auch wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt habe, meinte er, dass allein die Tatsache, Hazara zu sein, ein Problem sei. Von einem Bekannten wisse er, dass seine Eltern vor 1 1/2 Jahren ebenfalls geflohen seien. Sie seien jetzt entweder im Iran oder in Pakistan. Dem Erstbeschwerdeführer sei es wichtig, in Österreich einer Arbeit nachzugehen. Er sei hier bereits ehrenamtlich beim Roten Kreuz tätig. Über Nachfrage gab er weiters an, dass seine Frau hier alleine einkaufen und manchmal auch allein zum Arzt gehe. In Afghanistan würden Frauen nicht wertgeschätzt werden. Sie dürften dort nicht alleine ausgehen und einkaufen gehen. Seine Frau sei in Afghanistan mit ihren Schwiegereltern nicht so glücklich gewesen. Es sei in Afghanistan ganz normal, dass die Schwiegertöchter nicht gut behandelt werden würden. Dazu befragt, welcher Religion der Mann seiner Tochter einmal angehören solle, gab der Erstbeschwerdeführer an, in einer Demokratie zu leben und dass seine Tochter dies selbst bestimmen solle.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass es ihr grundsätzlich gesundheitlich gut gehe, jedoch habe sie Atemprobleme und sei wegen einer Thrombose in den Beinen in ärztlicher Behandlung. Ihre Tochter sei an der Nase operiert worden und ihrem Sohn gehe es gut. Die Zweitbeschwerdeführerin habe - wie ihre Schwestern - nicht die Schule besuchen dürfen und habe nach der Hochzeit bei ihrer Schwiegerfamilie gelebt und sich um den Haushalt gekümmert. Sie habe nicht aus dem Haus gehen und auch nicht ihre Kleidung selbst aussuchen dürfen. Sie habe bei ihren Schwiegereltern, die sie immer wieder geschlagen hätten, immer eine Burka tragen müssen. In Afghanistan habe sie ihr Leben nicht genießen können. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter dasselbe Schicksal wie sie erlebe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihre Heimat wegen den Fluchtgründen ihres Mannes verlassen. Es habe sich herumgesprochen, dass er mit den Amerikanern zusammenarbeiten würde. Sie wolle nicht nach Afghanistan zurück. Ihre Kinder hätten dort keine gute Zukunft. Sie wolle nicht, dass sie Analphabeten werden würden, wie sie. Zudem habe sie Angst vor ihren Schwiegereltern. Als Frau sei es ihr nicht erlaubt gewesen, etwas anderes zu machen, als sich um den Haushalt zu kümmern. Wenn ihr Mann jetzt nicht zu Hause sei, gehe sie allein einkaufen, sonst würden sie gemeinsam einkaufen gehen. Ihre Kleidung kaufe sie nun allein oder auch gemeinsam mit ihrem Mann. Sie dürfe selbst bestimmen, was sie anziehe. Zum Arzt gehe sie mit ihrem Mann gemeinsam. Sowohl für die Zweitbeschwerdeführerin als auch ihren Mann wäre es kein Problem, wenn ihre Tochter einen andersgläubigen Mann heiraten würde. Ihr Mann habe der Zweitbeschwerdeführerin auch gesagt, dass sie in Österreich kein Kopftuch tragen müsse; sie trage es aber in der Unterkunft, weil dort viele andere Afghanen seien, die sonst über sie lästern würden.
Im Zuge der Einvernahmen legten die Beschwerdeführer einige Dokumente aus der Heimat, integrationsbestätigende Unterlagen sowie ärztliche Schreiben die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin betreffend vor.
Das BFA hat mit den angefochtenen Bescheiden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Zusammengefasst führte das BFA aus, dass eine Gefährdung des Erstbeschwerdeführers durch die Taliban (lediglich) in der Provinz Parwan - hinsichtlich seiner Zusammenarbeit mit der NATO - habe erkannt werden können, sodass es auch im Fall einer Rückkehr in diese Provinz zu Problemen mit den Taliban kommen könnte. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan als Hazara oder Schiite verfolgt oder bedroht werden würde. Die belangte Behörde komme zu dem Schluss, dass sich der Erstbeschwerdeführer aufgrund seiner Schulbildung und Berufserfahrung in einer anderen Provinz Afghanistans hätte niederlassen können. Durch das nicht vorhandene Meldewesen und das Nichtvorhandensein einer Meldepflicht in Afghanistan würde er von den Taliban in einer anderen Provinz auch nicht gefunden werden. Im Fall des Erstbeschwerdeführers liege mit den Provinz Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative vor.
In Hinblick auf die Zweitbeschwerdeführerin wurde zunächst auf die Ausführungen zu ihrem Mann verwiesen und darüber hinaus festgehalten, dass die von ihr angeführten Probleme mit ihren Schwiegereltern nicht die Intensität erreichen würden, die eine Asylrelevanz zur Folge hätten. Ihre im Bundesgebiet angeeignete Lebensweise widerspreche grundsätzlich nicht der Lebensweise einer afghanischen Frau. Es hätten sich keine Hinweise auf eine die gesellschaftlichen Konventionen Afghanistans brechende Verhaltensweise und Weltanschauung, an welche sie sich während ihres Aufenthalts in Europa gewöhnt hätte oder die sie bereits in Afghanistan an den Tag gelegt hätte, ergeben. Die Zweitbeschwerdeführerin habe weder eine Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts und möglicher Freiheitseinschränkung vorgebracht noch lasse sich aus der Einvernahme und den weiteren Angaben eine solche ableiten. Da in ihrer Lebensweise keine zu den herrschenden politischen und religiösen Normen oppositionelle Einstellung erkennbar gewesen sei und sie selbst auch keinerlei Rückkehrbefürchtungen oder Fluchtgründe vorgebracht habe, die sich auf ihr Geschlecht beziehen würden, könne bei der Zweitbeschwerdeführerin nicht angenommen werden, dass ihr durch einen vermeintlichen westlichen Lebensstil eine Verfolgung drohen würde, sodass eine Asylgewährung aus diesem Grund nicht in Frage komme.
In Zusammenhang mit der Lage der Kinder in Afghanistan wurde lediglich festgehalten, dass ihre Minderjährigkeit zu keiner anderen Schlussfolgerung führe. Die beiden würden seit ihrer Geburt von ihren Eltern versorgt und betreut werden. Gegenwärtig deute unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nichts darauf hin, dass es künftig aufgrund asyl- oder fremdenrechtlicher Maßnahmen zu einer Trennung ihrer Familie komme. Sie würden sich daher während des gesamten Verfahrens in der Obsorge ihrer pflege- und unterhaltspflichtigen Familienmitglieder befinden, weshalb das begründete Vorliegen einer Gefahr ihrer Person betreffend ausgeschlossen werden könne. Dass die Kinder in Herat gefahrlos die Schule besuchen könnten, ergebe sich aus den Länderfeststellungen. Bei einer Rückkehr würden sie auch über männliche Unterstützung durch den Erstbeschwerdeführer verfügen, weshalb auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Drittbeschwerdeführerin aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen Probleme bekommen würde.
Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und wiederholt ausgeführt, dass für die Beschwerdeführer aufgrund der Zusammenarbeit des Erstbeschwerdeführers mit der NATO eine besondere Sicherheits- und Gefährdungslage in Afghanistan bestehe. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde erstrecke sich die für die Beschwerdeführer bestehende erhöhte Gefahr auf das gesamte Staatsgebiet und beschränke sich keinesfalls auf ihre Heimatprovinz Parwan. Ebenso entgegen der Meinung der belangten Behörde seien Hazara und Schiiten in Afghanistan immer noch Opfer von asylrelevanter Verfolgung. Weiters sei auszuführen, dass die allgemeine Lage für Frauen in Afghanistan sehr schlecht sei und insbesondere Frauen, die ihr Leben nicht nach den traditionellen religiösen und politischen Normen leben würden, asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt seien. Die belangte Behörde sei fälschlicherweise zu der Ansicht gekommen, dass man im Fall der Zweitbeschwerdeführerin nicht von einer westlichen Orientierung ausgehen könne. Die Zweitbeschwerdeführerin habe in Österreich Alphabetisierungskurse und mehrere andere Veranstaltungen besucht, lerne ein Instrument, besuche Turnstunden, sei modern gekleidet und könne insgesamt frei über ihr Leben bestimmen. Sie führe ein westliches Leben, das jedenfalls der traditionellen Lebensweise einer Frau in Afghanistan widerspreche und wäre deshalb bei einer Rückkehr asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Außerdem habe sie gesundheitliche Probleme, die adäquat behandelt werden müssten. Darüber hinaus gehe die belangte Behörde nicht ausreichend auf die Minderjährigkeit der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers und die Frage ein, ob ihnen im Fall einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gem. Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Die Entscheidung sei daher in Bezug auf die Kinder begründungslos ergangen und somit mit Willkür behaftet. Dieser Mangel schlage auch auf die Entscheidung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin durch, die gerade ihr drittes Kind erwarten würden. Die Versorgungssituation kleiner Kinder in Afghanistan sei prekär. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Zugang zu Versorgung, Wohnung und medizinischer Versorgung gewährleistet sei. Zuletzt wurde auf die Integrationsbemühungen und die bereits gute Integration der Beschwerdeführer in Österreich verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A):
Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA:
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwVGV (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hätten, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht würde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).
Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:
Die belangte Behörde ist gegenständlich zu dem Schluss gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer zwar eine Gefährdung durch die Taliban in der Heimatprovinz Parwan habe glaubhaft machen können, eine Gefährdung jedoch nicht im gesamten Staatsgebiet vorliege und den Beschwerdeführern deshalb Herat als innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei. Aufbauend darauf wurde auch eine (in allen Spruchpunkten) negative Entscheidung in Hinblick auf die anderen Beschwerdeführer getroffen. Zusätzlich wurde betreffend die Zweitbeschwerdeführerin festgehalten, dass bei ihr nicht von einer westlichen Orientierung ausgegangen werden könne. In Zusammenhang mit der mj. Drittbeschwerdeführerin und dem mj.
Viertbeschwerdeführer wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich ihre Eltern - wie bisher - um sie kümmern würden und sich in Herat eine neue Lebensexistenz schaffen könnten. Die Kinder könnten in Herat gefahrlos die Schule besuchen. Es seien auch keine Probleme für die Drittbeschwerdeführerin aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen ersichtlich.
Im vorliegenden Fall wurde im Ermittlungsverfahren nicht darauf hingewirkt, sich ausreichend mit der allgemeinen Lage von Kindern in Afghanistan sowie der konkreten Lage der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers in Afghanistan auseinanderzusetzen.
In Zusammenhang mit der Situation von Kindern wird auf die bereits zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde als bekannt vorauszusetzende umfangreiche Judikatur der Höchstgerichte verwiesen.
So hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, auf die Minderjährigkeit von Beschwerdeführern aus Afghanistan sowie ihre allgemeine Gefährdungslage ausreichend einzugehen und hat Entscheidungen ohne eine entsprechende, ausführliche Ermittlungstätigkeit bzw. ohne fundierte Länderfeststellungen hierzu behoben (siehe etwa VfGH vom 21.09.2017, E 2130-2132/2017-14; VfGH vom 11.10.2017, E 1734-1738/2017; VfGH vom 11.10.2017, E 1803-1805/2017-17, VfGH vom 13.12.2017, E 2497-2499/2016-17 oder jüngst VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10).
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass man sich im Fall von Familien mit minderjährigen Kindern in erforderlicher Art und Weise mit den aufgrund der Minderjährigkeit von Kindern bestehenden besonderen Schwierigkeiten bei der Niederlassung in Kabul auseinanderzusetzen habe (siehe etwa VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357). In seiner Entscheidung vom 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 sowie in einer aktuellen Entscheidung vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 hat der Verwaltungsgerichtshof in Hinblick auf die besondere Vulnerabilität von mj. Kindern eine konkrete Auseinandersetzung dazu verlangt, welche Rückkehrsituation diese tatsächlich vorfinden würden. Diesbezüglich befand der Verwaltungsgerichtshof allgemeine Ausführungen zur Lage in Kabul als zu wenig (und verwies in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan im Jahr 2016 die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet habe). In der letztgenannten Entscheidung wurde ausgeführt, dass eine konkrete Beurteilung der Versorgungslage (insbesondere der Unterkunftsmöglichkeiten) notwendig sei. Die bereits schon bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides bekannte - unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern dargelegte - Verpflichtung, sich konkret mit der tatsächlich vorzufindenden Rückkehrsituation einer Familie mit minderjährigen Kindern auseinanderzusetzen, hat der Verwaltungsgerichtshof auch jüngst in einer behebenden Entscheidung in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten betont (VwGH vom 04.10.2018, Ra 2018/18/0229).
Insbesondere aufgrund des jungen Alters der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers (sowie der nunmehr vorgebrachten Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin, welche die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung jedoch noch gar nicht mitberücksichtigen konnte, da die Schwangerschaft erstmals in der Beschwerde thematisiert wurde; diesbezüglich werden der belangten Behörde auch keine Fehler unterstellt) in Verbindung mit der allgemein bekannten, sehr schlechten Situation für Kinder (die aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt sind) und speziell für Mädchen wäre die erstinstanzliche Behörde zur Einholung zusätzlicher Kinder betreffender Länderberichte amtswegig verpflichtet gewesen. In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom Juni 2018 ausgeführt, dass bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich sind. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung entsprechender und aktueller Länderfeststellungen in Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (vgl. VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10 mwN).
Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BFA näher mit der spezifischen Situation der mj. Drittbeschwerdeführerin und des mj. Viertbeschwerdeführers in Afghanistan und nunmehr auch der vorgebrachten Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin auseinanderzusetzen haben. Insbesondere wird zu klären sein, ob die minderjährigen Beschwerdeführer konkreten, unzumutbaren Gefahren und die Drittbeschwerdeführerin allfälligen geschlechtsspezifischen Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind bzw. ob sie einen gesicherten Zugang zu angemessener Bildung mit ausreichenden Garantien beim Schulbesuch hätten (siehe an dieser Stelle: VfGH vom 30.11.2017, E2528-2532/2017-24 zur mangelhaften Auseinandersetzung mit den Bildungsmöglichkeiten von drei minderjährigen Mädchen im schulpflichtigen Alter) und sie auch eine adäquate Versorgungslage vorfinden können.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - im konkreten Fall nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Verwiesen wird diesbezüglich auch auf die jüngste Entscheidung des VwGH vom 25.10.2018 zu Ra 2018/20/0014-6, in der festgestellt wird, dass sich die Behörde nicht offenkundig notwendiger Erhebungen entledigen und diese auf das BVwG übertragen kann.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen und auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.
Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA unter Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs die dargestellten Mängel zu verbessern haben.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.
Zu B):
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W153.2198926.1.00Zuletzt aktualisiert am
01.02.2019